98 Eine Zukunft für den Buchweizen im Himalaja

Dieser Artikel stellt Innovationen für die Landwirtschaft im Hochgebirge vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

Der Markt

Im Jahr 2010 erreichte der Weltmarkt für Buchweizen schätzungsweise 400 Millionen US-Dollar. Die Gesamtproduktion lag bei nur 1,5 Millionen Tonnen, d.h. nur bei der Hälfte dessen, was 2001 noch geerntet wurde. In Russland, dem Land mit der zweitgrößten Produktionsmenge nach China, haben die Wetterverhältnisse stark zu diesem Rückgang beigetragen und den Verbrauchspreis von einem auf drei Dollar steigen lassen. Die Landbesitzer wurden zunehmend für große Firmen unter Vertrag genommen, die vorhersehbare Einnahmen bieten. Die fünf weltgrößten Produzenten (China, Russland, Ukraine, Polen und die USA) erwirtschaften über 80 Prozent, davon allein China 39 Prozent. China ist nicht nur weltgrößter Lieferant, sondern führt auch den Markt für Innovationen auf diesem Gebiet mit 100 Vollzeitstellen für Forscher in 66 Instituten. Sie konzentrieren sich auf die Steigerung der Ernteerträge, die in den letzten drei Jahrzehnten um 70 Prozent anstiegen.

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Buchweizen wird in den hohen Lagen Zentralasiens seit mindestens 5000 Jahren angebaut. Dieses glutenfreie Korn wurde vor etwa tausend Jahren in Europa bekannt und gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Nordamerika eingeführt. Über Generationen hinweg sicherte er die Ernährung im Himalaja, hauptsächlich in zwei Varianten: Gemeiner Buchweizen mit einem Ernteertrag von 750 kg pro Hektar und bitterer Buchweizen mit 1600 kg Ertrag pro Hektar. Buchweizen wächst in einer Höhe von bis zu 4400 Metern und kann bereits 30 Tage nach der Aussaat geerntet werden. In Japan dauert es nur 75 Tage von der Aussaat bis zu verbrauchsfertigen Soba-Nudeln. Buchweizen wächst so schnell, dass er das meiste Unkraut überwuchert. Er kann auf mageren Böden angebaut werden, benötigt weder Pestizide noch Dünger und ist ideal für die Vorbereitung der Böden auf Bio-Landwirtschaft. Hauptsächlich wird Buchweizen für Pfannkuchen verwendet (Europa und Nordamerika) sowie für Soba-Nudeln (Japan). Im Himalaja jedoch wird er zu 70 Prozent zur Versorgung der örtlichen Bevölkerung angebaut.

Die Innovation

Buchweizen ist eine der effizientesten Quellen für pflanzliches Protein und übertrifft in dieser Hinsicht alle anderen Getreidesorten (obwohl es aufgrund seiner Pyramidenform als Frucht klassifiziert wird). Der menschliche Organismus kann 74 Prozent des Proteins aus Buchweizen verwerten, darin sind acht essentielle Aminosäuren enthalten sowie Vitamin E und fast das gesamte Spektrum aller B-Vitamine, die den Insulinbedarf des Körpers regeln. Honig aus Buchweizenblüten enthält bis zu zwanzig Mal mehr Antioxidantien als jeder andere Honig und ist daher ein erstklassiges Nebenprodukt. Die Schalen werden als Verpackungsmaterial genutzt sowie als Ausgangsmaterial für Heizkissen, Matratzen und als Füllmasse für hypoallergene Kissen, die den Nacken hervorragend stützen. Die Werbung jedoch hat das Image des Buchweizens beeinträchtigt, weswegen die lokale Bevölkerung zunehmend weißen Reis bevorzugt. Durch diesen Wandel in den Verbrauchsgewohnheiten läuft der Buchweizen Gefahr, vergessen zu werden, trotz des einfachen Anbaus, der gesundheitlichen Vorteile sowie seiner unumstrittenen Fähigkeit, den Boden zu verbessern. In Europa und Nordamerika erfreut sich diese Pflanze nur bei Diabetikern zunehmender Beliebtheit. Als integraler Bestandteil der Kultur und Tradition im Himalaja ist Buchweizen nun von der Ausrottung bedroht. Dies würde nicht nur einen Einnahmenverlust für die Bauern bedeuten, die nicht in Wettbewerb mit subventioniertem Getreide aus Massenproduktionen treten können, sondern auch die Gesellschaft grundlegend beeinflussen.

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Kinley Tshering studierte Forstwirtschaft an der Universität Montana in Missoula (USA). Als gebürtiger Bhutanese interessierte er sich für die Erhaltung der Traditionen seines Landes, vor allem seiner Wirtschaft und Ökosysteme auf Grundlage des Waldbestands, und schloss daher den Studiengang der Forstwirtschaft ab. Während er in Montana lebte, erlernte er jedoch auch die Kunst des Bierbrauens. Ursprünglich war er als oberster Förster Bhutans vom Konzept der Blue Economy begeistert. Nachdem er an den Treffen teilgenommen hatte, ergab sich für ihn die Möglichkeit, das Thema der Bierbrauerei auf Grundlage des Buchweizens erneut aufzugreifen. Als er von dem Geschäftsmodell erfuhr, das der Japaner Sy Chen als Marken- und Vertriebsexperte beschrieben hatte, erkannte er, dass Buchweizen aus Bhutan zwar nicht auf internationalen Märkten in Wettbewerb treten, aber doch die ideale Basis für die Kreation eines einzigartigen alkoholfreien Buchweizenbiers liefern könnte. Sy zufolge stellt alkoholfreies Bier das Segment mit dem höchsten wirtschaftlichen Wachstum in Japan dar. Das Geschäftsmodell sieht nicht vor, dass Bier aus Buchweizen in Bhutan produziert und dann nach Japan verschifft wird; stattdessen soll die Marke lizenziert und die Schlüsselzutaten geliefert werden. Ersten Schätzungen zufolge könnten die Erträge aus Lizenzgebühren auf den Bierverkauf mehr Einnahmen als der Export des Buchweizens generieren.

Der erste Umsatz

Sy und sein Team von Creative Intelligence Associates in Japan entwickelten die Marke PAWO, die in Japan registriert und Eigentum des Bhutanesischen Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft ist. Jim Lueders von der Wildwood Brewery in Stephensville (Montana), nur 20 Meilen von Kinleys Studienort entfernt, ist bereit, an den ersten Schritten der Brauerei aus Buchweizenmalzextrakt mitzuwirken. Wenn der Buchweizen exportiert und für die Bierbrauerei genutzt würde, hätte nur die Stärke einen Wert. Der Rest würde als billiges Tierfutter enden. Doch wenn die Bhutanesen zunächst das Malzextrakt herstellen, können die übrigen 92 Prozent vor Ort als Tierfutter verwendet und so der teure und minderwertige Import von Futter aus Indien ersetzt werden, das meist aus landwirtschaftlichen Abfällen sowie Resten aus der Fisch verarbeitenden Industrie besteht. Jede Tonne Buchweizen würde somit 900 kg Tierfutter liefern.

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Da Buchweizen nur 14 Prozent Feuchtigkeit enthält und Trester nach der Malzextraktion 50 Prozent, ergibt sich hier ein hochwertiges lokal verfügbares Futter ohne oder nur mit geringen Transportkosten, eine Win-Win-Situation für Farmer und Bierbrauer. So entsteht ein typisches und doch wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell im Sinne der Blue Economy. Kinley und sein Team arbeiten nun an der Produktion eines Biers für den Genuss vor Ort in einer örtlichen Brauerei mit der technischen Unterstützung durch Jim Lueders. So wird Expertenwissen vor Ort gesichert und auf dem lokalen Markt ein Ruf kreiert, der das richtige Image auf dem internationalen Markt schafft. Gleichzeitig werden die Bedürfnisse des Markts vor Ort berücksichtigt. Mit einer Investition von etwa 600.000 US-Dollar kann die Brauerei im Jahr 2013 in Betrieb gehen.

Die Chance

Die ersten Kontakte in Japan bestätigen die Machbarkeit des Lizenzmodells. Doch es besteht Nachfrage nach mehr als nur einem Markennamen und einem Malzextrakt aus Bhutan. Die Bierbrauerei nach dem Deutschen Reinheitsgebot aus dem 16. Jahrhundert sieht vor, dass nur Wasser, Gerste und Hopfen eingesetzt werden. Im Originaltext fehlt der Hinweis auf Hefe, die erst drei Jahrhunderte Später von Louis Pasteur entdeckt wurde: Bier kann nur mit Hilfe der richtigen Art Hefe fermentiert werden. Bhutan besitzt großen Reichtum an wilder Hefe, die auf die gleiche Weise wie in mehreren traditionellen Brauereien Belgiens geerntet werden kann.

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Dies bedeutet, dass die exklusive bhutanesische Bierlizenz nun Gewinne produzieren könnte aus: (1) der Lizenzgebühr auf den Bierverkauf, (2) den Verkauf des Malzextrakts, (3) den Verkauf des Tresters aus dem Extraktionsprozess als Tierfutter, (4) dem Verkauf des Biers vor Ort und (5) dem Verkauf wilder Hefe. Bei der Bierbrauerei entsteht unvermeidlich Alkohol. Für alkoholfreies Bier muss der Alkohol nachträglich wieder entzogen werden. In diesem Fall also könnte ein zusätzlicher Strom für Einnahmen aus dem Alkohol entstehen. Zukünftig könnte Bhutan sogar eigenen Hopfen liefern und somit ein halbes Dutzend Einnahmeströme schaffen, die den Buchweizen im Himalaja unabhängig von den Weltmarktpreisen machen.

Das Programm für Bio-Anbau der bhutanesischen Landwirtschaftsbehörde wird die Belebung des Anbaus von Bio-Buchweizen als Teil einer Initiative zur Beschleunigung der sozioökonomischen Entwicklung des Landes genehmigen. Bisher war der in Höhen über 3000 Metern angebaute Buchweizen unwirtschaftlich und konnte den Weltmarktpreisen nicht standhalten. Nun wird das traditions- und nährstoffreiche Getreide zum Motor der ländlichen Entwicklung. Noch besser: Es ermöglicht den Erhalt der Jahrtausende alten Kultur im Himalaja und der ländlichen Gemeinden, indem Transport- und Lieferkosten auf ein Minimum reduziert und doch die Vorteile der globalisierten Gesellschaft genutzt werden. Blue Economy stellt sich nicht der Globalisierung entgegen, sondern unterstützt die Fähigkeit der Befriedigung lokaler Bedürfnisse, den Aufbau von Sozialkapital und die Sicherung der Lebensqualität. Die für Bhutan entworfene Lösung ist keine Ausnahme, sondern Teil einer breiteren Initiative zum wirtschaftlichen Aufbau durch verfügbare Ressourcen. Sie bedeutet einen Wandel von der blinden Massenproduktion und dem kurzsichtigen Blick auf niedrige Preise und Löhne, während Transport und Werbung 90 Prozent des Mehrwerts schlucken, der auf dem Weg von der Farm oder Mine bis hin zum Endprodukt generiert wird. Diese 90 Prozent könnten in der lokalen Wirtschaft verbleiben und dort das Wachstum fördern, ohne eine Inflation zu verursachen. Die fehlende Verbindung zum Erfolg sind Unternehmensgründer, die Chancen sehen und bereit sind, die sechs Gewinnströme zu nutzen, die sowohl Zitrusfrüchte aus Südafrika, Äpfel in Chile oder australisches Gemüse charakterisieren.

Bilder: K.G. Kirailla/Wikipedia, Stock.XCHNG

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