81 Franchising mit öffentlichen Toiletten

Dieser Artikel stellt ein Franchisingsystem für öffentliche Toiletten vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Sanitärkeramik wie Toilettenbecken, Bidets und ähnliche Badinstallationen wurde für 2010 auf 45 Milliarden US-Dollar geschätzt. Immer noch haben 2,8 Milliarden Menschen auf der Welt keinen Zugang zu Toiletten. Um ihnen die nötige Hygiene bieten zu können, müssen noch weitere 500 Millionen Toiletten gebaut werden. Der chinesische Bauboom hat den weltgrößten Markt für Toiletten geschaffen, mit einem Verkauf von 20 Millionen Einheiten im Jahr 2010. Dies zusammen mit dem kulturellen Wandel vom Waschen hin zum Wischen hat den Markt für Sanitärkeramik für das kommende Jahrzehnt weiter befeuert. Spanien ist der weltgrößte Hersteller. Japan besitzt die am weitesten entwickelte Technologie auf diesem Gebiet und erreicht damit vergleichbare Verkaufserlöse mit nur knapp der Hälfte verkaufter Einheiten.

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Nach dem Krieg besaß Japan noch keine Tradition in Sanitärkeramik. Unter der Besatzung der Amerikaner änderten sich die Systeme, und um der neuen Nachfrage nachzukommen, beschloss das Land, seine größte Fliesenfabrik zur Herstellung von Sanitäranlagen umzufunktionieren, die bei gleichen Rohstoffkosten mehr Gewinn generierten. Ein vergleichbarer Wandel vollzieht sich nun in China und Indien, zweien der drei mengenmäßig weltgrößten Fliesenhersteller. Den größten Umsatz in der Keramikfliesenproduktion schafft Italien. Die Vereinigten Arabischen Emirate stellen zwar noch mehr Quadratmeter Fliesen her, spielen jedoch im Segment der Sanitärartikel eine geringere Rolle. Dort dominieren Spanien und die USA.

Die Europäische Industrie für Sanitärkeramik hat beschäftigt direkt etwa 22 000 Angestellte und setzt jährlich rund 5,9 Milliarden Dollar um. Der größte Hersteller ist der spanische Familienkonzern Roca mit Sitz in Barcelona. Roca hat 2010 mit 21 000 Mitarbeitern etwa 32,5 Millionen Toiletten in 72 Fabriken auf vier Kontinenten hergestellt. Roca konzentriert sich allein auf Badezimmer und verkaufte 2006 alle Aktivitäten, die nicht zum Kerngeschäft gehörten, wie Wassererhitzer und Klimaanlagen. Im Welt-Ranking wird Roca von einem weiteren Familienkonzern gefolgt, Kohler aus Wisconsin (USA) mit 30 000 Mitarbeitern, die etwa 21 Millionen Stück herstellen. Japan hat zwei Marktführer auf dem High-End-Markt: Toto aus Kita-Kyushu als größten Hersteller von Keramikartikeln (Fliesen und Sanitär) mit einem Jahresumsatz von über 5 Milliarden Dollar, dicht gefolgt von INAX in der Nähe von Nagoya. Letztere Gruppe kontrolliert etwa 30 Prozent des japanischen Markts.

Die Innovation

Zur Reduktion des Wasserverbrauchs hat sich die Bauweise von Toiletten deutlich verändert. Das doppelte Spülsystem konnte die Abwassermenge um 67 Prozent verringern. Noch 1980 fassten die Spülkästen 13 Liter Wasser; zur Jahrtausendwende lag der Standard bei nur noch 4,8 Litern. Trotzdem bedarf der Verbrauch an Wasser und Papier weiterer deutlicher Verbesserungen, und Wissenschaftler haben gezeigt, dass die Trocken- und Trenntoilette die beste und fortschrittlichste Option ist (siehe Beispiel 19). Die Keramik wiederum macht sehr hohe Temperaturen und den Bergbau zum Erhalt der Rohstoffe erforderlich. Panasonic ließ sich durch Geschirrspüler und Waschmaschine inspirieren, um ein nicht verschmutzendes, biologisch recyceltes Glas auf den Markt zu bringen, das durch Luftblasen gereinigt wird. Im Jahr 2005 hat Toto zusammen mit Daiwa House, dem weltgrößten Wohnhausbauer, eine intelligente Toilette entwickelt, die den Blutzucker im Urin messen kann und dem Benutzer wissenschaftliche Daten liefern kann, wenn er beispielsweise an Gewicht zunimmt. Die Kombination von Wasser, Keramik, Papier und Chemikalien ist jedoch komplex und es braucht mehr als Wasser- und Energieeffizienz, um die Leistung insgesamt zu verbessern. Auf der ganzen Welt kommen die Klärsysteme an ihre Grenzen, sogar in den hochentwickelten Ländern wie Dänemark, Schweden und dem Vereinigten Königreich.

Prof. Dr.-Ing. Ralf Otterpohl, Leiter des Instituts für Abwasserwirtschaft und Gewässerschutz an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, erforscht seit Jahrzehnten Wasser- und Sanitärsysteme. Schon lange vor der entsprechenden Deklaration der Vereinten Nationen (2010) hielt er Hygiene für ein Menschenrecht. Anstatt mehr Geld in Klärsysteme zu investieren, die mehr Steuern für den Bau ohne Garantie für bessere Leistung schlucken, beschloss er zusammen mit Torben Lenau, Gastprofessor an der Technischen Universität Dänemark, eine breiter angelegte Initiative ins Leben zu rufen, die sowohl Markenrechte, Design als auch Geschäftsmodelle für Toiletten mit einbezog. Die moderne Toilettenbenutzung hat sich überall im Geist der Menschen verankert, sogar bei denjenigen, die erst seit kurzer Zeit auf Spülklosetts aus Keramik umgestiegen sind. Somit liegt der Schlüssel im Image der Toilette und der Entmystifizierung der Wirklichkeit rund um Urin und Fäkalien. Prof. Otterpohl nahm sich vor, Lösungen zu entwickeln, die sowohl in Indien als auch in der Westlichen Welt umgesetzt werden können, ohne dass man dazu Kläranlagen bräuchte. In Indien wiederum hat Dr. Bindeshwar Pathak eine Reihe von Alternativen zu Gräben und Erdlöcherlatrinen entwickelt. Dr. Pathak mobilisierte Freiwillige in Indien, um die Leute von der unmenschlichen Praxis des Reinigens von Exkrementen per Hand zu befreien, und schloss im Zuge dieses Prozesses eine neue Partnerschaft mit Regierung und Gesellschaft.

Der erste Umsatz

Die Sulabh-Toiletteninstallationen in Indien bieten Inspiration. Diese öffentlichen Systeme in den Slums werden im Einklang mit den spezifischen kulturellen, geografischen, räumlichen Bedingungen und der Ressourcenverfügbarkeit vor Ort entwickelt. Die Kompost-Spültoilette benötigt nur 1,5 Liter Wasser, ein Drittel des besten westlichen Standards. Der Inhalt wird in zwei Behältern gesammelt, von denen der eine täglich geleert wird und der andere den Inhalt über zwei Jahre hinweg zersetzt. Es gibt 12 verschiedene Typen je nach örtlichen Bedürfnissen. Eine Million Haushalte haben bereits eine solche Toilette, durch die die Abflüsse in die Rinnsteine verhindert werden und weniger Klärwerke für Schwarzwasser gebaut werden mussten, was große Sparmöglichkeiten für die Gemeinden bedeutet, die sich normalerweise langfristig verschulden müssen, um sich eine solche Großinvestition leisten zu können.

Die Investitionskosten pro Haushalt betragen wiederum lediglich 500 Rupien, umgerechnet knapp 10 US-Dollar. Die integrierte Version der kommunalen Toiletten wird an einen Biogas-Generator geschlossen, der Energie liefert und die Abfallstoffe durch kürzere Verweildauer schneller in Nährstoffe umwandelt. Da ein einzelnes System nicht genug Inhalt liefert, um genug Methangas zu produzieren, können sich kleine Gemeinschaften in Slums oder entlegenen landwirtschaftlichen Siedlungen zusammenschließen und so schnell den Wert der Kooperation erkennen.

Die Chance

Öffentliche Toiletten sind häufig verschmutzt und werden dann gemieden. Daher musste das Modell dahingehend erweitert werden, dass es sich selbst reguliert. Inzwischen werden gleich neben den Toiletten Bade- und Waschgelegenheiten für Kleidung angeboten. Die Kombination dieser drei Aktivitäten motiviert die Menschen nicht nur, den Ort sauber zu halten, sondern bietet auch die Möglichkeit, das Wasser mehrfach zu nutzen. Seit das erste System im Staat Bihar eingerichtet wurde, wurden über 7500 öffentliche Toiletten gebaut und regelmäßig gewartet. Ein Netzwerk von 50 000 Freiwilligen unterstützt den Betrieb und wirbt für weitere Verbreitung. Die größte Anlage zählt 120 Toiletten, 108 Bäder und 5000 Schließfächer für die Besucher, die meisten von ihnen Pilger, die den Tempel von Shirdi im Staat Maharashtra besuchen.

Die Toilettenkomplexe stehen auf öffentlichen Plätzen, an Busterminals, Krankenhäusern, Marktplätzen und auch in Slums. Tag und Nacht ist fachkundiges Personal zugegen und die Seife wird durch den Komplex selbst zur Verfügung gestellt, um die Qualität zu wahren und die Umwelt zu schonen. Inzwischen wird das System 700 Millionen Mal am Tag genutzt (viele Menschen kommen mehrmals täglich). Pro Jahr können bis zu 11,2 Millionen Kubikmeter Wasser gespart werden. Die Erzeugung von Biogas wurde perfektioniert und die Erträge liegen nun bei einem Kubik-Fuß Methan pro Nutzung und Tag. Alle Systeme zusammen besitzen also ein Potenzial von 2,8 Millionen Kubikmetern Biogas, eine riesige Ressource, die den Ärmsten der Armen normalerweise gar nicht zur Verfügung steht.

Auf Grundlage ihrer Erfahrung hat die Sulabh-Organisation ein Franchise-Modell entwickelt, das überall auf der Welt in den Entwicklungsländern eingeführt werden kann und durch die Weltgesundheitsorganisation und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen unterstützt wird. Diese Beispiele ermöglichen Wasser- und Sanitärexperten wie Prof. Otterpohl, solche praktischen Umsetzungen um wissenschaftliche Erkenntnisse zu ergänzen und so eine ideale Plattform für weltweit funktionsfähige Installationen für Jedermann zu schaffen. So kann ein für allemal ein Paradigmenwechsel für die Hygiene der Bevölkerung stattfinden. Die Umwandlung einer öffentlichen Dienstleistung in ein Franchise-Geschäftsmodell, das die Grundbedürfnisse bedient, durch Integration der Wissenschaft ständig verbessert wird und dabei noch die Umwelt schont, ist ein Geschäftsmodell der Blue Economy.

Bilder: Stock.XCHNG

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