84 Die Magie des Biers

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz für des Geschäftsmodell der Bierbrauerei vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Bier liegt gegenwärtig bei knapp 110 Milliarden US-Dollar an Umsätzen. Für Jahr 2011 wird ein Wachstum von 2,5 Prozent geschätzt. China und Afrika sind zur selben Zeit um fünf Prozent gewachsen, Lateinamerika immerhin noch um 3 Prozent. Das meiste Bier der Welt wird in China getrunken, gefolgt von den USA und Russland; Deutschland liegt noch hinter Brasilien an fünfter Stelle. Der Pro-Kopf-Konsum hingegen ist in der Tschechischen Republik am höchsten, gefolgt von Irland und Deutschland. Der Gesamtkonsum an Bier sank in Europa in den letzten fünf Jahren um 7 Prozent, doch die Verkäufe an alkoholfreiem Bier stiegen um 37 Prozent. Mit 5,8 Litern pro Person für das Jahr 2010 ist Spanien weltweit führend im Pro-Kopf-Konsum von alkoholfreiem Bier und hält damit einen Marktanteil von 13 Prozent.

Vier Brauereiriesen dominieren diesen Sektor und kontrollieren etwas mehr als die Hälfte der Gesamtproduktion von 1,8 Milliarden Hektolitern. Gleichzeitig generieren diese Konzerne 70 Prozent der Profite. Anheuser-Busch InBev mit Sitz in Belgien verkaufte 2010 rund 350 Millionen Hektoliter, weit mehr als SABMiller mit knapp 250 Millionen. Heineken braut über 200 Millionen und Carlsberg etwa 125 Millionen, während die chinesische Brauerei Tsingtao pro Jahr 50 Millionen Hektoliter verkauft. Der Marktanteil der zehn größten Brauereien ist von 37 Prozent im Jahr 1998 auf 62 Prozent im Jahr 2004 gestiegen und wächst weiter. Alle Bierbrauereien sind bemüht, in China Fuß zu fassen, wo InBev bereits 30 Betriebe in acht Provinzen besitzt.

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Die Globalisierung von Bier hat das lokale Handwerk von einst in ein Markengeschäft wie Seifen und Waschmittel umgewandelt, das stark von der Werbung beeinflusst wird. Diese Entwicklung wird durch die Werbeausgaben bestätigt. Procter & Gamble sowie Unilever setzen weltweit am stärksten auf Werbung. Diese Hygienemarken haben vor kurzem die Automobilindustrie vom ersten Platz vertrieben, doch die Brauereien Anheuser-Busch InBev und SABMiller folgen ihnen auf dem Fuße. Neben dem globalen Vertrieb der Top-Marken gibt es noch schätzungsweise 4000 Kleinbrauereien und Kneipen mit eigenem Braubetrieb, die in Nischenmärkten an den Marktanteilen und Gewinnen der Großkonzerne knabbern. Der Erfolg dieser Kleinbetriebe zeigt, dass sie ihr Handwerk beherrschen und bei guten Preisen eine hohe Qualität liefern.

In Belgien gibt es noch sieben Klosterbrauereien, die seit Jahrhunderten produzieren und deren bemerkenswerter Werbeerfolg sich auf die Fortführung der Tradition gründet. Trotz starker weltweiter Nachfrage und leicht verfügbarer Investitionsmittel werden diese Brauereien ihre Produktionsmenge nicht steigern, da ihre hervorstechende Qualität auf der traditionsreichen Kunst beruht. Mehrere handwerkliche Brauereien in Flandern (Nordbelgien) nutzen immer noch wild wachsende Bierhefe. Allein für die Brauereiregion Flandern wird geschätzt, dass dort über 3000 verschiedene Hefesorten für die Fermentation des Biers verfügbar sind.

Die Innovation

Die Globalisierung hat die Brauer gezwungen, sich durch Standardisierung hin zur Massenproduktion zu orientieren. Das hoch angesehene Deutschen Reinheitsgesetz schreibt für die traditionelle Brauerei vor, dass Bier allein aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser gebraut werden darf. Doch statt Gerste begannen die Brauer, Reis zu nutzen, weil er billiger war. Später beschlossen die Brauereimeister der großen Konzerne, unterstützt von hochtechnisierten Laboren, die Extraktion der Stärke an andere Betriebe abzugeben und Enzyme einzuführen, um die Stärkemodifikation und -stabilisierung zu beschleunigen. Ebenso sorgte eine veränderte Temperatur für eine kürzere Lagerzeit von einer statt mehreren Wochen oder sogar noch weniger. Dies führte zu massiven Einsparungen an Zeit und Raum und steigerte die Produktionsmenge auf ein Zehnfaches in den selben Anlagen. Die Reduktion von Zeit und Raum lässt wenig Raum für neue Chancen zur weiteren Kosteneinsparung. Vielleicht ist es nun Zeit, über neue Ertragsformen nachzudenken.

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Jim Lueders hat seinen Brauereimeistertitel an der Doemens-Brauereischule in München erlangt. Nach seinem Abschluss im Jahr 1990 hat er über 200 Brauereien und Produktionsanlagen in 15 Ländern inspiziert. Er glaubt, dass die Brauereiindustrie ein Handwerk ist, bei dem Qualität an höchster Stelle steht, und beherrscht jeden Schritt des Prozesses, um ein hervorragendes Bier herzustellen. Er wurde zum Experten bei der Ausarbeitung des Geschäftsplans, Dimensionierung der Anlagen, Auswahl und Installation der Geräte, Ausbildung neuer Arbeiter, Entscheidungen über die Produktmischung und die Feinjustierung des Betriebs. Immer wurde er zu Kosteneinsparungen gedrängt und ist so gut er konnte diesen Auflagen nachgekommen. Doch als er von einem Konzept erfuhr, wie aus den verfügbaren Ressourcen mehr Erträge für die Brauerei entstehen könnten, entwickelte sich ein neues Geschäftsmodell. Er lernte die Pionierarbeiten von Prof. George Chan in der Tunweni-Brauerei in Tsumeb (Namibia) von 1996 kennen, bei denen ein integriertes Anbaukonzept auf der Basis der fünf Königreiche der Natur in Zusammenarbeit mit der Ohlthaver- und List-Gruppe getestet wurde. Dann nahm er sich Zeit, ein neues Betriebsmodell zu entwickeln, das mehr Gewinne hervorbringt und so das Investitionsrisiko senkt.

Der erste Umsatz

Jim besitzt Erfahrung im Entwurf, Aufbau und Betrieb einer Kleinbrauerei mit nur 120 000 Dollar Kosten. Wenn diese mit einem Restaurant kombiniert wird, kann die Bündelung von Geschäftsaktivitäten den Lebensmittelverkauf um 25 Prozent steigern. Die Gewinnschwelle liegt zwischen 3000 und 6000 Fässern pro Jahr. Wenn das Bier direkt an den Verbraucher geliefert wird, liegt diese Schwelle sogar bei der Hälfte dieser Menge. Die höchsten Kosten entstehen bei der Abfüllung in Flaschen; hier liegen die Kosten für die Anlage bei mindestens 60 000 Dollar. Jim empfiehlt häufig kleine Pfandfässer aus Aluminium oder Glas, die der Kunde zum Wiederauffüllen zurückbringt. So können Investitionskosten eingespart und gleichzeitig die Kosten pro Maß für den Kunden gesenkt werden. Mit über 20 Projekten der traditionellen Art, die in den USA, Mexiko, Westindien und Japan umgesetzt wurden, und den hieraus gewonnenen Erfahrungen hat Jim in Stevensville, Montana (USA) Land erworben und gebrauchte Anlagen eingekauft, von einer hundert Jahre alten Holzscheune bis hin zu Kupferkesseln aus einem bankrott gegangenen Betrieb.

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Beginnend mit dem verbrauchten Trester fing er an, aus jedem seiner Abfallströme Nutzen zu ziehen. Der Trester ist reich an Ballaststoffen und Protein und stellt 92 Prozent des Trockengewichts der Braugerste; dies bedeutet, dass bisher nur acht Prozent in die Wertschöpfung eingegangen sind. Diese Überreste sind stärkefrei und werden zu einem Teil mit Brotteig vermischt, so wie es über Jahrhunderte in Deutschland üblich war. Der andere Teil dient als Substrat zur Pilzzucht. Nach der Pilzernte ist das verbrauchte Substrat mit Aminosäuren angereichert. So kann das ursprünglich minderwertige Viehfutter, das zur Selbstabholung kostenfrei an Bauern abgegeben wurde, nun als hochwertige Nahrung für Hühner und Schweine genutzt werden, die Jim ebenfalls zu züchten beabsichtigt. Der Schweinedung wird zusammen mit dem Abwasser aus der Reinigung der Fässer, Bottiche und Ställe in einen Biogas-Generator eingeleitet. Dort wiederum entsteht ein Schlamm zur Algenzucht in flachen Becken. Dieser Prozess trägt zum Wachstum von Benthos, Phyto- und Zooplankton bei – es entsteht ein ideales Fischfutter. In Brauereien werden normalerweise fünf Liter Wasser pro Liter Bier verbraucht; in diesem Wasser gedeihen Fische hervorragend. So bildet sich ein Prozess aus der Wiedernutzung von Baumaterial und Gerät für die Gebäude und Betriebseinheiten, innerhalb derer alles Material, das in die Anlagen eingebracht wird, zur Produktion von mehr Nahrung, Wasser, Energie und Arbeitsplätzen verwertet wird – ganz nach den Grundprinzipien der Blue Economy. Im Januar 2012 hat Jim seine erste Charge selbst gebrautes Bier auf den Markt gebracht. Nun, behauptet er, geht es erst richtig los.

Die Chance

Das Geschäft der Bierbrauerei nach den beschriebenen Prinzipien, wie sie von Jim umgesetzt werden, besitzt große Ähnlichkeit mit dem Projekt der Pilzzucht auf Kaffee aus einem früheren Geschäftsbeispiel (Siehe Beispiel 3). Jim hat den Vorteil, dass er imstande ist, die Anlagen komplett und betriebsbereit zu liefern, auf diese Weise die Investmentkosten sowie die Risiken zu senken und gleichzeitig die Gewinne zu verbessern. Dies ist vor allem sinnvoll in Regionen mit starkem Wachstum wie China und Afrika mit hoher Nachfrage nach Bier, doch auch Wasserknappheit und hohem Bedarf an Ernährungssicherung. Wenn Jims Programm zum Standard wird, kann das Brauereigewerbe die lokale wirtschaftliche Entwicklung beschleunigen. Das bhutanesische, alkoholfreie Pawo-Bier aus Buchweizen, das durch Unterstützung japanischer Investoren entwickelt wurde, zeigt zusätzlich, dass Bier nicht zwingend mit Alkohol in Verbindung stehen muss – so entstehen weitere Geschäftsfelder für Unternehmensgründer. Jim hat angeboten, diese Initiative zu unterstützen, damit sie den weltweit höchsten technischen Standards und geschmacklichen Ansprüchen gerecht wird.

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Trotz aller Innovation produziert die magische Bierbrauerei immer noch traditionelles oder alkoholfreies Bier, Brot und Pilze. Doch da der Ertrag an Pilzen leicht ein hohes Volumen durch die großen Mengen an Abfällen erreicht, kann noch vor Ort die Produktion veganer Würstchen integriert werden. Bier, Brot und Würstchen – das klingt doch schon nach einem echten bayerischen Fest, bei dem mit gesunden, leckeren Produkten Gewinne generiert und Arbeitsplätze geschaffen werden. Das dies möglich ist, erscheint vielen Nichteingeweihten wie Zauberei. Die Kraft der Unternehmer liegt darin, etwas Wirklichkeit werden zu lassen, was andere für unmöglich halten.

Bilder: Stock.XCHNG

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