20. Plastik aus Nahrungsmittelabfällen
Der Markt
Der Weltmarkt für biologisch abbaubare Kunststoffe wächst im zweistelligen Prozentbereich und wird bis 2015 auf sechs Milliarden Dollar steigen. Bis 2025 wird er sich noch einmal auf zwölf Milliarden Dollar verdoppeln. Während momentan 65 Prozent allen Bioplastiks für die Verpackung von Nahrungsmitteln und Getränken produziert werden, wird erwartet, dass bis 2025 bereits ein Viertel für hochwertigere Anwendungen auf dem Automobil- und Elektroniksektor verwendet werden. Die Industrie für Bioplastik hat sogar die Medizin als eine der Haupt-Marktnischen entdeckt, von der sie sich Profite verspricht, die den gegenwärtigen Gewinn durch Plastiktassen und -besteck um ein Zehnfaches übersteigt. Die europäische Handelsgruppe für Bioplastik erwartet, dass ihre Kapazitäten sich zwischen 2007 und 2011 verdreifachen werden, bis auf eine Gesamtmenge von 1,5 Millionen Tonnen. Ebenso erwartet man, dass bis 2025 etwa 15 bis 20 Prozent des erdölbasierten Plastiks ersetzt werden durch Kunststoffe auf Pflanzen-, Algen und Bakterienbasis.
Eine Analyse der Weltproduktion von Bioplastik zeigt, dass es etwa 500 Produktions- und Verarbeitungsfirmen gibt. Da das Geschäft für hohes Wachstum und eine Vielzahl von Innovationen steht, zieht es Unternehmer und Investoren stark an. Hieraus lässt sich schließen, dass die Zahl der Unternehmen für Bioplastik um ein Zehnfaches auf 5000 Firmen steigen wird. Die Helmut Kaiser Unternehmensberatung zeigt auf, dass weltweit weniger als drei Prozent der Kunststoffabfälle recycelt werden, hingegen 30 Prozent allen Papiers und 35 Prozent aller Metalle. Zahlreiche Versuche, Plastikmüll für Taschen und Kleidung zu verwenden, haben zwar weltweit in den Medien für Aufsehen gesorgt, aber weder die Plastikberge verkleinert noch die Ansammlungen von Plastik zu künstlichen Müll-Inseln verringert, die die Ozeane schädigen.
Biologisch abbaubares Plastik wird immer beliebter bei Konsumenten, die ihre Kaufkraft gern auf grüne Lösungen umstellen. Jedoch wird Bioplastik zunehmend zur Konkurrenz um landwirtschaftliche Flächen, die sonst für die Nahrungsmittelproduktion reserviert waren. Mais als Hauptprodukt für die Herstellung von Bioplastik konkurriert mit Tortillas in Mexiko und Cornflakes in Japan. Die steigende Nachfrage zieht steigende Preise eines Hauptnahrungsmittels nach sich. Die Komplexität dieser Situation führte dazu, dass die Vereinten Nationen eine Warnung an Politiker und Industrielle aussprach, dass der Trend zu Bioplastik die Sicherheit der Lebensmittel beeinträchtigt. Da auf der Welt Nacht für Nacht über eine Milliarde Menschen hungrig zu Bett gehen, muss die Entscheidung zwischen Erdöleinsparung und einer täglichen Mahlzeit zu einem Überdenken unserer Geschäftsmodelle führen. Zudem verhält sich eine Tasse aus Bioplastik nicht anders als eine aus Erdöl: Auf einer Müllkippe ohne Luft- und Hitzezufuhr zersetzt sie sich einfach nicht.
Die Innovation
Die Suche nach Rohmaterial für Plastik hat Wissenschaftler und Unternehmensentwickler dazu gebracht, noch einmal neu umzudenken. NatureWorks, das amerikanisch-japanische Joint Venture zwischen Cargill und Teijin, arbeitet weiterhin mit Mais als Hauptquelle für Stärke. Dies hat die Debatte um die Verwendung von genetisch verändertem Mais geschürt, der nun den amerikanischen Markt dominiert und die europäischen Konsumenten erreicht. Kürzlich wurde bekannt, dass NatureWorks seine Produktion auf dem Alten Kontinent auf 140 000 Tonnen pro Jahr verdoppelt. Die Debatte geht über die Genetik hinaus, sie schließt auch den Bedarf an Düngern und Unkrautvernichtern ein, der für Mais um ein Vielfaches höher ist als für Soja.
Prof. Yoshihito Shirai am Institut für Biowissenschaften am Kyushu Institute of Technology (KIT) in Japan entschied sich für eine einfache, aber recht neuartige Lösung. Er beobachtete, dass die Restaurants in Japan große Mengen an Lebensmitteln wegwerfen. Da die örtlichen Müllkippen immer voller wurden und der Wunsch nach Senkung der Kohlenstoffemissionen dringlicher, kombinierte Prof. Shirai alle verfügbaren Kenntnisse und entwickelte mit seinen Kollegen und Studenten eine Produktionseinheit für Polymilchsäuren (Polylactic Acid, PLA), die mit stärkereichen Nahrungsmittelabfällen als Rohmaterial arbeiten. Obwohl weniger stärkehaltig als Mais, überzeugt das finanzielle Modell und ist umweltfreundlicher als alle anderen Biokunststoffe, vor allem PLA auf Maisbasis.
Erster Umsatz
Die Stadt Kita-Kyushu startete früh ein Kompostierprogramm, um die Überlastung der Müllkippen zu mindern. Japan, eine Insel mit wenig bewohnbarer Fläche, berechnet weltweit die höchsten Gebühren zur Müllentladung. Indem Lebensmittelabfälle aus Restaurants von den Müllkippen abgezweigt werden, entsteht ein erster Cash Flow: die Restaurants bezahlen weiterhin für die Abfallsammlung, doch das Geld kommt nun dem Kunststoffhersteller zugute, der somit für die Abfallannahme bezahlt wird. Statt nach Lieferern für Gen-Mais suchen zu müssen, der auch noch das Grundwasser durch starke Bewässerung belastet, hat Prof. Shirai die erste Fabrik in Kooperation mit der Umweltfirma EBARA erbaut, die sich dem Ziel der Null-Emissionen und Null-Müllverursachung verschrieben hat. EBARA ist zudem der größte Pumpenhersteller in Japan.
Die Produktionsmenge ist gering im Vergleich zu den 100 000-Tonnen-Produktionseinheiten der Bioplastik-Industrie. Daher konnte Prof. Shirai die standardmäßigen Technologien zur Verarbeitung nicht wirtschaftlich nutzen. Stattdessen entschied er sich für einen einfachen Fermentationsprozess, der über Nacht in einem Chargenverfahren PLA generiert. Zwar sind die Konversionsraten viel niedriger als bei Mais, dafür liegen die Energiekosten für Transport und Transformation bei einem Bruchteil des Marktstandards, und die Größe des Betriebs kann auf die lokale Müllkippe zugeschnitten werden.
TDie Chance
Prof. Shirai und KIT hatten nicht die Ambition, eine neue Industrie aufzubauen; ihr Hauptziel war, die technische und kommerzielle Tragfähigkeit der Verarbeitung von Lebensmittelabfällen zu PLA-Kunststoffen in kleinem Maßstab zu beweisen. Mit nur einer Tonne pro Tag ist der Prozess marktfähig, einfach weil der Verkaufspreis für Plastiktüten für die Müllsammlung zehnmal höher ist als die Kosten für ihre Rohmasse – Erdöl. Diese Art von Profitmarge zieht immer neue Akteure auf dem Markt an.
Hier werden erdölbasierte Tüten durch Polymere aus Lebensmittelabfällen ersetzt, die nicht mit Nahrung für die Menschen konkurrieren und Methanemissionen aus der Kompostierung verhindern sowie die wirtschaftliche Lebensdauer der Müllkippen verlängern. Dies ist mit Sicherheit ein Geschäftsmodell, das durch Unternehmer auf der ganzen Welt umgesetzt werden kann.
Bilder: StockXCHNG