80 Frachttransport per Luftschiff

Dieser Artikel stellt Luftschiffe vor als eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Luftfracht lag 2011 bei einem Wert von schätzungsweise 57 Milliarden US-Dollar. Flugzeuge transportieren alle möglichen Waren, von Schnittblumen bis hin zu Formel-1-Autos für die nächsten Rennen. Gemessen in Erträgen pro Tonnen-Kilometer (revenue per ton kilometer, RTK) liegt das Luftfrachtgeschäft bei 167 Milliarden Dollar. Dem gegenüber stehen 60 Billionen Dollar in der Frachtschifffahrt. Der Handelswert des Frachtguts erreicht 2,7 Billionen Euro. In den letzten zehn Jahren hatte das Militär einen wachsenden Bedarf, schnell größere Güter in höherer Menge in Regionen mit schlechter oder überhaupt keiner Infrastruktur zu befördern: Hilfsgüter, Panzer sowie Nahrungsmittel und Treibstoff. Dies ist zwar nicht Teil des Umsatzes, doch Insidern zufolge könnte dies leicht bis zu 20 Milliarden pro Jahr kosten, wenn nicht noch mehr bei langfristigen Einsätzen in Afghanistan und Irak. Planmäßige Dienstleister stellen pro Woche 4,5 Millionen Tonnen Frachtkapazität bereit, die in 220 Ländern an 3400 Flughäfen verfügbar sind, während Charter- und Expressfirmen noch weitere Kapazitäten bieten.

Der weltweite Luftfrachtverkehr wird sich erwartungsgemäß über die nächsten 20 Jahre verdreifachen, wenn man als Ausgangsjahr 2009 festlegt, das schlechteste der letzten 10 Jahre. Dies bedeutet ein jährliches Wachstum von 5,9%. Innerhalb Asiens wächst der Markt um 7,9% und allein im chinesischen Inlandverkehr um 9,2%. Die Anzahl Flugzeuge in der Frachtflotte wird in der selben Zeit um zwei Drittel steigen, von 1755 Flugzeugen im Jahr 2009 bis zu 2967 für 2029. Die Erträge im Frachtverkehr machen im Durchschnitt 15% der Einnahmen der Fluggesellschaften aus, nur in wenigen Ausnahmefällen erreichen sie 50%.

Eine Tonne Schiffsfracht kostet einen gewerbsmäßigen Transportunternehmer zwischen 6 und 10 Cent pro Meile und Tonne (Tonnenmeile). Ein Schiff braucht zwei bis drei Wochen, um von China bis an die Westküste der USA zu gelangen. Ein 747er-Frachtflugzeug kann die Güter zwar in weniger als einem Tag um die ganze Welt fliegen, doch dies kostet 50-60 Cent pro Tonnenmeile, also etwa zehnmal mehr als per Schiff. In der Luftfracht sind die internationalen Expresslieferungen von 4,1% des gesamten internationalen Frachtverkehrs auf 12,8% gestiegen, dabei wog jedes einzelne Ladegut im Schnitt 5 kg. Expresslieferer bieten Dienstleistungen von Tür zu Tür und vereinen so die Kette von Fluggesellschaft, Spedition und Auslieferer der traditionellen Logik von Kerngeschäft und Kernkompetenzen. Da jeder einzelne Akteur nur seinen eigenen Betrieb maximiert, arbeitet niemand an der Optimierung des gesamten Systems. Durch integrierten Service können kleine Pakete gebündelt und ausgeliefert werden. Inzwischen ist FedEx der weltgrößte Luftfrachtbetrieb mit 692 Flugzeugen, gefolgt von UPS, Korean Air und Emirates. Der größte europäische Beförderer, die Lufthansa, steht weltweit auf Rang 12. Das deutsche Flaggschiff wird u.a. von fünf chinesischen Airlines übertroffen.

Die Innovation

Für den Schiffsverkehr wurde das Kernproblem des Treibstoffs bereits angesprochen (Beispiel 72). Zwar ist Flugzeugbenzin sehr sauber im Vergleich zu Schiffsdiesel, doch es wird auch mehr pro Meile verbraucht. Das naheliegendste Ziel ist die Reduktion des Treibstoffverbrauchs durch Einsatz effizienterer Flugzeuge. Im Jahr 2010 haben die Fluggesellschaften zusammen 139 Milliarden Dollar für Treibstoff ausgegeben, das sind 14 Milliarden mehr als noch 2009. Dann kann zwar die Leistung derer sich steigern, die das Kapital investieren können, doch die anderen Flugzeuge werden nicht ausgemustert, sondern mitsamt ihrem ineffizienten Treibstoffverbrauch an weniger wettbewerbsfähige Konkurrenten weitergegeben. FedEx sieht vor, dass bis 2030 ein Anteil von 30 Prozent Biosprit in den eigenen Flugzeugen eingesetzt wird. Momentan betreibt das Verteilzentrum des Flughafens Köln-Bonn Solarpaneele auf dem Dach, die pro Jahr 800 Megawattstunden pro Jahr generieren. Das Hauptproblem bleibt, dass der weltweite Frachtverkehr, ob per Flugzeug oder per Schiff, über die nächsten Jahrzehnte weiterhin riesige Infrastrukturen benötigt, die von Mörtel und fossilen Treibstoffen abhängen.

Alex Hall wuchs im Vereinigten Königreich auf; ihr Traum war es, Astronautin zu werden. Leider machten ihr die Gene einen Strich durch die Rechnung, denn sie war nicht einmal groß genug für einen gewerblichen Pilotenschein. Sie wohnte in der Nähe der Cardington-Luftschiffhangars in Bedford. Diese riesigen Hallen spornten ihr Interesse für übergroße Flugzeuge und die Geschichte der Luftschiffe an, vor allem für die Weltumrundungen des Zeppelin. Sie schloss ihr Studium der Astrophysik an der Universität Leicester ab und begann ihre berufliche Karriere in Besucherzentren mit Raumfahrtbezug – zunächst am British National Space Centre in Leicester und später als Direktorin des Chabot Space and Science Center in Oakland (Kalifornien). Nachdem ihr Verlobter Brian im Juli 2006 den neuen Zeppelin der deutschen Firma ZLT (Zeppelin Luftschifftechnik) geflogen hatte, begann er, gemeinsam mit ihr eine neue Strategie auszuarbeiten und einen Businessplan aufzustellen, mit dem der Zeppelin zum ersten Mal seit 1937 wieder in die USA gebracht werden sollte. Im Februar 2007 wurde über ihre neu gegründete Firma Airship Ventures ein Kaufvertrag mit dem deutschen Hersteller geschlossen.

Der erste Geschäftsauftrag war, eine Basis für den Zeppelin einzurichten. Glücklicherweise standen drei der ursprünglich 13 US-amerikanischen Luftschiffhangars in Kalifornien. Esther Dyson, zuvor Technologie-Analystin an der Wall Street, zeichnete als Leitinvestorin und bis März 2008 konnte sich die Firma voll finanzieren. Die größte Herausforderung war, die Gesetze für Luftschiffe in Amerika neu aufzusetzen, da diese nur Blimps für Werbezwecke berücksichtigten, jedoch keine Starrluftschiffe für den Passagier- oder Frachtverkehr. Die ersten Passagiere konnten im Herbst 2008 an Bord gehen; eine erstaunlich schnelle Entwicklung der Initiative, die viele, wenn nicht für völlig unmöglich, dann doch für langsam und komplex gehalten hatten. Alex und ihr Team hatten den Zweiflern das Gegenteil bewiesen.

Der erste Umsatz

Der erste Cashflow konnte durch Rundflüge über die San Francisco Bay, Silicon Valley, San Diego und Los Angeles erzielt werden. Das Luftschiff wird auch für wissenschaftliche Zwecke an die NASA und das Woods Hole Institute vermietet sowie an verschiedene Fernsehsender, die es zur Aufzeichnung der Golden Globes, PGA Golf und den Rose Bowl nutzen. Durch die Erträge konnte die Planung vorangebracht werden und Airship Ventures beabsichtigt, mit weiteren Luftschiffen an der Ostküste zu expandieren.

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Ein zweiter Einnahmestrom soll sich aus Flugschulen und Ausbildungen entwickeln, eine Kombination aus fundierter Luftschifffahrtsausbildung sowie Forschung und Entwicklung rund um Luftschiffe. So ist Alex zwar keine Astronautin geworden, doch ihr visionäres, kreatives und unternehmerisches Talent zur Umsetzung einer Idee führte dazu, dass sie im Juli 2011 zur Leitenden Direktorin des Google Lunar X-Preises aufstieg. So bleibt ihr die Hoffnung, eines Tages doch noch zum Mond zu fliegen.

Die Chance

Nachdem Alex und Brian den Erfolg ihres Geschäftsmodells mit Luftschiffen bewiesen hatten, zogen weitere Initiativen nach. Im Jahr 2009 startete der Risikofinancier Kirk Purdy die Aviation Capital in Calgary, Alberta (Kanada). Er unterzeichnete einen Vertrag mit Lockheed Martin zur Kommerzialisierung von Frachtluftschiffen, die in Palmdale, Kalifornien gebaut werden. Bis 2013 könnte Aviation Capital bereits 100 Tonnen Fracht pro Flug in den weit abgelegenen Norden Kanadas liefern, mit einem Luftschiff von der Größe eines Fußballplatzes, das kaum Infrastruktur für den Landeplatz benötigt. Dr. Bob Boyd, Leiter des Hybridprogramms bei Lockheed Martin, ist zuversichtlich, dass bis 2016 ein Luftschiff von der Länge dreier Fußballfelder bis zu 450 Tonnen Frachtgut pro Flug transportieren kann. Während Lockheed Martin die Rechte an sämtlichen militärischen Nutzungen hat, die ein breiteres Feld darstellen als die zivile Nutzung, behält sich Aviation Capital das Exklusivrecht auf dem Frachtmarkt vor. Momentan kann die Luftschifftechnologie Frachten zu einem Preis von 25 Cent pro Tonnenmeile liefern, also zum selben Preis wie die Luftfracht per Flugzeug, jedoch das Doppelte oder Dreifache der Schiffsfracht.

Wenn wir jedoch die Gesamtkosten berechnen, vor allem die Infrastruktur, bemerken wir schnell, dass Luftschiffe die günstigsten, vielseitigsten und treibstoffeffizientesten Transportsysteme der Gegenwart sind. Ein Luftschiff benötigt weder Rollfeld, Start- und Landebahn noch tiefe Docks. Ohne diese invasiven, umweltverschmutzenden und oft lärmintensiven Konzentrationspunkte der Transport-Infrastruktur wird das Luftschiff zu einem höchst wettbewerbsfähigen Transportmedium. Da Luftschiffe wie ein Hubschrauber starten und landen, benötigen sie nur einen Ankerwagen oder –punkt und einen Liegeplatz in der Größe des jeweiligen Luftschiffs. Frühere Erfahrungen mit Luftschiffen von Paolo Lugari (siehe Beispiel 15) in Las Gaviotas (Kolumbien) mit lenkbaren Luftschiffen zur Brandbekämpfung sowie das Luftschiff von De Beers in der Minenerkundung in Botswana haben die Vielfalt von Einsatzmöglichkeiten über den Frachtverkehr hinaus gezeigt. Eine neuartige Transportform für Passagiere und Fracht, die wenig Infrastruktur benötigt, Treibstoff spart, wettbewerbsfähig ist und dabei die Marktregeln grundlegend ändert, steht ganz im Sinne der Blue Economy.

Bilder: Stock.XCHNG

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