40. Elektrizität durch Osmose
Der Markt
Die Internationale Energieagentur hat errechnet, dass weltweit bis zum Jahr 2030 Investitionen in die Energieversorgung in Höhe von 10 Billionen US-Dollar nötig sind. Die chinesische Regierung hat bereits 1,3 Billionen Dollar an Investitionen für zusätzliche Energieversorgung eingeplant. Die weltweit 10 Billionen machen über den gesamten Zeitraum ein Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts aus. Jedoch bedeutet dies einen Anteil von fünf Prozent des BIP für Investitionen in Russland und über vier Prozent des afrikanischen BIP, hingegen nur ein halbes Prozent für OECD-Mitgliedsstaaten.
Die Hälfte aller Investitionen für zusätzliche Elektrizität in den 27 Mitgliedsstaaten der EU gehen in erneuerbare Energien. Trotzdem bleibt die Herausforderung, dass Wind- und Solarenergie, die zwei „grünen“ Hauptenergielieferanten, nicht gleichbleibend Strom liefern und zusätzliche Investitionen in der Grundversorgung nötig sind. Wenn in Europa der Wind nicht bläst und die Sonne von Wolken verdeckt ist, bedeutet dies für 2030, dass pro Tag nicht 138 bzw. 30 GW Strom geliefert werden, sondern der Ertrag um bis zu 20 GW fallen kann. Daher muss für jede weitere erneuerbare Energiequelle eine weitere Investition von 0,9 Einheiten in die Grundversorgung getätigt werden. Alternativ kann auch in die Speicherung von Strom investiert werden, doch dies ist eher noch teurer.
Die Grundstromversorgung arbeitet an 365 Tagen im Jahr ohne Unterbrechung. Für diese stabile Versorgung werden Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke als Energiequelle bevorzugt, in die pro KW 1000 US-Dollar investiert werden, für Kohlekraftwerke 3000 Dollar/KW und für Atomkraftwerke 5000 Dollar/KW. Während Wasserkraft und Geothermie ebenfalls für die Grundversorgung in Frage kommen, hängt ihre Einsatzfähigkeit von den örtlichen Gegebenheiten ab. Die Investition in die Grundversorgung ist von der Finanzierungsart abhängig. Die Banken finanzieren am ehesten Grundversorgungssysteme für langfristige Verkaufsverträge, da diese ein geringes Risiko darstellen. Immer noch schließt die Investition von einer Milliarde Dollar in die Grundversorgung 65 Prozent an Baukosten und 35 Prozent an Gebühren und Abgaben ein. Wenn die Finanzierung auf Kapitalinvestitionen beruhte, könnten die Erträge um mindestens ein Drittel gesteigert werden.
Die Innovation
Da der größte Teil der Grundversorgung durch Kohle- oder Atomkraft gestellt wird, sucht man nach erneuerbaren Energien, die nicht nur zeitweise, sondern auch als Grundversorger Strom liefern können. Konzentrierte Solarenergie ist eine besonders vielversprechende Energietechnologie. Hiermit kann Energie in Dampfdruckbehältern, Salzschmelzen oder gereinigtem Graphit gesammelt und gespeichert werden. Windenergie ist mit einer Vielzahl von Speichersystemen kombiniert worden, so z.B. Pumpspeichern, Batterien, wiederaufladbaren Treibstoffzellen, Schwungrädern und Magneten. Am vielversprechendsten jedoch scheinen Druckluftspeichertanks, die Luft in unterirdischen Erdhöhlen speichern. Die Herausforderung bleibt, dass diese Speicheranlagen weitere Investitionen erfordern und höhere Wartungskosten verursachen, die die Kosten pro Kilowattstunde weiter nach oben treiben.
Stein Erik Skilhagen, Vizepräsident für osmotische Kraft beim norwegischen Energieversorger Statkraft hat die Kräfte eines Mammutbaums beobachtet, der Wasser bis auf die Höhe von 100 Metern aufsaugen kann. Der Baum nutzt den Unterschied in der Konzentration und zieht so die Feuchtigkeit bis ganz hinauf. Wenn Süßwasser aus den Bergen in Salzwasser fließt, wird eine Menge Energie durch die Änderung des Salzgehalts freigesetzt. Er beobachtete, dass der Strom der Flüsse ins Meer nie endet dank des natürlichen Kreislaufs von Verdunstung, Kondensation und Niederschlag. Daher kann die Energie, die durch den Unterschied zwischen höherem Salzgehalt und damit höherem Druck und niedrigerem Salzgehalt und Druck freiwird, das ganze Jahr über ohne Unterbrechung funktionieren. Dies ist eine ideale erneuerbare Energie-Grundversorgungsquelle. Die einfache Ausnutzung der Unterschiede durch Druck impliziert, dass die Energiequelle auf den Gesetzen der Physik beruht: dies ist die Art von Innovationen im Sinne der Blue Economy.
Diese Energiequelle ist auch bekannt als Osmoseenergie oder Salzgradientenenergie und nutzt den Unterschied des Salzgehalts zwischen Fluss- oder Regenwasser und Salzwasser. Die Technik der Generierung von Elektrizität aus dem Gradienten wurde in den Niederlanden durch Revers-Elektrodialyse getestet und in Norwegen durch druckverzögerte Osmose (pressure retarded osmosis, PRO) in die Praxis umgesetzt. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Membran, die die zwei Wasserarten voneinander trennt. Während Süßwasser zum Salzwasser gelangt, erzeugt es einen Druckunterschied. Dieser Druck wird genutzt, um eine Turbine anzutreiben. Genau wie bei der Umkehrosmose erzeugt die PRO ein Nebenprodukt. Jedoch handelt es sich hier nicht um hochkonzentrierte Salzlake wie bei der Umkehrosmose, sondern um Brackwasser, das in der Algenproduktion genutzt werden könnte und so die Ansiedlung von Kraftwerken und Algenfarmen am selben Ort möglich macht. Dieses Clustering wirtschaftlicher Aktivitäten ermöglicht die Schaffung mehrerer Cashflows, ein weiteres Charakteristikum von Innovationen, die in The Blue Economy vorgestellt werden.
Der erste Umsatz
Statkraft entschloss sich, 8 Millionen US-Dollar in eine Vorführanlage zu investieren. Ein Quadratmeter Membranen generiert gegenwärtig 3 Watt Elektrizität. Man erwartet, dass die Einführung einer neuartigen Membran die Ausbeute auf 5 Watt erhöht. Experten schätzen, dass dies das erforderliche Minimum ist, um die PRO-Technologie wettbewerbsfähig zu machen. Die Kosten der Operation müssen die Filtrierung einschließen. Die Entwicklung von Biofilm auf der Membran setzt schnell ihre Effizienz herab. Hier könnte die bewährte Wirbeltechnologie aus Schweden zum Einsatz kommen, die bereits in Spanien getestet wurde und eine kostengünstige Lösung zur weiteren Senkung von Investitions- und Wartungskosten bietet.
Die Chance
Die Anwendung von Osmose zur Stromgewinnung beschränkt sich auf Orte, an denen es genügend Süß- und Salzwasser gibt. Dies bedeutet, dass jede Flussmündung ins Meer Potential besitzt. Experten haben bereits berechnet, dass das Potential für Osmose-Energie in Europa das Dreifache des Potentials von Wind- und Sonnenenergie zusammen beträgt. Die Tatsache, dass sie rund um die Uhr und an sieben Tagen der Woche funktionieren kann, macht sie so wettbewerbsfähig wie die Schwerkraft. Der kanadische Energiekonzern HydroQuebec hat kalkuliert, das der Sankt-Lorenz-Strom ein Potential von 12 Gigawatt besitzt. Regenreiche Länder sowie solche mit langen Küsten können alle von diesem Potential profitieren. Das Tokyo Institute of Technology und die Kyowakiden Industrial Co. aus Nagasaki haben mit Osmose-Tests in Fukuoka begonnen.
Stein Erik Skilhagen glaubt, dass sobald einige Osmoseanlagen ans Netz gegangen sind, die größten Membranhersteller der Welt ihre Kenntnisse über Reversosmosemembranen zur Produktion von Trinkwasser aus Salzwasser auf Osmose anwenden werden. Während Europa, Nordamerika und Japan bereits Anlagen planen, liegt die eigentliche Zukunft für sie in großen Flussdeltas, wo Energie knapp ist und dringend neue Grundstromversorgung benötigt wird: am Gelben und Jangtse-Fluss, am Mekong, Ganges, Perlstrom, Brahmaputra, Nil, Gambiafluss, Okovango, Niger, Volta, Sambesi, Orinoco, Amazonas, Paraná, Lena und Jenissej.
Bilder: StockXCHNG
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