16. Feuerschutz durch Zitrusfrüchte

Feuerschutz durch Zitrusfrüchte?

Der Markt

Der Weltmarkt für Feuer- und Brandschutz wird für 2010 auf 3,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. Der Markt für halogenfreie Chemikalien gegen Flammen liegt schon bei 2,72 Milliarden Dollar und wächst weiter. Das Gesundheitsbewusstsein der Verbraucher in Europa und Japan sowie strenge Gesetzgebungen in aller Welt verdrängen die schädlichen Halogenprodukte vom Markt. Trotzdem wächst die Nachfrage nach allen Arten von Feuerschutzmitteln durch China, da dort eine Steigerung der Nachfrage um mehr als 13 Prozent über die nächsten 12 Monate zu erwarten ist.

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Die Geschichte des Feuerschutzes geht zurück bis auf das alte Ägypten, die Holz in Alaun (Kaliumaluminiumsulfat) tränkten, um es vor Bränden zu schützen. Die Nachfrage nach Mitteln zum Feuerschutz beschränkte sich auf Holz, bis die Einführung von Produkten auf Erdölbasis den Einsatz von Feuerschutzmitteln als Sicherheitsstandard verlangte. Versicherungsfirmen spielten eine zentrale Rolle bei der Verbreitung dieser Maßnahmen. Die Regierungen verabschiedeten Gesetze, die diese Chemikalien in Sofas, Autos, Computern, Kabeln, Gardinen und vielem mehr vorschreiben. Ironischer Weise gingen diese Vorschriften zu Lasten der Umwelt. Zwar wurden die Sicherheitsziele erreicht, doch hatten sie die Beeinträchtigung der Gesundheit zur Folge.

Die Hälfte der Chemikalien, die zur Eindämmung von Flammen und Rauch genutzt werden, sind in Kunststoffen für Autos, Flugzeuge, Züge und Wohnungen gebunden. Der Rest findet sich in Textilien, Möbeln, Papier, Dekoartikeln, Bettwaren, Lampen, Kerzenhaltern und Arbeitskleidung. Forschungen zufolge verursachen diese Feuer- und Brandschutzmittel neurologische und reproduktive Krankheiten, Funktionsstörungen der Schilddrüse und alle Arten von Krebs. Infolge der Forschungsergebnisse wird eins der schlimmsten Moleküle (DECA) freiwillig bis 2013 von den Marktführern Albemarle, Chemtura und ICL Industries aus der Produktion genommen.

Die Innovation

Neue Vorschriften für die Reduktion von giftigen Chemikalien steigern die Nachfrage nach Feuerschutzmitteln, die sich nicht in Organismen anreichern. Da die Regierungen neue Standards für die Entflammbarkeit und Rauchentwicklung für ein breites Feld von Produkten festlegen, wird Innovatoren hier eine einmalige Chance gegeben, in den Markt einzudringen. Experten sagen voraus, dass die Nanotechnologie eine Schlüsselrolle bei Verbesserungen spielen wird, unter anderem in Polymer-Keramik-Zusammensetzungen. Mats Nilsson, ein namhafter Erfinder aus Schweden, hat eine völlig andere Lösung auf der Basis von Chemikalien aus Essensresten erdacht. Seine Entdeckung, die weltweit patentiert ist, hat er “Molecular Heat-Eaters” (Molekuläre Hitzefresser, MHE) genannt, inspiriert von der Art und Weise, auf die warmblütige Tiere Nahrung umwandeln.

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Die erfolgreiche Entwicklung dieses Feuerschutzmittels basiert auf der Theorie, dass Energie, die bei einer Säure-Lauge-Reaktion frei wird, derjenigen Energie entspricht, die benötigt wird, um die Ergebnisse einer vorausgegangenen Reaktion abzubauen. Dies klingt nach einem Beispiel von Physikochemie. Mats hat eine Reaktion zwischen einer organischen Säure und einer anorganischen Lauge konstruiert, die stark exothermisch verläuft. Wenn die Temperatur steigt, bildet sie eine Barriere für Feuer auf der Oberfläche, so dass die Hitze sich nicht ausbreitet und Flammen eingedämmt werden.

Um ein Feuer zu machen, benötigt man drei Komponenten: Sauerstoff, Hitze und ein brennbares Material. Zunächst bindet der MHE Sauerstoff, um Salze aus Wasser zu gewinnen, wobei positiv geladene Ionen (Kationen) gebildet werden. Kationen bringen Kohlenstoff dazu, schneller Kohle zu bilden, die wiederum nicht brennbar ist und in diesem Prozess CO2 bildet, ein nicht brennbares Gas. So wird Sauerstoff verbraucht und die Oberfläche verkohlt unter unbrennbaren Gasen. Das Rohmaterial, das benötigt wird, um MHE zu produzieren, könnte aus Trester und Zitrusfrüchten gewonnen werden. MHE werden in winzigen, biologisch abbaubaren, Teilchen in Form von Flüssigkeit, Gel oder Pulver produziert. Die geringe Größe dieser Salze vergrößert die Oberfläche, die sich dadurch vervielfacht und so die chemischen Reaktionen beschleunigt, was die Menge an benötigtem Flammschutzmittel verringert.

(Anmerkung: Die Beschreibung der Innovation ist eine vereinfachte Darstellung. Bei Interesse an einem detaillierteren wissenschaftlichen Ansatz sei verwiesen an den Text von Mats Nilsson, der ausführlich das Verständnis der physikochemikalischen Prozesse beschreibt, die zu seiner Entdeckung geführt haben.)

Erster Umsatz

Die Herausforderung besteht hauptsächlich darin, die Mischung des Flammschutzmittels für eine Vielzahl verschiedener Produkte zu optimieren. Zum Beispiel ist PVC reich an Chlor und benötigt daher andere Konzentrationen von MHE in Abhängigkeit von den Zusatzstoffen, die das Plastik weicher machen oder gegen ultraviolette Strahlung schützen, was wiederum die Entflammbarkeit beeinflusst. Nach Jahren von Versuch und Irrtum entstand so eine konkurrenzfähige Produktpalette: Teppichböden aus Polyamid, Rohre und Teppichrückenbeschichtungen aus PVC, flexibler Polyurethanschaum, Zellulose für Papier sowie Polystyren für Bau und Isolierung.

Mats Nilsson gründete im folgenden die Trulstech AB, eine schwedische Firma, die in der Biomimetic Technology Ltd. aufging, mit Sitz in Leeds (Großbritannien). Er entschied sich für eine Reihe von Lizenzpartnerschaften mit Firmen aus den USA und Australien. Sein schwedischer Partner Deflamo AB verschrieb sich an den Sekundärmarkt in Stockholm. Deflamo entwickelt alle Inhaltsstoffe für die industrielle Nachfrage und sprang vom Großhändler des Hauptinhaltsstoffs zum Produzenten einer hochdichten Faserplatte mit diesem natürlichen Feuer- und Flammschutz.

Die Chance

Die hier beschriebene Innovation geht über einen bloßen Ersatz von einer Chemikalie durch eine andere hinaus. Sie bietet Chancen, Trester und Abfälle von Zitrusfrüchten zu verwerten und zeigt neue Perspektiven für Weinbauregionen, wo giftige Chemikalien durch Moleküle aus der Nahrungsmittelproduktion ersetzt werden können. Ebenso könnte aus einer stark zentralisierten Industrie mit wenigen Global Players eine Quelle für regionale Initiativen mit einer Patentpalette werden. Zusätzlich lassen sich die Einsatzmöglichkeiten leicht weiterentwickeln – von Teppichen für Flugzeuge und Computergehäusen bis hin zu Feuerlöschern und umweltfreundlichen Chemikalien bei der Waldbrandbekämpfung.

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Vielleicht könnte die selbe Technologie eines Tages sogar im Bergbau genutzt werden, wo Explosionen durch Funkenflug verursacht werden, weshalb teures Gerät auf Nickelbasis eingesetzt werden muss. Die am meisten faszinierende Möglichkeit für die Zukunft sind Mischungen von MHE, um Pistolen und Kanonen unschädlich zu machen. Dieses Konzept wurde zwar noch nicht getestet, doch die Tatsache, dass das Produkt bereits im Preis und in der Performance vor der Markteinführung konkurrenzfähig ist, gibt einen Aufschluss darüber, wie weit das Feld der Einsatzmöglichkeiten für dieses Produkt ist. Von den Unternehmern auf der ganzen Welt hängt es ab, das, was da ist, zu ergänzen und das Geschäft zum Rollen zu bringen.

Bilder: StockXCHNG
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