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48. Hühnereier durch billiges Futter

Der Markt

Der Weltmarkt für Eier wurde für 2010 auf 80 Milliarden US-Dollar geschätzt, bei einer Produktion von annähernd 1,3 Billionen Eiern pro Jahr. Die weltweite Eierproduktion hat sich zwischen 1970 und 2005 verdreifacht: von 19,5 Millionen Tonnen bis auf fast 60 Millionen Tonnen. Asien liegt in der Produktion weit vorne: China, Indien und Japan kontrollieren über 50 Prozent des Marktes. Wenn in Indien so viele Eier wie in Mexiko verbraucht würden, wäre in den nächsten Jahrzehnten eine weitere Verdreifachung zu erwarten. Die 27 EU-Mitgliedsstaaten stellen nur 10 Prozent der Weltproduktion und werden in Zukunft stark durch Maßnahmen des Gesundheits- und Tierschutzes beeinflusst. Auf der Welt leben knapp 5 Milliarden Legehennen, davon 68 Prozent in Käfigen mit durchschnittlich acht Hühnern auf einer Fläche von ca. 60×60 cm. In den USA leben 95 Prozent aller Hühner in Käfigen.

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Für 2015 schließt sich Kalifornien an die Schweiz und Schweden an, wo bereits seit Jahren die Käfighaltung verboten ist. Schon vor 7000 Jahren haben Menschen Hühner gehalten, und sie sind Teil der modernen Ernährung. Auflagen des Tierschutzes werden die Zukunft dieser Industrie bestimmen. Die EU legt fest, dass ab 2012 jeder Legehenne mindestens 750 Quadratzentimeter Raum zustehen. Dies macht grundsätzliche Umstellungen im Betriebskapital und eine Neudefinition der Standards für Rentabilität notwendig. Die weltweite Nachfrage nach Eiern schwankte in den letzten Jahren stark aufgrund der Vogelgrippe, Salmonelleninfektionen und Fällen von Dioxinverseuchung, die über die Medien starke Aufmerksamkeit erfuhren und so das Vertrauen der Verbraucher minderten.

Wie viele Eier verbraucht werden, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Pro Tag werden im Vereinigten Königreich 29 Millionen Eier konsumiert. Die Australier verschlingen 170 Eier pro Person und Jahr, in den USA sind es 246, in Indien wiederum nur 40. Den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch hat Mexiko mit durchschnittlich 355 Eiern pro Person. Die Industrie konzentriert sich zunehmend. In den Vereinigten Staaten gibt es 12 Firmen, die im Durchschnitt über 5 Millionen Legehennen besitzen. 172 Firmen kontrollieren 95 Prozent des Geschäfts. Die Preise auf dem Markt sind sehr unterschiedlich: Ein Dutzend Eier aus Käfighaltung kosteten 2010 in den USA durchschnittlich 87 US-Cent, während der Preis für Eier aus Freilandhaltung bis auf 2,62 Dollar und Bio-Eier sogar auf 4,06 Dollar hinaufschnellte. Zur Kostenkontrolle hat die thailändische Regierung ein Preissystem eingeführt, nach dem Eier nach Gewicht und nicht wie bisher pro Stück verkauft werden.

Die Innovation

In den Industrieländern berücksichtigt man vorrangig die Lebensbedingungen der Hühner durch diverse Innovationen im Bereich von selbstreinigenden Tränken, automatischer Futterzufuhr, Lichtsystemen und Abfallentsorgung. Da Futter den höchsten Kostenfaktor darstellt, vor allem die Zusätze zur Kontrolle des Gewichts, der Gesundheit und der Mauser (Federwechsel) und sogar der Färbung des Eidotters, wurde dem Bereich der Mischung von Sorghum, Soja und Mais viel Aufmerksamkeit geschenkt. Fast alles Futter stammt heutzutage von genetisch modifizierten Anbaupflanzen, auch in Europa, so dass sogar Eier mit Bio-Siegel und aus Freilandhaltung aus genetisch modifizierter Ernährung kommen. In einigen Ländern werden den Hühnern Futtermittel aus alten Legehennen vorgesetzt. In Europa ist dies zwar verboten, in anderen Regionen wird es aber leider praktiziert.

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Angus MacIntosch, der als Investmentbanker bei Goldman Sachs Karriere gemacht hatte, übernahm die Leitung der Spier Estate in Stellenbosch, Südafrika, unter der Verpflichtung, die Anlage aus Weinberg, Hotel und Farm in einen sozial und umwelttechnisch nachhaltigen Betrieb umzuwandeln. In seiner Verpflichtung zu Qualität und Lieferung von Frischgemüse, Eiern und Geflügel an führende Chefköche am Westkap fiel Angus bald auf, dass zwar die Qualität seiner in Freilandhaltung produzierten Eier sehr beliebt war, doch der Anteil an „freiem“ Futter und Würmern nur 30% des Hühnerfutters betrug. Die restlichen 70 Prozent mussten teuer eingekauft werden. Zu seiner Bestürzung erfuhr er, dass seine zertifizierten Bio-Eier von Hühnern gelegt wurden, die genetisch veränderten Mais als Futter erhielten. Ihm blieb nur, entweder den Hühnerhof zu schließen oder Maßnahmen zur Kostensenkung durchzuführen, die mit Sicherheit die Qualität und die Bio-Zertifizierung beeinträchtigen würden.

Zwar ist sein Betrieb mit 21.600 Hühnern pro Jahr klein im internationalen Vergleich, aber doch wichtig für die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort. Mit 900 Schlachthühnern pro Woche konnte der erste Futterzusatz durch proteinreiche Maden (siehe Beispiel 2) gesichert werden, die im Schlachtabfall gezüchtet wurden. Inzwischen hat sich die führende industrielle Forschung zur Madenzucht in Südafrika angesiedelt. Maden bieten hochwertige Nährstoffe für Hühner und ermöglichen eine Kostensenkung in der Abfallentsorgung des Schlachthauses, während der Speichel der Maden als Wundheilmittel anerkannt ist. Zusätzlich bietet verbrauchtes Substrat aus der örtlichen Pilzzucht das volle Spektrum an essentiellen Aminosäuren. Dies ist ein guter Start. Dann nutzte er die Erfahrungen aus Lateinamerika, wo Hühner mit Bio-Bananen und Gras gefüttert wurden. So konnte die Farm eine weitere Quelle für Futtermittel durch Sammlung der weggeworfenen Bananen aus örtlichen Supermärkten erschließen. Diese reichhaltige Mischung wird ergänzt durch Fischmehl aus den unverkäuflichen Anteilen der Fänge der Fischer vor Ort. Obendrein erhalten die Hühner eine hochwertige Mischung aus Seetang, der an den Stränden angespült wird, das Futter durch gesunde Mikro-Nährstoffe anreichert und dabei noch das Eidotter dunkelgelb färbt, wodurch die Eier bei Verbrauchern höchst begehrt und schmackhaft sind.

Erster Umsatz

Die integrierte Landwirtschaft von Prof. George Chan zeigte, wie in einer kombinierten Schweine- und Fischzucht Nährstoffe weiterverwertet werden können. Die Hühner-Freilandhaltung setzt um, wie die Abhängigkeit von extern eingekauften Futtermitteln durch kluge Abfallverwertung ersetzt und so die Kosten für Futtermittel um 50 Prozent gesenkt werden können. So wird biologische Hühnerhaltung geschäftsfähig und integriert Aktivitäten in einem örtlichen Netzwerk von Betrieben.

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Die Herstellung solcher Beziehungen mit so verschiedenen anderen Firmen wie Einzelhandel (Verwertung von Lebensmitteln mit abgelaufener Haltbarkeit), Sauberhaltung des Strands (Entfernung des Seetangs), Ressourceneffizienz im Fischfang, Verwertung der Aminosäuren aus Pilzsubstraten und Hygiene im Schlachthaus bilden eine Plattform für eine wettbewerbsfähige Hühnerfarm – „Bio“ und in Freilandhaltung. Dieses Versorgungsnetz ähnelt einem Ökosystem mit einer Vielfalt an Nutzen und Erträgen. Dies ist eine der Haupteigenschaften einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Blue Economy, die hochwertige Produkte zu einem niedrigeren Preis anbieten können.

Die Chance

Die Tierfutterindustrie ist eine wichtige Komponente des Versorgungskettenmanagements geworden. Abfallströme aus verschiedenen Industrien in Kombination mit einer großen Menge an Getreide und der Beimischung von Mikronährstoffen ergaben eine eigenständige Branche, die bald mehr verdiente als der Mehrwert aus der Produktionskette. Es scheint, dass die Lieferer von Fisch- und Hühnerfutter mehr verdienen, als die Fisch- und Hühnerzüchter selbst und fähig sind, Kostenschwankungen an die Kunden weiterzugeben.

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Die Futtermittelindustrie ähnelt dem Werkzeugverkäufer zu Zeiten des Goldrauschs: Er ist der einzige, der zum Millionär wird. Die Chancen, die sich Angus boten, hochwertiges Futter lokal zu produzieren, ermöglichen uns, das Geschäftsmodell neu zu definieren, indem die Zahl der Eier pro Jahr nicht der einzige Maßstab sind, sondern ein kluges Futtermittel-Management – so durchdacht wie das Intelligente Stromnetz in einer Stadt – das mehr und hochwertigere Lebensmittel bei niedrigeren Kosten durch die Nutzung lokal vorhandener Ressourcen hervorbringt. Dies ist eine Plattform, auf die viele Unternehmer eine Zukunft aufbauen können.

Bilder: StockXCHNG

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47. Fischzucht ohne Futter

Der Markt

Der Weltmarkt für Zuchtfische und essbare Wasserpflanzen hatte 2008 einen Geldwert von 106 Milliarden US-Dollar. Der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zufolge ist über eine Zeitspanne von 38 Jahren (1970-2008) das Wachstum der Fischzuchten bei 6,6 Prozent stabil geblieben. Seit 2008 wird mehr Geld mit in Becken und Tanks gezüchteten Fischen verdient als mit Fangfisch aus Flüssen und Meeren, der 94 Milliarden Dollar erzielt, hierbei eingeschlossen sind bereits 10 Milliarden Dollar für Fisch aus Binnengewässern. Durch Fischfang und –zucht sind insgesamt 142 Millionen Tonnen Protein produziert worden. Der Wert von Zuchtfisch ist geringfügig höher als Fangfisch, der 46 Prozent allen Verbrauchs an Fisch ausmacht. Es bleibt noch viel Raum für Verbesserungen der Produktivität. Der jährliche Output pro Person liegt in Norwegen bei einem weltweiten Spitzenwert von 172 Tonnen. China liegen mit 6 Tonnen und Indien mit 2 Tonnen weit zurück.

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Die Aquakultur ist der am schnellsten wachsende Produktionssektor für tierische Nahrungsmittel und einer der wenigen, der schneller als die Weltbevölkerung wächst. Es gibt 220 Fisch- und Schalentierarten, die gezüchtet werden. China ist der weltgrößte Produzent mit 62 Prozent der weltweiten Fischzucht und 51 Prozent bezogen auf den Wert; dort werden vor allem Karpfen gezüchtet. Lateinamerikas Wachstumsdurchschnitt ist mit 21,1 Prozent über fast vier Jahrzehnte der höchste, wobei dort hauptsächlich Buntbarsche gezüchtet werden, die eigentlich aus Afrika stammen. Afrika selbst spielt keine Rolle auf dem Markt, obwohl dort etwa 25 Prozent der gesamten weltweiten Artenvielfalt an Süßwasserfischen heimisch sind. Früher führende Länder wie Frankreich, Spanien und Japan verzeichnen seit einem Jahrzehnt sinkende Produktionen.

Der Pro-Kopf-Verbrauch an Zuchtfischen ist von 1,5 Pfund 1970 auf 37 Pfund 2008 hochgeschnellt. 15,7 Prozent des tierischen Proteins und 6,1 Prozent allen Proteins, das die Weltbevölkerung konsumiert, sind Fischproteine. Die Beschäftigung auf dem Sektor ist merklich gestiegen, seit 1980 um 3,6 Prozent pro Jahr. Etwa 45 Millionen Menschen sind direkt in der Fischzucht beschäftigt. Durch jeden dieser direkt Beschäftigten entstehen noch einmal drei Arbeitsplätze in sekundären Aktivitäten, was eine Summe von 180 Millionen Arbeitsplätzen weltweit und ein Wachstum um 167 Prozent gegenüber 1980 ergibt. Daher sind sowohl Beschäftigung als auch Erträge schneller gewachsen als die Weltbevölkerung.

Die Innovation

Das Wachstum der Fischzuchten wird zunehmend behindert durch den Mangel an Süßwasser. Andererseits sind viele Arten mit hohem Verkaufswert Fleischfresser, die Fischmehl als Futter benötigen. Während Sojamehl 350-400 Dollar kostet, beträgt der Preis von Fischmehl durchweg über 1000 Dollar. Es ist fraglich, ob es Sinn macht, Fische zu töten, um andere Fische zu füttern, anstatt sie gleich selbst zu essen, wodurch die Welternährung besser gesichert werden könnte. In Zuchtbecken zusammengepferchte Fische benötigen viel Futter, produzieren Fäkalien und verursachen Verschmutzungen, die das Leben im Ökosystem erschweren und dabei noch das Risiko von Krankheiten erhöhen, die ganze Industrien zum Erliegen bringen, wie im Fall des White Spot Syndrome Virus, das die Krabbenzuchten dezimiert hat. Hinzu kommen Antibiotika, die das menschliche Immunsystem schwächen und daher durch Auflagen der Regierung geregelt werden müssen. Organische Abfälle aus Fischzuchten sind Dünger für Algen und verbrauchen Sauerstoff, wodurch das Gebiet so unbewohnbar wird wie durch Düngerabfluss aus der Landwirtschaft. Die alte Strategie, die Verschmutzung durch Verdünnung zu beseitigen, funktioniert im Falle der intensiven Fischzucht nicht.

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Professor George Chan, der als Ingenieur für Sanitäranlagen an der Umweltschutzagentur der USA Karriere gemacht hatte, ging bereits mit 59 Jahren in Rente und kehrte zurück in sein Heimatland China, um die ländlichen Existenzgrundlagen zu untersuchen, während er das alte Haus seiner Familie wieder aufbaute. Der Professor erfuhr, wie die Chinesen Fische züchteten, ohne sie zu füttern. Zwar erzielten sie nur eine niedrige Produktivität im Vergleich zu europäischen und amerikanischen Standards, doch die Effizienz der Produktion von Proteinen durch Fisch, Schweine, Algen und Pflanzen ist hoch und übertrifft sogar noch die Produktivität der norwegischen Lachsfabriken. Experten, die sich auf das Kerngeschäft konzentrieren, würden allein den Ertrag der Fisch-Monokultur messen, doch der Professor erkannte, dass die 7,5 Tonnen Fisch pro Arbeiter noch ergänzt werden durch Schweine, Enten, Reis, Gurken, Algen, Biogas und viel mehr.

Professor Chan lernte, wie jede chinesische Schweine- oder Geflügelfarm sorgfältig den Mist in einem Faulraum sammelt. Dort entsteht Biogas. Die Gülle fließt durch Algenbecken, wo die Biomasse mineralisiert wird. So wiederum werden Algen in flachen Algenbecken als erstklassiger Futterzusatz produziert, wobei auch das Wasser hoch alkalisch wird und somit eine ideale Nährstoffgrundlage für Benthos, Phyto- und Zooplankton bildet. Die Dämme der Becken von drei Metern sind mit Gras bedeckt, das täglich für grasfressende Tiere geerntet wird. In den Becken sind mindestens sieben Arten Fisch, eine Art für jede Trophieebene. Sie enthalten hohe Mengen Nährstoffe, doch da die Futterzufuhr am Grund die Eutrophierung auf ein Minimum begrenzt und durch Aquaponics auf schwimmenden Gründen die Nährstoffe gebunden werden, die normalerweise die Umwelt verschmutzen würden, tragen alle Nährstoffe zu einer Steigerung der gesamten Produktivität des Systems bei.

Erster Umsatz

Prof. Chan verließ China und machte sich daran, die integrierte Fischzucht zu entwickeln. Sein erstes Projekt auf den Fidschi-Inseln, eine Forschungsanlage in Kooperation mit der University of the South Pacific in Montfort Boys Town wurde bald zum Beispiel für die gesamte Pazifikregion. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) organisierte eine Reihe von Treffen zum Erfahrungsaustausch. Die Ergebnisse überraschten alle Kritiker, da die Fischproduktion ohne Zusatz von gekauftem Futter und mit zwei Vollzeitkräften bis zu 15 Tonnen pro Hektar erreicht. Zusätzlich konnten mit dem integrierten System pro Jahr 240 Schweine (2 Einheiten zu je 60 Schweinen zweimal im Jahr) gezüchtet werden.

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Der Vorteil dieser Weiterverwertung von Nährstoffen und Energie ist, dass das Abwasser sowohl der Fisch- als auch der Schweinezucht erfolgreich als Mehrwert eingesetzt wurde und somit mehr Erträge lieferte. Diese Art der Weiterverwertung von Nährstoffen, Materie und Energie zur Generierung von Mehrwert bei gleichzeitiger Kostenreduktion mit lokal vorhandenen Ressourcen ist typisch für die Blue Economy.

Die Chance

Die praktische Erfahrung von China bis Fidschi konnte auf allen Kontinenten umgesetzt werden. In Brasilien jedoch stieß sie auf das größte Interesse, da die Schweinezüchter aus dem Staat Paraná auf breiter Ebene das System übernommen und angepasst haben. Das Projekt wurde durch das Zentrum für Technologie TECPAR aufgegriffen, das innerhalb weniger Jahre fast 100 Produktionseinheiten zur integrierten Fisch- und Schweinezucht aufgebaut hat. Wir fanden über 250 Projekte in über 80 Ländern vor, in denen die Arbeit von George Chan initiiert oder durch ihn inspiriert und dann von einheimischen Unternehmen weiterentwickelt wurde.

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All diese Projekte wurden umgesetzt, ohne überhaupt an die positiven Auswirkungen auf den Klimawandel zu denken. Wenn wir alle wirtschaftlichen, sozialen und umwelttechnischen Vorteile mit einberechnen, dann übertrifft das integrierte Zuchtsystem im Wettbewerb das Geschäftsmodell des Einzelprodukts wie der Monokultur von Fisch oder Schweinezucht, die dem Trend der Massenproduktion gefolgt sind. Nun behauptet sich ein neues Zuchtmodell dank der Nutzung von Verbundvorteilen durch Integration der Produktivität der fünf Reiche der Natur, die Herstellung von „Mehr“ aus „Weniger“ bei gleichzeitiger Schaffung von Arbeitsplätzen. So funktioniert die Blue Economy.

Bilder: StockXCHNG

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34. Neue Zucker

Der Markt

Der Weltmarkt für synthetische Intensiv-Süßungsmittel erreichte 2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2010. Künstliche Süßungsmittel ahmen den Geschmack von natürlichem Zucker ohne Kalorien nach. Der Markt wächst weiter mit einer Rate von über acht Prozent pro Jahr. Das erste künstliche Süßungsmittel war Saccharin und wurde vor über 140 Jahren durch Zufall entdeckt. Es kann bis zu 500 Mal süßer als Saccharose sein. Aspartam – 200 Mal süßer – wurde 1965 entdeckt und später durch Monsanto aufgekauft, von der FDA (Food and Drug Administration) 1980 genehmigt und hat zur Jahrtausendwende weltweite Verkäufe von über einer Milliarde Dollar generiert. Die Verbraucher ziehen jedoch klar natürliche Alternativen wie Stevia, Agave und Zuckeralkohole vor, die ebenfalls den Genuss von Süße bieten, ohne dabei übermäßige Kalorien mit sich zu bringen oder das Kariesrisiko erhöhen.

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Für 2015 wird erwartet, dass natürliche Süßungsmittel in gleichem oder sogar höherem Maße als künstliche Intensiv-Süßungsmittel verkauft werden. Der Markt für Stevia-basierte Süßungsmittel, die von Cargill, CocaCola und PepsiCo hergestellt werden, stellte im Jahr 2010 bereits 14 Prozent des Weltmarktes, 2007 war es noch nur ein Prozent. Seit die FDA in den USA Stevia zugelassen hat, ist der Verkaufserlös von 21 Millionen Dollar im Jahr 2008 auf geschätzte 2 Milliarden für 2011 gestiegen. Im Zeitraum von vier Jahren (2004-2008) wurden etwa 2000 neue Stevia-basierte Produkte weltweit entwickelt. Die Zulassung von Stevia-basierten Süßungsmitteln durch die EU im April 2010 wird ab 2011 zu einem kontinuierlichen Verkaufszuwachs im zweistelligen Bereich führen.

Die Innovation

Die Suche nach immer süßeren Stoffen geht weiter. Sucralose, ein durch Chlor modifiziertes Zuckermolekül, das von Tate & Lyle produziert und unter dem Namen Splenda vermarktet wird, ist 600 Mal süßer als Zucker. Alitam und Neotam sind jeweils sogar 2000 bzw. 8000 Mal süßer als Saccharose. Leider wurden bisher zwar die Wirkungen auf Geschmack und Absorption im Körper aufs genaueste untersucht, jedoch ist wenig bekannt über die langfristigen Wirkungen dieser Zuckeraustauschstoffe auf die Wasseroberflächenspannung der Magensäure. Dies muss noch weiter erforscht werden. Eine verminderte Oberflächenspannung der Magensäure lässt unverdaute Nahrung und Bakterien durch die Magenwand hindurch in den Blutkreislauf eindringen und so samt halbverdauten Proteinen und säureresistenten Bakterien die natürliche Abwehr überwinden. Die Suche nach natürlichen Alternativen geht weiter und schließt Extrakte der Luo-Han-Guo-Frucht aus Südchina ein, die von der Saraya Co. In Osaka, Japan, verarbeitet wird. Die Haupt-Herausforderung für alle Arten von Alternativen für natürlichen Rohr- oder Rübenzucker sind die Kosten und der Geschmack. Vielleicht liegt die größte Aufgabe in der Identifikation der multiplen Funktionen des Zuckers.

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Kazuhiko Maruta, der für Hayashibara, einen Familienbetrieb in Japan, arbeitet, hat die Auferstehungspflanze (Pleopeltis polypodioides) erforscht, eine Pflanze, die ihren Namen aufgrund ihrer Fähigkeit erhalten hat, aus dem Tod wieder zum Leben zu erwachen. In Dürrezeiten schrumpft die Pflanze bis auf einen braunen Klumpen Biomasse zusammen. Ihm war bekannt, dass diese Pflanze die unwirtliche Zeit dank Trehalose, einer Zuckerart, überlebt. Dieser Zucker bedeutet keine Süße, sondern hat eher die Funktion, Feuchtigkeit zu speichern und die Proteine vor Beschädigung zu schützen. Er erhält die Frische, stoppt die Entfärbung, verhindert den Entzug von Feuchtigkeit und erhält sogar die Form und den Geschmack von tiefgekühlten Lebensmitteln. All dies war den Wissenschaftlern bereits bekannt. Das Problem waren die Kosten.

Kazuhiko entdeckte jedoch, wie sich Trehalose aus Stärke in großen Mengen herstellen lässt, nämlich einfach durch Nutzung von Enzymen aus natürlich vorkommenden Mikroorganismen. Der neue Prozess verringert die Produktionskosten um ein Hundertfaches und führte zu exponentiell steigenden Verkäufen, die 2010 bei etwa 30 000 Tonnen lagen und unter dem Markennamen Treha© verkauft wurden. Dieser innovative Zucker wurde zu einer Technologieplattform mit Anwendungen weit über die Lebensmittelindustrie hinaus. Neben seiner Fähigkeit der Haltbarmachung von Lebensmitteln kann er Austrocknung vorbeugen und so Haut und Haar schützen, ein Schlüsselfaktor für die Kosmetikindustrie. Er kann sogar Organe für die Transplantation frisch halten und so für die medizinische Versorgung an Bedeutung gewinnen. Eines Tages könnte der Zucker zur Herstellung von Impfstoffen genutzt werden, die keine Kühlung benötigen. Diese Vielseitigkeit der Trehalose zeichnet sie als ideale Innovation aus, die mehrere Cashflows generiert und weit über das hinausgeht, was wir über die letzten Jahrhunderte von Zucker erwartet hätten.

Erster Umsatz

Da die Industrie das Potential sehr wohl erkannt hat und Kazuhiko das Problem der Herstellung geknackt hatte, löste der Durchbruch der Bereitstellung eine starke Nachfrage aus. Die innovative Produktionsmethode für Trehalose wurde zuerst 1994 entdeckt und nur 15 Jahre später wird sie bereits für 20 000 Produkte von 7000 verschiedenen Betrieben eingesetzt.

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Hayashibara, der Familienbetrieb mit Spezialisierung auf Stärke-basierte Produkte hat bereits kaloriearme Zucker (1968) und essbare Kunststoffe aus Stärke (1973) entwickelt. Trehalose katapultiert die Firma an die erste Front der Bionik und zeigt einmal mehr, dass Innovationen, die mehrere Industrien durchdringen, einzigartige Chancen bieten, um neue Standards zu setzen. Die Tatsache, dass sowohl Produkt als auch Prozess durch ein natürliches System inspiriert sind, trägt zur Sensation der Entwicklung bei.

Die Chance

Die Überlebenskraft des Farns ist die Basis für eine ganze Palette von funktionellen Nahrungsmitteln. Versuche an Mäusen lassen vermuten, dass eines Tages Personen, die eine fettreiche Ernährung benötigen und dabei Wasser trinken, das 2,5 Prozent Trehalose enthält, gesünder sind als solche, die Getränke mit anderen Zuckerarten trinken. Trehalose verhindert das Wachstum von Fettzellen. Wichtiger noch, sie reguliert die Produktion und Wirkung von Insulin im Körper. Die Kombination von Fettleibigkeit, hohem Blutdruck und Insulinresistenz erhöht das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes. Für geschätzte 150 Millionen Personen weltweit, die an einer Kombination dieser beiden schweren und mitunter tödlichen Krankheiten leiden, könnte dieser Zucker eine Möglichkeit sein, die Krankheit durch spezielle Nahrungsmittel und Getränke zu kontrollieren.

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Es wird gehofft, dass eines Tages die Pioniertätigkeit von Kazuhiko Impfstoffe auf den Markt bringen wird, die keine Kühlung benötigen (siehe Beispiel 17). Dies wäre ein enormer Fortschritt nicht nur für die Gesundheit und die Agenda der menschlichen Entwicklung, sondern auch für unsere exzessive Abhängigkeit von Energie, vor allem fossilen Brennstoffen, für eine Vielzahl Anwendungen wie Impfstoffe, doch auch für die wachsende Tendenz zur Tiefkühlung von Lebensmitteln zur Haltbarmachung. Diese vielen Vorteile machen Trehalose zu einer idealen Innovation im Sinne der Blue Economy.

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