39. Wasser aus der Luft
Der Markt
Der Weltmarkt für die Trinkwasserproduktion wurde 2007 auf 400 Milliarden US-Dollar geschätzt und steigt erwartungsgemäß bis auf 533 Milliarden Dollar im Jahr 2013. Weiterhin wird vorhergesagt, dass der Weltmarkt für ultraviolette Desinfektion und Ozonisierung von Trinkwasser im gleichen Zeitraum um 4,6 auf 10 Milliarden US-Dollar steigen wird. Jedoch beschränken sich die Kosten für die Gesellschaft nicht auf die Produktion und Aufbereitung von Trinkwasser; es wird auch die Infrastruktur für die Wassersammlung und –verteilung benötigt. In den Vereinigten Staaten sind 700 000 Meilen (1,12 Millionen km) Wasserleitungen verlegt, die vierfache Länge aller nationaler Highways. Die Kosten für Ausweitung und Verbesserungen werden auf 250 Milliarden für das nächste Jahrzehnt geschätzt. Die USA sind nicht allein; die chinesische Regierung hat ein Budget von 128 Milliarden Dollar für die Wasserverteilung angekündigt, vor allem für städtische Gebiete.
Der weltweite Verbrauch von Trinkwasser ist im letzten Jahrhundert um ein Sechsfaches gestiegen. Die Wasserproduktion konnte mit dieser Entwicklung kaum mithalten, was zur beunruhigenden Statistik geführt hat, dass 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt keinen Zugang zu Trinkwasser haben und 2,4 Milliarden keine geeigneten sanitären Anlagen. Weiterhin ist die Wasserversorgung beeinträchtigt durch die Tatsache, dass Wasser und Boden zunehmend verschmutzt sind. Unsere Produktionssysteme, vor allem die der Landwirtschaft, verbrauchen große Mengen an Wasser. Für einen Hamburger sind 2400 Liter Wasser nötig (ein Kilo Rindfleisch benötigt 15 Kubikmeter Wasser), ein Paar Schuhe verbraucht 8000 Liter Wasser und ein T-Shirt aus Baumwolle „schluckt“ 4000 Liter Wasser.
Zwar sind 70 Prozent der Erde mit Wasser bedeckt, doch nur 2,5% hiervon sind Süßwasser, hauptsächlich allerdings in Gletschern und Polkappen. Eine der am wenigsten genutzten Ressourcen sind die 12 900 Kubikkilometer Wasser, die als Dampf in der Atmosphäre schweben. Ein Kubikkilometer Wolken kann bis zu 3000 Kubikmeter Wasser enthalten. Diese weit verbreitete Wasserquelle, die über 70 Prozent der Landmasse verfügbar ist, stellt eine der einzigartigen Möglichkeiten dar, mit dem rasant wachsenden Bedarf Schritt zu halten.
Die Innovation
Der Kreislauf von Verdunstung, Kondensation und Niederschlag ist als Wasserkreislauf bekannt. Dieses natürliche System ist hinreichend beschrieben und erforscht worden. Mehrere Erfinder haben sich darauf konzentriert, über die Kontrolle des Taupunktes Dampf einzufangen. Gegenwärtig nutzen Wasser-aus-Luft-Apparaturen Kühltechniken, um Dampf aus der Luft zu kondensieren. Dieses System funktioniert bei normalen Außentemperaturen zwischen 21 und 32 Grad und einer Luftfeuchtigkeit zwischen 40 und 100 Prozent. Die Technologie wurde von den Atmospheric Water Technologies (USA) für die Katgara-Gruppe in Indien lizenziert, die weltweit das erste System aufgebaut haben, das eine durchgängige Versorgung mit Trinkwasser für 350 Dorfbewohner in Jalimundi, einer kleinen Siedlung nahe Rajahmundry (im Osten von Godavari) sichert. Die größte Herausforderung liegt jedoch in den Energiekosten für die Kühlung. Die meisten Orte ohne Wasserversorgung haben auch keinen Strom, und der große Bedarf an Strom macht dieses System für die Speisung mit Solarenergie ungeeignet.
Curt Hallberg, der Marinesoldat, der später Wasseringenieur wurde und die WATRECO in Malmö (Schweden) gegründet hat, erkannte zusammen mit seinen Kollegen, dass eine der Hauptanwendungen der Wirbeltechnologie (Siehe Beispiel 1) die Produktion sauberen Wassers ist. Während er bereits an Filtersystemen arbeitete, die Verunreinigungen aus dem Wasser lösen und anschließend durch eine Düse absaugen und sauberes Wasser liefern, war er sich schon bewusst, dass die Herausforderung nicht nur in der Reinigung, sondern vor allem in der Produktion von Wasser liegt. Wasser-aus-Luft-Systeme hängen von der Temperatursenkung als Mittel der Taupunktkontrolle ab. Er sah eine Möglichkeit, das andere physikalische Schlüsselprinzip zu nutzen: die Erhöhung des Drucks. Wenn Luft in ein Rohr eingesaugt wird und einen Wirbel bildet, steigt der Druck. Durch die Wirbelbewegung wird Wasser aus der Luft „gedrückt“. Um feuchte Luft in den Verwirbler einzusaugen, benötigt man nur einen Bruchteil der Energie, die die Kühlaggregate verbrauchen.
Erster Umsatz
Curt hat bereits erfolgreich bewiesen, dass er kraft der Wirbelbewegung Luft aus Wasser entfernen sowie Luft in Wasser bis hin zur kritischen Sättigung hineindrücken kann. Seine Erkenntnisse haben bereits eine Palette von einem Dutzend möglicher Anwendungen geschaffen, von denen drei bereits vermarktet werden. Dies sind Eisherstellung, Entzunderung und Verbesserung von Bewässerung. Nun nutzt er die selbe Logik, doch anstatt den Luftgehalt des Wassers zu ändern, ändert er den Wassergehalt der Luft. Im Großen und Ganzen werden die selben Prinzipien genutzt und anstatt Wasser mit hohem Energieaufwand zu gewinnen, benötigt er sehr wenig Energie für die Wasserproduktion. Es wird geschätzt, dass der Motor eines Staubsaugers ausreicht, die Wassergewinnungsanlage anzutreiben, und dieser mit einigen kleinen Solarzellen ausgestattet werden kann. Dies wäre bei Kühlungssystemen nicht möglich.
Die Chance
Die Logik, die Curt angewendet hat, unterscheidet sich kaum von den bahnbrechenden Ideen, die James Dyson umgesetzt hat, als er die Leistung von Staubsaugern erhöht hat. Dyson erreichte eine um 45 Prozent verbesserte Saugkraft, indem er kleinere Wirbelkammern und Rohre mit kleinerem Durchmesser eingesetzt hat, die somit größere Zentrifugalkräfte entwickeln. Der Verteilventilator erhöht den Luftzug um ein 16-faches. Die Kombination bereits bestehender Technologien aus Schweden und dem Vereinigten Königreich bringen eine kostengünstige und dauerhafte Lösung für die Wasserproduktion aus der Luft hervor, und dies beim Einsatz eines Bruchteils der Energie, die für den Marktstandard nötig gewesen wäre.
Diese Innovation könnte eine weit verteilte Wasserproduktion in ähnlicher Weise wie die dezentrale Energiegewinnung ermöglichen. Da zudem Wasserknappheit und eine unzureichende Stromversorgung fast immer gleichzeitig vorliegen, könnte die Lösung eines Problems zur Lösung des anderen führen: Lösungen, die aufeinander aufbauen und gebündelt werden können zu Innovationen, die lokal vorhandene Ressourcen nutzen. Luftfeuchtigkeit als Trinkwasserquelle wurde bisher als lokale Ressource nicht in Betracht gezogen. Daher kann diese Technologie als Beispiel für die Blue Economy gelten.
Bilder: StockXCHNG
Hinterlassen Sie einen Kommentar
Wollen Sie an der Diskussion teilnehmen?Feel free to contribute!