13. Bakterienkontrolle
Der Markt
Der Weltmarkt für Antibiotika und Fungizide lag 2005 bei über 25 Milliarden US-Dollar. Experten sagen jedoch voraus, dass bis 2015 das Pharmageschäft auf diesem Sektor um mindestens 20 Prozent einbrechen könnte. Die Resistenz gegen Antibiotika beeinflusst die Entscheidungen von Ärzten, die demzufolge weniger verschreiben. Doch der geringere Gesamtertrag resultiert nicht allein aus einem geringeren Gesamtvolumen. Einige Blockbuster-Patente verjähren und die Markenmedikamente werden durch weit billigere Generika ersetzt. Dies wird die 14 Produkte mit einem Verkaufserlös von mehr als einer Milliarde Dollar massiv beeinflussen. Schon 2008 wurden in der Industrie eine Milliarde weniger Verkäufe verzeichnet.
Antibakterielle Produkte finden sich in den verschiedensten Sektoren, darunter Nahrungsmittelkonservierung, Wasseraufbereitung, Öl und Gas, Landwirtschaft und sogar Produkte für den Massenkonsum. Der Markt für Biozide wächst hier seit Jahren im zweistelligen Prozentbereich. Im Jahr 2009 trieb die Furcht vor der Vogelgrippe die Umsätze über die 10-Milliarden-Dollar-Grenze. Das Wachstum wird hier jedoch nicht nur bedingt durch stärkere Nachfrage, sondern auch durch einen Trend hin zu teureren antibakteriellen Agenten. Der Ersatz scharfer Chemikalien wie Chlorgas durch weniger schädliche Biozide wird erwartungsgemäß Zuwächse im Gesamtumsatz schaffen. Dieser Trend wird zusätzlich beeinflusst durch Biofilm-Formationen, die resistent geworden sind gegen traditionelle Mittel, die standardmäßig auf dem Markt waren. Widerstandsfähige Bakterien mindern die Effizienz von Bakteriziden sowie Antibiotika.
Konsumgüter wie Mundwasser, Deodorants, Seifen, Reiniger und sogar Essstäbchen und Spielzeuge werden mit bakterienhemmenden Agenten überzogen. Eine der am häufigsten genutzten Chemikalien ist Triclosan. Viele Wissenschaftler sind besorgt, dass der übertriebene Einsatz dieser Formel schnelle Mutationen der Bakterien begünstigt, die in der Folge Resistenzen entwickeln. Forscher am St. Jude Children’s Hospital in Memphis, Tennessee (USA) konnten in nur zwei Tagen Triclosan-resistente Wanzen im Labor züchten.
Die Innovation
Essig und Natron sind ideale Standardreiniger, die Bakterien beseitigen. Das einfache Waschen der Hände über 20 bis 30 Sekunden mit heißem Wasser und einer guten Bürste schafft Schutz und Sauberkeit für die ganze Familie. Die Hauptaufgabe besteht nicht in der Kontrolle einzelner Keime, die auf unserer Haut hängenbleiben könnten, sondern eher die Kontrolle des Biofilms. Biofilme sind dichte Kolonien von Zellen, die sich mit einer dicken Schutzschicht umgeben. Wenn Bakterien ihre Wirte besiedeln, sind sie bereits zehn- bis tausendfach resistenter gegen Antibiotika und Bakterizide. Das amerikanische Gesundheitsinstitut (NIH) schätzt, dass über 80 Prozent aller bakteriellen Infektionen beim Menschen einen hohen Anteil an Biofilm-Komponenten aufweisen.
Peter Steinberg und Staffan Kjelleberg, beide Professoren an der University of New South Wales (UNSW) haben beim Tauchen vor der Küste Südaustraliens bemerkt, dass eine bestimmte rote Meeresalge (Delicea pulchra) nicht von Bakterien besiedelt war. Der Ozean ist jedoch eine regelrechte Suppe von Bakterien. Wenn die Alge mit demselben Eifer bakterizid wäre wie Menschen beim Einsatz von Chemikalien, wäre sie sofort selbst eingegangen. Peter und Staffan entdeckten, dass die Alge gewissermaßen nur die Kommunikation zwischen Bakterien unterbindet. Wissenschaftler sprechen hier von Quorum Sensing Inhibitoren (QSI). Solange Bakterien nicht miteinander kommunizieren können ist es ihnen unmöglich, ihre Aktionen zu koordinieren, geschweige denn gemeinsam einen Wirt zu besiedeln. Sogleich ließen die Forscher den über Jahrmillionen entwickelten Verteidigungsmechanismus patentieren.
Während der Arbeit an der UNSW gelang es dem Team, synthetische Nachbildungen zu produzieren, die die hohe Effizienz gegen Bakterien bewiesen. Sie konnten sogar nachweisen, dass diese Art “Taubheit” bei einer Vielzahl verschiedener Bakterien hervorgerufen werden und sogar den Pilzwuchs hemmen kann. Der größte Vorteil ihrer Innovation ist, dass die Tests die Sicherheit des Produktes bestätigten und kein Risiko der Entwicklung von Resistenzen besteht. Die Entdeckung dieses Mechanismus könnte die Nutzung von Bakteriziden in der Landwirtschaft und insbesondere bei der Nahrungsmittelherstellung revolutionieren, sowie auch in Massenkonsumprodukten, der Wasseraufbereitung, bei medizinischem Gerät und in Behandlungsmethoden. Eine neue Ära der Bakterienhemmer ist herangebrochen, der antibakterielle Amoklauf könnte ein Ende haben.
Erster Umsatz
Die Erfinder und die UNSW gründeten 1999 Biosignal, brachten Kapital auf und 80 Prozent ihres Budgets floss in Forschungen. Interesse bestand seitens des privaten Sektors, doch musste die mühsame und kostenspielige Hürde der Registrierung einer neuen Chemikalie genommen werden. Obgleich es sich um eine Nachbildung der Natur handelt, lagen die Kosten höher als das aufgebrachte Kapital. Während das Unternehmen um den Eintritt in die nächste Phase kämpft, positioniert das Portfolio des Patents diesen Durchbruch für Märkte und Anwendungen mit einem begrenzten Registrierungsprozess. Dies bedeutet, dass die ersten Anwendungen keinen direkten Kontakt mit Menschen oder Nahrungsmitteln haben dürfen.
Ein interessantes erstes Feld ist der Schnittblumenhandel. Bakterien befallen schnell die geernteten Blüten und beeinträchtigen ihre Schönheit. Die Lebensverlängerung von Zierblumen würde Konkurrenzfähigkeit und Preis positiv beeinflussen. Die Öl- und Gasindustrie hat bereits ein besonderes Interesse an der Kontrolle von Biofilm in ihren Pipelines bekundet. Mikrobiell verursachte Korrosion (Microbial induced corrosion, MIC) ist die Hauptursache für das Umweltdesaster in Alaska 2006. Dort hatten sich Bakterien durch das Metall gefressen. Traditionelle Bakterizide und regelmäßiger Austausch der Innenwände der Pipelines konnten dem Ansturm des Biofilms nicht standhalten. Nun haben Tests bewiesen, dass MIC durch die Algen-Nachbildung kontrolliert werden kann.
Die Chance
Es gibt eine Vielzahl von Anwendungen. Mindestens fünf unabhängige Unternehmen mit unterschiedlichen Nutzungsarten des Patentschutzes sind denkbar. Obwohl erste Tests darauf schließen lassen, dass zystische Fibrose und Tuberkulose mit QSI-Chemie behandelbar sind, braucht es noch mindestens zehn Jahre, bevor ein entsprechendes Medikament auf den Markt gebracht werden kann. Die Kontrolle von bakteriellen Infekten durch medizinisches Gerät ist eine weitere langfristige Chance, insbesondere für Katheter, speziell Urinkatheter, durch die etwa 30 Prozent aller Patienten infiziert werden, was zusätzliche Behandlungskosten in Höhe von 25 000 Dollar pro Patient verursacht. Wichtiger jedoch ist, dass QSI nicht nur zur Behandlung von Infekten eingesetzt wird, sondern um zu verhindern, dass Biofilm überhaupt erst einen Wirt besiedelt. Die Logik kommt von der Alge selbst: Vorsorge ist besser als Heilen.
QSI könnte eine interessante Alternative zu Silber werden, das in der Industrie zunehmend verwendet wird. Silber wird seit Hunderten von Jahren von Herstellern gern genutzt, weil die Nutzung des Edelmetalls keinerlei Richtlinien oder Genehmigungsverfahren unterliegt. Die Schattenseite ist hier der hohe und weiter steigende Preis. Außerdem konnten in klinischen Studien bisher keine bedeutenden Verbesserungen festgestellt werden. Die breite Anwendung beispielsweise beim Überzug von Toilettenbecken aus Keramik bedeutet für INAX, einen führenden japanischen Hersteller, bereits einen Verbrauch von fünf Tonnen Silber pro Jahr.
Vielleicht könnte das größte Interesse bei Konsumprodukten liegen, bei denen die Hersteller bereits bakterielle Resistenzen festgestellt haben und daher mit höheren Preisen rechnen. Vielleicht gibt es bald Deodorants, Zahnpasta oder Mundwasser auf der Basis von Algenextrakten. Die rote Farbe würde zum Markenzeichen. Erste Tests durch Unilever haben bereits die Wirksamkeit gegen Körpergeruch bewiesen. Hier ist der fehlende Baustein die Registrierung des innovativen Moleküls – Eine Chance für Investoren.
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