19. Trocken- und Trenntoiletten
Der Markt
Gegenwärtig wird der Weltmarkt für Sanitärprodukte auf Wasserbasis auf 124 Milliarden US-Dollar geschätzt. Während in letzter Zeit 1,6 Milliarden Menschen einen Wasseranschluss und WCs bekommen haben, bleiben heute noch 2,5 Milliarden ohne jeglichen Anschluss. Bedingt durch das Bevölkerungswachstum ist diese Zahl über die letzten drei Jahrzehnte konstant geblieben. Die Milleniumsziele der Vereinten Nationen schlagen vor, die Hilfeleistungen und Investitionen zu verdoppeln, um dagegen zu kämpfen, dass jeder Vierte in Entwicklungsländern überhaupt keine Sanitäreinrichtungen nutzt. In Südasien verrichten 65 Prozent der Bevölkerung ihre Geschäfte im Freien. In der Stadt Mumbai gibt es für 82 Bürger je eine Toilette. Es gibt also mehr Handys als Toiletten in Indien. Das Marktpotential für den „Toilettenbedarf“ wird, auf Basis bestehender Kosten und Geschäftsmodellen nach Zahl der nicht angeschlossenen Bevölkerung, auf 400 Milliarden Dollar geschätzt.
Das erste sich per Strudel selbstreinigende WC-Becken wurde bereits 1907 patentiert, doch erst in den 1950er-Jahren wurde das heute geläufige Konzept des Wasserklosetts (WC) zum Standard. Als die wassergespülte Sanitäreinrichtung Mainstream war, wurde gleichzeitig die Nutzung des Trinkwassers zur Toilettenspülung zu einer der größten Wasserverschwendung dieses kostbaren Guts. Heutzutage werden 25 bis 40 Prozent des Haushaltstrinkwassers für etwas verwendet, das eigentlich gar kein trinkbares Wasser benötigt. Die Dimensionen dieses Konsums kann durch das Beispiel der 45 Millionen Wohnungstoiletten im Vereinigten Königreich verdeutlicht werden, wo schätzungsweise zwei Milliarden Liter Frischwasser täglich hinuntergespült werden. Während der Fußball-Weltmeisterschaft müssen die städtischen Wasserwerke Höchstleistungen vollbringen, um den Wasserfluss in den 15 Minuten der Halbzeitpausen sicherzustellen.
Hinzu kommt noch, dass jede erkrankte Person bis zu 10 Milliarden Viren pro Tag ausscheidet. Einmal im Wasser, entsteht ein akuter Bedarf an Chemikalien, um die Verbreitung der Krankheit zu vermeiden. Zwar töten die Chemikalien 99,99% aller Bakterien und Viren, doch etwa eine Million von ihnen überlebt und pflanzt sich weiter fort. Ein Keim genügt, um eine andere Person anzustecken. Die Knappheit an Wasser für den Haushalt ist die treibende Kraft hinter der Installation von weltweit 12500 Wasseraufbereitungsanlagen, die mit sehr hohem Energieaufwand Salzwasser in Trinkwasser umwandeln. Daher muss bei der Nutzung von wasserbasierten Sanitäranlagen und wachsendem Süßwasserbedarf grundsätzlich umgedacht werden. Hier besteht die Möglichkeit, Innovationen auf den Markt zu bringen.
Die Innovation
Die Neugestaltung von Sanitäranlagen hat wenige Spitzeningenieure motiviert. Toiletten sind bereits mehrfach neu entwickelt worden, ihre Preise sind mittlerweile bis auf 30 Dollar pro Stück gefallen – billiger als ein Mobiltelefon – und haben mitunter einen Verbrauch von nur 3 oder sogar 1,5 Litern pro Nutzung. Installationen für die Entsorgung von Exkrementen wie Faulgruben, Spül- oder Plumpsklos sind als verbesserte Sanitäreinrichtungen bekannt, doch wird das Problem nur verschoben, da weiterhin Trinkwasser zur Spülung benötigt wird.
Als Dr. Mats Wolgast, Professor für Hygiene und gleichzeitig gelernter Arzt, durch Wasser verursachte Krankheiten untersuchte, bemerkte er den Widerspruch zwischen dem Wunsch nach einer „No toilet – No wife“-Kampagne, die Frauen in der Dritten Welt motivieren sollte, Werber abzulehnen, die kein Haus mit Badezimmer anbieten konnten, und dem kulturellen Anachronismus, Trinkwasser zum Spülen zu verwenden. Er untersuchte die Physiologie des menschlichen Körpers und entwickelte ein einfaches System, das Flüssigkeiten von Feststoffen trennt, ohne sie mit Wasser zu vermischen. Die Flüssigkeiten werden in einem separaten Urintank gesammelt, die Feststoffe fallen in einen Container, in dem sie trocknen.
Als Arzt konzentrierte er sich auf die Kontrolle von Bakterien und Viren und befürwortete weiterhin die Spülklosetts. Er entwickelte ein Trennsystem auf Grundlage des Aquatron-Strudels gleich unter dem Wasserklosett, das eine schnelle und vollständige Trennung von Feststoffen und Wasser sichert. Die Feststoffe trocknen in nur ein paar Stunden aus und stellen dann kein Gesundheitsrisiko mehr dar. Dr. Wolgast verfolgte seine ursprüngliche Idee einer Trockentoilette weiter und fügte einen schwarzen Schornstein in die Innenkammer ein, der nach den Gesetzen der Physik funktioniert. Der Schornstein erwärmt die Luft, die sich ausdehnt und aufsteigt und einen Unterdruck erzeugt, der Luft aus dem Raum in die Toilette hineinsaugt. Dieses simple und geniale System, das weder Ventilator noch Elektrizität benötigt, hat noch nie versagt: die Luft bleibt ohne künstliche Mittel frisch und sauber.
Erster Umsatz
So viele Designs für Toiletten es auch gibt, die ersten, die von der Innovation überzeugt werden müssen, sind die Architekten. Dr. Wolgast arbeitete eng mit Anders Nyquist zusammen, der dann wiederum seine Kunden überzeugen musste. Die ersten Anwender des neuen Systems war das Dorf Rumpan bei Sundsvall in Schweden, wo die Toiletten getestet wurden. Diese gemeinsame Arbeit brachte weitere Vereinfachungen in der Entwicklung. Nach mehreren Jahren schloss Anders, dass die Zeit reif für ein Großprojekt war. Die Laggarberg-Schule in Timrå nördlich von Sundsvall installierte das System 1995 in ihrem Gebäude.
Die Feststoffe, die die 150 Schüler über ein Jahr produzierten, ergaben weniger als 300 Kilo Trockensubstanz und es gab nie eine Beschwerde über schlechte Gerüche. Noch wichtiger ist vielleicht, dass die festen Abfälle einen hochwertigen Kompost ergeben, der an die Bauern in der Umgebung verkauft wird und so einen (kleinen) Nebenverdienst schafft. Der Urin wird in einem unterirdischen Tank gesammelt. Er wird im Verhältnis 1:10 mit Wasser verdünnt und als Dünger auf dem nahegelegenen Golfplatz eingesetzt.
Die Chance
Mats Wolgast und seine Kollegen entschieden, dass das beste seiner Modelle auf den Markt gebracht werden sollte. Eine ganze Reihe Firmen haben die Rechte erworben, eine Vielzahl Architekten sind mittlerweile mit dem wasserunabhängigen System vertraut. Das kostengünstigste Modell hingegen wurde in eine „Open-Source-Toilette“ umgewandelt, d.h. jeder Interessierte kann die Zeichnungen gratis aus dem Internet herunterladen und selbst bauen. Anders Nyquist, der nicht nur Architekt, sondern auch ein guter Tischler ist, trug mit seinen Künsten zu einer einfachen Bauweise bei.
Besonders in Lateinamerika, Afrika und Asien haben die Modelle Erfolg und es besteht großes Interesse seitens der Menschen, ihre eigenen Trocken- und Trenntoiletten zu bauen. So werden zwei der größten Herausforderungen für die Menschheit – Trinkwasser und Hygiene – zu einer Chance für lokale Unternehmer, ihre Ressourcen vor Ort und einfache Bauweise, während die Hygiene zu einem Bruchteil der Kosten von herkömmlichen Systemen gewährleistet wird. Dazu sind Innovationen da.
Bilder: StockXCHNG
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