85 Segel-Fischerboot

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz für den Bau von Fischerbooten vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) zufolge wurden im Jahr 2010 93.3 Millionen Tonnen Fisch mit einem Wert von 150 Milliarden Dollar in der kommerziellen Wildfischerei gefangen; hinzu kommen 48,1 Millionen Tonnen Zuchtfische im Wert von ca. 110 Milliarden Dollar. Es gibt weltweit 4 Millionen gewerbliche Fischereifahrzeuge, davon 1,3 Millionen mit einem Deck und einem abgeschlossenen Lagerbereich. Die anderen sind kleine Fischerboote. Fast 40 000 Fischtrawler sind größer als 100 Tonnen und stellen die Flotte für die schwimmenden Fischfabriken auf der Welt. China ist der weltgrößte Fischkonsument und besitzt auch die weltgrößte Fischindustrie mit einem Drittel des weltweiten Fangs. An zweiter Stelle folgt Peru, das jedoch fast sämtlichen Fangfisch exportiert. Indonesien hat mit 700 000 Fischerbooten die größte Flotte, doch hiervon sind 25 Prozent Kanus. Japan, die USA, Chile, Indonesien, Russland, Indien, Thailand, Norwegen und Island stellen zusammen mit China und Peru mehr als die Hälfte des gesamten Fangs.

Das weltgrößte Fabrikschiff verarbeitet 350 Tonnen Fisch pro Tag und besitzt Kapazitäten zur Lagerung von 7000 Tonnen filetierten Fangs. Da die Trawler keinen Unterschied zwischen Fischen machen, werden alle unerwünschten Fische zunehmend gleich in Fischmehl und Tierfutter verarbeitet. Leider werfen viele Fabrikschiffe den unerwünschten Fisch auch über Bord. Den Vereinten Nationen zufolge sind 70 Prozent aller Fischgründe entweder voll ausgelastet, überfischt oder schon regelrecht leergefischt. Da die kommerzielle Fischerei bald am Ende ihrer Möglichkeiten ist, scheint die einzige Hoffnung in der Ausweitung der Fischzucht zu liegen. Doch um eine Million Tonnen Lachs zu produzieren, muss man drei Millionen Tonnen Wildfisch fangen und verarbeiten. In Beispiel 47 wurde bereits eine alternative Fischzuchtmethode beschrieben.

Nippon Suisan Kaisha Ltd., auch bekannt als Nissui, ist der weltgrößte Fischereikonzern. Die japanische Firma besitzt etwa 20 Prozent der Fangquoten und –rechte für Weißfisch auf der Welt. Ebenso betreibt sie über 150 Fischfabriken mit einem Jahresumsatz von über 5 Milliarden Dollar. Der Tokyo Metropolitan Central Wholesale Market (Tsukiji Market) ist der größte Großhändler für Fisch und Meeresfrüchte. Dort werden über 400 Arten Meeresfrüchte gehandelt, von Seetang über Kaviar, Sardinen, Thunfisch bis hin zum kontrovers diskutierten Walfleisch. Insgesamt werden auf diesem Markt über 700 000 Tonnen Meeresfrüchte mit einem Gesamtwert von 5,5 Milliarden Dollar gehandelt, und er bietet Beschäftigung für 65 000 Arbeitnehmer.

Die Innovation

Der Trend zur nachhaltigen Fischerei hat die Industrie gezwungen, sich auf die schwindenden Fischmengen einzustellen. Zunehmend arbeiten die Fischfirmen an der Verbesserung ihrer Fangsysteme durch innovative Netze, Radar oder sogar Ultraschall, um nicht unbeabsichtigt Delfine zu töten, Haie zu massakrieren oder die Thunfischbestände zu erschöpfen. Mehrere Marktführer wechseln von minderwertigem Fisch hin zum Vertrieb spezieller hochwertiger Nahrungsmittel für mehr Gesundheit mit einem Anteil an aus Fisch gewonnenen ungesättigten Omega-3-Fettsäuren sowie der Verfeinerung von Substanzen aus Fischen als Medikamentenzusätze, die die Blutfettwerte senken und so der Arteriosklerose vorbeugen. Doch die größte Herausforderung bleibt, wie beschrieben, dass die Schifffahrt und Fischereiindustrie weiterhin Schweröl als Hauptenergiequelle nutzen und damit die Fischbestände der Flüsse und Ozeane noch weiter belasten. Der ökologische Fußabdruck der Fischerei steht in keinem Verhältnis zu ihrem wirtschaftlichen Beitrag.

Eric Le Quéré verbrachte seine ersten Berufsjahre mit der Entwicklung und dem Betrieb von Fischerbooten vor der Atlantikküste. Er liebt das Meer und bemerkte über die Jahre die höhere Nachfrage und Notwendigkeit, dieses Geschäftsmodell nachhaltiger zu gestalten. Im Bewusstsein, dass diese Industrie seit dem letzten halben Jahrhundert keine Neuerungen gesehen hatte und angesichts der durch die EU beschlossenen strengen Quoten gründete er 2003 seine eigene Firma für Schiffbau und -wartung in Marokko. Schnell bemerkte er, dass die Art, wie Fabrikschiffe gebaut und betrieben werden, überdacht werden musste. Seine Verhandlung mit den marokkanischen Behörden vor Ort motivierten ihn, im Jahr 2009 eine größere Initiative zu starten und ein Fischereikonzept zu entwickeln, das bessere Einkünfte generiert und dabei vollständig nachhaltig operiert, vom Treibstoff bis hin zur Verarbeitung. Seine Erkenntnisse beschloss er zunächst für kleine Fische wie Anchovis, Sardinen und Makrelen umzusetzen. Sein Ziel war einfach: Null Emissionen und Null fossile Brennstoffe. Er entschied sich für einen Fischkatamaran, der seine eigene Energie durch Sonne und Wind generiert, zwei Ressourcen, die auf dem Meer reichlich vorhanden sind.

Sein Katamaran hat vier feste Segel, die um 360° drehbar und mit Solarpaneelen ausgestattet sind. Das Boot besitzt zwei Unterwasser-Generatoren, die zusätzlich Energie aus Strömungen ziehen. Das neuartige Konzept wurde 2010 international patentiert als multimodales Hybridschiff, dass bis zu 13 Knoten schnell mit 50 Tonnen Fisch an Bord segeln kann. Die Bootshaut besteht aus 100% recyceltem Aluminium. Die Netze fangen nur Sardinen und lassen alle anderen Fische im Meer frei. Da es in Marokko nicht das Know-How gab, um solche Boote zu bauen, wurde beschlossen, das Forschungs- und Produktionszentrum in Caen im Norden Frankreichs anzusiedeln. Roger Vandomme und Bruno Racouchot wurden Erics Partner bei der Gründung von Marethix Industries SAS.

Der erste Umsatz

Die marokkanische Regierung hat sechs Schiffe bestellt. Beim Bau der Boote greift man auf die Erfahrung in der Region der Normandie und Bretagne zurück und stützt sich so auf die Zusammenarbeit von sechs Firmen, die vor Ort operieren. Die Finanzierung der Boote basiert auf den Fangrechten über 60 000 Tonnen Fisch, die nach einer öffentlichen Ausschreibung zugeteilt wurden. Der Katamaran verursacht wenig Betriebskosten und schafft Arbeit durch die Verarbeitung des gesamten Fangs an Bord, der somit gleich zu Verbrauchsgütern mit Mehrwert wird, einschließlich der Omega-3-Fettsäuren. Die gesamte Initiative erfordert die Einstellung von 45 Personen pro Boot. Das Geschäftsmodell übertrifft alle anderen Boote dank seiner Fähigkeit, die ganze Wertschöpfungskette vom Bootsbau über die Verarbeitungsanlage auf See, die Fangtechniken, Logistik bis hin zur Lieferung zu verbessern. Innerhalb dieser Kette ist der Fischfang jederzeit nachverfolgbar.

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Der Fang wird an Bord in standardisierten Kühlbehältern aufbewahrt und so standardisierte, multimodale Transportsysteme genutzt. Antrieb, Betrieb und Kühlung sind auf See wie an Land zu 100% aus erneuerbaren Energien gespeist. Dieser systemische Ansatz, der mehrere Technologien zu einem hocheffizienten Cluster bündelt, entspricht einem der Kernprinzipien der Blue Economy.

Die Chance

Dieser integrierte Ansatz erhöht den Mehrwert des normalen Fischfangs um das 2,5-fache. Das Schiff, das 10 000 Tonnen Sardinen fangen kann, spart pro Jahr 250 000 Liter Schweröl als Treibstoff. Jede Tonne verbrannten Schweröls verursacht 3,1 Tonnen Kohlendioxid. Dies bedeutet, dass, alle weiteren Komponenten eingeschlossen, jedes Schiff pro Jahr 1000 Tonnen an CO2-Gutscheinen produziert, die soviel wert sind wie das Gehalt eines Mannschaftsmitglieds in Marokko. Zusätzlich spart jedes Boot 50 000 Kubikmeter Süßwasser pro Jahr ein, und das in einem Land, das unter Trinkwassermangel leidet. Kosteneinsparungen bei gleichzeitiger Produktion von höherem Wert ohne Kompromisse bezüglich der Nachhaltigkeit ergeben eine gute Wettbewerbsposition, nicht nur für den Neubau von Schiffen, sondern auch als Pauschalangebot an Behörden bei der Vergabe von Fanquoten über öffentliche Ausschreibungen, bei denen Jobs entstehen.

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Das neue Geschäftsmodell von Marethix schließt die Schaffung einer neuen Industrieentwicklung in der Nähe von Agadir ein. Im Fall Marokkos wird eine Verarbeitungszentrale Fertigkost auf Fischbasis produzieren. Die schwindenden Fischreserven und der Verlust von Arbeitsplätzen durch Restriktionen der Fanquoten werden so überkompensier durch höheres Einkommen bei gleichzeitiger Belebung des Schiffsbaus in Frankreich. Dies schafft eine Plattform für lokales Wachstum sowohl in Frankreich als auch in Marokko. Da bekannt ist, dass die Fischindustrie für Kleinfische immer beliebter werden aufgrund ihrer weit höheren gesundheitlichen Vorteile und des geringeren Risikos der Ansammlung von Schwermetallen, ist dies eine Strategie, wie eine Wirtschaft verfolgt werden kann, die bessere Nahrung zu niedrigeren Preisen bei gleichzeitiger Schaffung von mehr Einkommen für alle Beteiligten bietet. Diejenigen, die mit den Geschäftsmodellen der Vergangenheit verhaftet sind, riskieren die völlige Leerfischung unserer Ozeane. So steht hier ein Geschäftsmodell, das vier Millionen Schiffsbesitzer auf der Welt inspirieren könnte. Wer sagte, dass es für die Fischerei keine Zukunft gäbe? Das Beispiel von Marethix zeigt, wie Fischereien Millionen von Arbeitsplätzen schaffen können, indem vorhandene Ressourcen klug genutzt werden. Nun liegt es an den Unternehmern, dies umzusetzen.

Bilder: Stock.XCHNG

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