66. Eierschalen
Der Markt
Der Weltmarkt für Kalziumkarbonat (CaCO3, Kalk) hat die magische Marke von 100 Millionen Tonnen überschritten und wächst erwartungsgemäß bis 2015 weiter auf eine 35-Milliarden-Dollar-Industrie an. Der steigende Verbrauch auf dem asiatischen Markt liegt bei schätzungsweise über 7 Prozent bis 2017. China produziert ca. 70% der Gesamtmenge weltweit. Kalziumkarbonat ist ein anorganisches Material, das als Füllmasse in Papier, Plastik, Überzügen sowie Talkum und Kaolin in der Körperpflege eingesetzt wird. Die Papierindustrie stellt den größten Markt, da das Mineral wegen seiner weißenden Eigenschaften stark nachgefragt wird und Chlorzusätze aufgrund ihrer Umwelt- und Gesundheitsschädlichkeit vor kurzem aus der Herstellung genommen wurden. Holzfreies ungestrichenes Papier macht einen Marktanteil von 40 Prozent aus und verbraucht am meisten Kalziumkarbonat als Füllmittel.
Kalk ist ungiftig und kann ab einem bestimmten Reinheitsgrad direkt als Lebensmittelzusatz oder Zusatzstoff in Kosmetik und sogar Medikamenten genutzt werden. In Schreibwaren wird es seit der Einführung von chemiebasierten Stiften weniger eingesetzt. Das hoch basische Mineral ist in großen Mengen in Perlen, Muscheln, Fischgräten und Korallen enthalten. Die Nachfrage auf diesem Gebiet wäre noch höher, wenn der Bergbau es nicht verdrängen würde. Kommerziell wurde Kalziumkarbonat erstmals 1841 im Vereinigten Königreich aus Kalziumchlorid und Ätznatron hergestellt. Während des letzten Jahrhunderts wurde es aus Lehm gewonnen. Der weltgrößte Hersteller ist heute Specialty Minerals Inc., eine Tochterfirma von Minerals Technologies Manufacturing (USA), er produziert pro Jahr über 4 Millionen Tonnen Kalk in 55 Fabriken und 18 Ländern mit Verkäufen in Höhe von 600 Millionen US-Dollar. In Indien wird der Markt von Kunal Calcium Limited angeführt, einer Firma, die in den letzten 10 Jahren ihre Produktion um das Fünffache gesteigert hat und als Beispiel für den stark gestiegenen Verbrauch in Asien dient.
Die Innovation
Wichtigster Rohstoff für Kalziumkarbonat ist Kalkstein aus dem Bergbau. Meist handelt es sich dabei um Knochenfragmente von Meerestieren, vor allem Korallen. Der Abbau und die Verarbeitung werden normalerweise am selben Ort durchgeführt. Im Mittelalter war Kalkstein ein beliebter Baustoff, doch da er auf Säure reagiert, sind die historischen Gebäude stark durch sauren Regen beschädigt worden. Daher wird Kalk in den Stadtgebieten unserer Breiten mit hohem Säuregehalt in Luft und Wasser nicht mehr gern eingesetzt. Reines Kalziumkarbonat als Lebensmittel- oder Medikamentzusatz wird aus Marmor hergestellt, manchmal enthalten Kosmetika auch gemahlene Perlen. In Wasser gelöster Kalk ist häufig anzutreffen, er führt zu „hartem“ Wasser, setzt sich an den Rohren ab und beschädigt vor allem Boiler. Um das Wasser auf chemischem Wege wieder weicher zu machen, wird Natrium oder Phosphate eingesetzt. Dadurch wird der Kalk aber kommerziell unbrauchbar, schlimmer noch, die Phosphate machen das Wasser untrinkbar. Leider kann kein Abwasserklärsystem effektiv den Kalk aus dem Wasser lösen, daher erhöhen sich die Wartungskosten, und die Lebensdauer der Geräte sinkt.
Brendon Risby war fasziniert von der Wirbeltechnologie, die vor hundert Jahren erstmals durch Viktor Schauberger beschrieben wurde. Brendon und sein Vater erstellten viele Entwürfe und standen in regem Austausch von Zeichnungen mit Curt Hallberg, der erfolgreich wirbelbasierte Anlagen zur Wasseraufbereitung in seiner Firma Watreco AB entwickelt hat (siehe auch Beispiel 1). Im Gegensatz zu Curt jedoch suchte Brendon nach Wegen, mithilfe des Wirbels Stoffe aus dem Wasser zu lösen, und eine seiner ersten Erfindungen war die Verarbeitung von Bioabfällen. Er untersuchte, wie die Abfälle zu zerkleinern, zu trocknen und zu trennen seien, um hochwertige Produkte aus ihnen herzustellen. Dabei konzentrierte er sich auf die Verarbeitung vor Ort und Ausnutzung der Wirbelbewegung, die einem genauen mathematischen Algorithmus folgt. Schnell konnte er mehrere Geschäftsmöglichkeiten für sein innovatives Wirbelkonzept identifizieren. Dann baute er eine Maschine, die eine breite Palette von Materialien verarbeiten kann, von Torf und Schlamm bis hin zur Trocknung von Sand und Verarbeitung von Ton und sogar bestimmten Abfallströmen wie Teppichresten. Dieser wirbelbasierte Apparat wurde später als „Vortair Processor“ vermarktet. Im Jahr 2009 gründete Brendon mit weiteren Partnern die AgroPlas A/S, eine norwegisch-britische Firma, die sich auf die Umsetzung von Forschungsergebnissen in geistiges Eigentum und fertige Geschäftsmodelle konzentriert. Prinzipiell widmet sich AgroPlas der Transformation von Negativkosten von Abfällen in wertvolle und nachhaltige Produkte, die Einnahmen generieren.
Der erste Umsatz
Einer der ersten Abfallströme, auf die Brendon sich konzentrierte, waren Eierschalen, die als Kostenfaktor in Brutanstalten und Lebensmittelbetrieben gelten. Allein in Europa werden schätzungsweise 150 000 Tonnen Eierschalen jährlich auf Müllhalden verbracht, was pro Tonne 50 bis 200 Euro kostet, je nach Ort. In China fallen über 500 000 Tonnen Eierschalen an. Da die Schalen medizinisch nutzbaren Kalk enthalten, gilt es, die Membranen von der Schale zu lösen. Durch die Vortair-Maschine kann dieser sonst mühsame und kostspielige Prozess stark vereinfacht werden und so dieser Abfall ohne körperliche Arbeit oder bewegliche Teile in eine wertvolle und erneuerbare Quelle für reines Kalziumkarbonat umgewandelt werden. Eine einzige Vortair-Einheit kann 10 000 Tonnen Eierabfälle bei Vorauskosten von 6 Euro pro Tonne verarbeiten und somit ein Vielfaches an Gewinnen liefern.
Das hochwertige und chemiefreie Kalziumkarbonat, das durch ein Minimum an Energiezufuhr gewonnen wird, schafft ein Ertragspotenzial von 1300 Euro pro Tonne. Dieser Durchbruch sorgt mit Sicherheit für größere Umwälzungen auf dem Markt für hochwertigen Kalk, anstatt Kosten in Millionenhöhe für gemahlenen Marmor sind Gewinne im dreistelligen Millionenbereich möglich. Vortair ist die einzige bekannte Technologie, die effizient und gewinnbringend Eierschalen aufwerten kann. Die Umwandlung eines Abfalls in einen erneuerbaren Rohstoff, der die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie steigert und Kosten im Bergbau senkt, ist einer der Schwerpunkte der Blue Economy.
Die Chance
Diese Technologie wurde 2011 kommerzialisiert, und es ist zu erwarten, dass nur durch die Verarbeitung von Eierschalen auf lokaler Ebene 30 bis 50 neue Firmen entstehen könnten, die alle lokal einen Vortair in Verbindung mit einem größeren Industriekomplex betreiben könnten. Dasselbe Prinzip könnte auf Papierschlamm angewendet werden, der aufgrund seines Tongehalts als Abfall auf Müllhalden landet. Vortair trennt zunächst das Wasser ab und produziert dann zwei trockene Substanzen, eine aus organischen Fasen und die andere aus anorganischem Ton. Beide sind wiederverwendbar und –verkäuflich. Mit einer Kapazität zur Verarbeitung von 25000 Tonnen Papierschlamm pro Jahr ermöglicht diese Innovation nicht nur die Entlastung der Müllhalden, sondern steigert auch das Gewinnpotenzial, ohne Energiekosten durch Trocknung oder Pressen zu generieren. In den Papierrecyclinganlagen Europas fallen jährlich etwa 20 Millionen Tonnen Papierschlamm an. Dies bedeutet, dass die Innovation das Potenzial besitzt, allein in der EU 800 Verarbeitungsanlagen hervorzubringen, die die Müllhalden gewinnbringend entlasten. Gründer, wo seid ihr?
Es überrascht nicht, dass diese Möglichkeit einige städtische Firmen dazu motiviert hat, die Initiative zu ergreifen. Die erste städtische Firma weltweit, die beschlossen hat, in die von Brendon und seinem Team präsentierten Innovationen zu investieren, war die Stadt Drammen in Norwegen. Seit 2001 ziehen die Bürger so viele Ressourcen wie möglich aus Abfällen und gründeten Lindum A/S, um die Müllhalden zu entlasten, Treibhausgase zu verringern, den Rohstoff- und Energieverbrauch einzuschränken und die Einnahmen der Stadt zu steigern. Jährlich fährt die Firma etwa eine Million Euro netto ein. Ermutigt durch den Erfolg der ersten zehn Jahre ist Lindum nun eine Partnerschaft mit AgroPlas eingegangen, um das Potential des Wechsels von der Abfallentsorgung zur Rohstofflieferkette zu zeigen, das die Stadt wettbewerbsfähiger macht, Arbeitsplätze schafft und nachhaltig wirtschaftet. Wer sagt, dass Gründer immer aus dem privaten Sektor kommen?
Bilder: StockXCHNG