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91 Die Superformel und Super-Antennen

Dieser Artikel stellt einen neuen mathematischen Ansatz vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt für Antennen

Der Weltmarkt für Basisstationen sowie feste Außen- und Innenantennen betrug im Jahr 2009 10 Milliarden US-Dollar; für 2014 werden 13,3 Milliarden Dollar geschätzt. Am schnellsten wächst der Sektor für Verteidigungszwecke, er liegt bereits bei 1,2 Milliarden mit einer jährlichen Wachstumsrate von 13 Prozent. In der drahtlosen Kommunikation sind Antennen mittlerweile unverzichtbar in Computern und Mikroelektronik für Haus-, Geschäfts- und Industrieanlagen. Die Infrastruktur für drahtlose Telekommunikation wird 2014 bei 2,2 Milliarden Dollar liegen, da jedes Telefon, jeder Computer und die meisten Eigenheime künftig mit Antennen ausgestattet sein werden, um Anschluss ans Internet und ans Mobilfunknetz zu bekommen. Die drahtlosen Sendestationen verzeichnen ein Wachstum um jährlich 17 Prozent zwischen 2010 und 2011, wobei Breitbandantennen sogar um 39 Prozent zunahmen.

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Die weltweit größten Märkte sind zurzeit Indien und China. Da jedoch die europäischen Systeme für drahtlose Kommunikation weiter ausgebaut werden, könnte Westeuropa in den nächsten Jahren Zeuge des größten Wachstums werden. Der älteste Hersteller von Antennen ist die deutsche Kathrein-Gruppe mit 6300 Mitarbeitern, 21 Produktionsstätten und Verkäufen von über 1,4 Milliarden Dollar für 2010. Die Putian Antenna Company, eine Tochterfirma der Putian Corporation, ist der größte chinesische Hersteller, mit Sitz in Xian und spezialisiert auf die Produktion von Mikrowellen-, Mobilfunk- und Satellitenantennen. Kavveri mit Firmensitz in Bangalore führt den indischen Markt mit einer Herstellungskapazität von einer Million hochwertiger Antennen pro Monat an.

Die Innovation

Die Drahtlos-Industrie untersucht, wie noch kleinere und leistungsstärkere Antennen mit weniger Funklöchern und noch höherer Übertragungsgeschwindigkeit hergestellt werden können. Die Industrie ist sich der visuellen Kontamination und der wachsenden Besorgnis in der Bevölkerung vor Strahlungsrisiken bewusst. Heute sehen Standardantennen wie Bügelbretter aus. Die neue, kleinere Version des französisch-amerikanischen Herstellers von Telekommunikationsanlagen, Alcatel-Lucent, sind würfelförmig, mit dem Vorteil, dass diese Sender und Empfänger klein genug sind, um innen aufgestellt werden zu können und so aus dem Blick sind. Die kleinere Größe macht die Antennen nicht nur unauffälliger, sondern auch leistungsstärker für die Daten- und Stimmübertragung. Alcatel-Lucent behauptet, die Leistung verbessere sich um das Zehnfache, womit die Notwendigkeit entfiele, dass alle Telefone sich in einem Umkreis von 2-3 Kilometern von einer Antenne befinden müssen.

Mit dem Aufkommen der datenhungrigen iPhone- und Smartphone-Nutzer werden die Netze durch die hohe Nachfrage stark ausgelastet. Auch die bestpositionierten Dienstleister sind nicht fähig, einen 100-prozentigen Service zu bieten, daher akzeptieren selbst die streitbarsten Nutzer Gesprächsabbrüche. Eine weitere große Herausforderung auf dem Antennenmarkt liegt in der Interferenz zwischen verschiedenen Netzen. Mit wachsender Zahl von Nutzern in dichtbesiedelten Stadtgebieten wie Flughäfen, Bahnhöfen, Konferenzzentren und Sportstadien wird es immer schwieriger, die Verbindungen für die einzelnen Anbieter sicherzustellen. Die einzige Art, wie Antennen den Empfang von Signalen garantieren können, ist es, „lauter zu rufen“ und dabei mehr Energie zu verbrauchen. Daher müssen neuartige Antennen Wege finden, das „Geschrei“ zu vermindern, was sich am Ende auch auf den Energieverbrauch und die Lebensdauer der Batterien positiv auswirkt.

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Johan Gielis schloss Latein und Griechisch mit Auszeichnung an der Oberschule in Antwerpen (Belgien) ab. Dann schloss er einen Gärtnerlehrgang ab, und nach einem Treffen mit Jan Oprims konzentrierte er seine Karriere auf Bambus und seine Kultur in tropischen und gemäßigten Zonen. Während seiner Forschung experimentierte er mit der Studie von molekularen Markern und der Physiologie des Bambus und versuchte, den Metabolismus aufzuschlüsseln. Seit den frühen 1990er-Jahren interessierte sich Johan für die mathematische Beschreibung von Pflanzen, vor allem Bambus. 1994 begann er, mathematische Formeln zur Beschreibung natürlicher Formen zu nutzen. 1997 generalisierte er die „Lamé-Kurven“ durch eine neue mathematische Formel, die heute als „Superformel“ bekannt ist. Sie wurde zuerst 2003 im Amerikanischen Journal für Botanik veröffentlicht. Seitdem haben etwa 200 wissenschaftliche Artikel sich auf die Gleichung bezogen oder sie genutzt; sie ist inzwischen als „Gielis-Formel“ bekannt. Johan wurde sich bewusst, dass dieser mathematische Durchbruch eine einzige Gleichung zur Berechnung jeder beliebiger zwei- oder dreidimensionalen Form bot. Die Myriaden denkbarer geometrischer Formen, die mithilfe der traditionellen Mathematik unmöglich zu berechnen oder zu konstruieren sind, sind nun mit nur sechs Parametern erfassbar.

Der erste Umsatz

Die Superformel löst das Problem der begrenzten Symmetrie von Superellipsen und Superkreisen. Formen wie Pentagone und Seesterne, Dreiecke und Rosenblätter, Blumen und Laub können nun mit einer einzelnen Gleichung berechnet werden. Die Möglichkeit, Formen so zu berechen, ermöglichte einen neuen Denkansatz für die Geometrie. Kreise und Kugeln, hängende Ketten, Umlaufbahnen von Planeten, die Form von Schneeflocken, Konturen von Planeten und Galaxien, Radiowellen, Telekommunikationsnetze, die Formation von Felsen und Kristallen versuchen immer, Fläche, Volumen und/oder Energie zu optimieren. Johan und sein Team haben die Folgen dieser Entdeckung für Anwendungen zur Optimierung wie die Berechnung der kürzesten Entfernung in Netzwerken erforscht. Daraufhin wurde Genicap gegründet, eine gewerbliche Firma, die ein Lizenzierungsmodell verfolgt, sowie das Simon-Stevin-Institut für Geometrie als Forschungs- und Bildungszentrum, beide in den Niederlanden ansässig, während er selbst seine Teilzeitprofessur an der Universität Antwerpen hält.

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Auf Grundlage dieser Erkenntnisse begann Johan’s Team, unter der Leitung von Dr. Diego Caratelli die nächste Generation von Antennen zu entwerfen, die die höchste Energieeffizienz, die weitestmögliche Reichweite und den geringsten Materialbedarf vereinen sollte. Er und sein Team erkannten, dass die Superformel den Bau einer neuartigen Super-Antenne ermöglicht, die auf Bestellung zu sehr niedrigen Kosten (ein Cent pro Stück) hergestellt werden könnte und dabei eine ultra-hohe Bandbreite abdeckt. Diese Antennen können sogar aus recyceltem Plastik hergestellt werden, womit die Abhängigkeit von Metall und vor allem von seltenen Erden wegfällt. Die Eigenschaften drahtloser Systeme und die Interferenzen, die bisher nur durch „Rufen“ bei entsprechend steigendem Energieverbrauch überwunden werden kann, treibt die Nachfrage nach geeigneten Entwürfen für großräumigere Zugangspunkte an. Da diese neuen Antennen noch kleiner gebaut werden können, die Strahlung optimieren, mit größerer Bandbreite operieren und dabei noch leicht installiert und in Betrieb genommen werden können, war für Johan klar, dass eine seiner ersten gewerblichen Umsetzungen der Bau von Antennen sein würde, die keinerlei Ähnlichkeit mit den herkömmlichen Antennen haben.

Das Team von Genicap hat die Machbarkeit der Super-Antennen bewiesen. Dies könnte bedeuten, dass die Zahl der Sendetürme, die derzeit überall weithin sichtbar sind, stark reduziert und damit auch die Energie- und Materialeffizienz dramatisch gesteigert werden könnten. Diese 3D- Antennen ähneln in keiner Weise den heutigen Würfel-, Bügelbrett- oder Stabformen. Der Erfolg der Herstellung dieser kieselalgenförmigen Strukturen beruht auf neuen Technologien wie der direkten Fertigung und des 3D-Drucks (siehe Beispiel 50). Die Anwendung der Mathematik, Geometrie und Physik zur Steigerung der Produktivität und Material- und Energieeffizienz ist eins der Kennzeichen der Blue Economy.

Die Chance

Die Entdeckung der Superformel eröffnet eine breite Plattform für Innovationen für die Welt. Der am stärksten betroffene Sektor ist aller Voraussicht nach ist der Informatiksektor. Bisher gründete sich die Steigerung der Leistung von Computerchips auf Durchbrüche bezüglich Material und physischer Struktur der Prozessoren. Nun liegt der Durchbruch für mehr Rechengeschwindigkeit allein im zugrunde liegenden Algorithmus, der mit Johan’s Formel dramatisch vereinfacht werden kann. Da die visuellen Präsentationen stark in Richtung der Dreidimensionalität tendieren, kann die Übersetzung in einen binären Code mithilfe der Superformel die Bandbreite um ein Hundert- oder Tausendfaches erhöhen. Dies bedeutet, dass der einfache Wechsel des Algorithmus ungeheure Rechenkapazitäten freisetzt. Zum ersten Mal sehen wir hier, wie eine mathematische Formel in vielerlei Hinsicht eine Leistungsverbesserung ohne Verbesserung der eingesetzten Materialien ermöglicht.

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Dies kann weitreichende Folgen haben. Keine der führenden Softwares, von Microsoft über Oracle oder SAP, konnten bisher die Tiefe und Breite der Auswirkungen der Superformel auf ihr bestehendes Kerngeschäft erfassen. Hier jedoch liegt die Möglichkeit, eine Plattform für Unternehmensgründungen zu schaffen, durch die mit den Jahren Dutzende neuer „Microsofts“ entstehen könnten. Die Macht von Johan’s Durchbruch liegt darin, dass er Innovationen auf allen Gebieten, von der EDV bis hin zur Telekommunikation, Verpackungsindustrie und Wasserleitungssystemen, Herstellung und Vertrieb hervorbringen könnte. Diese Art von Innovationen macht die Blue Economy zu dem, was sie ist: eine Chance, die Geschäftsmodelle dahingehend zu verändern, dass die Gesellschaft zu mehr Effizienz, Suffizienz und vielleicht sogar zum Überfluss geführt wird.

Bilder: Stock.XCHNG

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86 Von der Wiederaufforstung zu Kleiderbügeln

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz für die Wiederaufforstung vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Kleiderbügel wird auf 50 Milliarden Einheiten pro Jahr geschätzt, was einem Marktwert von 25 Milliarden US-Dollar entspricht. Die billigsten unter ihnen sind die Drahtbügel, die bei Reinigungen gratis mitgegeben werden. Sie kosten pro Stück nur 8-12 Cent in der Herstellung. Von den 3,3 Milliarden in den USA verbrauchten Bügeln werden etwa 2,7 Milliarden aus China importiert und kosten der letzten Zählung von 2008 zufolge 83,6 Millionen Dollar. Die 30 000 in den USA ansässigen Reinigungsfirmen geben pro Jahr etwa 6500 Dollar oder 10 Prozent ihres Durchschnittsumsatzes für die kostenfreie Abgabe ihrer Bügel an Kunden aus, die dies als essentielle Komponente des Service ansehen. Weltweit enden 7,5 Milliarden Drahtbügel aus Karbidstahl auf Müllhalden, wo sie ein riesiges Rattennest bilden. Das Problem geht so weit, dass einige Städte bereits die Gratisbügel verboten haben, weil sie so viel Unheil auf den Müllhalden verursachen. Der am zweitweitesten verbreitete Typ Kleiderbügel ist aus Plastik, vor allem Polystyren und Polykarbonat. Diese Stücke werden oft mit dem Markennamen versehen und vor allem im Einzelhandel eingesetzt. Mit einem Kostenpreis von 15-50 Cent enden auch diese Bügel meist nach einem einzigen Gebrauch auf Müllhalden, wo sie Benzol und Bisphenol A an die Umwelt abgeben.

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Schätzungsweise 15 Prozent aller Bügel im Einzelhandel wird dank der Anstrengungen von Geschäften wie Zara oder Hennes & Mauritz recycelt. Das Recycling ist jedoch komplex, da das Plastik mit Metallen und anderen Kunststoffen kombiniert wird und sich die Rückgewinnung so erschwert und verteuert. Die Gesamtproduktion an Kleiderbügeln verursacht Schätzungen zufolge 6,5 Millionen Tonnen CO2, so viel wie 1,5 Millionen Autos. In dieser Industrie gibt es keine Global Players, die Betriebe sind klein und ortsansässig. Der größte unter ihnen erreicht etwa 250 Millionen Dollar an Verkäufen und ist die privat geführte Firma Mainetti in Castelgomberto (Italien) mit Herstellungsbetrieben in 42 Ländern auf der ganzen Welt.

Die Innovation

Über die Jahre sind die Kleiderbügel eine wahre Lagerstätte für Chemikalien geworden. Von Formaldehyd zur Schädlingsbekämpfung über Phthalate für mehr Biegsamkeit, Azofarbstoffe, Brandhemmer und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe sind Blei, Quecksilber, Kadmium bis hin zu Chrom(VI) und noch viel mehr enthalten. Nur wenige Menschen wissen, was für ein Chemiemix da in ihrem Schrank hängt. Während mehrere Firmen wie MAWA aus Pfaffenhofen (Deutschland) unter der Leitung von Michaela Schenk bestrebt sind, alle giftigen Komponenten zu meiden, bleibt die Frage, was nun wirklich in den Bügeln steckt und welche Inhaltsstoffe ausgewählt werden sollten, um die Verbraucher von mehr Nachhaltigkeit zu überzeugen, ohne dass das Produkt weniger wettbewerbsfähig würde. Hanger4Life bietet einen soliden, unzerstörbaren Plastikbügel an, während EcoHanger aus 100 Prozent Altpapier hergestellt sind und sich durch Werbung finanzieren. Welches Geschäftsmodell könnte zukünftig noch mehr und besser produzieren?

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Lucio Ventania hatte schon immer eine Neigung zum Social Entrepreneur. Als Brasilianer mit afrikanisch-indigenen Wurzeln lernte er Bambus durch seinen chinesischen Nachbarn Master Lu kennen. Ohne jede formelle Bildung, doch inspiriert durch seinen Mentor seit er gerade einmal zehn Jahre alt war, begann er in den frühen 1980er-Jahren, mit Naturfasern zu arbeiten. Nach erfolgreicher Leitung einiger akademischer Seminare über die Nutzung von Bambus gründete er 1988 das Ateliê Pengala in Belo Horizonte, das Straßenkindern eine Ausbildung in der Möbelherstellung mit dem leicht verfügbaren Bambus bot. Sein Erfolg generierte schon bald eine Nachfrage seitens professioneller Architekten und Ingenieure, die ebenfalls die Techniken lernen wollten, die er den Kindern beibrachte.

1996 gründete Lucio das Brazilian Institute for Bamboo und wenig später BAMCRUZ, ein multidisziplinäres Zentrum mit Schauspielern, Ärzten, Sozialarbeitern und Vereinsmitgliedern, das seine Aktivität auf ländliche Kooperativen und Kunstschulen konzentriert und so Chancen für die Schwächsten in der Gesellschaft bietet. Lucios Vision ist es, eine kulturelle, wirtschaftliche und umweltorientierte Plattform für Bambus zu schaffen, um die gesellschaftliche Entwicklung anzukurbeln. Sein Traum ist die Schaffung einer Bambuszivilisation, denn er weiß, dass dieses Gras für 2,5 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt Teil des täglichen Lebens ist, doch von fast allen als Symbol für Armut angesehen wird. Er formte die Idee der „Bambuzerias“, einer sozialen Kooperative, die Ökoprodukte aus Bambus herstellt und vertreibt. Das erste Produkt, das er bereits im Jahr 2000 in Masse herzustellen gedachte, waren Kleiderbügel.

Der erste Umsatz

Im Jahr 2001 lernte Lucio die Probleme der Stadt Cajueiro im Staat Alagoas im Nordosten Brasiliens kennen. Früher war hier ein Regenwald, doch dieser wurde in den frühen 1960er-Jahren zerstört, um Platz für Zuckerrohrfarmen zu schaffen. 1990 produzierte diese Region 85 Prozent des gesamten brasilianischen Zuckerrohrs. Dann jedoch zwang die Globalisierung zur Einführung der Mechanisierung und Automatisierung bei Anbau und Ernte des Zuckerrohrs, womit zwei Drittel der Arbeitskräfte überflüssig wurden. Angesichts der Problematik der arbeitslosen Landarbeiter entwarf er zusammen mit der Bevölkerung vor Ort einen Plan, der den Anbau von Bambus mit dem Vertrieb fertiger Produkte verband. Er bot an, den ausgelaugten Boden durch Bambus wieder anzureichern. Die Zuckerrohrbarone überließen ihm trockene und unfruchtbare Böden, auf denen er zu Beginn 10 000 Halme Phyllostachys viridis pflanzte, eine dünnstielige, in der Region wachsende Art mit nur 1,5 cm Durchmesser, die schnell geerntet werden konnte.

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Sechs Monate nach dem Projektstart hatte Lucio 80 ehemalige Arbeiter ausgebildet, um monatlich 5000 Kleiderbügel herzustellen. Diese Bügel sind aus Bambus ohne Klebstoff oder Metallverbindungen und bestehen nur aus den vor Ort verfügbaren Materialien. Die Verpackungskartons dieser Designerbügel wird aus der Bagasse des Zuckerrohrs hergestellt, die in den örtlichen Fabriken anfällt, womit noch mehr Arbeit für die Beschäftigung suchende Bevölkerung entsteht. Schon ab dem ersten Monat erhielten die Arbeiter der Kooperative, in deren Gemeinde hohe Arbeitslosigkeit, Analphabetismus und Kindersterblichkeit vorherrschte, ein Gehalt von 120 Dollar. So konnten die Familien besser leben, während das Geschäft der Anpflanzung, Ernte und Verarbeitung des Bambus sowie der Verkauf der Bügel weiterhin Erträge brachten, die die Ausweitung der Produktion durch eigenen Cashflow ermöglichten. Mehrere Auszeichnungen, unter anderem Casa Planeta, trugen ebenfalls zu einer stabilen Nachfrage nach diesen ökologischen Produkten der Kooperative bei, die inzwischen unter dem Namen „Bambuzeria Capricho“ bekannt ist. Diese Initiative geht über die Schaffung von Arbeitsplätzen hinaus: Sie schafft gesellschaftliches Kapital.

Die Chance

Die Nachfrage stieg weiter an. Der Staat Alagoas besitzt inzwischen drei Produktionszentren, in denen pro Bügel und Arbeiter etwa 10-15 Cruzeiros (6-9 Dollar) eingenommen werden. Die Vertriebskampagne erreicht fast 500 Dollar, ein Vermögen für jeden brasilianischen Arbeiter. Dieses Einkommen trägt zum Aufbau der Gemeinde bei, bietet Arbeit für marginalisierte Bürger und schafft gleichzeitig neue Impulse für die Wiederaufforstung des Atlantischen Regenwalds, indem diese Vorreiter der Artenvielfalt angepflanzt werden und so eine Alternative zum Zuckerrohranbau geschaffen wird. Die Produktpalette hat sich von Bügeln auf Möbel und Gartenutensilien ausgeweitet. Lucio beschloss, dass diese neuen Errungenschaften Chancen für Afro-Brasilianer, arbeitslose Tagelöhner, Straßenkinder und Bürger mit besonderen Bedürfnissen schaffen sollten. Dieser Ansatz der Kombination sozialer, kultureller, ökologischer und wirtschaftlicher Entwicklung ist ein überzeugendes Beispiel, wie die Blue Economy zu einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung beitragen und gleichzeitig die Natur zurück auf ihren Weg der Eigendynamik gebracht werden kann. Die ZERI Brasil-Stiftung hat Lucio seit dem Jahr 2000 begleitet, als er den ZERI-Bambuspavillon auf der Expo in Hannover besucht hatte.

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Bis 2012 hat Lucio in über 30 brasilianischen Gemeinden Ausbildungen innerhalb seines Konzepts der Bambuszivilisation angeboten, einschließlich persönlicher Weiterentwicklung, Berufsethik, gesellschaftlicher Integration, Gesundheitsversorgung und Unternehmensgründung. Dies hat bis dato zur Schaffung von fünf Bambuzerias in Form von Kooperativen und einer großen Zahl unabhängiger Handwerksbetriebe geführt, die pro Monat etwa 25 000 Kleiderbügel herstellen. Der Bügel ist zu einem Symbol geworden und noch viele mehr könnten inspiriert durch dieses seit über einem Jahrzehnt erfolgreiche Geschäftsmodell in den Markt eintreten. Lucio glaubt, dass die Ära des Bambus gerade erst begonnen hat, da Bambus sechsmal mehr Zellulose enthält als eine Kiefer, die von skandinavischen und nordamerikanischen Herstellern bevorzugte Ressource für Papier. Auf der Grundlage seiner breitgefächerten Erfahrung im Design für Innen und Außen glaubt Lucio, dass diese Chance zur Schaffung einer Bambuskultur nur noch eine Frage der Zeit ist. Vielleicht ist alles was fehlt, nur noch mehr Unternehmer, die keinen Unterschied zwischen sozialem und echtem Geschäft machen. Die Blue Economy unterstützt nur Unternehmensgründer, die echte Geschäfte machen und dabei noch sozial und ökologisch wirken. Lucio Ventania ist hier ein inspirierendes Beispiel.

Bilder: Stock.XCHNG
https://www.flickr.com/photos/daquellamanera/312347786

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45. Holzkohle zur Konservierung von Holz

Der Markt

Der Weltmarkt für Holzkohle wird für 2010 auf 6,8 Milliarden US-Dollar geschätzt. Der Wert hätte Schätzungen zufolge noch bis auf über 15 Milliarden Dollar steigen können, wenn informelle Verkäufe mit einbezogen würden. Einige Entwicklungsökonomen behaupten, dass 70 Prozent der Holzkohle in den Länderstatistiken nicht berechnet werden. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass 2,4 Milliarden Menschen immer noch von Holz und Holzkohle als Treibstoff abhängen.

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Die Holzkohleherstellung gilt als erste Industrie der Welt (ohne Bezug auf den ältesten Beruf der Welt). In Lateinamerika und Afrika steigt die Nachfrage nach Holzkohle weiter, während sie in Asien abnimmt und in den Industrieländern durch Nutzung für Freizeitaktivitäten in den Sommermonaten gleich bleibt. Obwohl der Konsum in Europa über die Jahre zurückgegangen ist, hat sich die Nachfrage bei etwa einer Million Tonnen pro Jahr eingependelt. Das Vereinigte Königreich importiert 60.000 Tonnen, wobei 90 Prozent aus Afrika, hauptsächlich aus Nigeria, kommen. Im Gegensatz zu Westeuropa produzieren die USA weiterhin im großen Maßstab Holzkohle, nämlich knapp eine Million Tonnen pro Jahr, und rangieren somit unter den zehn größten Holzkohleherstellern der Welt.

Der weltgrößte Holzkohleproduzent ist Brasilien mit über 13 Millionen Tonnen, weit vor Nigeria und Äthiopien, die sich als Anführer in Afrika mit rund 3,5 Millionen Tonnen abwechseln. Da nur 4 Prozent der Elektrizität weltweit in Afrika produziert werden und nur 8 Prozent aller ländlichen Gemeinden südlich der Sahara ans Stromnetz angeschlossen sind, werden über 70 Prozent des Einkommens der Bevölkerung für Treibstoff ausgegeben. Dieser Fakt garantiert eine stabile Nachfrage und solide Erträge für Investments. Afrika schlägt schätzungsweise 4 Millionen Hektar Wald pro Jahr, das Doppelte des Durchschnitts in allen anderen Regionen einschließlich Brasilien. Eine Stadt wie Abidjan, die Hauptstadt der Elfenbeinküste, verbraucht 300.000 Tonnen Holzkohle pro Jahr, während kenianische Arbeitsmarktexperten angeben, dass die Holzkohleproduktion im Land 200.000 Arbeitsplätze stellt. Jeden Tag werden 20.000 Säcke mit je 4-5 Kilogramm Holzkohle in der tansanischen Hauptstadt Dar es Salaam angeliefert, mit einem Wert von 40 Millionen Dollar pro Jahr, die in der lokalen Wirtschaft und zur Existenzsicherung verfeuert werden und dabei die Luft verpesten und die örtlichen Wälder vernichten.

Die Innovation

Die Abholzung der Wälder erregt weltweit Aufsehen. Trotzdem ist Holzkohle eine Verbesserung, da hiermit in den meisten Fällen die noch zerstörerischere Praxis der Holzfeuerung ersetzt wird. Doch die Produktion von Holzkohle gilt als eine der Hauptursachen für Umweltverschmutzung und Verlust von Lebensraum für Primaten. Brasilien hat mit der Anpflanzung von Eukalyptusbäumen reagiert, womit dank höherer Produktivität die Nachfrage nach Harthölzern aus dem Regenwald eingedämmt werden kann. Es wird geschätzt, dass jeweils 100.000 Hektar Eukalyptuswald in Minas Gerais (Brasilien), die alle sieben Jahre geerntet werden, über ein Jahrhundert eine Million Hektar Regenwald retten. Weitere Innovationen schließen die Nutzung von Kokosnussschalen, Sägemehl, Zellstoff und Papierresten als Rohstoff für Holzkohle ein. Alternative Treibstoffe wie Bambus sind ebenfalls gefördert worden, doch die Abholzung der Wälder hält weiter an.

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Antonio Giraldo hat in seinem Heimatort Quindio im Herzen Kolumbiens Bambus untersucht und Berichte gelesen, wie Chinesen und Japaner ihr Holz langsam über 60 Jahre durch den Rauch der Holzkohle konservierten und so einen natürlichen biochemischen Schutz vor Termiten und Pilzen schafften. Die ältesten Gebäude in Kyoto sind aus Bambus konstruiert, der über 5 Jahrhunderte hält. Er entwickelte daraufhin vereinfachte Versionen dieser offenen Öfen, die die Produktion von Holzkohle in der unteren Kammer ermöglichen, während in einer darüber liegenden Kammer die umweltschädlichen Rauchgase aufgefangen werden und durch Kondensierung und Verdampfung von Wasser, das die Wände herabläuft, langsam aber beständig die großen kolumbianischen Bambusstäbe imprägniert werden.

Bambus hat neue Beliebtheit als Baustoff erlangt, insbesondere nach seiner Bestätigung als Baumaterial in Deutschland im Jahr 2000. Dank dieser Entwicklung und aufgrund der innovativen Technik von Antonio Giraldo hat die Verarbeitung von Bambus neue Dimensionen angenommen: Der zum Bau verwendete Teil wird mit dem Rauch aus der Holzkohleproduktion durch die nicht verwendeten Teile der 25 Meter langen Guadua angustifolia konserviert. Diese Nutzung der gesamten Bambusstämme einschließlich der Säfte als Ersatz für Chemikalien entspricht den Grundprinzipien der Blue Economy, d.h. der Weiterverwendung von Materie und Energie für vielfältigen Nutzen und Erträge.

Erster Umsatz

Antonio Giraldo baute 1999 den ersten Ofen und fand schnell Interessenten für seine Technik zur vollen Nutzung des Riesenbambus. Er würde das Produktionssystem sogar noch weiter entwickeln, um längere Stücke Bambus für die Herstellung von Haushalts-geräten zu erhalten und nur die Überreste zur Holzkohleproduktion zu nutzen. Die Holz-kohlebriketts aus Bambus sind so energiereich wie alle anderen; der konservierte Bambus wurde sehr beliebt durch den leichten Geruch nach verbranntem Holz. Die erste Investition von 25.000 US-Dollar wurde zum Richtwert für den innovativen Ansatz im Ressourcen-management, der die Belastung der Wälder mindert, giftige Chemikalien vermeidet und dank der garantierten längeren Haltbarkeit Bambus zu mehr Beliebtheit verhilft.

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Die Chance

Das Geschäft florierte, ebenso das Interesse an Antonios technischem Können. Als die USA von Colorado bis Kalifornien zunehmend von Waldbränden heimgesucht wurden, beschloss der Staat Neumexiko, das Kleingehölz aus Wäldern mit hohem Brandrisiko zu entfernen. Zunächst ließen sie das geschlagene Holz verrotten oder bestenfalls kontrolliert verbrennen; Antonios Doppelkammer-Ofen wurde als nächster Schritt in die Wertschöpfungskette integriert. In Picuris Pueblo in Neumexiko wurde als erstes ein Versuch unternommen, einen ausgedienten Container mit Holzresten zur Holzkohleherstellung umzufunktionieren, während ein zweiter Container mit Kleinholz – ebenfalls aus den Wäldern und mit einem Durchmesser von maximal 7 Zoll – durch die aufgefangenen Rauchgase konserviert wurde. Die Technik bewies sich als marktfähig in den USA und die Nutzung kaputter Container sicherte doppelte Erträge und ein hochwertigeres (gesünderes) Produkt.

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Während eine starke Nachfrage nach Holzkohle besteht, sind riesige Ressourcen zur Lieferung dieses hocheffizienten Treibstoffs verfügbar. Bambus liefert über 70 Jahre pro Hektar und Jahr zwölfmal mehr Holzkohle vergleichbarer Qualität als der hochproduktive Eukalyptus und kann daher während seiner Lebenszeit 12 Millionen Hektar Regenwald retten. Unter diesen Umständen ist lohnt es sich nicht mehr, den Regenwald als Quelle für Erträge zu zerstören, wenn es nur um die Gewinnung von Holzkohle geht. Da die meisten Länder mit hoher Nachfrage nach Holzkohle auch eigene Bambusvorkommen besitzen, ist es sinnvoll, sich für die Anpflanzung dieses überaus produktiven Grases (Bambus ist keine „Pflanze“) als Holzkohlequelle zu entscheiden. Bambus ist zugleich ein hervorragendes Baumaterial, ein Antriebsmechanismus für Wasserkreisläufe und nun sogar ein Konservierungsstoff.

Gleichzeitig haben die amerikanischen Ureinwohner in Neumexiko gezeigt, dass Antonios Technik zur Holzkohlegewinnung aus Bambus sogar in gemäßigteren Zonen zur Nutzung von Holz angepasst werden und so zur Vermeidung von Waldbränden beitragen könnte – nicht nur in Amerika, sondern auch in Südeuropa, Afrika und zunehmend in Lateinamerika. Dies bedeutet, dass Tausende Unternehmer in den meisten Teilen der Welt dieses innovative Geschäftsmodell übernehmen könnten, um ein stark nachgefragtes Produkt herzustellen und gleichzeitig die ursprüngliche Bambusvegetation wiederherzustellen, die einst unsere Erde geziert hat.

Bilder: StockXCHNG

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44. Bauen mit Bambus

Der Markt

Für soziale und bezahlbare Wohnungen wird weltweit ein Kapital von schätzungsweise 3 Billionen US-Dollar benötigt. Die Investitionen für Wohnungen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen betrugen 2010 zwischen und 300 und 500 Milliarden Dollar. Während die Daten weit verstreut und schwer auf globaler Ebene vergleichbar sind, wächst der Markt und die Einnahmen durch die Investitionen sind besser als bei den meisten anderen gewerblichen Anleihen. Da der soziale Wohnungsbau sowohl von Subventionen als auch von Garantien der Regierungen profitiert, hat seine finanzielle Performance private Investments angezogen.

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Die sozialen Wohnungsbauprogramme in Brasilien bieten einen Überblick über die Ausmaße des Bedarfs auf globalem Niveau. Bis 2014 wird Brasilien zusätzlich 2 Millionen Sozialwohnungen bauen, die durchschnittlich 15.000 Euro kosten, was einer Finanzspritze seitens der Regierung von 30 Milliarden Dollar entspricht. Der Bedarf in Brasilien liegt jedoch bei schätzungsweise 5,6 Millionen Wohnungen, so dass trotz dieses außerordentlichen Aufwands noch 60 Prozent aller Bedürftigen ohne Wohnung dastehen. Dies schafft viel Raum für private Initiativen, die die Aktionen der Regierung noch ergänzen können. Südafrika hatte sich am Ende der Apartheid 1994 zum Ziel gesetzt, eine Million zusätzlicher Wohnungen zu bauen, doch heute sind erst 14 Prozent des Bedarfs an Wohnungen gedeckt – es bleibt noch viel zu tun.

Investments in den sozialen Wohnungsbau sind der einzige Sektor im Baugewerbe, das sich durch weltweites Wachstum mit attraktiven Renditen auszeichnet. Während ein gewerblicher Immobilienentwickler 25 bis 35% Rendite erwarten kann, können staatlich geförderte Wohnungsbauprogramme nur 10% bieten. Jedoch übertrifft dieser Ertrag bei weitem andere Sektoren mit niedrigem Risiko, daher ziehen diese Bauprogramme einen ganzen Pool von Pensionsfonds an, die nach stabilen und sicheren Erträgen suchen. Die brasilianische Regierung setzt ihre Finanzspritzen im sozialen Wohnungsbau an. Die staatliche Verbindlichkeit zur Minderung des Bedarfs zusammen mit der daraus folgenden starken Steigerung der Grundstückswerte durch Umwandlung von Slums und Randgebieten in neue Wohnbezirke bietet Raum für die Zahlung großzügiger Dividenden an auswärtige Investoren. Die Kapitalerträge aus Immobilien ermöglichen es den örtlichen Gemeinden, kreditwürdig zu werden, während die den auswärtigen Investoren gebotenen Erträge jeden Marktstandard übertreffen.

Die Innovation

Bezahlbarkeit wird errechnet, indem man den durchschnittlichen Wohnungspreis durch das durchschnittliche Einkommen teilt. Ein Ergebnis von 3 oder weniger gilt als bezahlbar und ab 5 wird es unbezahlbar. Hong Kong ist die teuerste Stadt der Welt mit einem Wert von 11,4. Architekten und Stadtplaner haben beträchtlich viel Zeit in die Entwicklung erschwinglicher Häuser investiert, vor allem durch die Einsparung von Arbeit beim Entwurf von Fertighäusern. Doch immer noch kosten Sozialbauten in Brasilien 15.000 Euro pro Einheit, während in Indien die Kosten auf bis zu 4500 Euro gesenkt werden können. Diese Minimalanforderungen für Wohnungen nach indischer Verordnung sind zwar weitaus besser als Slums, werden aber wahrscheinlich nicht die Erwartungen eines Brasilianers erfüllen. Eins der Hauptprobleme ist, dass der soziale Wohnungsbau hohe Mengen an Beton und Zement erfordert, während die Dächer meist aus Zinkblech sind. Über den Komfort dieser Bauweise lässt sich diskutieren, doch stellen sie einen großen Teil der Emissionen an Treibhausgasen.

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Simón Vélez, ein kolumbianischer Architekt, und der herausragende Ingenieur Marcelo Villegas, haben von der großartigen Pionierarbeit von Oscar Hidalgo profitiert, dem Meister der Bambusarchitektur. Sie bemerkten, dass die Spanier bei der Eroberung der Andenregionen Kolumbiens und Ecuadors keine Regenwälder vorfanden, sondern eher Bambuswälder, in denen die Guadua angustifolia vorherrschte, ein Riesengras, das im Laufe von 70 Jahren bis zu 60 Halme pro Jahr mit einer Höhe von 25 Metern hervorbringt. Bambus ist ein exzellentes Baumaterial; hiervon zeugen Hunderte von Kolonialbauten, die älter als 200 Jahre sind. Zwar sind zwei Jahrhunderte wenig im Vergleich zu den ältesten chinesischen Bambusbauten, die angeblich 3000 Jahre alt sind, doch Simón und Marcelo untersuchten, wie man die Verbindungen von Bambusstreben so gestalten könnte, dass sie „im Rhythmus der Erde tanzen“ können. Sie setzten sich zum Ziel, Schönheit mit Sicherheit zu kombinieren.

Simón begriff, dass man Bambus gegen Sonne und Regen schützen muss, während Marcelo eine geniale Verbindungstechnik entwarf, indem er Bambusstäbe mit einem Eisenstab verband und durch ein winziges Loch mit Zement auffüllte. Als Prof. Dr. Ing. Klaus Steffens vom deutschen Institut für experimentelle Statik der Universität Bremen die selben Tests am ZERI-Pavillon in Manizales durchführte wie zuvor am Deutschen Bundestag (Reichstagsgebäude) in Berlin im Auftrag von Sir Norman Foster, war er so beeindruckt, dass er versprach, eine Baugenehmigung für dieses natürliche Struktur-Baumaterial und diese innovative Bautechnik einzuholen. Der ZERI-Pavillon auf der Weltausstellung 2000 zeigte, dass Bambus nicht nur eine Art nachwachsenden Stahls ist, der mit der Erde tanzen kann; er ist außerdem schön und bindet Kohlendioxid. Dies sind die vielfältigen Vorteile im Sinne der Blue Economy.

Erster Umsatz

Simón setzte den Erfolg seiner Entwürfe schnell um für soziale Wohnungsbauprogramme nach einem Erdbeben, das seine Heimat, die Kaffeebauregion (Eje Cafetero) in Kolumbien erschüttert hatte. Er spendete seine Zeichnungen den örtlichen Regierungsbehörden zur freien Verwendung. 65 Bambusstämme reichen aus, um ein zweistöckiges Haus mit 65 m2 Grundfläche, einem großzügigen Balkon und reichlich Dachüberhang zu bauen. Dieses Gebäude kostet weniger als 15.000 Dollar beim Bau und obwohl die Mehrheit der Bevölkerung Bambus als Symbol für Armut sieht, konnte dieses Haus mit Balkon – Symbol der höheren Mittelklasse – dem Konstruktionsmodell zu hoher Beliebtheit verhelfen. Ein Jahrzehnt nachdem diese Pionierbauten überall in Lateinamerika gebaut wurden, ist die Bambuswohnung zu einem der vielversprechendsten Durchbrüche auf dem Gebiet der CO2-neutralen Bauweise für Arm und Reich geworden.

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Die Chance

Simón und Marcelo haben sich nie die Mühe gemacht, irgendeine ihrer Erfindungen patentieren zu lassen, stattdessen haben sie ihre Erkenntnisse frei verfügbar gemacht und dabei besonders viel Zeit mit den Arbeitern verbracht, die oft weder lesen noch schreiben können, um ihnen ihr Wissen über pragmatische Bautechniken zu vermitteln. Die 41 Bambusarbeiter, die in fünf Monaten mit ihren Hämmern und Beiteln den ZERI-Pavillon in Deutschland bauten, sind alle mit einem Meister- oder Gesellentitel der Holzverarbeitung in der Tasche nach Hause zurückgekehrt. Als erster Bambuspavillon Deutschlands und als Meisterstück musste er auch seine Meister haben. Während des folgenden Jahrzehnts sind weltweit Tausende von Gebäuden entstanden. Sie basieren auf der Open-Source-Technik, die als Werkzeug für architektonische Innovationen im Buch „Grow Your Own House“ („Bau Dein eigenes Haus an“) zusammengefasst ist.

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Später fügte die japanische Firma Taiheiyo Cement dieser Palette nachhaltigen Designs ein System für Dächer und Wände aus 75% Bambus und 25% Zement hinzu, die zusammengepresst als CO2-neutrale Bambus-Beton-Platten mittlerweile auf breiter Ebene für Fernbahnhöfe in Japan eingesetzt werden. Heutzutage leben über eine Milliarde Menschen in Bambushäusern, und zum ersten Mal ist sozialer Wohnungsbau nicht mehr gleichzusetzen mit der Ersetzung von natürlichen Baumaterialen durch Beton, Zement und Zink. Vielmehr bietet sich eine wettbewerbsfähige Option des Engagements im sozialen Wohnungsbau, der CO2 bindet dank einer weiteren Erfindung (Erläuterung folgt in Beispiel 45), die Bambusstrukturen eine lange Lebensdauer verleiht. Noch besser: diese Entwicklungen haben zu weiträumigen Wiederaufforstungsprogrammen beigetragen.

Für das Bambusplatten-Projekt von Taiheiyo Cement mussten 2000 Hektar Bambus in Bergregionen rund um Jakarta in Indonesien angepflanzt werden, die ständig geerntet werden, um die 2,5 mm langen Fasern bereitzustellen. Jüngsten Schätzungen zufolge sind bereits 500 000 Hektar Brachland mit Bambus aufgeforstet worden, ohne dass Subventionen nötig waren. Obwohl dies Arbeitsplätze schafft und Kohlenstoff bindet, ist noch wenigen bewusst, dass Bambuswälder den Effekt der Wärmeinseln mindert und einen Temperaturrückgang von bis zu 10 Grad bewirkt (Pandas und Tiger wissen, wo sie sich vor der Hitze schützen können). Ebenfalls wird der Wasserkreislauf positiv beeinflusst; Bäche beginnen sich spontan wieder zu füllen. Ein soziales Wohnungsbauprogramm, dass zusätzlich Trinkwasser schafft und die Temperatur auf der Erde senkt ist ein Beweis für die Macht der Blue Economy.

Bilder: StockXCHNG
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