76. Zellulose als Isolierung

Der Markt

Der Weltmarkt für natürliche Dämmstoffe könnte 2015 die Milliarden-Dollar-Marke erreichen. Die Daten und Hochrechnungen einzelner Firmen, sowohl kleinerer als auch multinationaler Unternehmen, lassen darauf schließen, dass der Weltmarkt gegenwärtig bei 500-600 Millionen Dollar liegt. Da sich bereits Beispiel 37 (Isolierfarbe) auf den Dämmstoffmarkt bezieht, konzentrieren wir uns hier allein auf den Markt für natürliche Dämmstoffe. Die Nutzung erneuerbarer Quellen pflanzlichen oder tierischen Ursprungs wird immer beliebter, da zur Gewinnung, Produktion und Verarbeitung der gewünschten Inhaltsstoffe weniger Energie benötigt wird. Führend unter den Dämmprodukten ist ein sojabasierter Polyurethanschaum. Es wird erwartet, dass die etwa 7 Milliarden Pfund Polyol, der Grundstoff zur Produktion des in den OECD-Staaten verbrauchten Polyurethans, zunehmend aus natürlichen Polyolen (Natural Oil Polyols, NOPs) bestehen werden.

BAYER Material Science (Deutschland) und BioBased Technologies, eine Startup-Firma aus Arkansas (USA), haben Technologien entwickelt, um den erneuerbaren Anteil an Inhaltsstoffen zu erhöhen. Dies ist dringend notwendig. Auch wenn das Produkt erklärtermaßen auf Sojabasis hergestellt wurde, kann es selten als „biologisch“ gelten, da es nicht den Mindestprozentsatz erreicht, der von der US-Landwirtschaftsbehörde gefordert wird. BAYER’s NOP enthält zwischen 40 und 70 Prozent erneuerbare Komponenten; das bedeutet, dass das Endprodukt nur noch zu 10-15 Prozent natürlichen Ursprungs ist und daher kaum als überwiegend biologisch gelten kann. Ein so geringer erneuerbarer Anteil bringt selbst auf dem Etikett wenig. Immerhin wurde errechnet, dass bei Ersetzung einer Tonne Erdöl oder mineralischer Substanzen durch biologische Inhaltsstoffe ganze 5,5 Tonnen Kohlendioxid entweder abgebaut werden oder verhindert wird, dass sie in die Atmosphäre gelangen. Dieser Umstand motivierte den deutschen Elektrogerätehersteller Liebherr dazu, Isolierschaum aus NOP einzusetzen. Hyundai und Kia statten ausgewählte Modelle inzwischen mit NOP-Polstern aus, ebenso Ford Motor die Sitze des Mustang. Hier zeigt sich ein Beispiel der Green Economy.

Die Innovation

Schaumstoffe aus erneuerbaren Ölen sind eine beliebte Lösung. Die herkömmlichen Einsatzfelder für Dämmstoffe wie Platten aus Stroh und Flachs, Wolle, Zellulose und Jute konkurrieren zunehmend mit Glasfaser und Steinwolle. Der seit längster Zeit genutzte Dämmstoff stammt von den Schafen, die bereits seit 8000 Jahren vom Menschen gehalten werden. Wolle wird seit Urzeiten als Dämmschutz für Körper und Heim genutzt. Mehrere Firmen für Dämmstoffe aus den USA und dem Vereinigten Königreich verzeichnen zweistellige Wachstumsraten und bieten gern gesehene Zusatzerträge für einen Sektor, der Schwierigkeiten hat, im Konkurrenzkampf mit synthetischen Ersatzstoffen zu bestehen. Gebäude auf Strohbasis erfreuen sich ebenfalls einer gestiegenen Nachfrage. Doch abgesehen von recycelten Zeitungen, deren Farbe nicht entfernt wird, können die meisten erneuerbaren Materialien kaum als nachhaltig bezeichnet werden, da ihre Nutzung als Rohstoff zur Isolierung mit anderen grundlegenden Verwertungsformen einschließlich der Nahrungsmittelproduktion im Wettstreit steht. Zwar ist die Minderung unserer Abhängigkeit von Erdöl ein lobenswertes Ziel, doch langfristig werden für mehr Nachhaltigkeit Innovationen benötigt, die sich auf Stoffe konzentrieren, die nicht im Wettbewerb gegeneinander stehen; es muss nach schnell verfügbaren Stoffströmen ohne Marktwert gesucht werden, für die demnach ein Mehrwert geschaffen werden muss. So entsteht eine ergänzende Wirtschaft mit Mehrwertketten, die tatsächlich Werte und Arbeitsplätze schaffen und nicht nur Produkte ersetzen.

Reidar Berglund, ausgebildeter Bauingenieur mit Spezialisierung auf Wärme, Lüftung und Sanitär, begann seine Karriere als Berater für Energieeffizienz. Er entwickelte Systeme zur Energieeinsparung im Industrie- und Wohnsektor. Zunächst arbeitete er mit Sägemehl als Dämmstoff, ein herkömmliches, langlebiges Produkt. Dann untersuchte er Möglichkeiten zur Entwicklung eines rein natürlichen Dämmstoffs aus derselben Rohmasse, das ähnlich genial wie die zellulosebasierte Absorption in Windeln funktioniert. Er erfand eine hocheffiziente, vollständig recycelbare und natürliche Dämmung auf Grundlage der überbleibenden kurzen Fasern in Papiermühlen. Reidar brauchte zehn Jahre, um ein wettbewerbsfähiges Produkt zu schaffen, das die Fasern durch feine Verteilung winziger Zellulosefäden luftiger machte, kombiniert mit der Integration mikroskopischer Luftblasen in den Fasern selbst sowie den Zwischenräumen. Dann holte er alle notwendigen Lizenzen ein, auch zur Feuersicherheit. Reidar hatte sich nicht nur verpflichtet, ein wirksames Produkt zu entwickeln, sondern auch einen Produktionsprozess, für den keine Inputs von außen benötigt würden. Schließlich konnte Reidar die physikalischen Eigenschaften der Zellulose unter strengsten Umwelt- und Qualitätsauflagen ausnutzen. Nachdem er Produkt und Prozess fertiggestellt hatte, gründete er 1989 die Firma Termoträ und entwickelte sein eigenes Verkaufs- und Vertriebssystem in enger Zusammenarbeit mit einer begrenzten Zahl lokaler zertifizierter Installationsexperten.

Der erste Umsatz

Seine Investitionen in Forschung und Entwicklung konnte Reidar durch den Cashflow aus seiner Energieberatung und Ingenieurarbeit finanzieren. Er arbeitete eng mit Anders Nyquist zusammen, dem Pionier der Eco-Cycle-Architektur, der immer nach lokalen Lösungen aus vor Ort verfügbaren Materialien sucht. Termoträ wandte die bewährte Technologie im Nydala-Wohnkomplex in Umeå sowie der berühmten Laggarberg-Schule in Timrå an. Diese Gebäude bewiesen schon bald die Effizienz des Dämmstoffs in einer der qualitätsbewusstesten Regionen: Nordschweden, drei bis vier Stunden Bahnfahrt von Stockholm entfernt. Eine engmaschige Überwachung der Leistung des Materials in einem Wohnhaus ergab, dass durchweg 15 000 Kilowattstunden Energie eingespart werden können. Hinzu kommt, dass der Einbau keine Schaumsperren oder Plastikfolien erfordert, die somit eingespart werden können. Das in den eigenen vier Wänden entwickelte Produkt hat die Öffentlichkeit so beeindruckt, dass sogar der Königspalast in Stockholm inzwischen durch dieses lokale Naturprodukt gedämmt ist.

Der Markt weitete sich aus, und inzwischen sind bereits 6500 Wohnhäuser durch diesen hochwirksamen Stoff gedämmt, der ursprünglich verbrannt oder auf Deponien verbracht wurde und inzwischen in einem integrierten Produktions- und Vertriebssystem verarbeitet wird. Es ist ein wettbewerbsfähiges Produkt in Leistung und Preis, das aus einem Abfall entsteht, physikalisch umgewandelt wird, vollständig aufarbeit- und recycelbar ist und Arbeitsplätze sowie Sozialkapital schafft, und das in einem teuren Land, in dem billigere Alternativen aus Übersee importiert werden. Außerdem schimmelt es nicht, verbessert so die Raumluft und ist gesünder für die Bewohner. All dies steht im Einklang mit den Merkmalen der Blue Economy.

Die Chance

In der zunehmend eingesetzten Fertigbauweise kann der Zelluloseflaum von Termoträ auch in Bauteile eingespritzt werden und so den Zusammenbau effizienter gestalten. Ältere Häuser können schnell nachgerüstet werden, indem eine Isolierungsschicht an geeigneten Stellen in die Wände oder den Deckenzwischenraum eingesprüht wird. Hier kommt ein Staubsaugern ähnlicher Apparat mit einem 60 Meter langen Schlauch zum Einsatz, der praktisch jeden Teil des Hauses erreicht. Reidar und sein Team treiben keine Werbung und vertrauen lieber der Mundpropaganda.

Die herausragenden Resultate führten zur Einführung der Technologie in Deutschland; das erste Projekt steht in Borkwalde bei Berlin, und schon bald gab es mehrere Initiativen in Norwegen. Jede Gemeinde in der Nähe einer Papiermühle könnte ein Produktions- und Vertriebsgeschäft nach Art des Durchbruchs von Reidar aufbauen. Seine Bereitschaft zum Wissenstransfer nach Bhutan und in andere faserreiche, aber dämmstoffarme Länder hat er bereits bezeugt. Es werden nur noch die Gründer benötigt, die diese Geschäftschance umsetzen.

Bilder: Stock.XCHNG
https://www.flickr.com/photos/afresh1/4429674270

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