89 Krabbenschalen zur Reinigung von Bergbauwasser

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz zur Wasserreinigung vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt für Bergbausanierung

Die Kapitalkosten, die weltweit zur Sanierung aufgegebener Minen erforderlich sind, werden auf über eine Billion Dollar geschätzt. Die Sanierung einer einzigen Mine in Kalifornien, die in den 1960er-Jahren aufgegeben wurde, erforderte 200 Millionen Dollar Steuergeld, allein um die Probleme der Versickerungen, Grundwasserverseuchung und Erosion einzudämmen. Zwar bilden alle öffentlich angegebenen Bergbaufirmen Rückstellungen für die Stabilisierung und Regeneration der Umwelt, doch die Menge an Geldern, die für die Beseitigung der Halden, durch Verunreinigung mit saurem Wasser und Verseuchung durch Schwermetalle nötig sind, haben sich über die letzten Jahre verzehnfacht, da dem Bergbau neue Standards auferlegt worden sind. Sollten sie die vollen Kosten nach neuesten Standards übernehmen müssen, müssten einige Bergbaufirmen starke Aktieneinbrüche in Kaufnehmen, andere würden sogar bankrott gehen.

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Im Bergbau werden kostbare Erze entweder durch Wasser und Schwerkraft gefördert, oder das Gestein wird in feine Partikel zermahlen und dann das Erz durch Chemikalien gelöst. Für große Bergbaubetriebe, Tagebau oder unterirdische Stollen werden Flüsse umgeleitet, ganze Ökosysteme vernichtet und sogar Dörfer und Gemeinden dem Erdboden gleichgemacht, um das begehrte Erz mit hocheffizienten Methoden zu erreichen. Im Minenbetrieb fällt saures Wasser an, ebenso Schwefelsäure durch Versetzen von Pyrit mit Sauerstoff und Wasser, in der Natur vorhandene radioaktive Stoffe sowie Zusätze wie Zyanid. Zur Vergabe neuer Bergbaulizenzen fordern die Länder zunehmend einen Plan zur Schließung, bevor die Arbeiten überhaupt beginnen können. In der Provinz Quebec (Kanada) geht man noch einen Schritt weiter und fordert eine 100-prozentige finanzielle Garantie über die errechneten Sanierungskosten.

Die Lagerung von Abfällen im Tagebau war früher gängige Praxis, doch sie stehen zunehmend in der Kritik, ebenso wie Halden in Flüssen oder untermeerische Halden; somit müssen die Bergbaufirmen ihre Ansätze neu überdenken. Die Emissionen von saurem Wasser werden häufig durch Zusatz von Kalk eingedämmt. Abgänge werden stabilisiert, indem die Verunreinigungen an sowie rund um Pflanzenwurzeln sequestriert werden. Dies ist billig und verringert die Erosion durch Wind und Wasser, der Mensch und Natur sonst ausgesetzt wären. Die Sanierung durch Pflanzen schützt Wildtiere und Vieh vor den Schadstoffen und verhindert so die Anreicherung in der Nahrungsmittelkette. Da das Erz an Wert gewinnt und die Extraktionstechniken immer weiter perfektioniert werden, werden auch die Abgänge zunehmend wiederverarbeitet, um Erze zurückzugewinnen. Diese Technik wird erfolgreich in Australien umgesetzt.

Die Innovation

Steigende Kosten sowie strenge Auflagen zwingen die Industrie zur Innovation. Die Umwandlung einer Reihe Tagebaugebiete in Wasserkraftanlagen wurde in Ghana zwar versucht, aber nicht durchgeführt. Ebenso wurde versucht, Algen und Bakterien und sogar Pilze zur Abfallverarbeitung einzusetzen. Doch keine dieser Methoden konnte sich behaupten, da die Kosten sehr hoch schienen und die Industrie unsicher und zögerlich in der Annahme von Innovationen ist, für die keine eigenen Erfahrungen vorliegen. Als belastend für jeden kreativen Ansatz erweist sich das schiere Ausmaß des Handlungsbedarfs aus der Bergbauindustrie. Leider münden Minenschließungen zunehmend in Gerichtsverfahren, in denen die Parteien, manchmal nach Jahrzehnten von Rechtsstreitigkeiten, hohe Kompensationszahlungen leisten müssen und die Rechtsbeistände am Ende den Großteil der Beträge einstreichen.

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Tyler Barnes ist noch Schüler der Northwestern High School in Kokomo, Indiana (USA). Inspiriert durch seine Lehrerin Patty Zech erfuhr er über die Probleme durch saure Grubenwässer, vor dem sein Staat durch seine lange Geschichte des Tagebaus steht. Ein Bild des orangefarbenen Wassers sieht aus wie eine Wandmalerei, doch es entstand nicht aus künstlerischer Freiheit sondern aus echter Umweltverseuchung, die die Fische tötet. Tyler lernte, dass die Minen nicht nur verschmutzten und eine wüstenähnliche Landschaft hinterließen, sondern dass das Wasser für Jahrzehnte übersäuert ist und sämtliches Leben in ihm unmöglich macht. Aktuell wird im Bergbau in Indiana Kalkstein genutzt, der ebenfalls vor Ort abgebaut wird, um den Säuregehalt zu reduzieren. Doch Kalkstein allein kann nicht das ganze Spektrum der Probleme lösen, da es das im Wasser gelöste Eisen und Kupfer nicht bindet. Die hohen Rostkonzentrationen bedrohen das Fortbestehen der Artenvielfalt dauerhaft. Bereits in seinem ersten Jahr an der High School wollte Tyler noch weiter gehen als bis zur Analyse des Problems und begann, nach Lösungen zu suchen, indem er alle möglichen Abfallstoffe in Augenschein nahm, die sowohl das Problem der Säure beheben als auch die Metalle absorbieren könnten.

Er entschied sich, seine Aufmerksamkeit auf die Suche nach positiven Antworten auf ein wohl bekanntes Problem zu konzentrieren. Er untersuchte zahlreiche Optionen mit wenig Aussicht auf Erfolg, bis er über die Eigenschaften von Chitosan erfuhr, einem reichlich vorhandenen Abfallstoff aus Krabben- und Krebsschalen. Vier Jahre lang forschte er darüber, oft über viele Stunden nach der Schule. Er reiste herum und sammelte Proben aus Grubenteichen, sogar aus Brasilien, und konnte zwar sehen, dass Chitosan funktionierte, aber nicht erklären, warum. Dann erstellte er eigene Proben aus Sickerwässern und erhielt Unterstützung durch einen Chemielehrer bei der Suche nach der Begründung, warum dies funktionierte. Schließlich entdeckte er, dass die Aminosäurengruppe der Chitosan-Moleküle Eisen und Kupfer absorbierten und dabei sowohl das Wasser reinigten als auch den pH-Wert regulierten.

Der erste Umsatz

Tyler wurde bereits an der Indiana University aufgenommen, um dort Biochemie zu studieren. Derweil überlegt er, wie er seine Entdeckung praktisch umsetzen kann. Ihm ist bewusst, dass Chitosan teurer als Kalkstein ist, doch jeder in der Industrie und der Regierung weiß auch, dass Kalkstein das Überleben der Wasserlebewesen nicht gewährleisten kann.

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Er ist überzeugt, dass es der Rechtsprechung bedarf, um Bergbauunternehmen dazu zu zwingen, sowohl den pH-Wert zu regulieren als auch die Metalle aus dem Wasser zu ziehen. Andererseits ist Chitosan ein Nebenprodukt natürlicher Wasserlebewesen, so entwarf er eine Lösung nach dem Prinzip: „aus dem Wasser für das Wasser“. Bei alldem lernte er viel über Biochemie und seine Vorträge über dieses Fachgebiet brachten ihm zahlreiche Preise auf wissenschaftlichen Kongressen ein.

Die Chance

Der Weltmarkt für Chitin-Derivate wie Chitosan hat 2010 bereits 13 700 Tonnen erreicht und für 2015 wird ein Wachstum bis auf 21 400 Tonnen erwartet, mit einem Gegenwert von 63 Milliarden US-Dollar. Dieses Abfallmaterial ist ein Biopolymer mit der besonderen Eigenschaft, Lipide, Fette und Metalle zu binden. Da die Nachfrage durch diverse innovative Einsatzmöglichkeiten steigen wird, werden auch zunehmend die Schalen von Krabben, Hummern und Krebsen gesammelt und neue Chancen für Krabbenfarmen zur Erweiterung ihrer Ertragsströme geschaffen. Die von Tyler genannte Chance ist, dass hochreines Chitosan auch für medizinische Zwecke und zur Nahrungsergänzung genutzt werden kann, während das minderwertigere Material zur Neutralisierung von Umweltgiften im Wasser eingesetzt werden kann. Diese Materialkaskade, die bereits verursachte Probleme auf positive Weise löst und dabei Arbeitsplätze schafft, ist ein gutes Beispiel für die Denkweise der Ansätze im Rahmen der Blue Economy.

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Das meiste Chitosan wird auf der Welt in der Asien-Pazifik-Region verbraucht, von dort kommt die Hälfte der weltweiten Nachfrage. Der japanische Markt verfügt über reichlich Wasser, doch nur wenig davon ist sauber, daraus ergibt sich eine erhöhte Nachfrage nach Chitosan als Flockungsmittel. Zwar muss Tylers Ansatz noch einige Hürden nehmen, doch seine klare Zielsetzung auf der Grundlage jahrelanger wissenschaftlicher Forschung, die er bereits sehr früh begonnen hatte, beweist, dass junge Menschen, denen man die Chance dazu gibt, tatsächlich die Sichtweise auf die ungelösten Probleme dieser Welt ändern können. Diese Lösungen können (!) leicht zu einer Steigerung der Nachfrage nach Chitosan führen, somit einen Abfallstrom in einen Ertragsstrom umwandeln und dabei Jobs insbesondere in Regionen schaffen, in denen dringender Beschäftigungsbedarf besteht. Daher inspiriert diese Art der wissenschaftlichen Forschung in Zusammenhang mit der Suche nach Problemlösungen, wie Tyler sie betreibt, nicht nur zur Forschung und Wissenschaft im Allgemeinen, sondern auch zum Denken über das Offensichtliche hinaus und zur Umsetzung, so wie es Unternehmer tun sollten, die die Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit bewegen wollen.

Bilder: Stock.XCHNG

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