32. CSR und mehr
Der Markt
Die Weltproduktion von Kaffee wird für 2010 bei 125 Millionen Säcken (7,5 Millionen Tonnen) liegen; das sind 2,3 Prozent weniger als im Vorjahr aufgrund schlechter Witterung. Mit einem Rückgang von über 2 Millionen Säcken ist Kolumbien am stärksten betroffen, was zu einem allgemeinen Preisanstieg von 10 Prozent führt. Peru bildet die Ausnahme im Handel und verzeichnet gegenüber dem Vorjahr 12 Prozent Zuwachs an Exporten. Im letzten Jahrzehnt hat sich dort die Produktionsmenge verdoppelt. Obwohl dies im Vergleich zur weltweiten Nachfrage eher unbedeutend ist, konnte sich Peru als weltgrößter Produzent von zertifiziertem Bio-Kaffee positionieren.
Es gibt schätzungsweise 25 Millionen Kaffeefarmer auf der Welt. Obwohl sich die Preise leicht erholt haben, bedeutet dies nur ein geringes Wachstum nach über 40 Jahren von kontinuierlich sinkenden Umsätzen. Nach Öl ist Kaffee das wichtigste Exportgut der südlichen Halbkugel. Andererseits wiederum bestreiten die fünf größten Kaffee-Einkäufer 70 Prozent des Handelsvolumens weltweit. Seit Max Havelaar 1989 fair gehandelten Kaffee für holländische und belgische Verbraucher eingeführt hat, ist weltweit der Konsum von zertifiziertem Fairhandelskaffee ständig gestiegen. Dies beweist eine solide Anteilnahme der Verbraucher an den Nöten der Bauern, denen sie einen gerechten Preis, faire Arbeitsbedingungen und die Entwicklung ihrer Gemeinden ermöglichen wollen.
Kaffee ist der Verbrauchsartikel mit den meisten Zertifikaten und Marken, die auf die Ertragssteigerung der Bauern verweisen und dabei spezielle Interessen der Verbraucher ansprechen. Länder wie Äthiopien setzen auf die Vermarktung des Ursprungs, da Regionen wie Sidamo bekannt sind für besonders hochwertige Kaffeesorten. Biokaffee wird ohne künstliche chemische Zusätze angebaut. Die Rainforest Alliance verspricht Kaffee aus Schattenanbaugebieten, die weniger Bewässerung benötigen und der Bodenerosion entgegenwirken. Nicht zuletzt gibt es den Vogelfreundlichen Kaffee, der meist ebenfalls im Schatten angebaut wird. Auf Kaffeefarmen mit Schattenanbau leben etwa 150 Vogelarten, auf anderen Farmen nur 20. Die massive Verbreitung von Kaffeefarmen in Monokultur führt zum ständigen Rückgang der lokalen Singvogelpopulation. Experten sind sich einig, dass Kaffee im Schatten zwar langsamer wächst, aber mehr Zucker und Geschmacksstoffe entwickelt. So gehen Umwelt, Artenvielfalt und Qualität Hand in Hand.
Die Innovation
Wir alle loben die Anstrengungen der Firmen und Nichtregierungsorganisationen, die Zeit, Geld und Mühe nicht scheuen, um über all diese Zertifikate ihr soziales Engagement zu zeigen. Am Ende jedoch bedeutet dies immer, dass das Unternehmen zunächst Gewinne in seinem Kerngeschäft unter maximaler Ausbeutung seiner Kernkompetenzen im Management der Lieferkette und Marketing einfahren muss. Wenn Kaffee im Schattenanbau länger braucht, um zu reifen, wird er teurer auf dem Markt, und wenn den Verbrauchern die Vogelbestände wichtig sind, dürfen sie höhere Preise nicht scheuen. Das so eingenommene Geld kann dann zur Finanzierung von Sozial- oder Umweltprojekten eingesetzt werden und ermöglicht so dem Unternehmen, über sein eigentliches Geschäft hinaus einem sozialen Anspruch gerecht zu werden.
Helen Russell und Brooke McDonnell, zwei Unternehmerinnen mit bestem Ruf durch Lieferung und Röstung von hochwertigem Kaffee, beim Treffen der Kaffeevereinigung in Atlanta, Georgia (USA) erfuhren, dass Chido Govero in Simbabwe Frauen anleitet, auf den örtlich vorhandenen Kaffeeabfällen Pilze zu züchten. Es war ihnen bald klar, dass hier eine Möglichkeit bestand, über die bekannten Zertifikate und CSR hinaus aktiv zu werden. Die beiden Gründerinnen von Equator Coffees & Teas aus San Rafael, Kalifornien, dachten sich ein Geschäftsmodell aus, das durch den reinen Verkauf von hochwertigen Produkten zu wettbewerbsfähigen Preisen die Ausbildung noch viel mehr Frauen in Afrika zu bezahlen wäre, als begrenzte CSR-Budgets es jemals zuließen.
Der erste Umsatz
Helen und Brooke entwickelten daraufhin “Chido’s Blend”, eine Mischung aus Kaffee, der hauptsächlich von Farmen stammt, die die Abfälle von Kaffeebeeren und Pflanzen zur Pilzzucht nutzen. Die Tatsache, dass der Kaffee mit direktem Bezug zu den Farmen selbst gekauft und vermarktet wird, ermöglicht einen Umsatz von 25 Cent pro Pfund, die in die Ausbildung der Frauen fließen. Ein 17-Tonnen-Container Kaffeebohnen generiert so fast
10 000 Dollar als Budget für die lokalen Ausbildungsprogramme. Mit nur 50 Dollar kann eine Frau lernen, wie sie ihr tägliches Brot verdienen kann. Das Handelsunternehmen Neumann ermöglichte den Vorab-Einkauf des ersten Containers.
Die Chance, eine Ausbildung zu finanzieren und gleichzeitig den Kaffee-Export aus Zimbabwe zu fördern, der über zehn Jahre in Vergessenheit geraten war, hat eine ganze Reihe positiver Folgen. Zuallererst bekommen die Frauen, die meisten von ihnen alleinerziehende Mütter, Waisen und ältere Frauen, Zugang zu eiweißhaltiger Ernährung durch bereits vor Ort verfügbare Ressourcen. So werden Arbeitsplätze geschaffen, und die Kombination von Arbeit und Ernährung ist oft schon alles, was gebraucht wird, um den Missbrauch an Frauen zu verhindern. Wenn Frauen aller Altersklassen respektiert werden, gibt es weniger Prostitution und sogar das AIDS-Risiko in der Gesellschaft kann verringert werden.
Die Chance
Wer hätte gedacht, dass es durch den Vertrieb von “Chido’s Blend” gelingen könnte, Ausbildung und Ernährung zu sichern und gleichzeitig dem Missbrauch vorzubeugen und AIDS zu bekämpfen? Wenn all dies mit einem Pfund Kaffee möglich ist, dann stellen Sie sich vor, was alles möglich wäre, wenn dieser Ansatz auf weitere Marktfelder ausgeweitet wird! Während diese Initiative zunächst erfolgreich in Simbabwe erprobt wurde, ist die selbe Logik schon auf andere Bereiche übertragen worden. La Place in den Niederlanden hat ein ähnliches Projekt auf Grundlage der Erfahrungen von Chido und Equator gestartet. Diese innovativen Ansätze schaffen Arbeitsplätze und hochwertige Lebensmittel in und rund um Amsterdam. Seit diese Beispiele dokumentiert wurden, hat das Pionierprojekt noch weitere in Madrid und Berlin inspiriert.
Mehrere der Unternehmer, die die Entstehung dieses Trends über die CSR hinaus beobachtet haben, haben sich mittlerweile entschieden, Chido Govero, der Waisen, die diese Strategie ohne Geld und Erfahrung vorangetrieben hat, seit sie 12 Jahre alt ist, Aktien in den weltweit neu entstandenen Firmen anzubieten. Den Pionier als Aktionär zu beteiligen rückt das Konzept der CSR in eine völlig neue Dimension.
Bilder: StockXCHNG
https://www.flickr.com/photos/kaibrabo/14491053642
Hinterlassen Sie einen Kommentar
Wollen Sie an der Diskussion teilnehmen?Feel free to contribute!