99 Ionenmotoren - Eine Idee, die funktioniert
Dieser Artikel stellt Innovationen für den Antrieb von Raumfahrzeugen vor, die auf die „Blue Economy“ auf der Erde übertragen werden könnten. Dies ist eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy” und Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze. In diesem Fall ist es ein Aufruf zu kreativen Lösungen für die Herausforderungen an unsere Gesellschaft auf der Grundlage des wissenschaftlichen Fortschrits. Dies ist der vorletzte Artikel dieser Reihe, ein visionäres, bisher nicht umgesetztes Beispiel, das es uns ermöglicht, Lösungen über das Offensichtliche hinaus zu finden, auf die uns eine sehr junge Wissenschaftlerin hinweist.
Der Weltmarkt für Weltraumfracht wird für 2012 auf 100 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt, eingeschlossen sind Lieferungen von militärischen, zivilen und wissenschaftlichen Satelliten in den Orbit. Die kommerzielle Fracht wird auf 3 Milliarden Dollar pro Jahr beziffert. Die United Launch Alliance mit Sitz in Centennial, Colorado (USA), ein Zusammenschluss von Lockheed Martin und Boeing, bietet Dienstleistungen in der Raumfahrt vor allem für zwei Kunden: das US-Verteidigungsministerium und die NASA. Sie besitzt und betreibt Startrampen in Cape Canaveral (Florida) und die Vanderberg Air Force Base (Kalifornien). Ein völlig neues Geschäft in der Raumfahrt ist der Weltraumtourismus, der zunächst von der russischen Welltraumbehörde betrieben wurde. Der Preis für einen Flug in einem Sojus-Raumschiff liegt offiziell bei 20 bis 35 Millionen Dollar pro Flug. Zwar wurde der russische Weltraumtourismus im Jahr 2010 aufgrund fehlender Kapazitäten eingestellt, doch für 2013 wird eine Wiederaufnahme des Betriebs mit einem Ticketpreis von über 50 Millionen Dollar pro Flug erwartet.
Das erste Unternehmen für Weltraumtourismus war Virgin Galactic, mit einem Ticketpreis von 200.000 US-Dollar für ein paar Minuten Schwerelosigkeit und einem großartigen Blick auf die Erde aus nur 100 Kilometern Höhe. XCOR Aerospace, ein neues Unternehmen aus Kalifornien, bietet ab 2014 Plätze in seinem Lynx-Raumschiff für suborbitale Reisen für 95.000 US-Dollar. Space Exporation Techniques ist ein weiterer Mitstreiter auf diesem sich formierenden Markt, mit dem außergewöhnlichen Angebot eines Platzes auf einer Reise um den Mond für 100 Millionen Dollar, die noch vor 2020 stattfinden soll. Bei diesen Preisen ist es kein Wunder, dass sich der Weltraumtourismus in den nächsten 10 Jahren zum Milliardengeschäft entwickeln soll. Während die amerikanischen und britischen Unternehmer sich auf den Raumtransport konzentrieren, baut die russische Firma Orbitel Technologies ein Weltraumhotel für 7 Gäste, das im Jahr 2016 eröffnet werden soll. Ein fünftägiger Aufenthalt soll eine Million Dollar Kosten, Essen und Getränke sind im Preis enthalten.
Es ist schwer zu verstehen, dass Menschen bereit sind, ein Vermögen für die Entdeckung des Weltraums auszugeben, obwohl es auf der Erde so viele schwerwiegende Probleme zu lösen gibt. Wir sollten erst einmal unsere eigene Welt entdecken und lernen, nachhaltig zu leben. Wir sollten zwar begreifen dass der Himmel nicht mehr die Grenze darstellt, uns dann aber auf ein menschliches Leben ohne Armut auf der Erde konzentrieren und die Fähigkeit entwickeln, die Grundbedürfnisse aller mit verfügbaren Ressourcen zu stillen. Virgin Galactic rechtfertigt sein neues Geschäft des Weltraumtourismus damit, es handle sich um ein Cleantech-Projekt, das Kohlenstoffverbindungen auf einem breiten Gebiet von industriellen Sektoren verdrängen wird. Prof. James Lovelock, Umweltschützer der ersten Generation und Mitautor der Gaia-Theorie, unterstützt Virgin Galactic als eins der wichtigen industriellen Projekte des 21. Jahrhunderts. Ebenso glaubt er, dass Atomkraft die saubere Energiequelle ist, die die Welt braucht. Ob er seit der Katastrophe von Fukushima seine Ansichten noch einmal überdacht hat?
Aisha Mustafa ist eine 19-jährige Studentin an der Universität Sohag, am westlichen Nilufer mitten in Ägypten. Als Physikstudentin mit Begeisterung für die Astrophysik entwickelte sie kreative Einsichten in die Quantenphysik. Sie erfuhr von virtuellen Teilchen, die nur über einen kurzen Zeitraum existierten. Diese Teilchen ermöglichen die Entstehung von Vakuumenergie. Zwar ist das Konzept reine Theorie und basiert auf dem Prinzip der Raum-Zeit-Unsicherheit, doch die Vakuumenergie in einem Kubikmeter leerem Raum (d.h. Raum ohne Materie) wird auf 10 E 113 Joule geschätzt. Sie erkannte, dass der Weltraum nicht wirklich ein Vakuum ist, sondern Brutstätte von Interaktionen, bei der virtuelle Teilchen entstehen und zerstört werden. Dieser Raum – wie klein auch immer – könnte eine ungeheure Energiequelle sein und Aisha überlegte, wie diese eingefangen werden könnte. Ohne die Last der Erfahrung und mit nur begrenzten Erkenntnissen in die bestehenden Theorien dachte sich Aisha einen neuen Motor aus: einen Ionenmotor. Die Kraft von Aishas Ansatz liegt darin, dass sie im Gegensatz zu vielen erfahrenen Astrophysikern ihre Überlegungen nicht auf Diskussionen und Theorien beschränkt, sondern sich verpflichtet fühlt, etwas zu tun.
Aisha lernte die Theorie der dynamischen Kasimir-Kräfte und schlägt einen praktischen Weg vor, Vakuum-Energiefelder für den Antrieb in der Raumfahrt zu nutzen, die wenig oder gar keinen Treibstoff benötigen. Sie ist entschlossen, die Quanteneffekte auszunutzen, indem zwei einfache Silikonplatten in einem Vakuumfeld in einem Abstand von wenigen Mikrometern zueinander aufgestellt werden. Die Platten interagieren mit virtuellen Photonen im Quantenfeld und erzeugen eine Kraft, die entweder anziehend oder abstoßend wirkt. Im Grunde ist Aishas Beitrag ebenso bedeutend wie die Theorie, dass es Öl unter der Erde gibt, indem sie seine Existenz beweist und einen Weg findet, kleine Mengen als Beweis vorzustellen und unserer Wirklichkeit zu präsentieren. Natürlich werden einige wenige Tropfen nicht das Energieproblem lösen, doch diese Geisteshaltung und Entschlossenheit ist ein großer Fortschritt. Dr. Nabil Nour Eldin Abdellah, Präsident der Universität Sohag, ermutigte Aisha, ihren kreativen Ansatz weiterzuverfolgen und stellte das notwendige Budget über den Wissenschaftsverein für Innovative Studenten bereit, um ein Patent zu beantragen, das letztes Jahr im Februar durch die Ägyptische Akademie für Wissenschaftliche Forschung und Technologie in Kairo bewilligt wurde. Die institutionelle Unterstützung ist vorbildlich.
Der innovative Antrieb basiert auf einem interessanten Mix aus Quantenphysik, Weltraumtechnologie, chemischen Reaktionen und Elektrowissenschaften. Vom Automotor über Antriebe für Flugzeuge, Raumschiffe bis hin zu Satelliten nutzen solche Apparaturen Brennstoffe, die ein Gas in hoher Geschwindigkeit bis hin zu Überschallgeschwindigkeit aus dem Motor treiben. Diese Antriebe beruhen auf chemischen Reaktionen oder elektrischen Teilchen, über die Ionen beschleunigt werden, um eine Vorwärtsbewegung zu erzeugen. Aishas kreative Idee geht über diese traditionellen Lösungen hinaus und findet Wege, wie dieser Antrieb durch elektrische Kraft zwischen voneinander getrennten Oberflächen und Objekten in einem Vakuum durch Nullpunktenergie, den angenommenen geringsten Energiestatus, erzeugt werden könnte. Die Kraft ihrer Erfindung liegt darin, dass Prof. Mark Milles, der das Antriebsprojekt der NASA leitete, zwar den theoretischen Rahmen lieferte, jedoch nie die Logik hervorbrachte, die Aisha in ihrem Patent aufzeigt. Sie überträgt die ursprünglichen Analysen, die den einzufangenden Energiefluss in einem Vakuum erforschen, wie in Prof. John Davidsons Buch „The Secret of Creative Vacuum“ dargestellt wird, in einen realistischen Rahmen.
Während für die kommenden Jahrzehnte die Raumfahrt weiterhin auf traditionellen Antriebssystemen beruhen wird, ist Aishas Ansatz weitere Finanzierung wert – auch weil Ägypten die akademische Plattform fehlt, um diese Forschungsrichtung weiter zu verfolgen. Vielleicht könnte Virgin Galactic die Grenzen des Energieproblems verschieben, indem sie Aisha einladen, Teil ihres Wettrennens um die Führung auf dem Gebiet der Weltraumreisen zu werden. Erst einmal ist Aisha stolz auf ihre Leistungen als Teenager, doch sie will zuerst ihr Studium beenden und hofft, ihre Erfindung in einer größeren Forschungsorganisation testen zu können, damit ihr Patent für eine der künftigen Weltraummissionen fertiggestellt werden kann.
Aisha bietet solide Inspiration für alle unter uns, die die entstehenden Innovationen der Blue Economy verfolgt haben. Zwar soll ihre Logik auf den Weltraum übertragen werden, doch es gibt keinen Grund, warum zukünftig diese Idee nicht auch auf der Erde angewandt werden sollte. Die Erzeugung eines Vakuums oder leeren Raums ist eine große Herausforderung, die von Experten als unmöglich erklärt wird, doch es wäre nur ein winziger Raum nötig, um möglicherweise eine riesige Energiequelle zu schaffen. Freie Energie wurde uns schon häufiger versprochen, doch Aishas Beitrag geht über das Offensichtliche hinaus und zeigt die Fähigkeit, eine neue Realität zu visualisieren. Noch weiß niemand, wie dies in näherer Zukunft zu bewerkstelligen wäre, und viele werden es als Fantasie abtun, doch wir brauchen die Beharrlichkeit und Kreativität der jungen und unbeschwerten Menschen wie Aisha Mustafa, um uns den Fragen zu widmen, auf die wir noch keine Antwort wissen. Die Zukunft hängt von unserer Fähigkeit ab, von der Fantasie über die Vision zur Realität zu gelangen.
Vielleicht sollten wir uns von kreativen Köpfen wie Jules Verne leiten lassen, dem französischen Autor des 19. Jahrhunderts, der die Science-Fiction-Literatur über Weltraumfahrten, Luftreisen und U-Boote angeführt hat, bevor diese Techniken je entwickelt waren. Der Grund, warum ich über ein Jahr meine ganze Zeit der Erforschung, Entdeckung, Bewertung, Analyse und Niederschrift dieser Beispiele gewidmet habe, ist, dass wir dringend eine Generation benötigen, die Dinge erfinden kann, auf die bisher noch niemand gekommen ist. Wir brauchen Inspiration. Das letzte Werk von Verne, das er um die Jahrhundertwende herum verfasst hatte und das erst 1994 erschien, ist ein Roman mit dem Titel „Paris im 20. Jahrhundert“. Es ist eine Erzählung über einen jungen Mann inmitten gläserner Hochhäuser, der das ganze Land in Hochgeschwindigkeitszügen bereisen kann, Zugang zu gasbetriebenen Autos hat, einen Rechner und weltweite Kommunikationsnetzwerke, aber dennoch nicht glücklich wird und schließlich auf tragische Weise umkommt. In Zeiten, in denen die Jugendarbeitslosigkeit historische Rekordwerte erreicht, ist es ein Lichtblick zu sehen, wie Aisha nicht den Job für alle, sondern vielmehr ihren eigenen Arbeitsplatz erfindet, indem sie ihrer Leidenschaft zusammen mit einer erfrischenden Sicht auf die Wissenschaften folgt.
Die Menschheit wird dann aktiv oder reagiert, wenn wir vor einer schweren Krise stehen oder wenn wir durch eine Vision inspiriert werden. Vielleicht brauchen wir auch beides: Krise und Vision. Menschen hören auf zu rauchen, wenn bei ihnen ein Lungenkrebs gefunden wird, sie wandern aus, wenn ihnen woanders eine bessere Zukunft geboten wird. Die Geschäftsmodelle, die ich beschrieben habe, bieten eine Vision und Wege aus dem exzessiven Konsumdrang nach unnötigen Dingen (denken wir an das Prinzip, „Etwas“ durch „Nichts“ zu ersetzen). Unser Wunsch nach Lebensqualität muss einhergehen mit Innovationen, die nicht nur auf einer neuen Technologie basieren, sondern vielmehr auf einem neuen Blickwinkel auf dieselbe und sich doch immer ändernde Wirklichkeit, die uns umgibt. In diesem Sinne sind Cashflow, Zeitwert und Einkommen nicht mehr die einzigen Ziele, sondern die Werkzeuge, die Gesellschaften zu der Zukunft verhelfen, die sie sich wünschen. Gesellschaften, in denen das Nötige billig und das Unverzichtbare zum Leben frei erhältlich sind, bieten die Voraussetzungen zum Glück. Dies ist meine Vision, die ich mit Blue Economy verbinde.
GUNTER PAULI
Bilder: Stock.XCHNG
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