64. Wasser und Strom
Der Markt
Dem Magazin „Forbes“ zufolge haben die Umsätze in Produktion und Vertrieb von Trinkwasser inzwischen die Billionen-Dollar-Marke überschritten. Dies ist mehr als der Pharma-Sektor und beträgt 40 Prozent der Umsätze durch Ölfirmen. Durch Privatkapital werden bereits 5 Prozent der Wasserressourcen auf der Welt kontrolliert. Die größten drei kommen aus Frankreich (Véolia Environnement, Suez und Dégremont), gefolgt von der deutschen Gruppe RWE (Thames Water) und dem amerikanischen Konglomerat Bechtel (United Utilities). Véolia und Suez bedienen jeweils 200 Millionen Kunden in über 100 Ländern der Welt.
Weltweit werden über 100 Milliarden Liter Trinkwasser abgefüllt und verkauft, davon 90 Prozent in nicht weiterverwertbaren Plastikbehältern. Coca Cola sagt voraus, dass das Wachstum von behandeltem Leitungswasser – das teurer gehandelt wird als Benzin – in einem Jahrzehnt seine Umsätze an Softdrinks übertreffen wird. Im Jahr 2009 stiegen die weltweiten Einzelverkäufe von abgefülltem Trinkwasser um 25 Prozent im Volumen und 27 Prozent im Wert an. Mindestens ein Viertel des abgefüllten Wassers ist Leitungswasser und meist ist das in teuren Plastikbehältern verpackte Wasser nicht sicherer als das aus dem Wasserhahn. In Russland entwickelte sich das Wasser-Geschäft aus dem Nichts zu einem Milliardengeschäft. Für das nächste Jahrzehnt erwarten die Russen ein Wachstum im zweistelligen Bereich, da der Konsum pro Kopf und Jahr nur bei 15 Litern liegt, gegenüber 40 Litern in Polen und 50 in der Tschechischen Republik. In Brasilien kostet eine Literflasche €0,50, in den Vereinigten Arabischen Emiraten €1,00 und in Französisch Polynesien €1,30.
Trotz der von den Vereinten Nationen verabschiedeten Millenniumsziele in der Entwicklung wird für 2050 erwartet, dass aufgrund der massiven Verstädterung 4 Milliarden Menschen ernsthaft an Wasserknappheit leiden werden. Momentan sind es 400 Millionen. Sogar in Europa gibt es 23 Millionen Bürger, die jedes Jahr mit Problemen in der Wasserversorgung zu kämpfen haben. Aus Mangel an sauberem Trinkwasser sterben pro Jahr 3,4 Millionen Menschen. Um diesen Trend umzukehren planen die Regierungen den Bau von Wasser-Pipelines ähnlich der Ölpipelines. Das wasserreiche Land Kanada zieht in Erwägung, von Manitoba bis Texas und British Columbia bis Kalifornien Leitungen zu legen, die bei Kosten von 20 Millionen Dollar pro Kilometer 5 Milliarden Kubikmeter Wasser pro Jahr durch jede Pipeline leiten. Diese Investments von 50 Milliarden Dollar wären immer noch billiger, als dieselbe Menge Wasser durch Entsalzung in Umkehrosmose zu gewinnen. Solche Mega-Projekte sind in technologischer oder finanzieller Hinsicht keine Herausforderung, sondern eher auf der Ebene politischer Entscheidungen, da möglicherweise Länder wie Kanada, Chile, Norwegen, die Türkei und die USA (Alaska) zur OPEC des Wassers werden.
Die Innovation
Die Nachfrage nach Wasser – der Grundbedingung für Leben – bietet Anreiz für große Ideen und strategische Entscheidungen. Wasserfirmen kaufen weite entlegene Landstriche und komplette Flusssysteme zur künftigen Entwicklung in Lateinamerika auf. Andere investieren in ein neues Geschäft mit Wassertankschiffen zur weltweiten Lieferung und sichern sich langfristige Verträge. Eine weitere Strategie der Wasser-Investments ist, Wasserrechte von Bauern für Zugänge zu Brunnen zu kaufen oder Verträge mit Städten und Gemeinden zur Wassergewinnung abzuschließen. General Electric hat sein weltweites Zentrum für Wasserforschung in Singapur aufgebaut, einem Stadtstaat, der ohne die Wasserver- und entsorgung von Malaysia nicht lange überleben könnte. GE setzt die Vorgaben für Energiekosten pro Kubikmeter Wasser auf 2,4 kWh durch Umkehrosmose. Um die oben genannten Megaprojekte im Wettbewerb zu überbieten, müssten die Energiekosten für Umkehrosmose unter eine kWh sinken. Ohne eine Kombination aus vielerlei Innovationen wie der Wirbeltechnologie (Beispiel 1) ist dies nicht zu erreichen. Doch alle in Betracht gezogenen Lösungen hängen stark von reichlich verfügbarer Energie ab, mit der es mit Sicherheit bald ein Ende hat. Leider sind große Anlagen zur Umkehrosmose nicht nur teuer: Pro jeweils zwei Liter produzierten Trinkwassers fällt ein Liter Lake an, ein salziger Schleim, der tote Räume im Meer schafft und daher als umweltschädlich gilt.
Marc Parent hat als Techniker bei der Wartung von Klimaanlagen auf einer Hummerfarm auf den französischen Antillen gearbeitet. Die akute Knappheit an Trinkwasser und die unzuverlässigen Dienstleistungen der Regierung veranlassten ihn zu versuchen, Kondensationswasser aus den Klimaanlagen aufzufangen. Gleichzeitig musste er eine Lösung für die ständigen Stromausfälle finden. Seine Kenntnisse der Anwendung physikalischer Grundlagen mündeten in die Entwicklung einer Windturbine, die Strom produziert, um Luft einzusaugen, sie im Innern zu kühlen und Wasser zu kondensieren. Er dachte sich eine Anlage aus, die all dies einschließt. Er beschloss, in seine Heimat in den Französischen Alpen zurückzukehren und war überzeugt: Wenn die Anlage in der trockenen Höhenluft funktioniert, würde sie überall funktionieren. 2008 gründete er Eole Water (Frankreich), 2010 erhielt er Zuschüsse von der Gemeinde und bewies, dass er einen Kubikmeter Wasser pro Tag produzieren konnte. Seine nächste, 50 Meter hohe, Wassermühle wird imstande sein, pro Tag 5000 Liter Wasser aus der Luft zu ziehen. Marc erhielt zwei Patente und machte sich daran, sein neues Geschäft zu entwickeln.
Der erste Umsatz
Das erste Wassergewinnungssystem (Water Maker System, WMS), das gleichzeitig Wasser und Strom liefert, wurde 2011 an die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate verkauft. Der Wind produziert 30 kW und die Wasserkosten fallen erwartungsgemäß auf €0,05 pro Liter. Die Investitionskosten werden voraussichtlich in den ersten Jahren von €500 000 auf €300 000 fallen. Dieses System setzt höhere Eingangsinvestitionen für eine geringere tägliche Produktion an. Jedoch ist es unabhängig von externer Stromversorgung und der damit verbundenen Infrastruktur. Es ist vollständig autark. Das System WMS 1000 verursacht nur geringe Wartungskosten im Vergleich zu allen anderen Wassergewinnungsanlagen. Es stößt keine Treibhausgase aus und hat eine Betriebsdauer von 15 bis 30 Jahren. Die gesamte Anlage wird aus 100 Prozent recycelbaren Komponenten gebaut.
Ein wichtiger Teil der Funktionalität ist, dass WMS ohne Regulierung mit der gewonnenen Energie arbeitet und so den Strom direkt zur Wassergewinnung und Einspeisung ins örtliche Netz bereitstellt. Als Innovator ging Marc Parent, inzwischen Mittvierziger, keine Risiken mit seinen Lieferern ein und suchte die besten verfügbaren Bauteile für seine Systeme aus, von Siemens für Elektrobauteile über Leroy Somer für Stromversorgungssysteme bis hin zu Arcelor Mittal für alle rostfreien Metallteile. Er wurde zum System-Integrierer und fügte die Teile zu einem funktionierenden Ganzen zusammen.
Die Chance
Eine Windturbine, die Wasser und Strom herstellt und für den Betrieb bei minimaler Wartung in entlegenen Gebieten entwickelt wird, setzt eine Serie von Entwicklungsmerkmalen wie selbstreinigende Systeme, Fernsteuerung und hohe Korrosionsfestigkeit in Küstengebieten voraus. Die gesamte Anlage mit Turm, Turbine, Wassergenerator und Stromversorgung passt in zwei 40-Fuß-Container und ist in wenigen Tagen vor Ort aufgebaut. Somit begrenzt sich das Marktpotenzial nicht auf Inseln und Wüsten, sondern kann auch schnell in Katastrophengebieten zum Einsatz kommen. Hauptvorteil ist nicht nur die Unabhängigkeit; ihre Vielseitigkeit schafft vielerlei Vorteile in der Befriedigung der Grundbedürfnisse mit lokal verfügbaren Ressourcen. Dies ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy.
WMS ist nicht dafür vorgesehen, schnell zum Mainstream zu werden, doch es zeigt, dass eine Mischung aus Know-how und der Fähigkeit, mehrere Aspekte der Grundversorgung gleichzeitig zu berücksichtigen, ein wettbewerbsfähiger Geschäftsansatz ist. Dies ebnet den Weg für weitere Unternehmensgründer, die sich anschließen, entweder als Lizenznehmer zum Marketing und Produktion, oder zum Betrieb dieser WMS als individuellen Profitquellen, da die Kosten pro Liter Wasser weit unter den Verkaufspreisen für abgefülltes Wasser liegen. Somit kann schadstofffreies Wasser gewährleistet werden, dass mit Geschmack oder Mineralien versetzt und vor Ort gewinnbringend vertrieben werden kann. Dies ist ein wichtiger Punkt, da unser Leitungswasser zunehmend Reste von Medikamenten enthält, die nicht einmal durch Umkehrosmose vollständig entfernt werden können. Die Technologie, die Marc Parent entwickelt hat, wird Teil eines grundlegenden Portfolios sein, das die Spielregeln des Markts verändert.
Bilder: StockXCHNG