58. Schwimmender Strom

Der Markt

Der Weltmarkt für Notstromgeneratoren lag 2010 bei etwa 11,5 Milliarden US-Dollar. 2009 waren weltweit rund 9,3 Millionen Reservesysteme zur Energielieferung installiert. Bis 2013 wird diese Zahl erwartungsgemäß auf 13 Millionen steigen. Zwar wurde der Sektor von der Rezession 2008 stark betroffen, doch die Tatsache, dass in 80 Ländern der Welt langfristig der Strom knapp wird, sichert die Nachfrage nach Reservesystemen im Energiesektor, sobald die Wirtschaft sich erholt. Die Krise durch die Kernschmelze in drei Reaktoren von Fukushima (Japan) hat dieses Land, das bislang als am besten vorhersehbar galt, auf Platz eins der Liste der Käufer von Notstromanlagen katapultiert, die momentan durch kleine gasbetriebene Generatoren 1,5 GW Strom zusätzlich produzieren.

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Die immer ältere Infrastruktur und die Zunahme von Katastrophen, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind, steigern ebenfalls die Nachfrage. Jede Region der Welt, die regelmäßig von Taifunen, Hurrikans, Erdbeben und Tsunamis heimgesucht werden, trifft Vorsorgemaßnahmen. Sogar in den Vereinigten Staaten, die bekannt sind für stabile und billige Energieversorgung, stiegen die Verkäufe von Notstromsystemen 2010 auf 1,2 Milliarden. Die mobile Telekommunikation war es jedoch, die im letzten Jahrzehnt den Markt bis auf nie zuvor dagewesene Verkaufszahlen getrieben hat. Jeder Sendeturm benötigt eine Notstromversorgung. Noch 2005 wurden 81 Prozent dieser Sicherungsanlagen mit Diesel betrieben, doch die Emissionskontrollen zwingen zum Umstieg auf Gas und Brennstoffzellen. Der Marktanteil der gasbetriebenen Anlagen stieg in fünf Jahren von null auf 12 Prozent. Es wird erwartet, dass die jüngsten Entwicklungen in Japan den Anteil dieses Typs von Generatoren bis auf über 20 Prozent steigern werden

 

Die Innovation

In Notfällen werden schnell Ausnahmen von Standardregelungen zum Umweltschutz genehmigt. Noch schlimmer ist, dass erneuerbare Energien selten in Betracht gezogen werden, da Solarpaneele und Windräder viel Zeit bei der Auslieferung, Installation und Inbetriebnahme benötigen und weniger robust sind. Ein weiterer Stolperstein ist, dass die meisten erneuerbaren Energiequellen sich nicht für die Grundstromversorgung eignen, die gleichbleibend viel Strom liefern muss. Überdies sind sie bedeutend teurer. Daher wird die örtliche Stromversorgung meist durch Kerosin oder komprimiertes Erdgas abgesichert, die beliebtesten Quellen für kleine, tragbare Generatoren. All diese Generatoren verursachen Lärm, doch sie sind zumindest leicht verfügbar in Planung und Genehmigung. Daher beschränkten sich Innovationen auf diesem Gebiet bisher auf Lärmminderung und Effizienz im Treibstoffverbrauch.

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Morten Sondergaard hat über die Jahre Erfahrungen als Unternehmensgründer in der Telekommunikation und im Internet gesammelt. Als in Zentraljapan nach den Kernschmelzen in den Reaktoren von Fukushima der Strom knapp wurde und zeitweise ausfiel, überlegte er, wie in einer Metropole wie Tokio die Stromversorgung gesichert werden könnte. Die Installation einer Serie kleiner Generatoren würde das riesige Loch nur stellenweise stopfen können. Er erinnerte sich, dass es für Bohrinseln Versorgungsschiffe gibt, die die Grundstromversorgung für die Arbeiten auf hoher See liefern. Solange das Stromnetz vor Ort intakt ist – wie im Falle von Tokio und der Region Tohoku – ist es möglich, Strom durch ein Energieschiff durch vorhandene Turbinen und weitere Generatoren, die ebenfalls bereits auf dem Schiff sind, zu generieren. Diese Versorgungsschiffe produzieren Energie im Megawattbereich bei größter Flexibilität und sogar Mobilität, was für die Industrie unerhört ist. Im Falle Tokios kann das Schiff im Stadtzentrum festgemacht werden. Falls jedoch die Genehmigung hierfür Schwierigkeiten verursacht, könnte das Versorgungsschiff auch in internationalen Gewässern ankern und durch ein Kabel mit der Küste verbunden werden, wo der Strom über einen normalen Transformator direkt ins Netz gespeist wird.

Der erste Umsatz

Herr Sondergaard hat daraufhin ein aus Dubai stammendes Energieschiff ausgerüstet, indem er zwei Generatoren von Siemens auf Deck installiert hatte und das Schiff umrüstete, um für acht Generatoren Platz zu schaffen, die zusammen fast 200 MW Strom pro Stunde herstellen konnten. Dann schaffte er die Umrüstung auf Biodiesel und erfand somit das erste Versorgungsschiff der Welt auf Basis von Biodiesel, das Strom in Katastrophengebieten generieren konnte oder auch als Ergänzung in Spitzenzeiten genutzt werden könnte, zum Beispiel im heißen und feuchten japanischen Sommer, nachdem die Atomkatastrophe die örtliche Stromversorgung ins Chaos gestürzt hat.

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Das Energieschiff ist nicht einzigartig. Es gibt schätzungsweise 160 gleichartige schwimmende Kraftwerke. Doch nie zuvor wurden sie als Notfallmaßnahme genutzt. Morten schlägt vor, mehrere Schiffe auszurüsten und in Bereitschaft zu halten, so dass im Falle von Katastrophen wie Kernschmelzen, die das Leben in großen Küstenstadtgebieten gefährden, diese starken Generatoren die dringend benötigten großen Strommengen liefern können. Normalerweise liegen diese Schiffe in der Nähe von Bohrinseln in der Nordsee, dem Golf von Mexiko, im Nahen Osten, vor der Küste Brasiliens und vor Westafrika zwischen Angola und Ghana. Somit finden sie sich in aller Welt, und es ist nicht nur möglich, dass sie schnell dort ankommen, wo sie gebraucht werden, sondern auch, ihren Laderaum auf dem Weg mit Biotreibstoffen zu füllen. Ein Schiff kann bis zu 80 000 Tonnen Biotreibstoff laden und somit unabhängig und ununterbrochen 3 Monate lang fast 200 MW Strom pro Stunde produzieren. Diese strategische Lösung nützt nicht nur in Notfällen, sondern könnte auch zusätzlichen Strom für Großevents wie die Olympischen Spiele oder die Fußball-WM liefern.

Die Chance

Die Nutzung bereits vorhandener Schiffe zur schnellen Lieferung erneuerbarer Energie ist eine Chance im Sinne der Blue Economy. Zwar bleibt die Frage nach der Nutzung von Biodiesel ungelöst, der nicht mit der Sicherung der Ernährung konkurrieren sollte, doch die Möglichkeit, Reservestrom durch mehrfach erneuerbare Energie zu liefern, könnte hier mehr Vorteile bringen. Unter den Kernfaktoren für die Überlegung sind Schnelligkeit und Kosten. Da das Schiff in wenigen Wochen vor Ort in Betrieb gehen kann, ist kurzfristig eine große Menge Energie ohne Bedarf an weiteren Investitionen in die Infrastruktur verfügbar. Der zweite Vorteil besteht darin, dass das Energieschiff die Elektrizität zum gleichen Preis wie Netzstrom an den Endverbraucher liefern kann, obwohl sich für den Zwischenhändler die Margen verringern. Doch im Notfall ist es nur verständlich, dass die Energiekonzerne den riesigen Preisaufschlag um ein Fünf- bis Zehnfaches, den sie normalerweise über die Produktionskosten hinaus verlangen, nicht mehr erhalten. Warum sollte ein Elektrizitätswerk Gewinn aus einer Katastrophe schlagen – die zudem durch ihre Unfähigkeit, einen Auftrag zu erfüllen, verursacht wird?

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Im Falle Japans kostete die Kilowattstunde etwa 25 Yen, doch inzwischen stiegen die Preise um 25% und spiegeln so die höheren Kosten von Investitionen und Treibstoffen. Schwimmende Elektrizität kann zu den selben Preisen geliefert werden. Dies bedeutet für den japanischen Fall einen riesigen Werbevorteil und öffnet entsprechend qualifizierten Lieferern Tür und Tor. Wer interessiert ist, einen Sommer ohne Stromausfälle zu garantieren, kann deren Bedarf im Internet bestellen. Die schlimme Erfahrung der Bürger Tokios, die mit Schlafsäcken zur Arbeit fahren mussten, weil aufgrund der Stromausfälle nicht sicher war, ob und mit welchen Verkehrsmitteln sie heimfahren konnten, lässt darauf schließen, dass die Japaner lieber Sicherheit haben. Die schwimmende Elektrizität könnte dann bald zur Macht des Volkes werden und das Monopol der Großkonzerne brechen. Dies bietet die Möglichkeit, Sozialkapital aufzubauen, ein Schlüsselkonzept in der Blue Economy.

Bilder: StockXCHNG

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