23. Sauber ohne Seife

Der Markt

Der gegenwärtige Weltmarkt für Reinigungsdienste übersteigt 150 Milliarden Dollar. Von diesem Betrag werden über 60 Milliarden in Europa generiert und fast 50 Milliarden allein in den USA. Es handelt sich hier wahrscheinlich um den unternehmerischsten und arbeitsintensivsten Sektor der Welt mit Wachstumsraten, die seit Jahren bei etwa 10 Prozent liegen. Es gibt 135.000 Anbieterfirmen auf dem Reinigungssektor in Europa und 386.000 in den USA. Weltweit bieten etwa eine Million Firmen professionelle Reinigungsdienste an. Die europäische Reinigungsbranche beschäftigt 3,5 Millionen Arbeitskräfte, ¾ von ihnen in Teilzeit mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 24 Wochenstunden. Drei von vier Beschäftigten sind Frauen. Die USA beschäftigen fast eine Million, wobei die Größe der einzelnen Firmen oft sehr gering ist.

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Reinigungsdienste profitierten von einem schnellen Wachstum, da sie mittlerweile weitgehend ausgegliedert werden, sowohl auf dem privaten als auch auf dem öffentlichen Sektor. Hier liegt die Marktpenetration bei fast 65 Prozent, d.h. zwei Drittel aller Betriebe und Agenturen haben sich entschlossen, Reinigungsdienstleister unter Vertrag zu nehmen, anstatt selbst entsprechende Arbeitskräfte einzustellen. Zwar gibt es Hunderttausende kleiner Unternehmen, doch auch einige große Konglomerate sind entstanden, wie ISS in Dänemark und ABM Industries Inc. in den USA. ISS operiert in 50 Ländern der ganzen Welt und beschäftigt 485.000 Angestellte, um etwa 200.000 Firmenkunden zu bedienen. Während des letzten Jahrzehnts hat ISS über 600 Firmen aufgekauft und so seine Wachstumsstrategie durch Professionalisierung des Sektors angetrieben.

Das Wachstum in Reinigungs- und Hausmeisterei-Dienstleistungen hat die Entwicklung von damit verbundenen Geschäften mit entschieden. Es hat zu strategischen Allianzen zwischen Dienstleistern, Herstellern von Reinigungsgeräten und Chemiekonzernen geführt. Auch wenn die Arbeitskraft bei weitem den größten Posten an Ausgaben stellt, weist die Reinigungsindustrie über 30 Milliarden Dollar in Kapital- und Betriebsaufwendungen auf. Dieser Sektor ist die größte Anwendung des Konzepts des industriellen Franchising auf der Welt mit schätzungsweise 100.000 Geschäften.

Die Innovation

Da die Arbeitskraft die höchsten Ausgaben stellt, hat die Industrie in arbeitssparende Geräte investiert. Die Palette reicht von automatischen Spendern, die die richtige Menge Wasser mit der richtigen Menge Seife mischen, über automatische Gebäudewartung, die die Außenseiten von Fenstern putzen, bis hin zu Reinigungssystemen, die von Reinlichkeits- bis zu Gesundheits- und Umweltmanagement reichen und eine neue Serie von Chemikalien einführen. Die Suche nach Innovationen konzentriert sich auf automatische Systeme und Chemie, die die Arbeit der Beschäftigten erleichtert.

Prof. Dr. Wilhelm Barthlott, Direktor der Botanischen Gärten an der Universität Bonn (D) hat begonnen, die Biodiversität auf der Welt zu kartieren. Er war fasziniert (1) von fleischfressenden Pflanzen und (2) von den Selbstreinigungsmechanismen auf biologischen Oberflächen. Die erstere Leidenschaft mündete in eine der weltgrößten Sammlungen fleischfressender Pflanzen und die letztere in Technologien zur industriellen Herstellung von selbstreinigenden Oberflächen. Dieser Effekt ist mittlerweile bekannt als „Lotus-Effekt“ und basiert auf wasserabweisenden Eigenschaften in Kombination mit Nano-Oberflächendesign, das verhindert, dass Partikel hängen bleiben. Dies entfernt Schmutz durch winzige Wassertropfen, ähnlich wie Morgentau. Dies impliziert, dass nicht nur der Arbeitsaufwand reduziert wird, sondern auch auf den Einsatz von Chemikalien verzichtet werden kann. Eines Tages könnte dies die Autowaschanlagen überflüssig machen, da das Auto einfach an Regentagen sauber wird.

Die Selbstreinigung von Lotosblüten wurde bereits seit hunderten von Jahren in der chinesischen und japanischen Literatur beschrieben. Das Feld der Selbstreinigung ist in Asien seit Jahrzehnten akademischer Forschungsschwerpunkt. Prof. Dr. Emile Ishida, Technologischer Leiter von INAX, Japans zweitgrößtem Hersteller von Sanitärkeramik, hat beobachtet, wie hunderte von Litern Wasser durch Meermuscheln fließt, ohne dass deren Innenseite schmutzig wird. Er erforschte Schnecken, die ebenfalls ihre Innenschalen sauber hielten, und entdeckte eine weitere Art von Nano-Oberflächendesign, das sich von dem der Lotosblüte unterscheidet, aber ebenso effektiv ist. Dies führte zur Entwicklung einer Oberflächenversiegelung für die Innenseite von Toiletten, die fleckenfrei bleibt. Gegenwärtig werden die meisten Toilettenbecken mit der Zeit fleckig, jedoch nicht durch den Kontakt mit menschlichen Ausscheidungen, sondern eher durch die scharfen Chemikalien, die zu Ihrer Reinigung und Geruchsbeseitigung bei niedrigen Temperaturen und ohne Scheuern eingesetzt werden. Die Physik und Physikochemie ersetzt Chemie und automatische Geräte. Leider basieren die meisten neu entwickelten Anwendungen immer noch auf fluorhaltigen Chemikalien. Es sind noch weitere Innovationen nötig, um diesen Durchbruch wirklich nachhaltig zu machen.

Erster Umsatz

Prof. Barthlott entschied sich, in der akademischen Welt und der Forschung zu bleiben. Prof. Ishida ist nach seinem Ausscheiden bei INAX der Akademie beigetreten. Beide haben zahlreichen Industrien dabei geholfen, eine durch ihre neuen Einsichten inspirierte Produktpalette und eine breite Palette von Patenten aufzubauen. Das erste kommerzielle Produkt, das weite Verbreitung auf der ganzen Welt fand, ist eine Fassadenfarbe namens Lotusan. Seit ihrer Einführung vor zehn Jahren sind bereits etwa 500.000 Gebäude auf der ganzen Welt mit dieser Farbe angestrichen worden. Diese Gebäude benötigen keine Reinigung mindestens während der nächsten fünf Jahre.

Die Chance

Das Konzept der Selbstreinigung und reinigungsmittelfreien Wartung eröffnet zahlreiche Chancen für Unternehmer in einer Branche, die sich durch Tausende von kleinen Akteuren auszeichnet. Wenn die Chemielieferer auf der Welt Silikonbehandlungen auf strukturierten Oberflächen den Fluorchemikalien vorziehen, dann kann schon bald eine breite Palette von neuen Geschäftsmodellen auf dem Markt Fuß fassen. Die Anwendung ist nicht auf Reinigung beschränkt, sie schützt auch vor Pilzen, die unter bestimmten Umständen nicht auf der Oberfläche anhaften können. Heute findet die Anwendung von Technologien, die durch Tiere (Schnecke) und Pflanzen (Lotos) inspiriert sind, ihren Weg auf Gebäudeaußenflächen, Solarpaneele, Stoffe, medizinisches Gerät und sogar Verkehrssensoren sowie Frostschutzmittel.

Forschungsgelder fließen schnell in eine große Bandbreite von kommerziellen Anwendungen und große Chemiekonzerne wie Evonik (Deutschland) springen auf den Zug. Doch die wirklich kurzfristige Umsetzung liegt in der Entwicklung von Reinigungssystemen für Büroräume und Wohnungen, die umweltschädliche Chemikalien unnötig machen. Wir sollten nicht vergessen, dass einfache Reinigung hervorragende Ergebnisse liefert, wenn Temperatur, Druck und Reibung zunehmen und der tägliche Gebrauch von Chemikalien, auch Bio-Chemikalien, die letzte statt der ersten Lösung sein sollte. Diese Innovation schafft die Grundlage für ein neues ökologisches und wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell sowie die Chance auf besser bezahlte Arbeitsplätze. Zusätzlich wird die Dienstleistung besser bewertet werden als die bisher vorherrschenden Leistungen in der Reinigungsindustrie.

Bilder: StockXCHNG

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