27. Lebensmittel- und Getränkeverpackungen neu denken
Der Markt
Im Jahr 2008 erreichte der weltweite Konsum von Milchgetränken einen Rekordwert in Höhe von 258 Milliarden Litern, ein Zuwachs um 2,2% gegenüber dem Vorjahr, der vier Milliarden zusätzliche Liter Milch bedeutete. Der Weltmarkt für keimfrei verpackte Getränke betrug 86 Milliarden Liter in 187 Milliarden Verpackungen. Seit 2003 sind die Verkäufe um sechs Prozent gestiegen, wobei Asien den stärksten Anstieg mit mehr als 13 Prozent pro Jahr verzeichnete. Über 45% aller keimfrei verpackten Produkte sind Milchprodukte.
Keimfreie Verpackungen ermöglichen die getrennte Sterilisierung von Lebensmitteln, Getränken und Verpackungen, die dann wiederum in steriler Umgebung zusammengeführt und versiegelt werden können. Das Nischengeschäft mit Getränken stellt einen wachsenden Markt in einem weiteren Feld der Entwicklung von Verpackungen dar, das zunehmend mehrschichtige Materialien für Kartons, Beuteln und Flaschen entwickelt. Bis 2013 wird der Weltmarkt 113 Milliarden Liter in 265 Milliarden Paketen erreichen, bei einem 11-prozentigen Wachstum in Asien, wo der Konsum schneller als in allen anderen Teilen der Welt ansteigt.
Tetra Pak kontrolliert 80% des Weltmarktes bei einem Jahresumsatz von 10 Milliarden US-Dollar, gefolgt von SIG, dem zweitgrößten Hersteller von Getränkekartons mit 15 Prozent Marktanteil oder 1,5 Milliarden Dollar Umsatz. Beide Firmen haben ihren Sitz in der Schweiz. Tetra Pak ist jedoch ursprünglich aus Schweden und SIG gehört zur Rand-Gruppe aus Neuseeland. Die deutsche Bosch-Gruppe ist ein starker Konkurrent auf dem Markt für mehrschichtige Verpackungen, der alle Konsumgüter durchdrungen hat, von Getränken über Kosmetika, Kaffee, Tee, Snacks und Backwaren.
Die Innovation
Nahrungsmittelfirmen suchen nach Technologien, die die Haltbarkeit und Nachverfolgbarkeit ihrer Produkte verbessern. Die Nachfrage nach längerer Haltbarkeit in Kombination mit höherer Nachhaltigkeit motiviert die Industrie, die Verpackungstechniken zu überdenken hin zu biologisch abbaubaren Schichten, die erdölbasierte Kunststoffe (Polyethylen) und dünne Aluminiumschichten ersetzen. Hochwertiges Polyethylen aus Nahrungsmitteln könnte eines Tages zusammen mit einem biologisch abbaubaren Polymer recycelt werden, z.B. die von Novamont (Italien) und Braskem (Brasilien) produzierten Materialien.
Die andere Seite der Medaille ist, dass keimfreie Verpackungen und Wegwerfwindeln zwei der größten Posten im Wachstum von städtischen Müllkippen darstellen. Die Marktführer und Patentinhaber von Mehrschichtmaterialien besitzen das Design und die technischen Kapazitäten, um komplexe Verpackungen herzustellen, doch keiner scheint zu wissen, wie man diese wieder trennen könnte. Während bereits versucht wird, die Fasern wieder-zuverwenden, wobei große Mengen Wasser verbraucht werden, bleibt das Sandwich aus Plastik und Aluminium, egal ob als Pulver oder als Bogen, eine große Herausforderung. Aluminium stellt einen inakzeptablen Abfallstrom dar, ein Problem, das die Industrie noch nicht lösen konnte. Da diese pure, nicht eisenhaltige Schicht unerlässlich für die Luftdichtigkeit ist, verursacht deren unkontrollierter Einsatz jährlich die sagenhafte Menge von 380 bis 420 000 Tonnen Aluminium auf Müllkippen, die somit die größte Lagerstätte für dieses Reinmetall darstellen (pro Packung durchschnittlich 1,5 Gramm Aluminium).
Gloria Niño López hat in ihrem Heimatland Kolumbien Biologie studiert und sich dann in Mexiko auf Lebensmitteltechnik spezialisiert. Sie untersuchte, wie Flechten mit großer Leichtigkeit Steine durchdringen und nannte sie die Bergleute der Welt. Ihre Hyphen haben eine Stärke von gerade einmal zwei Zellen, mit denen sie erstaunlich schnell durch Felsen dringen. Als keimfreie Verpackungen in Bogotá auf den Markt kamen, bemerkte sie in der Laborküche, wie saure Milch aus offenen Kartons auf eine CD lief. In Minutenschnelle zersetzte die vergorene Milch die Aluminiumschicht der CD und ließ sauberes Polykarbonat zurück. Nähere Beobachtungen bestätigten, dass sogar die Milchpackung sich an der Stelle zu zersetzen begann, an der sie aufgeschnitten worden war. Als studierte Mikrobiologin fand sie schnell die Spezies heraus, die den Trennprozess verursacht hatte, und stellte einen Cocktail aus Mikroorganismen her, die von Natur aus in aller Welt von schlecht werdenden Getränken oder Lebensmitteln angezogen werden. So wurde eine Standardlösung für die Trennung von Mehrschichtmaterialien gefunden, eine Open-Source-Technologie.
Anders Byström kam auf vergleichbare Resultate bei der Arbeit auf dem Recyclinghof Bedminster in Stora Vika nahe Stockholm. Nach drei Tagen im Drehofen waren keimfreie Verpackungen, Lebensmittelpakete, Kaffeetüten und CDs vollständig getrennt in Aluminium-folien und Staub. Doch sogar als die Funktionsfähigkeit in Japan (in Kooperation mit Tetra Pak Japan), Brasilien, Kolumbien, den USA und Schweden bewiesen wurde, zögerte die Industrie noch, sich aktiv an der Entwicklung eines dezentralisierten Prozesses zu beteiligen.
Erster Umsatz
Im Jahr 2000 beschloss der Bürgermeister von Curitibá, Casio Taniguchi, eine Gesellschaft zur Sammlung von keimfreien Verpackungen zu gründen, die in drei Hauptkomponenten aufzuteilen sind (Papier, PE und Aluminium). Leider führte die fehlende Unterstützung der Lieferer, die sich sogar weigerten, ihre Industrieabfälle zur Weiterverwertung zur Verfügung zu stellen, zu großen Schwierigkeiten für das Projekt. Trotzdem ermöglichten die Erfahrungen in Curitibá. Tokio und Bogotá, den Prozess abzustimmen und vor allem zu beweisen, dass der gesamte biologische Cocktail vor Ort produziert werden konnte.
Dies öffnet den Weg für dezentralisierte und soziale Projekte, die Müllhalden und Verbrennungsanlagen um einen großen und wachsenden Anteil zu entlasten: Mehrschichtverpackungen. Am Politecnico di Torino wurde unter der Leitung von Prof. Luigi Bistagnino ein detaillierter technischer und wirtschaftlicher Plan entwickelt, der das Geschäftsmodell bestätigt.
Die Chance
Aluminium stellt nur einen geringen Bestandteil der keimfreien Verpackungen für Lebensmittel, Arzneimittel oder CDs und DVDs dar. Die Möglichkeit des Aufbaus von kleinen Betrieben in Kombination mit sozialen Vorteilen bietet eine Plattform für unternehmerische Initiativen, wo auch immer sich eine Müllkippe findet: in Curitibá beispielsweise werden Bustickets zu Stadtrandgebieten bezahlt und dadurch die Trennung der Pakete aus dem Restmüll gesichert. Solche Projekte eröffnen Chancen zur Generierung von mehreren Cashflows und überwinden das traditionelle Problem des Kerngeschäfts. Tatsächlich könnte die zu verarbeitende Menge an Ausgangsmaterial zu gering sein, wenn man sich nur auf keimfreie Verpackungen beschränkt. Doch wenn alle Mehrschichtmaterialien gesammelt werden, dann werden auch die Charakteristika der Blue Economy offensichtlich: Denke über Kostenreduktion hinaus, sichere die Entstehung von mehreren Cashflows.
Erstens wird die Sammlung der Abfälle bezahlt. Zweitens wird die Sicherung der längeren Belastbarkeit der Müllhalde bezahlt, indem Abfälle zu Erträgen werden. Drittens werden die drei wiederverwerteten Materialien als Folien oder Pulver zu einem hohen Preis an Herstellerbetriebe verkauft, da die Zusammensetzung der Materialien von guter Qualität ist. Viertens wird der Hauptbestandteil zur Trennung von Aluminium durch die vergorenen Reste in den Verpackungen selbst produziert und ist somit zu niedrigen Kosten und ständig verfügbar. Nicht zuletzt bietet dieses Geschäftsmodell ein Fenster zur Vermarktung von Abfällen: Firmen könnten Interesse zeigen, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass der Abfall, den sie produzieren, letztendlich neues Leben ermöglicht, Jobs schafft und Abfälle in Nahrung verwandelt. Während Städte als Unternehmen nicht bekannt sind, könnten Unternehmer die Stadtverwaltung kontaktieren und ein Konsortium gründen, wie es derzeit in verschiedenen Teilen der Welt der Fall ist. Das Politecnico di Torino kann den Weg zeigen.
Bilder: StockXCHNG
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