94 Familienplanung ohne Pille oder andere Mittel
Dieser Artikel stellt Innovationen in der Empfängnisverhütung vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.
Der Weltmarkt für die Geburtenkontrolle
Der Weltmarkt für Verhütungsmittel wurde für 2010 auf 15,5 Milliarden Dollar geschätzt und für 2017 wird eine Zunahme auf 19,2 Milliarden Dollar erwartet. Der Markt erfreut sich zunehmender Beliebtheit für Pharmafirmen, die daran interessiert sind, auf dieses Segment zurückzukehren, da die Nachfrage in den letzten Jahrzehnten nicht von dem wirtschaftlichen Abschwung betroffen war. Mehr als die Hälfte aller Paare zwischen 15 und 49 in Europa, Russland, Australien, Latein- und Nordamerika nutzen Methoden der Familienplanung. In der EU liegt das Verhältnis sogar bei bis zu 70 Prozent, mit Ausnahme Spaniens. Der Weltmarkt für Kondome lag im Jahr 2010 bei 4,2 Milliarden US-Dollar. In Entwicklungsländern ist die Sterilisation mit 17 Prozent der Paar die wichtigste Methode der Geburtenkontrolle, nur 7 Prozent nehmen orale Verhütungsmittel, 5 Prozent nutzen intrauterine Methoden und nur 4 Prozent vertrauen auf Kondome. In der „Dritten Welt“ haben nur 260 Millionen Frauen Zugang zur Geburtenkontrolle. Etwa 215 Millionen würden gern verhüten, haben aber keinen Zugang. Diese Daten bestätigen das Wachstumspotenzial des Marktes, wenn die Produkte verfügbar wären.
Weltweit stellen orale Verhütungsmittel mit 78 Prozent den größten Marktanteil; er wächst um weniger als 3 Prozent pro Jahr. Mechanische Verhütungsmethoden (Spirale, Vaginalringe und Kondome) stellen einen weitaus geringeren Anteil, ihr Wachstum liegt mit 8,5 Prozent pro Jahr für die nächsten 5 Jahre jedoch viel höher. Alle drei Jahre beantragen eine Million mehr Frauen staatlich bezuschusste Verhütungsmittel und steigern somit die institutionelle Nachfrage der OECD. Der Markt wird von einigen wenigen Pharmakonzernen wie Bayer Schering Pharma (Deutschland), Pfizer und Merck (USA), Ansell Ltd. (Australien, Janssen Pharmaceuticals (Belgien) und Teva Pharmaceuticals (Israel) beherrscht. Durex ist globaler Marktführer für Kondome mit 35 Prozent Marktanteil bei Markenprodukten. Mit einer Gesamtwachstumsrate von über sechs Prozent wächst der asiatische Markt für Kondome am schnellsten.
Non-Profit-Organisationen wie DKT International (USA) engagieren sich für soziales Marketing, d.h. die Nutzung moderner Marketingtechniken zum Erreichen eines sozialen Ziels und nicht allein zur Gewinnmaximierung, und verkaufte im Jahr 2011 über 650 Millionen Kondome sowie 72 Monatspackungen orale Verhütungsmittel an 24,5 Millionen Paare. Weltweit verteilt diese innovative Art des Marketings zur Erreichung der Paare bereits jährlich 2,4 Milliarden Kondome und 162 Millionen „Pillen“ zur Empfängnisverhütung. Seit diese Produkte verkauft werden, werden sie als kosteneffektive Familienplanung bevorzugt eingesetzt und die für Mütter hochriskante Abtreibung zunehmend vermieden.
Die Produktpalette für Verhütungsmittel steht vor mehrerlei Herausforderungen. Chirurgische Interventionen sind irreversibel und daher weniger beliebt. Der Konsum synthetischer Hormone mit langer Haltbarkeit stellt zunehmend die Wasseraufbereitungsanlagen vor Probleme, denn auch mit fortschrittlichste Reversosmose ist es unmöglich, alle chemischen Komponenten aus dem Wasser zu entfernen; somit wächst die Gefahr hormoneller Störungen für den Menschen (und die Wasserlebewesen), wenn das Wasser für den menschlichen Gebrauch oder die Landwirtschaft wiedergenutzt wird. Für Kondome wird ein nicht abbaubarer Kunststoff verwendet, der Toiletten und Abwasseranlagen verstopfen kann, wenn sie unsachgemäß entsorgt werden; außerdem beeinträchtigen sie die Erektion bei etwa einem Fünftel aller Männer. Ebenso sind die Kosten ein wichtiger Faktor. Innovative mechanische Mittel wie Sino-Implant, SILCS-Diaphragma, der Langzeit-Vaginalring NES/EE, der über 12 Monate statt nur einen genutzt werden kann, reduzieren die Kostenpreise für den Käufer und macht Hilfen zu ihrer Nutzung überflüssig. Es bleiben jedoch einige Probleme offen, zum Beispiel die Entfernung derselben sowie die korrekte Entsorgung.
Jorge Reynolds war Wegbereiter in der Entwicklung des Herzschrittmachers in den 1950er-Jahren und widmet sich seit den 1990er-Jahren dem Bau eines EKG ohne Batterien (siehe Beispiel 4). Dr. Reynolds erforschte dabei gründlich eine breite Palette von Anwendungsmöglichkeiten des „batterielosen Konzepts“ und erkannte, dass die wichtigste Innovation die Entwicklung eines integrierten mobilen, interaktiven, informationsverarbeitenden Sensorsystems wäre, das es Frauen ermöglicht, ihren Fruchtbarkeitszyklus zu überwachen. Die Körpertemperatur der Frau liegt normalerweise bei 36,5 bis 36,8°C; sie schwankt geringfügig von Frau zu Frau. Während des Eisprungs bewirkt das Hormon Progesteron einen leichten Temperaturanstieg von 0,1 bis 0,2°C. Zwar klingt ein Zehntelgrad unbedeutend, doch durch tägliche und ständige Temperaturmessung über mehrere Zyklen kann ein regelmäßiges Muster festgestellt werden.
Dr. Reynolds entwickelte einen speziellen Sensor von der Größe eines Reiskorns, das mithilfe von Klettband an der Unterwäsche befestigt werden kann. Der Sensor misst Tag und Nacht genau die Temperatur und überträgt die Daten an ein registriertes Mobiltelefon in der Nähe der Person. Der Sensor funktioniert ohne Batterie und kann die Funkfrequenz des/der Handys in der Nähe in genügend Energie umwandeln, um die Körpertemperatur zu messen und die Daten über ein spezielles Programm an das Telefon zu übertragen, das durch SMS, Rufton oder Vibration ebenfalls mitteilt, wann gemäß den aufgezeichneten Daten die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis hoch ist.
Auf dem Markt gibt es bereits zahlreiche Apps zur Familienplanung für Smartphones. Jedoch ist keins von ihnen mit einem batterielosen Kommunikationssensor verbunden. Die derzeit verfügbaren Apps bieten wenig verlässliche Fruchtbarkeitstabellen durch Kompilation von Datensammlungen über die Zeit sowie individuelle Bemerkungen. Über ein Dutzend dieser Apps sind verfügbar, unter anderem Women Calendar ($9.99), iChartMe ($2.99), MeFertil ($4.99), FemiCycle ($2.99), iOvulation ($0.99) and NFP Manager (gratis). Sie alle bieten die Basisinformation auf anschauliche Weise. Wenn diese Apps die Sensor-, Antennen- und Datenübertragungsfunktionen zusammen mit genauer Verarbeitung der Informationen wie bei Dr. Reynolds verbänden, dann könnte die Temperaturmessmethode tatsächlich als Werkzeug zur Familienplanung genutzt werden. Sogar die Antennen könnten in das Innovationskonzept mit einbezogen werden, siehe Johan Gielis und die Superformel (Beispiel 91).
Seit Einführung des Mobiltelefons 1994 wurden elf Milliarden Handys verkauft. In den letzten 18 Monaten kam eine weitere Milliarde hinzu. Allein Nokia verkaufte 3,4 Milliarden Stück. Über die Jahre wurden fünf Milliarden Geräte weggeworfen, während 6 Milliarden noch in Gebrauch sind, davon eine Milliarde in China und eine weitere Milliarde in Indien. In vielen Regionen liegt die Deckungsrate für Handys bei über 100 Prozent, d.h. viele Menschen nutzen mehr als ein Telefon. Fast die Hälfte aller Telefone der Welt werden in der Asien-Pazifik-Region genutzt, ebenso liegt die Deckungsrate in Südafrika bereits bei 100 Prozent. Afrika und Asien sind an der Familienplanung besonders interessiert. Die Kosten für den Sensor sind niedrig und werden mit wachsender Stückzahl weiter sinken. Somit könnte dies zum billigsten denkbaren Mittel der Familienplanung werden. Der winzige Sensor, der bereits auf dem Markt ist, wird innerhalb weniger Monate käuflich sein. Die Prototypen, die in Bogotá (Kolumbien) produziert werden, liegen bei einem Preis von unter 10 Dollar pro Stück.
Die Ersetzung von Chemie (künstlichen Hormonen) und Mechanik (aus seltenen Erden oder Polymeren) durch Sensoren und Software, die auf den Gesetzen der Physik und Mathematik beruhen, sind ein Beispiel für Innovationen im Sinne der Blue Economy. Während der Ersatz von Batterien durch „keine Batterien“ wie im EKG oder Mobiltelefon ein großer Fortschritt wäre, wird die Einführung neuer Geräte, vor allem von batterielosen Sensoren in der Gesundheitsversorgung und Sicherheit im täglichen Leben unsere Gesellschaft nicht nur nachhaltiger gestalten, sondern auch die Qualität verbessern und sicherstellen, dass wir unsere Kosten reduzieren und gleichzeitig weniger abhängig von Materialien aus dem Bergbau werden. Bei jährlichen Kosten, die unter denen der bisher erhältlichen Mittel zur Familienplanung liegen, wäre diese Methode billig und somit erreichbar für Millionen Menschen, die zwar nicht über Medien oder Social Media, aber doch über ihr Mobiltelefon mit der Außenwelt in Verbindung stehen.
Bilder: Stock.XCHNG
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