21. Die Bioraffinerie

Der Markt

Die weltweite Nachfrage nach Biodiesel wird erwartungsgemäß im Jahr 2015 über zehn Milliarden Gallonen betragen. Momentan haben 30 Länder Zielvorgaben für Biodiesel formuliert und mischen Biodiesel mit herkömmlichem Treibstoff. Europa nähert sich einer Mischung von 7 Prozent an, während Brasilien und Indonesien 10 Prozent anstreben. Die Entwicklungsländer stellen 50 Prozent der weltweiten Nachfrage für Biotreibstoff her. Ihr Engagement auf dem erneuerbaren Sektor wird untermauert durch die Tatsache, dass bereits jetzt 17 Prozent der weltweiten Nachfrage nach Biodiesel aus südlichen Ländern kommen. Die EU ist der größte Verbraucher von Biodiesel mit 44 Prozent der Nachfrage, dicht gefolgt von der Asien-Pazifik-Region mit 39 Prozent und weit vor den Vereinigten Staaten.

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Europas landwirtschaftliche Nutzfläche gliedert sich in 164 Millionen Hektar kultiviertes Land und 76 Millionen Hektar Weideland. Landwirtschaftliche Abfälle aus Lebensmittel- und Futterpflanzen stellen eine wichtige Quelle für die Produktion von Biotreibstoff. Das multilaterale Forschungsinstitut IIASA in Wien hat geschätzt, dass bis zu 246 Megatonnen Biomasse für die Biotreibstoff- und –kunststoffproduktion aus Ernteabfällen hergestellt werden könnten, die 50 Prozent der gesamten Ernte ausmachen. Dabei gäbe es kein Risiko des Verlusts von Nährstoffen oder der Bodenqualität. Diese Nutzbarmachung von landwirtschaftlichen Abfällen verringert den Bedarf an Landfläche, die einzig zum Anbau von Pflanzen zur Herstellung von Biotreibstoff dient, um 15-20 Millionen Hektar.

Die Innovation

Die Nachfrage nach Treibstoff (oder Kunststoff) aus Biomasse konkurriert mit Nahrungsmitteln. Experten der Cornell University haben berechnet, dass der Betrieb eines amerikanischen Durchschnittsautos über ein Jahr mit Biodiesel oder Ethanol 11 Acres Anbaufläche benötigt, die sonst sieben Menschen ernähren könnten. Doch dies ist nur ein Teil des Problems: Für die Produktion von Ethanol aus angebauten Pflanzen wird mehr Energie benötigt, als die Verbrennung des Ethanols wiederum freisetzt. Hauptproblem ist, dass 8 Prozent Ethanol mit einem Reinheitsgrad von 99,8% von 92 Prozent Wasser getrennt werden müssen. Wenn hinzugerechnet wird, dass Mais die Erde zwölfmal schneller auslaugt, als sie sich regenerieren kann und die Bewässerung von Mais das Grundwasser 25 Mal schneller verbraucht als der natürliche Rückfluss, dann kann dies nicht mehr nachhaltig genannt werden. Wenn alle Autos der Vereinigten Staaten mit 100-prozentigem Ethanol führen, bräuchte man 97 Prozent der gesamten Landfläche der USA zum Maisanbau. So ist schwer erklärbar, warum Treibstoff und Plastik aus Mais als nachhaltige Alternative zu fossilen Brennstoffen gelten.

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Prof. Dr. Carl-Göran Hedén, kürzlich verstorbenes Mitglied der königlich-schwedischen Akademie der Wissenschaften und jahrelanger Direktor der Abteilung für Mikrobiologie am Karolinska Institute, hat das Konzept der Bioraffinerie in den frühen 1960er-Jahren eingeführt, um einen Ausweg aus der Zwickmühle zwischen Nahrungsmitteln und Treibstoff aufzuzeigen. Er stellte das Konzept der Verarbeitung der Biomasse mit den selben logischen Prinzipien der Aufspaltung von Rohöl in 100 000 verschiedene Moleküle vor, bei der Energie freigesetzt wird. Während zahlreiche Forschungsinstitute wie das Staatliche Labor für Erneuerbare Energie und die Universität von Wageningen das Konzept weiterführten, war es Prof. Dr. Alberto Vieira Costa von der Landesuniversität Rio Grande (FURG) in Brasilien, der das Konzept praktisch umsetzte, jedoch nicht mit Pflanzen, sondern mit Algen.

Prof. Jorge Costa begann in den 1990er-Jahren seine Forschungen an Süßwasseralgen, die in der basischen Lagoa Mangueira im Süden Brasiliens leben, im Rahmen einer Arbeit zur Bekämpfung der Mangelernährung in dieser Region. Seine Einsichten zur Produktionsvermehrung trugen zur Erweiterung des Programms von der Nahrungssicherung zur Abschwächung des Klimawandels bei. Die Algenproduktion hatte Erfolg und das bessere Verständnis des Bedarfs an CO2 als Nährstoff für Algen wurde zu einer neuen Möglichkeit, indem die überschüssigen Emissionen aus dem örtlichen Kohlekraftwerk genutzt wurden, um ein Rückhaltebecken zu einer Algenproduktionseinheit umzufunktionieren. Eine detaillierte Studie der Produktionskapazität ergab, dass eine Überproduktion an Algen über den menschlichen Konsum hinaus den Weg ebnete zur Extraktion der Lipide aus der Alge für die Gewinnung von Biotreibstoff. Dr. Michele Greque, ein Kollege Costas, integrierte die Bioraffinerie auf der nächsten Ebene und fand heraus, dass Ester (und Polyester) aus den Resten gewonnen werden konnten, ein solides Beispiel für eine Bioraffinerie, die Nahrungsmittel, Treibstoff und Kunststoffe aus CO2 gewinnt.

Erster Umsatz

Das brasilianische Team hat 2008 erfolgreich seine erste Produktionseinheit in Porto Alegre, Brasilien, in Betrieb genommen. Während das Projekt in seiner Startphase ist, hat die technische und finanzielle Machbarkeit der Konvertierung von Treibhausgas in Ausgangsmaterie für drei Grundbedürfnisse die nötigen Geldmittel generiert, um den Prozess zu perfektionieren, der die Debatte um Biotreibstoff aus Algen auf einen vielversprechenden Weg führt.

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Parallel hierzu hat der italienische Konzern Novamont, der größte Hersteller von Bioplastik in Europa sich von einem innovativen Kunststofffabrikanten zu einem Unternehmen entwickelt, das sich nunmehr auf den Bau von Bioraffinerien konzentriert. Die erste ist bereits in Terni, Italien, in Betrieb. Nach einer Investition von etwa 100 Millionen Euro in innovative Kunststoffe und dem Aufbau eines Portfolios von 100 Patenten ist Dr. Catia Bastioli, Gründerin und Geschäftsführerin übergegangen zur Implementierung dieses Projekts, indem sie ein Joint-Venture mit 600 Bauern vor Ort gründete, die für den regionalen Konsum produzieren. Diese Strategie, nicht kultiviertes Land in die Produktion zurückzuführen und die Verarbeitung der gesamten Biomasse zu sichern (nicht nur die Stärke und das Pflanzenöl) verbessert die Gewinne durch das Land, die Produktion der Fabrik sowie die Produktkosten, so dass im Sinne der Blue Economy mehrere Cash Flows entstehen.

Die Chance

Rohöl, Raffinerien und Ölindustrie sollten die chemischen Ingenieure inspirieren, vergleichbare Produktionsmethoden für Derivate aus komplexer Biomasse zu finden. In gleicher Weise, wie Erdöl in 100 000 verschiedene Moleküle aufgespalten werden kann, sollte Biomasse nicht in einzelnen Silos produziert werden, wo sie große Mengen Abfall hinterlassen.

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Die Zeit ist reif für das Konzept der Bioraffinerien. Die Initiativen in Brasilien und Italien haben die technische, wirtschaftliche und soziale Machbarkeit bewiesen; für die Zukunft ist es sehr wahrscheinlich, dass sich weitere Projekte entwickeln.

Bilder: Novamont, StockXCHNG

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