52. Abfälle

Der Markt

Gegenwärtig fallen jährlich über 10 Milliarden Tonnen feste Abfallstoffe in Städten überall auf der Welt an. Nicht einmal die Hälfte davon wird gesammelt und ordnungsgemäß entsorgt. Die Erträge für die Verwertung fester Abfallstoffe in Städten werden zurzeit auf weltweit über 300 Milliarden US-Dollar geschätzt und steigen weiter steil an. Die EU produzierte 2010 eine Gesamtmenge von 3 Milliarden Tonnen Festmüll, das sind 6 Tonnen pro Person und Jahr. Trotz aller Kampagnen zur Abfallreduktion, Weiterverwertung und Recycling wird erwartet, dass die Gesamtmenge um weitere 45 Prozent auf 4,4 Milliarden Tonnen bis 2020 steigen wird. Die globale Verteilung zeigt, dass Nordamerika mit kaum 5 Prozent der Weltbevölkerung 30 Prozent allen Mülls produziert, während Afrika am anderen Ende der Extreme mit 13 Prozent der Weltbevölkerung nur für 3 Prozent Festmüll verantwortlich sind. Doch auch diese wenigen Prozente bilden ein großes Risiko für die Gesundheit von Millionen sowie die Umwelt.

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Der deutsche Markt der Feststoffverwertung hat 2010 35 Milliarden Euro Umsätze gemacht. Remondis, der Marktführer im Land mit 20 000 Mitarbeitern und 5,4 Milliarden Euro an Verkäufen im letzten Jahr, hat über die Zeit 400 örtliche Abfallentsorgungsfirmen aufgekauft. Neben den 10 größten Konzernen bleiben noch 5000 kleine Betriebe in Deutschland. Waste Management Inc. ist die größte Firma weltweit mit 13,1 Milliarden Dollar Umsätzen und über 50 000 Angestellten. Abtransport und Verklappung auf Müllhalden nehmen weltweit deutlich ab. Die Anzahl von Deponien in den Vereinigten Staaten sank von 8000 für 1988 auf gegenwärtig etwa 1500. Der Trend zur Verbrennung wird angeführt von Japan, das 1800 der weltweit 2500 Anlagen betreibt; 290 neue Anlagen außerhalb von Japan sind noch in Planung. Das Geschäft der Energiegewinnung aus Abfällen wächst von einem kleinen Anfangswert von 3,7 Milliarden Euro 2010 auf voraussichtlich 13,6 Milliarden Euro bis 2016. In China sind mehr Anlagen dieser Art in Bau als anderswo auf der Welt.

Es scheint, dass die einzige Möglichkeit der Verwertung die Verbrennung ist, die in 93,2 Prozent der Fälle praktiziert wird, während auf die biologische Verarbeitung (siehe Beispiel 51) lediglich 6,8 Prozent entfallen. Die Kompostierung ist sehr populär im kleinen Maßstab und wird von Millionen städischen Haushalten praktiziert, hat jedoch kaum Einfluss auf den Gesamtmarkt, obwohl sie umgerechnet auf die Tonne die billigste Möglichkeit darstellt. Die Verbrennung ist mit durchschnittlich 125 Dollar pro Tonne die teuerste Option, überdies müssen die Betreiber die giftige Asche weiter auf die Mülldeponie bringen. Obwohl die Zusammensetzung der Abfälle von Stadt zu Stadt verschieden ist, zeigen Fallbeispiele, dass 95 Prozent der Abfälle auf irgendeine Weise recycelbar sind und mehr Arbeitsplätze und Einkommen schaffen könnten als die Müllverbrennung jemals dazu imstande wäre.

Die Innovation

Eine der Haupt-Herausforderungen des Sektors ist, dass viele verschiedene Anbieter Einzellösungen parat halten. Der Markt hat sich in Richtung spezialisierter Ingenieurdienstleistungen entwickelt, die fast nie das gesamte Spektrum von Kompostierung, Recycling, Verbrennung, biologischer Verwertung und/oder Vergasungstechnik anbieten. Daher stehen die einzelnen Optionen dieses breiten Portfolio im Wettbewerb zueinander und ringen um jeden Auftrag, obwohl sie sich eigentlich gegenseitig ergänzen sollten und das Hauptaugenmerk auf der Rückgewinnung der Ressourcen liegen sollte. Die größte Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass Festmüll Kosten verursacht, und obwohl die Stadtschürfung als Geschäft der Zukunft diskutiert wird, ist sie momentan nicht rentabel. Das vorherrschende Geschäftsmodell besteht darin, für den Handel mit Abfällen bezahlt zu werden, normalerweise mit langfristigen Verträgen, die über Steuereinnahmen finanziert werden. Da die Eintrittsschwellen enorm hoch sind und das hierfür benötigte Kapital für die meisten nicht aufzubringen ist, bleibt wenig Raum für das Unternehmertum.

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In seinem ersten Studienjahr an der Princeton University fand Tom Szaky heraus, dass die Ausscheidungen von Würmern bester Dünger sind. Er konnte nicht fassen, dass der Müll aus der Mensa einfach auf der Deponie landete, und beschloss, damit Würmer zu füttern und das Endprodukt in gebrauchten Plastikbehältern zu sammeln. So glaubte er, den umweltfreundlichsten Dünger aller Zeiten hergestellt zu haben und konnte ihn auch noch zu niedrigeren Preisen als alle Konkurrenten verkaufen. Später initiierte er ein landesweites Sammlungsprogramm für verbrauchte Verpackungen und Behältnisse. Er dachte sich ein Geschäftsmodell aus, in dem Schulen und gemeinnützige Organisationen dafür bezahlt werden, alle Arten von Abfall zu sammeln. Die Menschen regte er an, aus den einzelnen Abfallsorten als Rohstoff hochwertige Produkte wie Rucksäcke oder Flugdrachen zu entwerfen, entwickeln und zu produzieren. Dies nannte er nicht „Recycling“, sondern „Upcycling“ – dies ist auch der Titel des Buchs, das der Gründer der Blue Economy 1999 in Deutschland veröffentlicht hat. Tom gründete TerraCycle in New Jersey, USA, ein boomendes Unternehmen, das für eine neue Art der Müllverwertung steht. Sein Modell bewirkt, dass Abfälle gar nicht erst im Mülleimer landen.

Toms Geschäftsmodell geht über bloßes Recycling und hochwertige Produkte aus Abfällen hinaus: Seine Abfälle tragen eine Marke. Bis jetzt beabsichtigten Firmen, dass ihr Name nicht auf Abfällen auftauchte, sie mischten sie mit anderen Abfällen oder verbrannten sie, denn auf Asche ist kein Logo mehr sichtbar. Tom entwickelte Produkte, die dem Verbraucher erzählen, wer das Ausgangsmaterial dafür stellte. Die Saftpäckchen von „Capri Sun“ werden zu weiten, offenen Einkaufstragetaschen, leere Chipstüten von Frito Lay zu Mülleimern und Kühltaschen. Koolaid in Kanada sowie Tang in Mexiko und Brasilien haben das Konzept der Abfallvermarktung übernommen. Zwanzig Prozent des Müllaufwertungsprogramms von TerraCycle tragen eine Marke. Dies ist eine der Innovationen im Sinne der Blue Economy, da sie Mehrwert und Jobs schafft und dabei die Gewinne teilt, indem sie Sozialkapital aufbaut.

Der erste Umsatz

TerraCycle ist inzwischen an über 45 000 Schulen, Firmen, Bürgervereinen und Sporthallen in Amerika aktiv, die sich auf TerraCycle’s Webseite registrieren und diverse Abfälle wie Getränkepäckchen und Kekspackungen, Zahnbürsten und Stifte sammeln. Die Schulen und wohltätigen Einrichtungen werden für die Einsendung der Abfälle bezahlt und die Portokosten übernommen. Während die Mülldeponien entlastet werden, stellt TerraCycle Produkte und Materialien her, die solche aus neuen Materialien ersetzen. Walmart (USA) bewarb die aufgewerteten Produkte von TerraCycle mit Lizenzen. Während der Feierlichkeiten zum Earth Day 2010 verkauften 4300 WalMart-Filialen die Produkte von TerraCycle zusammen mit ihren Originalen, so zum Beispiel Tragetaschen aus Frito-Lay-Tüten zusammen mit Frito-Lay-Chips. Rucksäcke aus Capri-Sun-Tüten stehen neben den Saftpaketen. Portmonees und Handtaschen aus M&M- oder Skittles-Verpackungen gibt es gleich neben den Mars-Riegeln.

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Die Firmen selbst haben alle nichts dagegen, dass ihre Abfälle zu Markenprodukten werden, im Gegenteil: Diese Produkte fördern die Kundenbindung und die Wiederholungskäufe. Nur ein Jahrzehnt nachdem er sein Geschäftsmodell an der Pinceton University vorgeschlagen hat, erzielte TerraCycle 2010 bereits etwa 13,5 Millionen Dollar Umsätze im Jahr mit nur 50 Angestellten und erwartet für dieses Jahr ein weiteres Wachstum bis auf 18 Millionen Dollar. Das beweist, dass die Genialität hier im Geschäftsmodell selbst liegt und nicht in der Technologie, denn alle benötigten Technologien sind ja bereits vorhanden und verfügbar. TerraCycle’s positiver Umwelteinfluss wurde bereits von unabhängigen Life Cycle-Analysen bestätigt.

Die Chance

Tom Szaky hat ein einfaches Ziel: nicht recycelbare Abfälle zu recyceln. Sein Betrieb ist inzwischen auf zwölf Länder expandiert, doch dieses Geschäftsmodell kann überall auf der Welt funktionieren, wo Markenhersteller bereit sind, die Kosten für nicht recycelbare Abfälle zum Teil mit zu übernehmen. In den Abfällen steckt nicht nur Geld, sondern auch riesige Geschäftschancen.

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Schon viele Menschen zuvor haben Abfälle aufgewertet, beispielsweise wurde in Brasilien Mode aus Abfällen entworfen, ebenso wurden Abfälle in Curitiba (auch in Brasilien) gesammelt und gegen Fahrscheine für öffentliche Verkehrsmittel getauscht und in Afrika Kunst aus Müll kreiert. Szakys Modell motiviert junge Menschen in einer Graswurzelbewegung. Es finanziert Schulprojekte und weckt das Bewusstsein der Bürger: Sie dürfen Schulen oder gemeinnützige Einrichtungen auswählen, die 2 Cent pro Verpackung erhalten. Dieses Netzwerk von Institutionen und Menschen nutzt Abfälle, um auf dessen Wert und die eigene Verantwortung aufmerksam zu machen, es schafft Begeisterung und macht alle Beteiligten bewusster und glücklicher.

Bilder: StockXCHNG

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