63. Schuhe

Der Markt

Der Einzelhandel für Schuhe auf der Welt hat 2010 die historische 200-Milliarden-Dollar-Marke überschritten und wächst bis 2013 schätzungsweise weiter auf 238 Milliarden Dollar. Die starke Nachfrage der Schwellenländer in Asien und Lateinamerika haben die jährliche Wachstumsrate von über 6 Prozent gestärkt. Somit wurden 2010 über 10 Milliarden Sport- und sonstige Schuhe vertrieben. Die Gesamtzahl der verkauften Schuhe ist in den letzten 5 Jahren um 2 Milliarden gestiegen; für 2013 werden 12 Milliarden verkaufte Paare erwartet. Obwohl in den USA der Markt weiterhin um jährlich eine Milliarde Dollar wuchs und in drei Jahren bei 48 Milliarden Dollar liegen soll, wird sein weltweiter Anteil bis 2013 auf weniger als ein Fünftel fallen. Das Geschäft mit den Schuhen ist eine der am stärksten globalisierten Industrien. Für Nordamerika bedeutet dies, dass 96 Prozent aller Fußbekleidung in Übersee produziert werden, davon 87 Prozent in China, der Rest in Vietnam, Indonesien und Brasilien.

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Die größte Warengruppe sind Damen-Modeschuhe mit 35 Prozent; Herren-Sportschuhe einschließlich Sneakers und Stiefeln folgen mit 22 Prozent. Herren-Modeschuhe liegen bei rund 15 Prozent ebenso wie Damen-Sportschuhe. Das traditionelle Schuhgeschäft kontrolliert den Vertrieb mit über der Hälfte aller erreichten Endkunden, während Bekleidungsgeschäfte nur 12 Prozent und Sportgeschäfte nur 7 Prozent erreichen. Der weltgrößte Schuhhersteller bezüglich Verkäufen ist Nike (über 10 Milliarden US-Dollar), der Adidas, Puma und Asics übertrifft. Die Outdoor- und Umweltschuhhersteller Geox (Italien) und Ecco Sko (Dänemark) liegen jeweils über einer Milliarde US-Dollar. Der älteste Hersteller ist Bata, ursprünglich aus Tschechien im späten 19. Jahrhundert, 1940 nach Kanada transferiert und schließlich in Lausanne (Schweiz) niedergelassen. Die Firma blickt auf über 12 Milliarden verkaufte Paare zurück.

Die Innovation

Durch extreme Globalisierung und Medialisierung zeigen Verbraucher Interesse an den funktionellen Vorzügen der Produkte (z.B. der Behauptung von Geox, dass Schuhe atmen) und an den Werten der Firma. Da am Markt ein Überangebot besteht, bewirkt themenbezogenes Marketing eine positive emotionale Verbindung, die über Ruhm hinausgeht. Hier liegt Deckers mit der Marke der „Simple Shoes“ vorn, die zu hundert Prozent nachhaltige Schuhe aus Materialien wie Bio-Baumwolle, metallfreiem Leder, Bambusfasern und sogar Autoreifen und -schläuchen für die Sohlen anbietet. Als Reaktion auf das hohe Maß der Standardisierung hat Zazzle u.a. nach Belieben gestaltete Schuhe eingeführt, die den Kunden ermöglichen, einzigartige Leinenschuhe durch Hochladen eigener Designs, Muster, Illustrationen, Bilder und Texte zu entwerfen. So kann die Firma ganze 42 Milliarden verschiedene Modelle anbieten. Doch obwohl Personenbezogenheit sowie soziale und Umweltaspekte wichtig sind, wird die Gesundheit allzu oft vernachlässigt. Dabei dient Gesundheit unserer Füße als Barometer für die Gesundheit unseres gesamten Körpers.

Guillem Ferrer, der die Entwicklung und den ökologischen Fußabdruck der spanischen Schuhfirma Camper auf revolutionäre Weise umgestaltet hat, untersuchte die 26 Knochen, 33 Verbindungen und 150 Sehnen, die unsere Mobilität ermöglichen im Detail. Unsere Füße beherbergen ein komplexes Netzwerk aus Nerven und Blutbahnen, die für die schätzungsweise 160.000 Kilometer benötigt werden, die ein Mensch im Laufe seines Lebens zu Fuß zurücklegt. Schlechte Blutzirkulation verringert die Lieferung von Sauerstoff und Nährstoffen zu den Füßen. Guillem untersuchte, wie wichtig es ist, die Füße von starren, wasser- und luftdichten Schuhen zu befreien, die Pilze begünstigen und die Beweglichkeit einschränken. Eine genaue Analyse der Form und besonders der Deformationen der Füße durch Modeschuhe sowie die Verbreitung von Pilzerkrankungen regten Guillem zum Nachdenken an, wie Fußbekleidung sich als wahrer Dienst am Fuß erweisen könnte, so dass die Gesundheit des Fußes, der Träger der Schuhe und die Gesundheit der Umwelt Vorrang hätten. Er verließ das Unternehmen Camper und gründete sein eigenes Studio für Schuhdesign.

Ein Treffen in Bhutan zwischen Guillem und Dr. Fritz Vollrath, Dozent an der Abteilung für Biologie der Universität Oxford sowie Experte für Seide, wurde zur Chance. Die Seidenraupe stellt mit ihrem Speichel einen einzigartigen Kokon her, der zum Schutz der Puppe dient. Diese harte Schale wird später durch winzige Seidenfäden umsponnen, die besondere pilz- und bakterienabweisende Eigenschaften besitzen. Sie ist stabil und beständig. Die schätzungsweise eine Million Tonnen verfügbare Rohmasse reichen nicht aus, um den gesamten Schuhmarkt zu beliefern, doch sind mehr als genug, um den Entwicklungsprozess zu starten und somit zu garantieren, dass zur Marktentwicklung genügend Material lieferbar ist. Während Fritz die Entwicklung eines großen Markts in Verbindung mit Sportschuhen erwägt, die bekanntermaßen Pilzerkrankungen begünstigen, konzentriert sich Guillem auf die Umstrukturierung eines lokalen Geschäftsmodells, in dem 95 Prozent des Markts lokal und 5 Prozent global vertrieben werden. Dies ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy: Deckung der Bedürfnisse mit vor Ort vorhandenen Ressourcen.

The First Cash Flow

Guillem macht Fortschritte in der Entwicklung in Zusammenarbeit mit der Tarayana Foundation, die sich der Existenzsicherung in den Dörfern widmet. Doch die Produktion von Sohlen ist nicht genug. Guillems Suche nach einem reichlich verfügbaren Stoff, der nicht mit dem Anbau von Lebensmitteln konkurriert, brachte ihn auf die gemeine Brennnessel, eins der neun heiligen Kräuter in alten Kulturen. Es handelt sich hier um eine herausragende Pflanze, die oft als Unkraut betrachtet wird. Sie wächst leicht, benötigt keinen Dünger, kann in der Wildnis geerntet werden und ist erfolgreich zu Stoff verarbeitet worden.

Nesselfaser wurde bereits vor Wolle und Leinen in neusteinzeitlichen Siedlungen in der Schweiz verwendet. Die Kombination von Seidenkokons und Nesselstoff wird als Grundlage für die Entwicklung einer systemischen Art von Schuhwaren dienen, die über das bisher für möglich Gehaltene hinausgeht. Guillems bisherige Aktivität im Design wiederum sind eine Garantie dafür, dass die von ihm erdachten gesunden Schuhe auch noch schön aussehen werden. Dies ist ein wettbewerbsfähiger Ansatz mit solidem sozialem und ökologischem Impact.

The Opportunity

Neue Geschäfte mit neuen Materialien müssen immer erst die Hürden von Geldknappheit und mangelnder Erfahrung überwinden. Die Herstellung von Nesselgarn ist in der Vergangenheit bereits gelungen und benötigt keine außergewöhnliche Expertise. Die geernteten wilden Nesseln werden zunächst entblättert, was eine ausgezeichnete Suppe ergibt, und dann zu Garn versponnen. Anstatt dass Textilien mit Nahrung konkurrieren, bietet diese Pflanze beides: Ernährung und eine robuste Faser. Die Kokons sind Abfälle aus der Seidenraupenzucht und gewinnen an Wert für die Bauern, die ein höheres Einkommen benötigen. Unter diesen Bedingungen ist es nicht nur möglich, vor Ort ein nachhaltiges Produkt herzustellen, sondern sogar Modewaren, die im Wettbewerb kostengünstiger, höherwertiger und gesünder sind als international gehandelte Ware.

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Mit Sicherheit wird dieser Ansatz Unternehmensgründer inspirieren, die nicht davon träumen, Nike oder Puma mit links zu überflügeln, jedoch bereit sind, einen kleinen Teil von deren Massenmarkt zu übernehmen. Da der Rahmen dieses Geschäftsmodells überall auf der Welt umgesetzt werden kann, können Tausende diese Art von Unternehmen gründen, sobald Guillem bewiesen hat, dass diese Kreation von den Kunden angenommen wird. Da er von seinen Absichten berichtet hat und seine ersten Ansätze beschrieben hat, ist bereits mehr Interesse vorhanden, als er selbst jemals in nächster Zeit herstellen kann – für jeden Unternehmensgründer eine günstige Ausgangsposition.

Bilder: StockXCHNG

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