44. Bauen mit Bambus

Der Markt

Für soziale und bezahlbare Wohnungen wird weltweit ein Kapital von schätzungsweise 3 Billionen US-Dollar benötigt. Die Investitionen für Wohnungen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen betrugen 2010 zwischen und 300 und 500 Milliarden Dollar. Während die Daten weit verstreut und schwer auf globaler Ebene vergleichbar sind, wächst der Markt und die Einnahmen durch die Investitionen sind besser als bei den meisten anderen gewerblichen Anleihen. Da der soziale Wohnungsbau sowohl von Subventionen als auch von Garantien der Regierungen profitiert, hat seine finanzielle Performance private Investments angezogen.

Die sozialen Wohnungsbauprogramme in Brasilien bieten einen Überblick über die Ausmaße des Bedarfs auf globalem Niveau. Bis 2014 wird Brasilien zusätzlich 2 Millionen Sozialwohnungen bauen, die durchschnittlich 15.000 Euro kosten, was einer Finanzspritze seitens der Regierung von 30 Milliarden Dollar entspricht. Der Bedarf in Brasilien liegt jedoch bei schätzungsweise 5,6 Millionen Wohnungen, so dass trotz dieses außerordentlichen Aufwands noch 60 Prozent aller Bedürftigen ohne Wohnung dastehen. Dies schafft viel Raum für private Initiativen, die die Aktionen der Regierung noch ergänzen können. Südafrika hatte sich am Ende der Apartheid 1994 zum Ziel gesetzt, eine Million zusätzlicher Wohnungen zu bauen, doch heute sind erst 14 Prozent des Bedarfs an Wohnungen gedeckt – es bleibt noch viel zu tun.

Investments in den sozialen Wohnungsbau sind der einzige Sektor im Baugewerbe, das sich durch weltweites Wachstum mit attraktiven Renditen auszeichnet. Während ein gewerblicher Immobilienentwickler 25 bis 35% Rendite erwarten kann, können staatlich geförderte Wohnungsbauprogramme nur 10% bieten. Jedoch übertrifft dieser Ertrag bei weitem andere Sektoren mit niedrigem Risiko, daher ziehen diese Bauprogramme einen ganzen Pool von Pensionsfonds an, die nach stabilen und sicheren Erträgen suchen. Die brasilianische Regierung setzt ihre Finanzspritzen im sozialen Wohnungsbau an. Die staatliche Verbindlichkeit zur Minderung des Bedarfs zusammen mit der daraus folgenden starken Steigerung der Grundstückswerte durch Umwandlung von Slums und Randgebieten in neue Wohnbezirke bietet Raum für die Zahlung großzügiger Dividenden an auswärtige Investoren. Die Kapitalerträge aus Immobilien ermöglichen es den örtlichen Gemeinden, kreditwürdig zu werden, während die den auswärtigen Investoren gebotenen Erträge jeden Marktstandard übertreffen.

Die Innovation

Bezahlbarkeit wird errechnet, indem man den durchschnittlichen Wohnungspreis durch das durchschnittliche Einkommen teilt. Ein Ergebnis von 3 oder weniger gilt als bezahlbar und ab 5 wird es unbezahlbar. Hong Kong ist die teuerste Stadt der Welt mit einem Wert von 11,4. Architekten und Stadtplaner haben beträchtlich viel Zeit in die Entwicklung erschwinglicher Häuser investiert, vor allem durch die Einsparung von Arbeit beim Entwurf von Fertighäusern. Doch immer noch kosten Sozialbauten in Brasilien 15.000 Euro pro Einheit, während in Indien die Kosten auf bis zu 4500 Euro gesenkt werden können. Diese Minimalanforderungen für Wohnungen nach indischer Verordnung sind zwar weitaus besser als Slums, werden aber wahrscheinlich nicht die Erwartungen eines Brasilianers erfüllen. Eins der Hauptprobleme ist, dass der soziale Wohnungsbau hohe Mengen an Beton und Zement erfordert, während die Dächer meist aus Zinkblech sind. Über den Komfort dieser Bauweise lässt sich diskutieren, doch stellen sie einen großen Teil der Emissionen an Treibhausgasen.

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Simón Vélez, ein kolumbianischer Architekt, und der herausragende Ingenieur Marcelo Villegas, haben von der großartigen Pionierarbeit von Oscar Hidalgo profitiert, dem Meister der Bambusarchitektur. Sie bemerkten, dass die Spanier bei der Eroberung der Andenregionen Kolumbiens und Ecuadors keine Regenwälder vorfanden, sondern eher Bambuswälder, in denen die Guadua angustifolia vorherrschte, ein Riesengras, das im Laufe von 70 Jahren bis zu 60 Halme pro Jahr mit einer Höhe von 25 Metern hervorbringt. Bambus ist ein exzellentes Baumaterial; hiervon zeugen Hunderte von Kolonialbauten, die älter als 200 Jahre sind. Zwar sind zwei Jahrhunderte wenig im Vergleich zu den ältesten chinesischen Bambusbauten, die angeblich 3000 Jahre alt sind, doch Simón und Marcelo untersuchten, wie man die Verbindungen von Bambusstreben so gestalten könnte, dass sie „im Rhythmus der Erde tanzen“ können. Sie setzten sich zum Ziel, Schönheit mit Sicherheit zu kombinieren.

Simón begriff, dass man Bambus gegen Sonne und Regen schützen muss, während Marcelo eine geniale Verbindungstechnik entwarf, indem er Bambusstäbe mit einem Eisenstab verband und durch ein winziges Loch mit Zement auffüllte. Als Prof. Dr. Ing. Klaus Steffens vom deutschen Institut für experimentelle Statik der Universität Bremen die selben Tests am ZERI-Pavillon in Manizales durchführte wie zuvor am Deutschen Bundestag (Reichstagsgebäude) in Berlin im Auftrag von Sir Norman Foster, war er so beeindruckt, dass er versprach, eine Baugenehmigung für dieses natürliche Struktur-Baumaterial und diese innovative Bautechnik einzuholen. Der ZERI-Pavillon auf der Weltausstellung 2000 zeigte, dass Bambus nicht nur eine Art nachwachsenden Stahls ist, der mit der Erde tanzen kann; er ist außerdem schön und bindet Kohlendioxid. Dies sind die vielfältigen Vorteile im Sinne der Blue Economy.

Erster Umsatz

Simón setzte den Erfolg seiner Entwürfe schnell um für soziale Wohnungsbauprogramme nach einem Erdbeben, das seine Heimat, die Kaffeebauregion (Eje Cafetero) in Kolumbien erschüttert hatte. Er spendete seine Zeichnungen den örtlichen Regierungsbehörden zur freien Verwendung. 65 Bambusstämme reichen aus, um ein zweistöckiges Haus mit 65 m2 Grundfläche, einem großzügigen Balkon und reichlich Dachüberhang zu bauen. Dieses Gebäude kostet weniger als 15.000 Dollar beim Bau und obwohl die Mehrheit der Bevölkerung Bambus als Symbol für Armut sieht, konnte dieses Haus mit Balkon – Symbol der höheren Mittelklasse – dem Konstruktionsmodell zu hoher Beliebtheit verhelfen. Ein Jahrzehnt nachdem diese Pionierbauten überall in Lateinamerika gebaut wurden, ist die Bambuswohnung zu einem der vielversprechendsten Durchbrüche auf dem Gebiet der CO2-neutralen Bauweise für Arm und Reich geworden.

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Die Chance

Simón und Marcelo haben sich nie die Mühe gemacht, irgendeine ihrer Erfindungen patentieren zu lassen, stattdessen haben sie ihre Erkenntnisse frei verfügbar gemacht und dabei besonders viel Zeit mit den Arbeitern verbracht, die oft weder lesen noch schreiben können, um ihnen ihr Wissen über pragmatische Bautechniken zu vermitteln. Die 41 Bambusarbeiter, die in fünf Monaten mit ihren Hämmern und Beiteln den ZERI-Pavillon in Deutschland bauten, sind alle mit einem Meister- oder Gesellentitel der Holzverarbeitung in der Tasche nach Hause zurückgekehrt. Als erster Bambuspavillon Deutschlands und als Meisterstück musste er auch seine Meister haben. Während des folgenden Jahrzehnts sind weltweit Tausende von Gebäuden entstanden. Sie basieren auf der Open-Source-Technik, die als Werkzeug für architektonische Innovationen im Buch „Grow Your Own House“ („Bau Dein eigenes Haus an“) zusammengefasst ist.

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Später fügte die japanische Firma Taiheiyo Cement dieser Palette nachhaltigen Designs ein System für Dächer und Wände aus 75% Bambus und 25% Zement hinzu, die zusammengepresst als CO2-neutrale Bambus-Beton-Platten mittlerweile auf breiter Ebene für Fernbahnhöfe in Japan eingesetzt werden. Heutzutage leben über eine Milliarde Menschen in Bambushäusern, und zum ersten Mal ist sozialer Wohnungsbau nicht mehr gleichzusetzen mit der Ersetzung von natürlichen Baumaterialen durch Beton, Zement und Zink. Vielmehr bietet sich eine wettbewerbsfähige Option des Engagements im sozialen Wohnungsbau, der CO2 bindet dank einer weiteren Erfindung (Erläuterung folgt in Beispiel 45), die Bambusstrukturen eine lange Lebensdauer verleiht. Noch besser: diese Entwicklungen haben zu weiträumigen Wiederaufforstungsprogrammen beigetragen.

Für das Bambusplatten-Projekt von Taiheiyo Cement mussten 2000 Hektar Bambus in Bergregionen rund um Jakarta in Indonesien angepflanzt werden, die ständig geerntet werden, um die 2,5 mm langen Fasern bereitzustellen. Jüngsten Schätzungen zufolge sind bereits 500 000 Hektar Brachland mit Bambus aufgeforstet worden, ohne dass Subventionen nötig waren. Obwohl dies Arbeitsplätze schafft und Kohlenstoff bindet, ist noch wenigen bewusst, dass Bambuswälder den Effekt der Wärmeinseln mindert und einen Temperaturrückgang von bis zu 10 Grad bewirkt (Pandas und Tiger wissen, wo sie sich vor der Hitze schützen können). Ebenfalls wird der Wasserkreislauf positiv beeinflusst; Bäche beginnen sich spontan wieder zu füllen. Ein soziales Wohnungsbauprogramm, dass zusätzlich Trinkwasser schafft und die Temperatur auf der Erde senkt ist ein Beweis für die Macht der Blue Economy.

Bilder: StockXCHNG
https://www.flickr.com/photos/rafael-ec/5524662815

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