91 Die Superformel und Super-Antennen
Dieser Artikel stellt einen neuen mathematischen Ansatz vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.
Der Weltmarkt für Basisstationen sowie feste Außen- und Innenantennen betrug im Jahr 2009 10 Milliarden US-Dollar; für 2014 werden 13,3 Milliarden Dollar geschätzt. Am schnellsten wächst der Sektor für Verteidigungszwecke, er liegt bereits bei 1,2 Milliarden mit einer jährlichen Wachstumsrate von 13 Prozent. In der drahtlosen Kommunikation sind Antennen mittlerweile unverzichtbar in Computern und Mikroelektronik für Haus-, Geschäfts- und Industrieanlagen. Die Infrastruktur für drahtlose Telekommunikation wird 2014 bei 2,2 Milliarden Dollar liegen, da jedes Telefon, jeder Computer und die meisten Eigenheime künftig mit Antennen ausgestattet sein werden, um Anschluss ans Internet und ans Mobilfunknetz zu bekommen. Die drahtlosen Sendestationen verzeichnen ein Wachstum um jährlich 17 Prozent zwischen 2010 und 2011, wobei Breitbandantennen sogar um 39 Prozent zunahmen.
Die weltweit größten Märkte sind zurzeit Indien und China. Da jedoch die europäischen Systeme für drahtlose Kommunikation weiter ausgebaut werden, könnte Westeuropa in den nächsten Jahren Zeuge des größten Wachstums werden. Der älteste Hersteller von Antennen ist die deutsche Kathrein-Gruppe mit 6300 Mitarbeitern, 21 Produktionsstätten und Verkäufen von über 1,4 Milliarden Dollar für 2010. Die Putian Antenna Company, eine Tochterfirma der Putian Corporation, ist der größte chinesische Hersteller, mit Sitz in Xian und spezialisiert auf die Produktion von Mikrowellen-, Mobilfunk- und Satellitenantennen. Kavveri mit Firmensitz in Bangalore führt den indischen Markt mit einer Herstellungskapazität von einer Million hochwertiger Antennen pro Monat an.
Die Drahtlos-Industrie untersucht, wie noch kleinere und leistungsstärkere Antennen mit weniger Funklöchern und noch höherer Übertragungsgeschwindigkeit hergestellt werden können. Die Industrie ist sich der visuellen Kontamination und der wachsenden Besorgnis in der Bevölkerung vor Strahlungsrisiken bewusst. Heute sehen Standardantennen wie Bügelbretter aus. Die neue, kleinere Version des französisch-amerikanischen Herstellers von Telekommunikationsanlagen, Alcatel-Lucent, sind würfelförmig, mit dem Vorteil, dass diese Sender und Empfänger klein genug sind, um innen aufgestellt werden zu können und so aus dem Blick sind. Die kleinere Größe macht die Antennen nicht nur unauffälliger, sondern auch leistungsstärker für die Daten- und Stimmübertragung. Alcatel-Lucent behauptet, die Leistung verbessere sich um das Zehnfache, womit die Notwendigkeit entfiele, dass alle Telefone sich in einem Umkreis von 2-3 Kilometern von einer Antenne befinden müssen.
Mit dem Aufkommen der datenhungrigen iPhone- und Smartphone-Nutzer werden die Netze durch die hohe Nachfrage stark ausgelastet. Auch die bestpositionierten Dienstleister sind nicht fähig, einen 100-prozentigen Service zu bieten, daher akzeptieren selbst die streitbarsten Nutzer Gesprächsabbrüche. Eine weitere große Herausforderung auf dem Antennenmarkt liegt in der Interferenz zwischen verschiedenen Netzen. Mit wachsender Zahl von Nutzern in dichtbesiedelten Stadtgebieten wie Flughäfen, Bahnhöfen, Konferenzzentren und Sportstadien wird es immer schwieriger, die Verbindungen für die einzelnen Anbieter sicherzustellen. Die einzige Art, wie Antennen den Empfang von Signalen garantieren können, ist es, „lauter zu rufen“ und dabei mehr Energie zu verbrauchen. Daher müssen neuartige Antennen Wege finden, das „Geschrei“ zu vermindern, was sich am Ende auch auf den Energieverbrauch und die Lebensdauer der Batterien positiv auswirkt.
Johan Gielis schloss Latein und Griechisch mit Auszeichnung an der Oberschule in Antwerpen (Belgien) ab. Dann schloss er einen Gärtnerlehrgang ab, und nach einem Treffen mit Jan Oprims konzentrierte er seine Karriere auf Bambus und seine Kultur in tropischen und gemäßigten Zonen. Während seiner Forschung experimentierte er mit der Studie von molekularen Markern und der Physiologie des Bambus und versuchte, den Metabolismus aufzuschlüsseln. Seit den frühen 1990er-Jahren interessierte sich Johan für die mathematische Beschreibung von Pflanzen, vor allem Bambus. 1994 begann er, mathematische Formeln zur Beschreibung natürlicher Formen zu nutzen. 1997 generalisierte er die „Lamé-Kurven“ durch eine neue mathematische Formel, die heute als „Superformel“ bekannt ist. Sie wurde zuerst 2003 im Amerikanischen Journal für Botanik veröffentlicht. Seitdem haben etwa 200 wissenschaftliche Artikel sich auf die Gleichung bezogen oder sie genutzt; sie ist inzwischen als „Gielis-Formel“ bekannt. Johan wurde sich bewusst, dass dieser mathematische Durchbruch eine einzige Gleichung zur Berechnung jeder beliebiger zwei- oder dreidimensionalen Form bot. Die Myriaden denkbarer geometrischer Formen, die mithilfe der traditionellen Mathematik unmöglich zu berechnen oder zu konstruieren sind, sind nun mit nur sechs Parametern erfassbar.
Die Superformel löst das Problem der begrenzten Symmetrie von Superellipsen und Superkreisen. Formen wie Pentagone und Seesterne, Dreiecke und Rosenblätter, Blumen und Laub können nun mit einer einzelnen Gleichung berechnet werden. Die Möglichkeit, Formen so zu berechen, ermöglichte einen neuen Denkansatz für die Geometrie. Kreise und Kugeln, hängende Ketten, Umlaufbahnen von Planeten, die Form von Schneeflocken, Konturen von Planeten und Galaxien, Radiowellen, Telekommunikationsnetze, die Formation von Felsen und Kristallen versuchen immer, Fläche, Volumen und/oder Energie zu optimieren. Johan und sein Team haben die Folgen dieser Entdeckung für Anwendungen zur Optimierung wie die Berechnung der kürzesten Entfernung in Netzwerken erforscht. Daraufhin wurde Genicap gegründet, eine gewerbliche Firma, die ein Lizenzierungsmodell verfolgt, sowie das Simon-Stevin-Institut für Geometrie als Forschungs- und Bildungszentrum, beide in den Niederlanden ansässig, während er selbst seine Teilzeitprofessur an der Universität Antwerpen hält.
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse begann Johan’s Team, unter der Leitung von Dr. Diego Caratelli die nächste Generation von Antennen zu entwerfen, die die höchste Energieeffizienz, die weitestmögliche Reichweite und den geringsten Materialbedarf vereinen sollte. Er und sein Team erkannten, dass die Superformel den Bau einer neuartigen Super-Antenne ermöglicht, die auf Bestellung zu sehr niedrigen Kosten (ein Cent pro Stück) hergestellt werden könnte und dabei eine ultra-hohe Bandbreite abdeckt. Diese Antennen können sogar aus recyceltem Plastik hergestellt werden, womit die Abhängigkeit von Metall und vor allem von seltenen Erden wegfällt. Die Eigenschaften drahtloser Systeme und die Interferenzen, die bisher nur durch „Rufen“ bei entsprechend steigendem Energieverbrauch überwunden werden kann, treibt die Nachfrage nach geeigneten Entwürfen für großräumigere Zugangspunkte an. Da diese neuen Antennen noch kleiner gebaut werden können, die Strahlung optimieren, mit größerer Bandbreite operieren und dabei noch leicht installiert und in Betrieb genommen werden können, war für Johan klar, dass eine seiner ersten gewerblichen Umsetzungen der Bau von Antennen sein würde, die keinerlei Ähnlichkeit mit den herkömmlichen Antennen haben.
Das Team von Genicap hat die Machbarkeit der Super-Antennen bewiesen. Dies könnte bedeuten, dass die Zahl der Sendetürme, die derzeit überall weithin sichtbar sind, stark reduziert und damit auch die Energie- und Materialeffizienz dramatisch gesteigert werden könnten. Diese 3D- Antennen ähneln in keiner Weise den heutigen Würfel-, Bügelbrett- oder Stabformen. Der Erfolg der Herstellung dieser kieselalgenförmigen Strukturen beruht auf neuen Technologien wie der direkten Fertigung und des 3D-Drucks (siehe Beispiel 50). Die Anwendung der Mathematik, Geometrie und Physik zur Steigerung der Produktivität und Material- und Energieeffizienz ist eins der Kennzeichen der Blue Economy.
Die Entdeckung der Superformel eröffnet eine breite Plattform für Innovationen für die Welt. Der am stärksten betroffene Sektor ist aller Voraussicht nach ist der Informatiksektor. Bisher gründete sich die Steigerung der Leistung von Computerchips auf Durchbrüche bezüglich Material und physischer Struktur der Prozessoren. Nun liegt der Durchbruch für mehr Rechengeschwindigkeit allein im zugrunde liegenden Algorithmus, der mit Johan’s Formel dramatisch vereinfacht werden kann. Da die visuellen Präsentationen stark in Richtung der Dreidimensionalität tendieren, kann die Übersetzung in einen binären Code mithilfe der Superformel die Bandbreite um ein Hundert- oder Tausendfaches erhöhen. Dies bedeutet, dass der einfache Wechsel des Algorithmus ungeheure Rechenkapazitäten freisetzt. Zum ersten Mal sehen wir hier, wie eine mathematische Formel in vielerlei Hinsicht eine Leistungsverbesserung ohne Verbesserung der eingesetzten Materialien ermöglicht.
Dies kann weitreichende Folgen haben. Keine der führenden Softwares, von Microsoft über Oracle oder SAP, konnten bisher die Tiefe und Breite der Auswirkungen der Superformel auf ihr bestehendes Kerngeschäft erfassen. Hier jedoch liegt die Möglichkeit, eine Plattform für Unternehmensgründungen zu schaffen, durch die mit den Jahren Dutzende neuer „Microsofts“ entstehen könnten. Die Macht von Johan’s Durchbruch liegt darin, dass er Innovationen auf allen Gebieten, von der EDV bis hin zur Telekommunikation, Verpackungsindustrie und Wasserleitungssystemen, Herstellung und Vertrieb hervorbringen könnte. Diese Art von Innovationen macht die Blue Economy zu dem, was sie ist: eine Chance, die Geschäftsmodelle dahingehend zu verändern, dass die Gesellschaft zu mehr Effizienz, Suffizienz und vielleicht sogar zum Überfluss geführt wird.
Bilder: Stock.XCHNG
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