73. Bewegungssensoren

Der Markt für Bewegungssensoren

Der Marktwert von Bewegungssensoren hat 2010 die 70-Milliarden-Dollar-Marke überschritten. Für die nächsten Jahre ist ihm eine Wachstumsrate von insgesamt über 10 Prozent sicher. Sensoren in der Automobiltechnik, einer der am schnellsten wachsenden Märkte, werden 2012 die 15,8 Milliarden US-Dollar erreichen. Für chemische Sensoren werden 2015 17,3 Milliarden erwartet. Auf dem Weltmarkt für Sensoren in der Unterhaltungselektronik werden 22,1 Milliarden Dollar für 2015 erwartet, mit einer jährlichen Wachstumsrate von 12 Prozent. Dabei übertreffen die Einsatzgebiete in der Unterhaltung alle anderen Segmente mit einem starken Wachstum von jährlich 16 Prozent über die nächsten fünf Jahre. Hier liegen die Bildsensoren vorn. Der US-Markt für Sensoren wird mit 10 Milliarden Dollar beziffert, Europa liegt bei über 15 Milliarden Dollar, die militärischen Einsatzfelder nicht eingerechnet.

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In Zeiten drohender Rezession bleibt der Markt für Sensoren eine der wenigen von amerikanischen und europäischen Firmen dominierten Nischen mit hohem Wachstum. Dies liegt daran, dass sie ursprünglich im Militärbereich eingesetzt und die Forschung und Entwicklung aus diesem Etat bezahlt wurden. So erklärt sich die Präsenz von Firmen wie Northrop Grumman und Honeywell unter den Marktführern weltweit. Jedoch drängen auch Innovationen aus mittelständischen, familienbetriebenen deutschen Firmen auf den Markt, so Robert Bosch (Crash-Sensoren für Airbags), First Sensor AG (in Berlin ansässige Sensoren-Manufaktur), Pepperl+Fuchs (u.a. führend in elektronischen Sensoren) und fast hundert weitere in Deutschland ansässige Nischenlieferanten.

Eins der neuen Schlüsselgebiete für die Entwicklung sind Sensoren auf Basis von mikro-elektro-mechanischen Systemen (MEMS), in Japan auch bekannt als Mikro-Maschinen. MEMS können gerade einmal 20 Mikrometer (20 Tausendstel Millimeter) oder bis zu 1 Millimeter groß sein. Diese winzigen Systeme erfassen Geschwindigkeit, Beschleunigung, Vibration oder Stoß und lösen dabei das Aufblasen der Airbags zum Schutz der Passagiere in Autos und Zügen aus. MEMS-Technik durchdringt inzwischen alle Sektoren der Wirtschaft, von der Vorhersage von Erdbeben und Vulkanausbrüchen, Geräuschen, Vibration oder Härte, die Unbehagen verursachen, über Geschwindigkeitsmesser in Sportuhren, Schrittzählern und Entfernungsmessern für Wanderer, die die Verbrennung von Kalorien im Blick behalten möchten, bis hin zur Überwachung von Pumpen, Ventilatoren, Kompressoren und Kühltürmen oder der Effizienzmessung für Bremsen. Insbesondere durch Neuerungen auf dem Automobilsektor kosten MEMS-Sensoren mitunter nur einen Dollar, dabei bieten sie Sicherheit und präzise Arbeit über lange Zeit zu sehr günstigen Kostenpreisen.

Die Innovation

Die Welt der Sensoren steckt noch in den Kinderschuhen. Bald werden diese Geräte zahlreiche Produkte und Systeme ersetzen, die zurzeit als Teil des modernen Lebens gelten. Beispielsweise wird die batteriebetriebene Fernbedienung bald durch Gesten ersetzt, die überhaupt keine Geräte benötigen. Ein solches Produkt wird bereits durch Gesture Studios (USA) vermarktet, eine Idee von John Underkoffler (MIT) der die Hardware für GoodPoint mit entwickelt hat. Dieser Apparat erfasst Bewegungen und übersetzt sie in elektronisch gesteuerte Aktionen. So werden PowerPoint-Präsentationen nie wieder inkompatibel mit der Fernbedienung, weil sie nicht mehr nötig ist. Diese Innovation wird die Interaktion von Verbrauchern und ihren Elektrogeräten revolutionieren. Intel entwickelt gerade eine neue Form der Bewegungserfassung, die ermöglichen wird, dass der Programmwechsel und die Lautstärkeregelung mit Winkbewegungen gesteuert werden. So können in fünf Jahre die Fernbedienungen für Audio- und Bildgeräte abgeschafft und durch Gestenerkennung ohne spezielle Brillen oder Handschuhe ersetzt werden. Intel entwickelt nichts weniger als ein Körpererkennungssystem. Ihr Ziel ist es, die Nachfrage nach einer neuen Generation von Halbleitern und Superprozessoren anzutreiben. Doch die Bewegungserfassung ist komplex und für dieses Feld von Innovationen wird eine neue Art des Aufspürens von Beschleunigung und Bewegung benötigt, damit sie noch effektiver und präziser als der gegenwärtige Standard ist.

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Santosh Kumar hatte bereits eine steile Karriere bei Siemens in Indien hinter sich, für die er Codes für Telekommunikationsschalter entwickelte. Er entschloss sich, seinen gut bezahlten Job aufzugeben und ein Doktorstudium in Informatik und Ingenieurwissenschaften an der Ohio State University aufzunehmen, das er 2006 abschloss. Er erkannte, dass für viele Sensoren die Integration der Miniaturisierung (MEMS) zusammen mit drahtloser Kommunikationstechnik essenziell war, um den Herausforderungen der Welt zu entsprechen. Da die meisten gebräuchlichen Kontrollgeräte heutzutage über Satellit verbunden sind, benötigen sie viel Batteriestrom und sind anfällig für Unterbrechungen der Verbindung.

Kumar beschloss eine kleine Leiterplatte zu entwickeln, einen drahtlosen Sensor für einen Dollar, einen Beschleunigungsmesser, ein Gyroskop, eine Verbindung zu einem Mobiltelefon oder Radio und Support-Software. Die Haupt-Sensortechnik (Beschleunigungsmesser und Gyroskop) funktionieren auf einfacher physikalischer Grundlage, indem sie 6 Grad freie Bewegung aufzeichnen. Mit einem magnetischen Kompass wären sogar 9 Grad Spielraum bei größter Perfektion möglich. Diese Bausteine könnten ohne Batterien laufen und daher handelt es sich hier um eine Innovation im Sinne der Prinzipien der Blue Economy. Es ist eine Plattformtechnologie mit Hunderten von Anwendungsmöglichkeiten, in denen „etwas durch nichts“ ersetzt wird.

Der erste Umsatz

Später entwickelte Kumar kommerzielle Produkte. Das erste ist der so genannte „AutoWitness“, ein Verfolgungssystem für Diebe. Wenn ein solches Gerät an einem Computer oder Gemälde angebracht ist, meldet es Bewegungen und unterscheidet zwischen Diebstahl, Reinigung und Umbaumaßnahme. Wenn das gestohlene Objekt in einem Auto transportiert wird, meldet der Sensor alle Bewegungen über die Netze der mobilen Telefonie zusammen mit den geografischen Koordinaten. Der Systemtext meldet die exakte Position des Autos an die Polizei.

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Die einfache Handhabung und niedrigen Kosten motivierten die Polizeireviere von Memphis und Jackson (Tennessee, USA) zu einem Test. Diese Erfindung brachte Kumar die Anerkennung des Popular Science-Magazins als einer der brillantesten Wissenschaftler der USA unter 38 Jahren ein. Währenddessen wurde er zum Professor an der Universität Memphis ernannt, an der er das Labor für drahtlose Sensortechnik und Mobile Ad-Hoc-Netzwerke (WiSe MaNet) leitet. Er arbeitet sowohl an der theoretischen Forschung als auch an praktischen Anwendungen für den kommerziellen Gebrauch. Kumar ist einer der wenigen Wissenschaftler, die grundlegende Wissenschaft mit pragmatischer Implementierung in Projekten vereinen.

Die Chance

Mit der selben Plattformtechnologie hat Santosh Kumar eine weitere Anwendung namens „AutoSense“ entwickelt. Dieses winzige Gerät wird unter der Kleidung getragen und überwacht das Stress-Niveau durch gleichzeitige Messung von Atmung, Herzschlag, Blutdruck und physische Aktivität. Die Software eines Smartphones ermöglicht es Ärzten, jeden Patienten individuell zu überwachen; sie wissen, ob er oder sie sich drinnen oder draußen aufhalten, ob sie sprechen oder rauchen. Die Information wird auf Stressindikatoren ausgewertet, so dass die Ärzte Anfälligkeiten und Rückfällen vorbeugen können. Die erste Umsetzung richtet sich an Suchtpatienten. Dieses Projekt ist inzwischen Teil des Nationalinstituts für Gesundheit und ermöglicht das Erkennen von Stress, Begehren und Panikanfällen ohne ständige persönliche Überwachung. Eins der einzigartigen Merkmale dieser Forschung ist, dass eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen wie Informatik, Elektroingenieurwesen, Mathematik, Psychologie, Verhaltensexperten, Physiologie, Anthropologie, Biochemie und Physik entsteht.

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Die Integration von Wissenschaften wird die Funktionsweise von Flugzeugen ändern, von Computerspielen und davon, wie Werbung uns dazu bringt, die neuesten Produkte zu betrachten. Die Sportartikelfirma Adidas hat dies jüngst durch die interaktive Schneeflockenwerbung auf U-Bahnhöfen in New York bewiesen. Durch Handbewegungen in der Luft konnte man fallende Schneeflocken zu Stadtbildern formen. Durch Winken beider Hände verwirbelten sich die Flocken. Die per Gyroskop gesteuerte MEMS-Technologie, die Asahi Kasei Microsystems (AKM) aus Japan für das iPhone 4 geliefert hatte, beeindruckte Steve Jobs so stark durch die Fähigkeit, sich selbst zu orientieren, dass dies nun eine Standardfunktion bei Apple ist.

Die mikroskopische Version eines Vibrations-Gyroskops in Kombination mit MEMS und einem Chip, die Gerüchten zufolge zu diesem Ziel durch STMicroelectronics entwickelt wurde, bietet dem iPhone 4 und dem iPad 2 einzigartige Funktionalität, für die es bisher noch wenig Anwendungen gibt. Das Gyroskop, das ursprünglich im Jahr 1817 durch Johann Bohnenberger erfunden und durch Leon Foucault berühmt wurde, der es nutzte, um die Erdrotation zu beobachten, wird nun zum Kernstück, um das sich die Imagination Tausender Erfinder in den kommenden Jahrzehnten drehen wird. Es überrascht nicht, das ein Visionär wie Steve Jobs dies erkannte und zum Standard seiner neuesten Produkte erklärte.

Bilder: StockXCHNG

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