72. Energie von Containern

Der Markt für Containertransporte

Der Marktwert für weltweite Containerverschiffung wurde 2010 auf 480 Milliarden US-Dollar geschätzt. Bei dieser Art von Transport wurden im selben Jahr insgesamt 500 Millionen Standard-Container über mehr als 600 Milliarden Kilometer weit versendet. Die Ladekapazität der Containerflotte der Welt wuchs von 4 Millionen Containern im Jahr 2000 bis auf 12, 5 Millionen heutzutage. Zwischen 2008 und 2017 wächst der Frachtverkehr per Container auf den Ozeanen erwartungsgemäß weiter mit einer Rate von 6,9 %. Experten sehen voraus, dass der interkontinentale Handel zwischen Asien und Europa am schnellsten expandieren wird – um 9,8 Prozent an Volumen und 9 Prozent in Erträgen, da Europa um etwa fünf Jahre hinter den USA zurückliegt, was die Verlagerung der Produktion nach Asien betrifft. Die Attraktivität des Transports auf dem Seeweg gründet sich offensichtlich auf die Treibstoffkosten pro 40-Fuß-Einheit: Der Transport eines Containers von Schanghai nach Atlanta ist immer noch billiger als von Guadalajara (Mexiko) nach Atlanta.

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Das weltweite Container-Transportnetzwerk bildet das Rückgrat der globalisierten Versorgungskette mit etwa 60 Prozent des Welthandelswerts und über 90 Prozent des Volumens. Die Wertkette, innerhalb der ein Container vom Absender zum Empfänger gelangt, umfasst folgende fünf Sektoren: (1) Erstellung des Versands, Routenbestimmung und Verwaltung der Kapazitäten, (2) Container, (3) Betrieb der Fahrzeuge, (4) Schiffsbeladung und Löschen der Ladung und (5) Lieferung auf dem Landweg. Die Hälfte der Kosten verursacht der Betrieb der Schiffe selbst, während das Verladen nur 17 Prozent ausmacht. Zentrum für die Finanzierung und den Betrieb neuer Schiffe ist Hamburg. Deutschland besitzt 35 Prozent aller Containerschiffe (1644 von 4619) und in der Stadt haben sich fast 60 Versandbanken und Financiers niedergelassen. A.P. Møller-Maersk (Dänemark) hat P&O Nedlloyd aufgekauft und ist führender Schiffsbetreiber mit einer Rechnungsstellung von jährlich über 43 Milliarden Euro weltweit.

Der Containertransport hat für eine Revolution in der Herstellung gesorgt. Einen Fernseher von Asien nach Europa zu verschiffen kostet 10 Euro, ein Staubsauger 1 Euro und eine Bierflasche 1 Cent. Umgekehrt ist es noch billiger. Durch niedrige Lieferkosten rentiert es sich, spanische Tomaten nach China zu schicken, um sie dort zu Ketchup zu verarbeiten und zum Verbrauch wieder zurück nach Europa zu schicken. Doch jüngste Forschungen zeigen, dass ein Containerschiff in einem einzigen Jahr so viele Abgase freisetzt wie 50 Millionen Dieselautos. Frachtschiffe werden mit minderwertigem Dieselöl betrieben, das bis zu 2000-Mal mehr Schwefel enthält als der von Dieselautos. Das größte Containerschiff der Welt, im Besitz von Maersk, kann 15 200 Container von 40 Fuß bei konstant 50 km/h transportieren und verbraucht dabei pro Tag auf hoher See 380 Tonnen Treibstoff.

Die Innovation

Schiffstreibstoff besteht aus Abfallstoffen des Öls und Resten aus der Raffinerie. Es ist die billigste verfügbare Energiequelle. Alle Schiffe der Welt zusammen verbrauchen täglich 7,3 Millionen Barrel, so viel wie die Gesamtproduktion von Saudi-Arabien. Somit ist der Schiffsverkehr bei weitem der größte Umweltverschmutzer im Transport und bläst – The Guardian zufolge – 260-Mal mehr Schwefel in die Luft als die gesamte Autoflotte der Welt. Allein die 15 größten Schiffe der Welt verursachen genauso viel Schwefeloxide wie alle 760 Millionen Autos auf dem Planeten. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation der Vereinten Nationen (IMO) zeigt auf, dass die bestehende Flotte ihren Energieverbrauch um 10 Prozent senken und neue Schiffe mit einer Technologie zur Senkung um 30 Prozent ausgestattet werden könnten. Als alternative Energiequelle für Schiffe gilt die Atomkraft. Es gibt 150 Schiffe mit Atomantrieb, die meisten davon sind U-Boote. Doch die Option der Kernkraft wird weitgehend ausgeklammert aufgrund der komplizierten Wartung und den Risikofaktoren im Falle von Havarien. Der Umstieg auf sauberen Treibstoff würde zusätzliche Kosten verursachen und den Ölpreis unter Druck setzen, gleichzeitig bliebe die Industrie auf einem minderwertigen Produkt ohne Absatzmarkt sitzen.

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Vatche Artinian ist Amerikaner armenischer Abstammung mit einem Mastergrad im Elektroingenieurwesen und einem MBA der University of Southern California. Ebenfalls hält er einen Bachelorgrad in Elektro- und Computeringenieurwesen der Polytechnischen Universität Kaliforniens. Seine Faszination galt den Schwungrädern, die seit der Bronzezeit zur Speicherung kinetischer Energie eingesetzt werden. Er erkannte, dass neue Hochgeschwindigkeitsmotoren mit magnetischen Lagern Energie effizient speichern. Artinian und sein Team bauten Energiespeichersysteme auf Grundlage eines Magnetmotors für einen Wechselbetrieb in schnellem Rhythmus (12 Sekunden Entladung, 18 Sekunden Leerlauf, 12 Sekunden Wiederaufladung, 18 Sekunden Leerlauf). Ergänzt wurde die Entwicklung um Magnetlager, die das Schwungrad im Schwebezustand halten, so dass die Einheit bis zu 60 000-Umdrehungen pro Minute ohne Reibung oder Wärme schafft. Das Team erkannte, dass die Magnetlager die Wartung auf praktisch null senken konnten, da die Lager nie ersetzt werden und nie Schmierstoffe benötigen.

Artinian (als Vorsitzender) und Larry Hawkins (technischer Direktor) gründeten Calnetix, eine High-Tech-Firma in privater Hand, die in den letzten 20 Jahren zum Industrieführer für Hochgeschwindigkeitsmotoren, Magnetlager und Magnetantrieb für dezentrale Energiesysteme aufstieg. Im Jahr 2004 entschlossen sie sich, ihre Schwungrad-Technologie auszugliedern und gründeten Vycon, eine Firma, die Hochgeschwindigkeits-Schwungräder zur Speicherung von Gleichstrom entwickelt und herstellt. Nach anfänglichen Erfolgen bei der Vorführung der Technologie stellten sie 2010 mit Erfolg ein Budget von 13,7 Millionen Dollar von amerikanischen, dänischen und neuseeländischen Investoren, um die Produktion zu stärken und auf die gestiegene Nachfrage nach sauberen Energiespeicherungsformen reagieren zu können.

Der erste Absatz

Ein mobiler Kran kann innerhalb einer Minute einen Container vom LKW oder Waggon auf ein Frachtschiff oder umgekehrt heben. Artinian erkannte, dass die Kraft zum Anheben und die benötigte Energie zum langsamen Absetzen eine Menge Treibstoff erfordert. Diese Aktionen stellen den zweitgrößten Kostenfaktor im Containertransport nach dem Betreiben des Schiffes selbst dar. Mobile Kräne werden durch Dieselgeneratoren an Bord betrieben. Wenn der Kran etwas anhebt, wird Energie zugeführt, und beim Absetzen und Bremsen wird die wiedergewonnene Energie in einen Widerstand geleitet, in dem sie abgebaut wird.

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Vycon entwickelte und vertreibt inzwischen Schwungräder, die diese Energie auffangen und speichern, damit sie beim nächsten Anheben wieder eingesetzt werden kann; so wird der Energieverbrauch um 30-35 Prozent gesenkt, Lärm gemindert und gleichzeitig die Betriebsdauer des Generators verlängert. Das Schwungrad arbeitet so präzise und zuverlässig, dass Vycon seinen Kunden eine 20-jährige Garantie anbietet. Diese Technologie kann ebenso in bestehende Kräne eingebaut werden, so dass sofort Einsparungen möglich sind. Das erste System wurde am Containerterminal von Long Beach, Kalifornien, installiert und ist seit Mai 2006 in Betrieb.

Die Chance

Diese Neuerung in der Containerindustrie reduziert die dramatischen Emissionen im Schiffsverkehr nur geringfügig. Und doch ist das bewährte Schwungrad-System in der Umsetzung im großen Maßstab eine Plattformtechnologie, die eine Alternative zu Bleisäure-Batterien, die als Reserve für die unterbrechungsfreie Stromversorgung in Datenzentren und Servern dienen. Die Technologie bietet eine batteriefreie Alternative in der Datenspeicherung und in Kommunikationsnetzwerken. Im April dieses Jahres hat die Vycon-Technologie das Zertifikat für Erdbebensicherheit von der kalifornischen Behörde für staatsweite Gesundheitsvorsorge und Entwicklung erhalten, nachdem Tests bewiesen hatten, dass das System vor, während und nach simulierten Erdbeben gleichbleibend funktionierte.

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Die derzeit betriebenen Systeme beweisen, dass die Schwungrad-Technologien sich nach 2 ½ Jahren auszahlen und somit die Gesamt-Anlagekosten für ein herkömmliches batteriegestütztes Stromsystem unterbieten. Zwei Jahre in Folge (2010-2011) wurde Vycon vom Inc.-Magazin als eine der unternehmerischsten und am schnellsten wachsenden amerikanischen Firmen in Privatbesitz ausgezeichnet und konnte über drei Jahre ein Wachstum von fast 800 Prozent aufweisen, das höchste im Energiesektor der gesamten USA. Schwebetechnologien, die über längere Zeit stabil und sicher laufen und so einen besseren Dienst zu niedrigeren Kosten leisten, sind somit selbstverständlich Teil des Portfolios von Innovationen der Blue Economy.

Bilder: StockXCHNG

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