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98 Eine Zukunft für den Buchweizen im Himalaja

Dieser Artikel stellt Innovationen für die Landwirtschaft im Hochgebirge vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

Der Markt

Im Jahr 2010 erreichte der Weltmarkt für Buchweizen schätzungsweise 400 Millionen US-Dollar. Die Gesamtproduktion lag bei nur 1,5 Millionen Tonnen, d.h. nur bei der Hälfte dessen, was 2001 noch geerntet wurde. In Russland, dem Land mit der zweitgrößten Produktionsmenge nach China, haben die Wetterverhältnisse stark zu diesem Rückgang beigetragen und den Verbrauchspreis von einem auf drei Dollar steigen lassen. Die Landbesitzer wurden zunehmend für große Firmen unter Vertrag genommen, die vorhersehbare Einnahmen bieten. Die fünf weltgrößten Produzenten (China, Russland, Ukraine, Polen und die USA) erwirtschaften über 80 Prozent, davon allein China 39 Prozent. China ist nicht nur weltgrößter Lieferant, sondern führt auch den Markt für Innovationen auf diesem Gebiet mit 100 Vollzeitstellen für Forscher in 66 Instituten. Sie konzentrieren sich auf die Steigerung der Ernteerträge, die in den letzten drei Jahrzehnten um 70 Prozent anstiegen.

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Buchweizen wird in den hohen Lagen Zentralasiens seit mindestens 5000 Jahren angebaut. Dieses glutenfreie Korn wurde vor etwa tausend Jahren in Europa bekannt und gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Nordamerika eingeführt. Über Generationen hinweg sicherte er die Ernährung im Himalaja, hauptsächlich in zwei Varianten: Gemeiner Buchweizen mit einem Ernteertrag von 750 kg pro Hektar und bitterer Buchweizen mit 1600 kg Ertrag pro Hektar. Buchweizen wächst in einer Höhe von bis zu 4400 Metern und kann bereits 30 Tage nach der Aussaat geerntet werden. In Japan dauert es nur 75 Tage von der Aussaat bis zu verbrauchsfertigen Soba-Nudeln. Buchweizen wächst so schnell, dass er das meiste Unkraut überwuchert. Er kann auf mageren Böden angebaut werden, benötigt weder Pestizide noch Dünger und ist ideal für die Vorbereitung der Böden auf Bio-Landwirtschaft. Hauptsächlich wird Buchweizen für Pfannkuchen verwendet (Europa und Nordamerika) sowie für Soba-Nudeln (Japan). Im Himalaja jedoch wird er zu 70 Prozent zur Versorgung der örtlichen Bevölkerung angebaut.

Die Innovation

Buchweizen ist eine der effizientesten Quellen für pflanzliches Protein und übertrifft in dieser Hinsicht alle anderen Getreidesorten (obwohl es aufgrund seiner Pyramidenform als Frucht klassifiziert wird). Der menschliche Organismus kann 74 Prozent des Proteins aus Buchweizen verwerten, darin sind acht essentielle Aminosäuren enthalten sowie Vitamin E und fast das gesamte Spektrum aller B-Vitamine, die den Insulinbedarf des Körpers regeln. Honig aus Buchweizenblüten enthält bis zu zwanzig Mal mehr Antioxidantien als jeder andere Honig und ist daher ein erstklassiges Nebenprodukt. Die Schalen werden als Verpackungsmaterial genutzt sowie als Ausgangsmaterial für Heizkissen, Matratzen und als Füllmasse für hypoallergene Kissen, die den Nacken hervorragend stützen. Die Werbung jedoch hat das Image des Buchweizens beeinträchtigt, weswegen die lokale Bevölkerung zunehmend weißen Reis bevorzugt. Durch diesen Wandel in den Verbrauchsgewohnheiten läuft der Buchweizen Gefahr, vergessen zu werden, trotz des einfachen Anbaus, der gesundheitlichen Vorteile sowie seiner unumstrittenen Fähigkeit, den Boden zu verbessern. In Europa und Nordamerika erfreut sich diese Pflanze nur bei Diabetikern zunehmender Beliebtheit. Als integraler Bestandteil der Kultur und Tradition im Himalaja ist Buchweizen nun von der Ausrottung bedroht. Dies würde nicht nur einen Einnahmenverlust für die Bauern bedeuten, die nicht in Wettbewerb mit subventioniertem Getreide aus Massenproduktionen treten können, sondern auch die Gesellschaft grundlegend beeinflussen.

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Kinley Tshering studierte Forstwirtschaft an der Universität Montana in Missoula (USA). Als gebürtiger Bhutanese interessierte er sich für die Erhaltung der Traditionen seines Landes, vor allem seiner Wirtschaft und Ökosysteme auf Grundlage des Waldbestands, und schloss daher den Studiengang der Forstwirtschaft ab. Während er in Montana lebte, erlernte er jedoch auch die Kunst des Bierbrauens. Ursprünglich war er als oberster Förster Bhutans vom Konzept der Blue Economy begeistert. Nachdem er an den Treffen teilgenommen hatte, ergab sich für ihn die Möglichkeit, das Thema der Bierbrauerei auf Grundlage des Buchweizens erneut aufzugreifen. Als er von dem Geschäftsmodell erfuhr, das der Japaner Sy Chen als Marken- und Vertriebsexperte beschrieben hatte, erkannte er, dass Buchweizen aus Bhutan zwar nicht auf internationalen Märkten in Wettbewerb treten, aber doch die ideale Basis für die Kreation eines einzigartigen alkoholfreien Buchweizenbiers liefern könnte. Sy zufolge stellt alkoholfreies Bier das Segment mit dem höchsten wirtschaftlichen Wachstum in Japan dar. Das Geschäftsmodell sieht nicht vor, dass Bier aus Buchweizen in Bhutan produziert und dann nach Japan verschifft wird; stattdessen soll die Marke lizenziert und die Schlüsselzutaten geliefert werden. Ersten Schätzungen zufolge könnten die Erträge aus Lizenzgebühren auf den Bierverkauf mehr Einnahmen als der Export des Buchweizens generieren.

Der erste Umsatz

Sy und sein Team von Creative Intelligence Associates in Japan entwickelten die Marke PAWO, die in Japan registriert und Eigentum des Bhutanesischen Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft ist. Jim Lueders von der Wildwood Brewery in Stephensville (Montana), nur 20 Meilen von Kinleys Studienort entfernt, ist bereit, an den ersten Schritten der Brauerei aus Buchweizenmalzextrakt mitzuwirken. Wenn der Buchweizen exportiert und für die Bierbrauerei genutzt würde, hätte nur die Stärke einen Wert. Der Rest würde als billiges Tierfutter enden. Doch wenn die Bhutanesen zunächst das Malzextrakt herstellen, können die übrigen 92 Prozent vor Ort als Tierfutter verwendet und so der teure und minderwertige Import von Futter aus Indien ersetzt werden, das meist aus landwirtschaftlichen Abfällen sowie Resten aus der Fisch verarbeitenden Industrie besteht. Jede Tonne Buchweizen würde somit 900 kg Tierfutter liefern.

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Da Buchweizen nur 14 Prozent Feuchtigkeit enthält und Trester nach der Malzextraktion 50 Prozent, ergibt sich hier ein hochwertiges lokal verfügbares Futter ohne oder nur mit geringen Transportkosten, eine Win-Win-Situation für Farmer und Bierbrauer. So entsteht ein typisches und doch wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell im Sinne der Blue Economy. Kinley und sein Team arbeiten nun an der Produktion eines Biers für den Genuss vor Ort in einer örtlichen Brauerei mit der technischen Unterstützung durch Jim Lueders. So wird Expertenwissen vor Ort gesichert und auf dem lokalen Markt ein Ruf kreiert, der das richtige Image auf dem internationalen Markt schafft. Gleichzeitig werden die Bedürfnisse des Markts vor Ort berücksichtigt. Mit einer Investition von etwa 600.000 US-Dollar kann die Brauerei im Jahr 2013 in Betrieb gehen.

Die Chance

Die ersten Kontakte in Japan bestätigen die Machbarkeit des Lizenzmodells. Doch es besteht Nachfrage nach mehr als nur einem Markennamen und einem Malzextrakt aus Bhutan. Die Bierbrauerei nach dem Deutschen Reinheitsgebot aus dem 16. Jahrhundert sieht vor, dass nur Wasser, Gerste und Hopfen eingesetzt werden. Im Originaltext fehlt der Hinweis auf Hefe, die erst drei Jahrhunderte Später von Louis Pasteur entdeckt wurde: Bier kann nur mit Hilfe der richtigen Art Hefe fermentiert werden. Bhutan besitzt großen Reichtum an wilder Hefe, die auf die gleiche Weise wie in mehreren traditionellen Brauereien Belgiens geerntet werden kann.

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Dies bedeutet, dass die exklusive bhutanesische Bierlizenz nun Gewinne produzieren könnte aus: (1) der Lizenzgebühr auf den Bierverkauf, (2) den Verkauf des Malzextrakts, (3) den Verkauf des Tresters aus dem Extraktionsprozess als Tierfutter, (4) dem Verkauf des Biers vor Ort und (5) dem Verkauf wilder Hefe. Bei der Bierbrauerei entsteht unvermeidlich Alkohol. Für alkoholfreies Bier muss der Alkohol nachträglich wieder entzogen werden. In diesem Fall also könnte ein zusätzlicher Strom für Einnahmen aus dem Alkohol entstehen. Zukünftig könnte Bhutan sogar eigenen Hopfen liefern und somit ein halbes Dutzend Einnahmeströme schaffen, die den Buchweizen im Himalaja unabhängig von den Weltmarktpreisen machen.

Das Programm für Bio-Anbau der bhutanesischen Landwirtschaftsbehörde wird die Belebung des Anbaus von Bio-Buchweizen als Teil einer Initiative zur Beschleunigung der sozioökonomischen Entwicklung des Landes genehmigen. Bisher war der in Höhen über 3000 Metern angebaute Buchweizen unwirtschaftlich und konnte den Weltmarktpreisen nicht standhalten. Nun wird das traditions- und nährstoffreiche Getreide zum Motor der ländlichen Entwicklung. Noch besser: Es ermöglicht den Erhalt der Jahrtausende alten Kultur im Himalaja und der ländlichen Gemeinden, indem Transport- und Lieferkosten auf ein Minimum reduziert und doch die Vorteile der globalisierten Gesellschaft genutzt werden. Blue Economy stellt sich nicht der Globalisierung entgegen, sondern unterstützt die Fähigkeit der Befriedigung lokaler Bedürfnisse, den Aufbau von Sozialkapital und die Sicherung der Lebensqualität. Die für Bhutan entworfene Lösung ist keine Ausnahme, sondern Teil einer breiteren Initiative zum wirtschaftlichen Aufbau durch verfügbare Ressourcen. Sie bedeutet einen Wandel von der blinden Massenproduktion und dem kurzsichtigen Blick auf niedrige Preise und Löhne, während Transport und Werbung 90 Prozent des Mehrwerts schlucken, der auf dem Weg von der Farm oder Mine bis hin zum Endprodukt generiert wird. Diese 90 Prozent könnten in der lokalen Wirtschaft verbleiben und dort das Wachstum fördern, ohne eine Inflation zu verursachen. Die fehlende Verbindung zum Erfolg sind Unternehmensgründer, die Chancen sehen und bereit sind, die sechs Gewinnströme zu nutzen, die sowohl Zitrusfrüchte aus Südafrika, Äpfel in Chile oder australisches Gemüse charakterisieren.

Bilder: K.G. Kirailla/Wikipedia, Stock.XCHNG

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97 Die neue Generation der urbanen Landwirtschaft

Dieser Artikel stellt Innovationen für die urbane Landwirtschaft vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

Der Markt

Seit 2010 lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Schätzungsweise 800 Millionen Personen arbeiten weltweit in der urbanen Landwirtschaft und produzieren mindestens 15 Prozent der Gesamtmenge an Lebensmitteln. So wie sie heutzutage betrieben wird, ist die urbane Landwirtschaft primär keine Geldquelle, sondern eher ein Mittel zur Sicherung der Ernährung. Nur in wenigen Ländern wird über ein Drittel der Produktion auf dem Markt verkauft, daher gibt es nur wenig Daten zu Verkäufen und Umsatz. In Madagaskar und Nigeria liegen die Einkünfte aus der urbanen Landwirtschaft bei über 50 Prozent des Einkommens der wirtschaftlich schwächeren Bevölkerung. Die einkommensschwachen Stadtbewohner geben 40-60 Prozent ihres täglichen Einkommens für Lebensmittel aus und sind zunehmend auf lokal produzierte Nahrungsmittel angewiesen. Für 2015 wird erwartet, dass mindestens 25 Städte die 10-Millionen-Einwohner-Grenze überschreiten. Dies erfordert den Import von täglich mindestens 6000 Tonnen Lebensmitteln pro Stadt. Da die Transportkosten vom Land in die Stadt bis zu 90 Prozent des Gesamtpreise ausmachen, werden Lebensmittel unerschwinglich für die ärmere Bevölkerung, deren Situation sich durch Mangelernährung und gesundheitliche Risiken dauerhaft verschärft.

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Um die Bedürfnisse der 250 Millionen armen Stadtbürger weltweit zu befriedigen, muss die Lebensmittelproduktion in den Städten sich mindestens verdoppeln. Die Stadt Havanna ist vielleicht noch die erfolgreichste in der Nutzung urbaner Landwirtschaft zur Sicherung der Ernährung. Dort gibt es 300 000 Hinter- oder Innenhöfe mit einer Gesamtfläche von 2500 Hektar, mit steigender Tendenz hin zu einer halben Million im Jahr 2015. Über 40 Prozent aller Haushalte betreiben irgendeine Form der urbanen Landwirtschaft einschließlich der weit verbreiteten Hydrokultur und sichern sich so 2600 gesunde Kalorien pro Tag und Kopf. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der folgenden Hungersnot gelang es Kuba im Allgemeinen und Havanna im Besonderen, innerhalb eines Jahrzehnts die Mangelernährung zu beseitigen. Während dieser zehn Jahre nahm jeder erwachsene Kubaner im Durchschnitt um 10 Kilo ab und 22 Prozent aller neuen Arbeitsplätze im Land entstanden in der urbanen Landwirtschaft. In Harare, der Hauptstadt Simbabwes, gedeiht die urbane Landwirtschaft ebenfalls bestens. Über ein Viertel aller armen Stadtbewohner betreibt diese Art des Anbaus und trägt so 60 Prozent zum Gesamtbedarf der Nahrungsmittel bei. 80 Prozent der urbanen Landwirtschaft in Harare werden auf öffentlichen Böden betrieben und inzwischen sind 25 Prozent der Stadtfläche zu kleinen Gärten oder Farmen geworden – ein Zeichen des Einfallsreichtums, den die Menschen zur Überwindung ihrer Armut und Mangelernährung entwickeln.

Doch Armut gibt es nicht nur in den Städten der Dritten Welt. In den USA leben bereits 50 Millionen Einwohner ohne gesicherte Ernährung und in Europa sind schätzungsweise 30 Millionen Stadtbürger unterernährt. In einer Stadt wie Chicago gibt es 600 Gemeindegärten mit einer Fläche von 300 000 m2 Gemüseanbau auf Dächern, in Detroit sogar 1300 Gärten. Die Kosten zur Bewirtschaftung von 2000 m2 belaufen sich auf etwa 25 000 Dollar und sind durch Mikrokredite finanzierbar, die jedoch nicht leicht bewilligt werden.

Die Innovation

Gemeinhin gilt die urbane Landwirtschaft als kleinräumig und unproduktiv. Die Herausforderung liegt hauptsächlich in der Kontrolle der Qualität und der Steigerung der Produktivität. Die Einführung der Perma- und Hydrokultur in städtischen Räumen bot einen ersten Durchbruch. Die Permakultur beruht auf der Logik der Kombination dreier Reiche der Natur (Pflanzen, Tiere und Mineralien) nach dem Wissen der Biologen in den 1970er-Jahren. Seitdem wurde die Theorie auf fünf Reiche erweitert (Bakterien/Einzeller, Algen/Protisten, Pilze, Pflanzen und Tiere). So konnte die lokale Landwirtschaft auf Pilze und Algen ausgeweitet werden (Siehe Beispiel 3 und 21). Ziel ist jedoch die Verdopplung des Ertrags in der urbanen Landwirtschaft, womit Transport-, Lager- und Kühlkosten eingespart und so die Lebensmittelkosten für die armen Stadtbewohner um 90 Prozent gesenkt werden könnten. Es werden also noch ehrgeizigere Ideen und Unternehmensgründer gesucht. Zwar funktioniert die urbane Landwirtschaft in tropischen Zonen gut, doch wie sieht es in den gemäßigten oder kalten Klimazonen aus?

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Der gebürtige Libanese Mohamed Hage ist mit Leib und Seele Geschäftsmann. Er gründete eine durch Werbung finanzierte Web-Community über Robotik und Elektronik, die schnell in Cypra Media mündete, einen der größten Provider für Email-Marketing in seiner Wahlheimat Kanada. Als Mensch, der sich gern im Freien aufhält und motiviert durch seine Leidenschaft für Haute Cuisine und frische Lebensmittel, wie er sie aus seiner Kindheit im Mittelmeerraum kannte, dachte er sich ein neuartiges Modell für die Landwirtschaft aus, das in Großstädten umgesetzt werden kann. Im kanadischen Montreal mit seinen harten und kalten Wintern entwarf er Treibhäuser auf Dächern, in denen die Lebensmittel für den Bedarf der Städter wachsen. Zwar verstand er viel von Technologie, doch er besaß nur begrenztes Wissen im Feldbau. Also gründete er eine Allianz auf akademischer Ebene mit der McGill University und erforschte, wie sein unternehmerisches Talent ein Geschäftsmodell hervorbringen könnte, das über Gemeindegärten hinausgeht, die nur halbjährlich betrieben werden. Sein Ziel war der ganzjährige Betrieb trotz des kalten Winterwetters.

Der erste Umsatz

Mit einem Startkapital von 2 Millionen Dollar gründete Mohamed die Lufa Farms, deren Name durch die libanesische Luffa-Pflanze inspiriert ist (Luffa aegyptiaca), die in seiner Heimat als pflanzlicher Schwamm und anfangs auch als Nährboden in der Hydrokultur eingesetzt wurde. Er mobilisierte ein vielseitiges Team und vereinte alles vor Ort verfügbare Wissen, um den ersten Nutz-Dachgarten anzulegen, der an die schneereichen kanadischen Winter angepasst war und gleichzeitig den städtischen Bauvorschriften entsprach. Es war viel Geduld nötig, um das wissenschaftlich fundierte und gut finanzierte Projekt zu Ende zu führen. Es dauerte ein Jahr, um die städtischen Bauvorschriften dahingehend zu ändern, dass sie die Landwirtschaft im Stadtzentrum erlaubten. Nach vier Jahren hatte er alle technischen und gesetzlichen Herausforderungen gemeistert und liefert nun ganzjährig Nahrungsmittel wie Obst und Gemüse zum täglichen Genuss an Menschen in der Innenstadt.

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Die Anlage liegt im Viertel Ahuntsic-Cartierville in Montreal, nahe dem Zentralen Marktplatz, auf einem 3000 m2 großen Dach. Sie liefert wöchentlich 1000 Körbe frischer Lebensmittel zu einem Preis von 22-42 kanadischen Dollar pro Einheit. Für den Anfang wird der Betrieb durch Spenden und freie Unterstützung aus Wissenschaft und Technik getragen; um das Unternehmen rentabel zu machen, bedarf es weiterer Anlagen. Da die Dachkonstruktionen nicht genügend Erde für den Anbau von Kartoffeln oder Karotten tragen können, konzentriert er sich auf Tomaten, Gurken, Pfeffer, Paprika, Auberginen, Salat, Senfkohl und Kräuter, ein Portfolio von 25-30 Arten für den Anbau im Dachgarten. Zur Ergänzung um die fehlenden Zutaten für einen kompletten Lebensmittelkorb für die ganze Familie schloss Mohamed Partnerschaften mit städtischen Biofarmen.

Eine Studie hat belegt, dass sein Ansatz der urbanen Landwirtschaft Nahrungsmittel hervorbringt, die frei von Pestiziden und Gentechnik sind und auf einem Raum produziert werden, der nur ein Zehntel der herkömmlichen Anbaufläche beträgt. Alles benötigte Wasser ist aufgefangenes Regenwasser und die für den Anbau benötigten unterschiedlichen Temperaturen werden durch „heiße“ und „kalte“ Zonen erzeugt, um so ideale Bedingungen für den Anbau zu schaffen. So ergibt sich ein Zehnfaches an Produktivität bei einem Achtel des Energieverbrauchs für Transport, eine Verringerung der Energiekosten des Gebäudes sowie die Unabhängigkeit von Bewässerung im Gegensatz zum Rest der Welt, in dem die Landwirtschaft 80 Prozent allen Trinkwassers verbraucht. Somit ist dieser Betrieb ein interessantes Beispiel für die Blue Economy. Aufgrund seines Erfolgs in seinem Erstbetrieb erhielt Mohamed im Jahr 2011 den „Next Generation Award“ von der Stadt Montreal.

Die Chance

Verfügbare Dachflächen und Regenwasser werden genutzt, die Raumtemperatur der Gebäude wird reguliert, in der Innenstadt werden Lebensmittel zu wettbewerbsfähigen Kosten ohne Chemikalien hergestellt, Transportkosten werden drastisch gesenkt und es werden ein Dutzend Arbeitsplätze geschaffen. Auch deckt der Verbund der Landwirtschaft in der Innenstadt mit dem Stadtrand den Lebensmittelbedarf der Bürger. Dieser systemische Ansatz liefert eine Perspektive, wie man die Verdopplung der Anbauerträge in der Innenstadt erreichen könnte, und dies sogar in gemäßigten und kalten Zonen, in denen die Dachbegrünung an sich schon revolutionär war. In den USA gibt es 1,4 Millionen Quadratmeter Fläche auf Flachdächern über Geschäfts- und Bürohäusern. Auf Grundlage der Erfahrungen der Lufa Farms in Montreal könnte dies bedeuten, dass 50 Milliarden Familien jeden Werktag einen frischen Korb Gemüse erhalten könnten und dabei 470 000 neue Jobs entstünden. Das bedeutet, dass es keinen Grund gibt, warum 50 Millionen Städter in Armut leben sollen, solange es Unternehmer wie Mohamed gibt, die die Spielregeln ändern können und sowohl wettbewerbsfähig als auch nachhaltig produzieren. Obendrein wäre dies ein großer Beitrag zu einer gesunden Ernährung in einem Land, in dem ein Großteil der Bevölkerung übergewichtig ist.

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Die erfolgreiche Umsetzung einer so großräumigen Strategie zur Herstellung gesunder Nahrung vor Ort erfordert einen Verbund neuer Partnerschaften, wie sie Mohamed bereits erfolgreich geschlossen hat. Er arbeitet zusammen mit Bauingenieuren, Treibhaustechnikern, Biobauern, Marketing- und Vertriebsexperten, Internetspezialisten, Kooperativen, Grundstücksinvestoren, Architekten, örtlichen Politikern und Ernährungsberatern, die ebenso gebraucht werden wie die Bauentwickler, die diesen innovativen Ansatz vorantreiben. Ziel ist es, nicht nur Lebensmittel zu produzieren, sondern ein wettbewerbsfähiges Angebot zu schaffen, das die lokale Entwicklung auf Grundlage der örtlich verfügbaren Ressourcen nach den Prinzipien der Blue Economy fördert. So können wir Szenarien schaffen, die weit über das hinaus gehen, was die Investoren in den letzten Jahren gesehen haben. Vor allem wird klar, dass alle über ihre Kernkompetenzen hinaus gehen müssen, um das volle Potenzial ihrer Anlagegüter und Cashflows nutzen zu können – und hierzu bedarf es einer neuen Generation von Unternehmensgründern.

Bilder: Stock.XCHNG

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96 Die Magie des Chilis

Dieser Artikel stellt Innovationen für Biokraftstoffe vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Weltmarkt für Pestizide

Der Weltmarkt für Schädlingsbekämpfungsmittel ist in den Jahren 2001 bis 2010 von 32,5 auf 45 Milliarden US-Dollar gestiegen, mit einer Wachstumsrate jenseits Inflationsrate. Betrachten wir zusätzlich zu diesen Chemikalien auch Pflanzenschutzmittel, Pilzvernichtungsmittel und Desinfektionsmittel für die Landwirtschaft, steigt der weltweite Absatz auf 270 Milliarden US-Dollar. Zwei Drittel des Pestizid-Konsums konzentrieren sich auf die OECD-Mitgliedsstaaten, während China mit über 20 Prozent den größten Bedarf eines einzelnen Landes an diesen Produkten hat. Der US-Markt stellt mit 11 Milliarden US-Dollar ein Viertel des globalen Absatzes dar, 21.500 Unternehmen beschäftigen dort über 110.000 Mitarbeiter.

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Nach den letzten verfügbaren Daten ist BAYER mit über 8 Milliarden US-Dollar Absatz der größte Pestizid-Hersteller der Welt, knapp gefolgt von Syngenta (Schweiz). Beide repräsentieren jeweils ungefähr 20 Prozent des Weltumsatzes. BASF, Dow, Monsanto und Dupont sind wichtige Mitspieler auf dem Pestizid-Markt, auf dem die besten zehn Hersteller über 85 Prozent des weltweiten Absatzes erreichen. Das staatliche Unternehmen ChemChina übernahm Israels Makhteshim Agan Gruppe, den größten Hersteller von generischen Pestiziden für 2,4 Milliarden US-Dollar. Interessant ist, dass Monsanto auch der größte Saatguthersteller der Welt ist, knapp gefolgt von Dupont (Nr. 2) und Syngenta (Nr. 3).

Weltweit beeinträchtigen rund 9.000 Insektenarten und 8.000 Unkrautarten die Produktivität von Erzeugnissen aus Monokulturen. Insektenplagen schränken die landwirtschaftlichen Erträge jährlich um rund 14 Prozent ein, Unkraut um rund 13 Prozent. Die weltweit führenden Saatgut- und Schädlingsbekämpfungs-Unternehmen kooperieren zunehmend und generieren Umsatz durch entweder Samen, die manipuliert werden, um Plagen zu widerstehen, oder durch den Verkauf von Chemikalien zur Kontrolle der Nebeneffekte von industrieller Landwirtschaft. Monsanto und BASF verfolgen ein 1,5 Milliarden US-Dollar Kooperations-Schema, ein Deal vergleichbar mit den engen Beziehungen, die Monsanto mit Dow geschmiedet hat. Monsanto und Syngenta haben ihre juristischen Kämpfe eingestellt und trafen gegenseitige Lizenzvereinbarungen über ihr jeweiliges geistiges Eigentum, während sich Syngenta und Dupont entschieden, ihr Pestizid-Portfolio zusammenzulegen. Es ist schwer sich nicht vorzustellen, dass es ein Produktions-Kartell gibt, welches dem prüfenden Blick von Behörden verborgen bleibt.

Die Innovation

Die unüberlegte Nutzung von Chemikalien auf landwirtschaftlichen Pflanzen hat das Ökosystem und die Tierwelt allgemein irreparabel geschadet. Das Leben von Vögeln und Amphibien wird nachteilig beeinflusst, was zur Gefährdung oder sogar zum Aussterben vielerlei Arten führt. Die Nutzung von Pestiziden ist außerdem der Hauptgrund für viele Gesundheitsprobleme, die zuerst durch Rachel Carson in ihrem bahnbrechenden Buch “Silent Spring” aufgedeckt wurden. Das Buch wurde schon 1964 publiziert und führte zu dem Verbot von DDT, dem damaligen Standard-Pestizid. Eine der ersten Verbesserungen war die Einführung von Schädlings-spezifischen Chemikalien anstelle des Gießkannenprinzips. Im Falle der Baumwolle reduzierte diese Innovation Pestizid-Einsätze von 20 bis 40 Sprühungen pro Jahr auf nur 4 bis 5 pro Jahr. Dies führte zu einer Senkung der Arbeitskosten bei geringerem Einsatz von Chemikalien. Eine der kreativeren Lösungen der Schädlingsbekämpfung sind die schützenden Netze, wie die von Avi Klayman in Israel entwickelt, die die richtige Menge an Sonnenlicht und Luft an die Tomaten durchlassen. Schädlinge, die das Hindernis überwinden, werden sofort durch einen Lichtfilter aufgehalten. Heutzutage wird das meiste aus Zentral- oder Südamerika importierte Obst, anstatt es mit Pestiziden zu besprühen, mit einem mit Pestiziden imprägnierten Material eingenetzt oder verpackt. Dies bietet Obstbauern die seltene Gelegenheit, die Nutzung von Pestiziden auf eine kontrollierte Art und Weise zu nutzen und gleichzeitig das Bio-Siegel zu erhalten. Der Nachteil sind jedoch die hohen Kosten.

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Dr. José Oscar Gutiérrez Montes wurde in Cali (Kolumbien) geboren und hat Medizin an der Universität del Valle (Cali) studiert. Dort erlangte er auch seinen Master in Pharmakologie gefolgt von einer Professur. 1985 arbeitete er am General Hostpital of Edinburgh, während er einen Postgraduierten-Kurs für Innere Medizin an der University of Edinburgh (GB) belegte. Dr. Gutiérrez arbeitete ein Jahr lang an der Cornell Universität (New York, USA) in Form einer Postgraduierten-Mitgliedschaft, indem er die Funktion von Membranen untersuchte. 2007 las er eine Studie, die in “Biochemical and Biophysical Research Communications” der Universität von Nottingham veröffentlicht wurde. Darin ging es um Vanilloide, eine Familie von Molekülen aus Capsaicin, die aus scharfen Chilischoten gewonnen werden. Diese können an Proteinen in den Mitochondrien von Krebszellen haften und eine Apoptose, die Selbstzerstörung der Zelle, bewirken. Daraufhin hat sich Dr. Gutiérrez entschieden, auf diesen Erkenntnissen aufzubauen und sie mit seinen eigenen Erfahrungen zu vergleichen.

Dr. Gutiérrez erinnerte sich nur zu gut an die traditionelle Nutzung von Chilischoten (Capsicum spp.), die dank der Anregung der Blutzirkulation als Schmerzmittel wirken. Er wendete Extrakte zur Behandlung der Haut an und verkleinerte und eliminierte sogar in machen Fällen Hautnarben, besonders solche, die durch Verbrennungen entstanden waren. Die Dokumentation dieser positiven Effekte auf Basis von Einzelberichten und über die Jahre zusammengetragenen wissenschaftlichen Studien überzeugte Dr. Gutiérrez, sich auf die Anwendungen zu konzentrieren, für die er genügend Material sicherstellen konnte. Er wusste, dass die Kultivierung von Chili einfach ist, wenig Platz beansprucht, für Mischkulturen geeignet ist, noch nicht einmal Böden hoher Qualität benötigt und darüber hinaus auch noch neue Arbeitsplätze schafft. Jeder Hektar gepflanztes Chili benötigt fünf Arbeitskräfte. Mit über 10.000 ha leicht verfügbaren Bodens könnten daher mehr als 50.000 neue Arbeitsstellen geschaffen werden. Dr. Gutiérrez musste jedoch erkennen, dass die Versorgung mit Material nicht das Problem darstellte; stattdessen fehlten ihm finanzielle Ressourcen für klinische Studien. Diese sind unverzichtbar, wenn es darum geht, den Zugang zum hochwertigen Arzneimittelmarkt zu erlangen.

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Der erste Umsatz

Dr. Gutiérrez gründete schließlich das Unternehmen Capsacorp SA in Cali und entwickelte ein integriertes System, um Kosmetikprodukte für den lokalen Markt aus lokalen Ressourcen zu produzieren, während er die Bauern motivierte, ihre Produktion zu steigern, sodass er die Qualität und die Kosten der lokal bearbeiteten Capsaicine sichern konnte. Capsaicin-Extrakt ist ein verbreitetes Rohmaterial für bekannte Produkte wie Tabasco, Dermalpflaster zur Linderung von Schmerzen oder ein tropisches Anästhetikum gegen Arthritis. Capsaicin wird sogar als Mittel bei Krawallbekämpfungen und zur persönlichen Verteidigung eingesetzt, als Inhaltsstoff von Pfefferspray, dessen Wirkstoff nicht Pfeffer, sondern Capsaicin ist. Die erfolgreiche Integration von landwirtschaftlichen Produkten zu Zwischenerzeugnissen und kosmetischen Produkten brachte Capsacor SA 2009 die Auszeichnung “Viel versprechendster Exporteur von Kolumbien” ein. Der Erfolg mit Kosmetika ermöglichte dem Unternehmen, weiter zu wachsen und ein Labor zu finanzieren, das von der reinen Nutzung für Kosmetika hin zu den zahlreichen anderen Möglichkeiten weiterentwickelt wurde, die auf der lebenslangen Erfahrung von Dr. Gutiérrez aufbauen, dem Pharmazeut, Autor und Co-Autor von über 100 wissenschaftlich veröffentlichten Artikeln.

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Die Chance

Zum Anlass des zweiten Blue Economy Workshops in Cali im Mai 2012 trafen Produzenten zusammen, um ihr Potenzial in jedem Sektor zu prüfen. Der Aufbau von neun Ethanol-aus-Zuckerrohr Produktionen hat kürzlich zu mehr Wirtschaftsaktivität in der Zuckerrohr-Branche geführt. Während dies einerseits eine positive Auswirkung auf die Region hat, konsumiert der Sektor andererseits für jeden Liter Ethanol zehn Liter Wasser. Die Behandlung dieses verseuchten Wassers mit einem hohen Biologischen Sauerstoffbedarf (BSD) ist teuer und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit des Ertrages, wenn internationale Standards einzuhalten sind. Dieses Abwasser ist chemisch sicher und reich an Nährstoffen; die Zuckerrohrplantagen wiederum müssen viel bewässern. Wasser per Lastwagen zu transportieren wäre eine durchführbare Möglichkeit, die jedoch teuer ist. Auch der Bau von lokalen Kläranlagen ist zu kapitalintensiv. Die Zuckerrohr-Industrie im Bezirk des Valle del Cauca ist mit zwei Ernten pro Jahr die produktivste der Welt. Nur alle elf Jahre müssen die mehrjährigen Zuckerpflanzen neu angebaut werden. Das Ziel, eine höhere Produktivität zu erlangen, hängt jedoch von einem besser integrierten Ressourcen-Management, insbesondere bezogen auf Wasser, ab.

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Scharfe Chilischoten wurden bereits traditionell zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Da die meisten Vögel (mit Ausnahme von Tauben) nicht von Capsaicin beeinflusst werden, scheinen Insekten unter dem Einsatz zu leiden. Tests haben ergeben, dass eine Mischung von Capsaicin mit Abwasser aus der Ethanol-Herstellung und ihre Anwendung auf Zucker-rohr-Boden viele Vorteile bietet: Die Erde wird mit organischem Material angereichert und mit Prozesswasser bewässert. Bereits ein Prozentsatz von 0,03 Prozent schützt vor Ratten und Ungeziefer. Die Umwandlung des Abwasserproblems in ein Produkt mit vielen Vorteilen, das lokal genutzt werden kann, ist ein typisches Beispiel für die Blue Economy. Mit Blick auf die großen Mengen an verfügbarem Wasser und die regionale Nähe zu den Ethanol-Fabriken kann man sich jetzt ein lokales Netzwerk von Chili-Bauern und eine lokale Gewinnung von Capsaicin vorstellen, wobei durchschnittliche Ware eine Massenanwendung erfährt und Spitzenqualität in Nischen genutzt werden kann. Wenn man bedenkt, dass Dünger und Pestizide neben Arbeitskraft die höchsten Kosten darstellen, könnte die Nutzung von Wasser und Pflanzen, die lokal verfügbar sind, den Zuckerrohr-Sektor wettbewerbsfähiger machen und gleichzeitig zahlreiche Arbeitsstellen schaffen.

Die Gelegenheit, Industrien zusammenzuführen, die alle auf leichter und ergiebiger Landwirtschaft basieren und die Kraft der Tropen ausnutzen, könnte von diesem Massenkauf von Chili profitieren. So wird der Markt für Dünger und die Schädlingsbekämpfung zu einem Motor der Entwicklung, während die Importnachfrage eliminiert wird. Die Masse könnte bei den Lieferanten des Zuckerrohrsektors erfolgen, die daraus nährstoffreiche Pestizide und Fungizide herstellen. Wenn die Qualität der Herstellung steigt, kann der Ertrag selektiv in hochwertigere Capsaicin-Produkte umgewandelt werden und so gleichzeitig ein geringeres Investitionsrisiko bei höheren Erträgen für die Landwirte bieten.

Dr. Gutiérrez hat seine Untersuchung bereits auf eine weitere Serie von Kosmetikprodukten ausgeweitet. Dafür erhielt er von den peruanischen Chirurgen die Auszeichnung für die “beste (innovative) Forschung in der Plastischen Chirurgie”. Schönheit stand bei ihm nie im Vordergrund, zeigt aber das Marktpotenzial auf. Damit hat er den Weg für einen Geldfluss geebnet, der ihm erlauben wird, seine Erkenntnisse und sein Wissen auf seine bevorzugten Gebiete wie Schmerzlinderung, Zahnpflege, Fettsuchtbehandlung, Magen-Darm-Pflege, post-chirurgische Behandlung und Hämorrhoidenbeschwerden zu übertragen. Dr. Gutiérrez glaubt, die Zeit sei gekommen, dass diese Erkenntnisse nicht die Domäne eines Einzelnen bleiben. Statt dessen sollen sie Teil einer Entwicklungsplattform für Unternehmer werden, die die Heimat von Dr. Gutiérrez in Kolumbien in eine florierende Region verwandeln, aufbauend auf dem, was zur Verfügung steht – Überfluss.

Bilder: Stock.XCHNG

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69. Pflügen ohne Pflug

Der Markt

Der Weltmarkt für Industrieanlagen zum Mischen von Substanzen einschließlich ihrer Wartung und damit verbundener Dienstleistungen wurde 2010 auf 120 Milliarden US-Dollar beziffert. In vielen verschiedenen Industrien ist das Mischen von Flüssigkeiten, Gasen und Feststoffen unerlässlich, so z.B. in der Lebensmittelverarbeitung, Plastik und Verbundmaterialien, Kerzen und Wachs, Tabakwaren, Kosmetik und Körperpflege, Glas, Zement, Keramik, Metalle, Tinte, Farben und Überzüge, Getränke, in der Papierherstellung, Energieerzeugung, Wasseraufbereitung, Pharmaindustrie, für Mineralien, Öl und Gas sowie in der Landwirtschaft.

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In den USA gibt es schätzungsweise 150 Hersteller, in Europa 350. Die größten Betriebe haben in Indien und China expandiert. Während der Kapitalaufwand in den letzten drei Jahren stagnierte und sich erst jetzt wieder bis auf die Höhe der Zahlen vor 2008 erholt, wird erwartet, dass die Erträge aus Wartung und Ersatzteilen 2011 die Verluste wieder ausgeglichen haben werden. Einige der führenden Firmen sind Familienbetriebe, die seit über 100 Jahren funktionieren, wie Charles Ross & Son Company (New York 1842), Possehl GmbH (Lübeck 1842), die die 1848 in Connecticut gegründete Farell-Gruppe aufgekauft hat, Philadelphia Mixing Solutions (USA 1909) und IKA Works GmbH (Deutschland 1910).

Die Innovation

Entscheidend für das Mischen ist die benötigte Zeit bis zum Erreichen der perfekten Verteilung. Auf diesem Gebiet wird rege Forschung und Entwicklung betrieben, um komplexe mathematische Modelle zu entwerfen, die vorhersagbar winzige Mengen von Beigaben in riesigen Mengen der Grundzutat verteilen. Ein Wirbel (siehe Beispiel 1) ist imstande, in wenigen Minuten die aktiven Bestandteile zu vermischen, wofür mit anderen Techniken 45 Minuten benötigt werden. Somit erhöht er den potentiellen Output um ein Zehnfaches und spart daher auch Raum und Energie, indem einzig die Strudelbewegung einer geometrischen Form genutzt wird. Das Oloid, eine von Paul Schatz im frühen 20. Jahrhundert entwickelte geometrische Form, mischt bei rotierender Bewegung Sauerstoff mit Wasser und benötigt dazu bis zu 80 Prozent weniger Energie, indem es die Kontaktfläche zwischen Wasser und Luft zu Wellen formt anstatt unter Druck Luft in Wasser zu pumpen. Da bisher Geschwindigkeit und perfekte Verteilung als antiproportional zueinander galten, sollte die Forschung sich auf die Umkehr dieser Grundregel konzentrieren. Dies ist einer der Ansätze der Blue Economy für mehr Nachhaltigkeit bei höherem Profit in Unternehmen.

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Angelo Mazzei hat auf dem über 4000 Hektar großen Gemüsehof seines Onkels die Geräte gewartet und dabei auch Kenntnisse über Input und Output von Düngung und Bewässerung erlangt, wenngleich er sein Studium in der Autoindustrietechnologie an der California State University (Fresno) abschloss. Er begann zu erforschen, wie das Mischen von Flüssigdünger mit Wasser effizienter werden könnte. Als das California Aqueduct gebaut war, kam das Wasser zur Bewässerung unter Druck bei den Farmen an. Dies führte zu Problemen bei der Zugabe von Flüssigdünger. 1974 setzte er seine Erkenntnisse beim Bau des Venturi-Einspritzers um, der in Autos die Mischung von Flüssigkeiten und Gasen unter Druck ermöglicht. Der Venturi-Effekt ist ein Düseneffekt: Wasser fließt zunächst schneller und wird am Kreuzungspunkt des Ausgangs wieder langsamer. Wir alle nutzen dieses Prinzip, wenn wir den Daumen auf die Düse des Gartenschlauchs halten, um über größere Distanzen zu sprengen. Während er bei John Deere Tractors im Außendienst arbeitete, perfektionierte Angelo sein Einspritz- und Mischsystem, bis er 1978 sein erstes Patent eintragen ließ.

Der Mazzei-Injektor fängt Wasser unter Druck beim Eintreten in eine enge Öffnung auf und drückt es in die Injektionskammer. Bei steigender Fließgeschwindigkeit verringert sich der Druck. Um den Sog zu vermeiden, der normalerweise in zylindrisch geformten Rohren entsteht, haben die Leitungen eine konische Form und nähern sich somit dem Wirbelkonzept (siehe Beispiel 1 und 68) an. Durch einen Ansaugstutzen können Flüssigkeiten und Gase eingeleitet und ohne Einsatz von Pumpen mit dem Wasser vermischt werden. Die Mischung kann danach unter Druck ins Hauptrohr gespritzt werden. Auf diese Weise nutzt auch ein Autoauspuff den Venturi-Effekt. Unter Druck gelangen Abgase aus dem Verbrennungsmotor in die größere Kammer, verlieren an Druck und gelangen dann durch ein Rohr an die Außenluft. Die Erfahrung aus dem Automobilsektor wird auf die Landwirtschaft übertragen.

Der erste Umsatz

Angelos erste kommerzielle Umsetzung ermöglichte das Mischen von unter Druck stehendem Wasser mit Flüssigdünger oder Nährstoffen und leitete die Mischung direkt ins Bewässerungssystem ein. Das Einleiten von Luft ins Bewässerungssystem mittels derselben Methode erhöhte den Sauerstoffgehalt, der als natürliches Stimulans für das Wachstum der Pflanzen wirkt. Dies führte zur Erfindung einer neuen Bewässerungstechnik, die mit dem Slogan „Pflügen ohne Pflug“ beschrieben wird. Die Landwirte bemerkten, dass anstelle des Pflügens die Beimengung von Luft in das unter Druck stehende Wasser den selben Effekt bei erheblich geringerem Energieaufwand hatte.

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Angelo leitete sein Geschäft die ersten Jahre über zusammen mit seiner Frau Mary in seiner Garage. Später gründete die Familie die Mazzei Injector Corporation und siedelte sich in Bakersfield (Kalifornien) an. Die Firma ist weiterhin unter Familienführung und dehnt ihr Geschäft durch ein wachsendes Patentportfolio aus. Sie begannen mit einem Abgasrohr, nutzten einfach die Gesetze der Physik nach Giovanni Batista Venturi aus dem 18. Jahrhundert, die jeder Student erlernt, und schafften sich eine beeindruckende Nische im Geschäft. Inzwischen ist Angelos Erfindung als Plattformtechnologie in Dutzenden von Sektoren umsetzbar. Die einzige Herausforderung ist die Auswahl der jeweiligen Technik.

Die Chance

Der Einsatz physikalischer Gesetze bietet überschaubare und berechenbare Resultate durch transparente mathematische Modelle. Innovationen auf Grundlage dieser Logik werden als Technologien in der Blue Economy zur Schaffung neuer Geschäftsmodelle bevorzugt. Mazzei fuhr fort, seine Geräte zu entwickeln und setzte seine Erkenntnisse in Dutzenden von Anwendungen um, die alle auf demselben Prinzip beruhen. Heute werden seine Betriebsanlagen in 100 Ländern auf der ganzen Welt verkauft. Mazzei-Injektoren werden zur Bekämpfung von Verkeimung, zur Desinfektion in der Lebensmittelverarbeitung, und gegen invasive Arten durch perfekte Beimischung von gelöstem Ozon eingesetzt.

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Eine weitere intelligente Einsatzmöglichkeit sind Mazzei-Injektoren und Mischgeräte zur Energiegewinnung durch fließendes Wasser und zur Produktion von Ozon durch das Wasser selbst, um es dann gleich in denselben Wasserstrom einzuleiten. Die Mazzei-Anlage entzieht alle ungelösten Gasblasen. Alles wird in einem einzigen Prozess aus dem Wasser selbst produziert und verbraucht, ohne jemals Treibhausgas in die Atmosphäre abzulassen oder zusätzlichen Strom zu verbrauchen. Die Nutzung vorhandener Ressourcen (Energie aus dem Fluss und Sauerstoff, der zur Desinfektion dem Wasser entzogen wird) ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy. Diese Technologie ist auch vergleichbar mit dem System zur Entchlorung (siehe Beispiel 42), das ebenfalls durch fließendes Wasser betrieben wird.

Momentan besitzt Mazzei 14 Patente. Die Anwendung dieser rein mathematischen Formel auf Grundlage einer geometrischen Form kann auch umgesetzt werden in Mischsystemen für Brandschutzmittel, Wassersauger zur Schaffung eines Vakuums durch Leitungswasser, Zerstäuber für Sprühfarben, Düsen für Feuerlöscher, zur Begasung von Wein, als Filtersystem für Aquarien, automatische Poolreiniger, Druckluft-Staubsauger, Abgasreiniger, Sandstrahler, Regulatoren für Tauchausrüstungen und Sauerstoffmasken. Es scheint, diese Technologie beginnt gerade erst, unser tägliches Leben zu beeinflussen. Die Mazzei-Gruppe hat sich verpflichtet, ihre Forschung durch neue Ideen und Ansätze ständig voranzutreiben. Hier sind dringend Unternehmensgründer gefragt, damit durch diese Plattform gesellschaftlicher Nutzen entsteht.

Bilder: StockXCHNG
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