69. Pflügen ohne Pflug
Der Markt
Der Weltmarkt für Industrieanlagen zum Mischen von Substanzen einschließlich ihrer Wartung und damit verbundener Dienstleistungen wurde 2010 auf 120 Milliarden US-Dollar beziffert. In vielen verschiedenen Industrien ist das Mischen von Flüssigkeiten, Gasen und Feststoffen unerlässlich, so z.B. in der Lebensmittelverarbeitung, Plastik und Verbundmaterialien, Kerzen und Wachs, Tabakwaren, Kosmetik und Körperpflege, Glas, Zement, Keramik, Metalle, Tinte, Farben und Überzüge, Getränke, in der Papierherstellung, Energieerzeugung, Wasseraufbereitung, Pharmaindustrie, für Mineralien, Öl und Gas sowie in der Landwirtschaft.
In den USA gibt es schätzungsweise 150 Hersteller, in Europa 350. Die größten Betriebe haben in Indien und China expandiert. Während der Kapitalaufwand in den letzten drei Jahren stagnierte und sich erst jetzt wieder bis auf die Höhe der Zahlen vor 2008 erholt, wird erwartet, dass die Erträge aus Wartung und Ersatzteilen 2011 die Verluste wieder ausgeglichen haben werden. Einige der führenden Firmen sind Familienbetriebe, die seit über 100 Jahren funktionieren, wie Charles Ross & Son Company (New York 1842), Possehl GmbH (Lübeck 1842), die die 1848 in Connecticut gegründete Farell-Gruppe aufgekauft hat, Philadelphia Mixing Solutions (USA 1909) und IKA Works GmbH (Deutschland 1910).
Die Innovation
Entscheidend für das Mischen ist die benötigte Zeit bis zum Erreichen der perfekten Verteilung. Auf diesem Gebiet wird rege Forschung und Entwicklung betrieben, um komplexe mathematische Modelle zu entwerfen, die vorhersagbar winzige Mengen von Beigaben in riesigen Mengen der Grundzutat verteilen. Ein Wirbel (siehe Beispiel 1) ist imstande, in wenigen Minuten die aktiven Bestandteile zu vermischen, wofür mit anderen Techniken 45 Minuten benötigt werden. Somit erhöht er den potentiellen Output um ein Zehnfaches und spart daher auch Raum und Energie, indem einzig die Strudelbewegung einer geometrischen Form genutzt wird. Das Oloid, eine von Paul Schatz im frühen 20. Jahrhundert entwickelte geometrische Form, mischt bei rotierender Bewegung Sauerstoff mit Wasser und benötigt dazu bis zu 80 Prozent weniger Energie, indem es die Kontaktfläche zwischen Wasser und Luft zu Wellen formt anstatt unter Druck Luft in Wasser zu pumpen. Da bisher Geschwindigkeit und perfekte Verteilung als antiproportional zueinander galten, sollte die Forschung sich auf die Umkehr dieser Grundregel konzentrieren. Dies ist einer der Ansätze der Blue Economy für mehr Nachhaltigkeit bei höherem Profit in Unternehmen.
Angelo Mazzei hat auf dem über 4000 Hektar großen Gemüsehof seines Onkels die Geräte gewartet und dabei auch Kenntnisse über Input und Output von Düngung und Bewässerung erlangt, wenngleich er sein Studium in der Autoindustrietechnologie an der California State University (Fresno) abschloss. Er begann zu erforschen, wie das Mischen von Flüssigdünger mit Wasser effizienter werden könnte. Als das California Aqueduct gebaut war, kam das Wasser zur Bewässerung unter Druck bei den Farmen an. Dies führte zu Problemen bei der Zugabe von Flüssigdünger. 1974 setzte er seine Erkenntnisse beim Bau des Venturi-Einspritzers um, der in Autos die Mischung von Flüssigkeiten und Gasen unter Druck ermöglicht. Der Venturi-Effekt ist ein Düseneffekt: Wasser fließt zunächst schneller und wird am Kreuzungspunkt des Ausgangs wieder langsamer. Wir alle nutzen dieses Prinzip, wenn wir den Daumen auf die Düse des Gartenschlauchs halten, um über größere Distanzen zu sprengen. Während er bei John Deere Tractors im Außendienst arbeitete, perfektionierte Angelo sein Einspritz- und Mischsystem, bis er 1978 sein erstes Patent eintragen ließ.
Der Mazzei-Injektor fängt Wasser unter Druck beim Eintreten in eine enge Öffnung auf und drückt es in die Injektionskammer. Bei steigender Fließgeschwindigkeit verringert sich der Druck. Um den Sog zu vermeiden, der normalerweise in zylindrisch geformten Rohren entsteht, haben die Leitungen eine konische Form und nähern sich somit dem Wirbelkonzept (siehe Beispiel 1 und 68) an. Durch einen Ansaugstutzen können Flüssigkeiten und Gase eingeleitet und ohne Einsatz von Pumpen mit dem Wasser vermischt werden. Die Mischung kann danach unter Druck ins Hauptrohr gespritzt werden. Auf diese Weise nutzt auch ein Autoauspuff den Venturi-Effekt. Unter Druck gelangen Abgase aus dem Verbrennungsmotor in die größere Kammer, verlieren an Druck und gelangen dann durch ein Rohr an die Außenluft. Die Erfahrung aus dem Automobilsektor wird auf die Landwirtschaft übertragen.
Der erste Umsatz
Angelos erste kommerzielle Umsetzung ermöglichte das Mischen von unter Druck stehendem Wasser mit Flüssigdünger oder Nährstoffen und leitete die Mischung direkt ins Bewässerungssystem ein. Das Einleiten von Luft ins Bewässerungssystem mittels derselben Methode erhöhte den Sauerstoffgehalt, der als natürliches Stimulans für das Wachstum der Pflanzen wirkt. Dies führte zur Erfindung einer neuen Bewässerungstechnik, die mit dem Slogan „Pflügen ohne Pflug“ beschrieben wird. Die Landwirte bemerkten, dass anstelle des Pflügens die Beimengung von Luft in das unter Druck stehende Wasser den selben Effekt bei erheblich geringerem Energieaufwand hatte.
Angelo leitete sein Geschäft die ersten Jahre über zusammen mit seiner Frau Mary in seiner Garage. Später gründete die Familie die Mazzei Injector Corporation und siedelte sich in Bakersfield (Kalifornien) an. Die Firma ist weiterhin unter Familienführung und dehnt ihr Geschäft durch ein wachsendes Patentportfolio aus. Sie begannen mit einem Abgasrohr, nutzten einfach die Gesetze der Physik nach Giovanni Batista Venturi aus dem 18. Jahrhundert, die jeder Student erlernt, und schafften sich eine beeindruckende Nische im Geschäft. Inzwischen ist Angelos Erfindung als Plattformtechnologie in Dutzenden von Sektoren umsetzbar. Die einzige Herausforderung ist die Auswahl der jeweiligen Technik.
Die Chance
Der Einsatz physikalischer Gesetze bietet überschaubare und berechenbare Resultate durch transparente mathematische Modelle. Innovationen auf Grundlage dieser Logik werden als Technologien in der Blue Economy zur Schaffung neuer Geschäftsmodelle bevorzugt. Mazzei fuhr fort, seine Geräte zu entwickeln und setzte seine Erkenntnisse in Dutzenden von Anwendungen um, die alle auf demselben Prinzip beruhen. Heute werden seine Betriebsanlagen in 100 Ländern auf der ganzen Welt verkauft. Mazzei-Injektoren werden zur Bekämpfung von Verkeimung, zur Desinfektion in der Lebensmittelverarbeitung, und gegen invasive Arten durch perfekte Beimischung von gelöstem Ozon eingesetzt.
Eine weitere intelligente Einsatzmöglichkeit sind Mazzei-Injektoren und Mischgeräte zur Energiegewinnung durch fließendes Wasser und zur Produktion von Ozon durch das Wasser selbst, um es dann gleich in denselben Wasserstrom einzuleiten. Die Mazzei-Anlage entzieht alle ungelösten Gasblasen. Alles wird in einem einzigen Prozess aus dem Wasser selbst produziert und verbraucht, ohne jemals Treibhausgas in die Atmosphäre abzulassen oder zusätzlichen Strom zu verbrauchen. Die Nutzung vorhandener Ressourcen (Energie aus dem Fluss und Sauerstoff, der zur Desinfektion dem Wasser entzogen wird) ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy. Diese Technologie ist auch vergleichbar mit dem System zur Entchlorung (siehe Beispiel 42), das ebenfalls durch fließendes Wasser betrieben wird.
Momentan besitzt Mazzei 14 Patente. Die Anwendung dieser rein mathematischen Formel auf Grundlage einer geometrischen Form kann auch umgesetzt werden in Mischsystemen für Brandschutzmittel, Wassersauger zur Schaffung eines Vakuums durch Leitungswasser, Zerstäuber für Sprühfarben, Düsen für Feuerlöscher, zur Begasung von Wein, als Filtersystem für Aquarien, automatische Poolreiniger, Druckluft-Staubsauger, Abgasreiniger, Sandstrahler, Regulatoren für Tauchausrüstungen und Sauerstoffmasken. Es scheint, diese Technologie beginnt gerade erst, unser tägliches Leben zu beeinflussen. Die Mazzei-Gruppe hat sich verpflichtet, ihre Forschung durch neue Ideen und Ansätze ständig voranzutreiben. Hier sind dringend Unternehmensgründer gefragt, damit durch diese Plattform gesellschaftlicher Nutzen entsteht.
Bilder: StockXCHNG
https://www.flickr.com/photos/robadob/273917000/in/photostream/
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