24. Reibung vermeiden

Der Markt

Schätzungen zufolge wird ein Drittel aller Energie, die auf der Welt verbraucht wird, zur Überwindung von Reibungswiderstand aufgewendet. Die Kosten aufgrund von Ersetzen von Teilen und erhöhtem Treibstoffverbrauch durch Reibung erreichen etwa 250 Milliarden US-Dollar weltweit. Von Werkstätten und Geschäften bis hin zur strategischen Aufstellung von multinationalen Unternehmen ist der Bedarf zur Bekämpfung von Reibung gegeben. Gegenwärtig gibt es drei große Technologieplattformen in der Industrie zur Reduktion von Reibung. Erstens gibt es den Markt für Schmiermittel mit etwa 40 Milliarden Dollar Umsatz, der Öle zur Reibungsverminderung anbietet. Zweitens gibt es den Markt für Kugel- und Rollenlager (etwa 65 Milliarden Dollar), der mit einem Wachstum von 8,5 Prozent bis 2014 rechnet. Nicht zuletzt wird Reibung durch Anwendung von natürlichen oder künstlichen Industriediamanten reduziert, mit einem Marktwert von weiteren 10 Milliarden Dollar.

Kugellager werden benötigt, wenn es um Geschwindigkeit geht, während Rollenlager für höhere Belastungen genutzt werden. Kugel- und Rollenlager werden in allen Industrien eingesetzt: Transport (Autos, Eisenbahn, Luftfahrt), Stromerzeugung (Wasser-, Kohle- und Windkraft), Textilien, Bergbau, Sportgeräte, Klimaanlagen, Nahrungsmittelverarbeitung und sogar Präzisionsinstrumente. Die weltweite Zunahme der Windenergienutzung durch Turbinen treibt die Nachfrage nach speziellen Kugellagern weiter an. SKF kontrolliert etwa 20 Prozent des Weltmarkts. Die deutsche Konkurrenz bietet der Familienbetrieb Schäffler. Da eine große Zahl von Geräten immer kleiner wird, werden zunehmend winzige Kugellager mit einem Außendurchmesser von weniger als 22 Millimetern nachgefragt. Minebea Co. Ltd. aus Japan ist der weltgrößte Hersteller der weltkleinsten Kugellager.

The Innovation

Die Suche nach weniger Reibung ist eine alte Herausforderung und die Unternehmen werden immer kreativer. Mercedes-Benz stellt einen Prototypen auf Grundlage der Bionik her, der wie ein Fisch durch die Windströmung gleitet. Die Entwicklung von Lastwagen in Stromlinienform könnte – dem Georgia Institute of Technology in Atlanta (USA)zufolge – den Widerstand um 12 Prozent senken, was wiederum 1,2 Milliarden Gallonen Treibstoff pro Jahr in Amerika einsparen könnte. Die Automobilindustrie steht unter dem Druck, bessere Motoren zu bauen, die energieeffizienter sind und eine bessere Verbrennung garantieren, doch diese sind schwieriger zu schmieren. Nano-Kugeln, die Fullerene genannt werden, können mittlerweile gewöhnlichem Motoröl beigemischt werden, um die Reibung um bis zu 50 Prozent zu reduzieren. Bei einem Ölpreis von 80 Dollar pro Barrel mit steigender Tendenz sind Forscher angehalten, Hybridlager zu entwickeln, die nie trocken werden, d.h. die niemals aufgrund von Schmiermittelmangel stehen bleiben. Diese Lager werden nicht aus Stahl hergestellt, sondern aus speziellen Materialien wie Silikon-Nitrid-Keramik, eine selbstschmierende Graphit-Legierung. Man erwartet, dass Metall-Lager eines Tages komplett durch Keramiklager ersetzt werden, die weniger unter Korrosion leiden.

Prof. Dr. Ingo Rechenberg, gelernter Flugzeugingenieur der Technischen Universität Berlin und der University of Cambridge (UK) hat eine Leidenschaft für die Optimierung von technischen Systemen durch die biologische Evolution. Seine Suche nach Wasserstoff führte ihn in die Sahara in Südmarokko zur Erforschung von wasserstoffproduzierenden Bakterien. Durch Zufall beobachtete er, wie der Sandfisch der Sahara, eine Eidechse, mit minimaler Reibung und Abnutzung durch die Sanddünen schwimmt. Er entdeckte, dass dieses Reptil auf seinen Schuppen winzige Nadeln und Kanten besitzt, die Reibung und Abnutzung vermindern. Jeden Morgen legt der Sandfisch etwa einen Kilometer Wegstrecke zurück und sollte so permanent vom Sand gekratzt werden. Doch wenn die Echse in die Düne eintaucht, bleibt ihre Hautoberfläche glatt und glänzend.

Nach Prof. Rechenberg, Experte in Evolutionsbiologie, ist Energieeinsparung die Hauptaufgabe von biologischen Systemen. Er und sein Team maßen die Reibung und Abnutzung der Haut und schlossen, dass Wälzstahl um 58 Prozent mehr Reibung hat als der Sandfisch. Sand nutzt zwar Stahl und Glas ab, doch die Haut der Eidechse zeigte unter vergleichbaren Bedingungen keine Schäden. Sein Team erforschte alle wissenschaftlichen Möglichkeiten und eine der Arbeitshypothesen war, dass die Spitze der Kanten auf der Haut, die Silikon enthält, als Emittent von Elektronen dienen könnte. Vielleicht funktioniert der Sandfisch wie zwei negativ geladene Magnete: sie stoßen einander ab. So mag der Sandfisch die Magnetschwebekraft erfunden haben, lange bevor deutsche und japanische Ingenieure sie als neue Art der reibungsarmen Fortbewegung für Eisenbahnen entwickelten. Dies ist eine schlaue Entwicklung des Ökosystems in der negativ geladenen Sahara und des Sandfischs, der eine Lösung zur Fortbewegung in seiner Umgebung entwickelt zu haben scheint.

TErster Umsatz

Die Arbeit von Dr. Rechenberg ist noch in ihrer Anfangsphase der Entdeckung. Trotzdem gibt sie aufschlussreiche Einsichten, die für mikro-elektromechanische Systeme (MEMS) von außerordentlichem Interesse sein könnten. Es handelt sich hier um die Integration von mechanischen Elementen, Sensoren, und Elektronik. Das Sicherheitssystem des Airbags wird durch MEMS gesteuert. Ein Sensor registriert den Aufprall, die Mikroelektronik verarbeitet die Information mit Fähigkeiten zur Entscheidung und das mechanische Bauteil setzt Luft frei, um die Passagiere zu schützen. Diese winzigen Systeme enthalten sehr wenige bewegliche Bauteile aufgrund der Abnutzung durch hohe Reibung in diesen silikonbasierten Systemen.

Der Sandfisch hat das Problem mittels Glykoproteinen und Kohlehydraten sowie einer kleinen Menge Silikon gelöst. Dies könnten wir auch essbare Chemie nennen, eine willkommene Alternative zu scharfen Chemikalien, hoher Verarbeitungstemperatur und Druck, die die Welt der Überzüge, Schmiermittel, Industriediamanten und Kugellager beherrschen.

Die Chance

Diese Innovation ist noch nicht bereit für die Massenproduktion. Trotzdem bieten die gefundenen Pfade eine solide Basis für Unternehmer, die bereit sind für ein langfristiges Projekt der Entwicklung einer innovativen Technologieplattform, das fast alle Sektoren der Weltwirtschaft durchdringen könnte. So wie Kugellager und Schmiermittel über ein Jahrhundert hinweg zu einem 100-Milliarden-Dollar-Geschäft wurden, könnten Menschen mit Weitblick durch Innovationen auf Grundlage der Physik und Biochemie Energie in Höhe von Myriaden einsparen und eine konkurrenzfähige Geschäftsplattform über die kommenden Jahrzehnte aufbauen. Der Sandfisch und seine clevere Art der Bewegung durch den Sand könnte ebenso für immer unsere Wertschätzung für die Sahara verändern.

Bilder: StockXCHNG, Wilfried Berns/Wikipedia

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