asdf

Stroh - der nächste ökologisch-innovative Trendsetter

Dieser Artikel diskutiert Verwendungsmöglichkeiten für Stroh und geht dabei besonders auf den derzeitigen Stand der Technik ein. Es handelt sich dabei um eine der vielen Innovationen, die die Blue Economy bestimmen und Teil einer breiten Entwicklung für ein positives Gleichgewicht zwischen Mensch, Wirtschaft und Natur ausmachen.

Von Markus Haastert, Anne-Kathrin Kuhlemann

Hintergrund: Biomasse und natürliche Ökosysteme

Die Anstrengungen für eine Verringerung der Auswirkungen Schaden verursachender Aktivitäten des Menschen müssen weiter forciert werden. Die EU hat betont, dass Innovation nicht immer nur neue Materialien betrifft, sondern auch das Finden neuer Ansätze bei „alten“ Rohstoffen. Kann man sich vorstellen, dass Stroh, einer der am wenigsten genutzten Abfälle aus der Landwirtschaft, eine führende Rolle in der Energiegewinnung und Bauwirtschaft der Zukunft spielt? Wenn, dannkönnte der globale Treibhausgasausstoß bis 2050 um 20% zurückgehen, wodurch das Risiko einer weiteren Degradierung der Umwelt vermindert würde. Der im Trend liegende innovative und nachhaltige Gebrauch von Stroh könnte daher Teil einer herbeigesehnten Entwicklung sein.

Unsere Ökosysteme liefern reichlich natürliche Abfallbiomasse aus der Veredelung von Wald, Holz und Agrarprodukten. Während der Kompostierung wird dieser organische Abfall in wertvolle Nährstoffe verwandelt. Durch die Akkumulation von organischem Material verbessert sich die Qualität der Böden insgesamt.So hat die Kompostierung äußerst positive Auswirkungen für zum Beispiel die Agrarwirtschaft, da sie die Nährstoffe für das Pflanzenwachstum bereitstellt. Darüber hinauswerden während der Kompostierung sowohl Unkrautsamen als auch pflanzliche und menschliche Pathogene zerstört. Um die Erde mit Nährstoffen anzureichern und einen stabilen Kompostierungsprozess zu erzeugen, werden Strohrückstände aus der Agrarwirtschaft oft der Kompostierung zugeführt. Stroh ist besteht überwiegend aus Zellulose, Hemizellulose und Lignin. Diese Bestandteile geben Pflanzen Stabilität und Haltbarkeit und sind weitestgehend zerfallsresistent. Wenn lokale Vorschriften Erosions- oder Konzessionen zur Bodenqualitätskontrolle erfordern, reichern Landwirte ihre Böden mit 1 bis 2% Strohhäcksel an und machen sich diese zerfallsresistenten Pflanzenkompoenten zu Hilfe um Erosion vorzubeugen (Brewer et al, 2013).

Weltweit gibt es einen enormen Überschuss an ungenutztem Strohabfall. China allein produzierte in 2005 mehr als 620 Milliarden Tonnen Stroh. Dabei führt das Land die Liste der größten Produzenten von Stroh- und Reisstrohabfall an, dicht gefolgt von Indien und denVereinigten Staaten (Mantanis et al, 2000). Aufgrund des Überschusses bietet sich die Verwendung von Stroh zur zum Beispiel der Energiegewinnung an, da es zum Umweltschutz beiträgt und die nachhaltige Entwicklung einer ständig wachsenden Wirtschaft fördert. (Zeng & Ma, 2005)

Es gibt Landwirte welche die Produktion von Stroh als Risiko betrachten, da die Halme bei Sturm oder starkem Wind brechen können. Daher wurden Arten mit kürzeren Halmen entwickelt, um eine maschinelle Ernte zu erleichtern und gleichzeitig die Gefahr von Ernteausfällen durch Windbruch zu verringern. Langhalmiges Stroh, das Hagel ausgesetzt war, brach bei starkem Wind schneller und ist außerdem anfälliger für Krankheiten. (Paulsen, 1997). Landwirte ziehen daher kurzhalmige Getreidesorten vor, was auch dazu führt, dass weniger Biomasse als Abfall anfällt. Dadurch nimmt die Menge an Strohabfall konstant ab, was sich indirekter Weise negativ auf die Umwelt auswirkt.

Uns allen ist Stroh als Beiprodukt aus der Agrarwirtschaft bekannt: die trockenen Halme, die nach dem Dreschen auf dem Feld oder Hof zurückbleiben. Sie machen circa die Hälfte der Gesamtmasse beim Getreideanbau, wie Hafer, Roggen, Gerste usw. aus. Nach der Ernte werden sie gesammelt und in Strohballen gepresst. Es mag überraschen, dass dieses Beiprodukt, obwohl ihm für gewöhnlich kein großer Wert beigemessen wird, für eine ganze Reihe von Produktionsketten eingesetzt werden kann. Darunter vor allem die Energiegewinnung und die Bauindustrie.

Innovation: Vom Nahrungsmittel zu kohlenstoffnegativen Gebäuden

Der historische und auch moderne Gebrauch von Stroh mag durchaus überraschen. Wir kennen Stroh als ballaststoffreichen Tierfutterzusatzfür Rinder und Pferde. Es kommt in der Korbmacherei zum Einsatz, als Rohstoff zur Herstellung von Bienenkörben, Wäschekörben und als Streu für die Viehhaltung. Auch Strohmatratzen, sogenannte Palliassen, werden nach wie vor in vielen Teilen der Welt gebraucht. Der positive Effekt, den Stroh auf die Gesundheit hat, ist auf das in ihm enthaltene Silikat zurückzuführen, welches besonders in Roggen und Reis vorkommt. Silikat in seiner Form als Silikonkarbid (SiC) findet Verwendung in den verschiedensten Industrien, von Elektrotechnik bis Schmuckproduktion. Stroh selbst wird eingesetzt in der Erosionskontrolle auf Baustellen, zur Hutherstellung, für Gurkenhäuser, beim Anbau von Pilzen, in Bodenlockerungsmischungen, für Seile, Schuhe, insbesondere für die koreanischen Jipsinsandalen, zur Herstellung von biologisch abbaubaren Verpackungen und in der Papierherstellung.

Darüber hinaus wird Stroh auf der ganzen Welt als sicherer, energieeffizienter und nachhaltiger Rohstoff für die Bauindustrieverwendet. Das Material ist lokal verfügbar und bietet eine kostengünstige und nachhaltige Alternative zu teuren und umweltschädlichen Baustoffen. In der Volksrepublik China liegt es im Trend, Häuser und öffentliche Gebäude aus Reisstrohabfall zu errichten. So gab es im Jahr 2005 bereits 600 dieser Häuser, welche insbesondere mit Blick auf die Umweltverträglichkeit erstaunliche Vorteile aufweisen. Sie reduzieren den Kohleverbrauch und den CO2 Ausstoß drastisch, verringern das Risiko von Atemwegsinfektionen, sind erdbebenresistent, uvm.

Strohpannel

In Litauen ist das Ecococon-Strohpaneel ein gutes Beispiel für den erfolgreichen Einsatz von Stroh in der Bauindustrie. Die Paneele sind aus gepresstem Stroh gefertigt und werden von einem Holzrahmen zusammengehalten. Nach dem Überzug mit einer wasserabweisenden Schicht werden sie wie gewöhnliches Mauerwerk verputzt. Die Häuser sind für einenjahrzehnte-, ja jahrhundertelangen Gebrauch geeignet. Die Bauweise erfordert keinen Beton oder den Einsatz von schweren Baumaschinen. Wird das Haus nicht mehr gebraucht, kann es einfach abgetragen und die Baumaterialien der Wiederverwertung zugeführt werden. Damit kommt es nicht zu der Umweltbelastung die mit dem Abbruch von Ziegelhäusern Hand in Hand geht, was zu einer gesünderen Umwelt beiträgt.

Ein weiteres Beispiel für die erfolgreiche Anwendung findet sich in der englischen Stadt Bradford, wo ein ganzer Business Park aus Stroh errichtet wurde. Der Inspire Bradford Business Park besteht aus zwei Gebäuden mit einer Gesamtfläche von 2.800 qm und bietet Räumlichkeiten für gemeinschaftliche Räume, Werkstätten, Büros und ein Café. Damit ist der Park momentan Europas größter Strohkomplex. Er wurde in Übereinstimmung mit nachhaltigen Prinzipien gebaut und entspricht den Energieeffizienzwerten der Building Research Establishment Environmental Assessment Method.

Die Bedeutsamkeit des Potenzials von Stroh als Baustoff der Zukunft ist enorm. So unterstützt beispielsweise die EU das EUROCELL-Projekt mit €1,6 Mio. aus ihrem Competitiveness and Innovation Programme(CIP). Das Projekt richtet sich an die Ausarbeitung eines Zertifikats für den Strohpaneelbau was als Basis für die Marktentwicklung und die öffentliche Akzeptanz dieser Baumethode dienen soll. Es ist wichtig hervorzuheben, dass Modcell als Partner an diesem Projekt beteiligt ist. Modcell ist einer der ersten Produzenten welcher kohlenstoffnegatives Bauen kommerziell und in nennenswertem Ausmaß betreibt. Bei der Herstellung des Strohball- und Hanfpaneels bedient sich das Unternehmen insbesondereden hervorragendenisolierenden Eigenschaften dieser Rohstoffe. Damit wird der Bau von super-isolierten, hochleistungsfähigen Niedrigenergiehäusern mit erneuerbaren, kohlenstoffbindenden und lokal verfügbaren, nachhaltigen Ressourcen möglich gemacht.

Potenzial: Energiequelle

Die meisten ökologisch orientierten Entwicklungsagenturen der Welt experimentieren derzeit mit Stroh als Treibstoff im Energiemix der Zukunft. In Deutschland sind die Forschungsergebnisse des TLL (Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft), des DBFZ (Deutsches Biomasseforschungszentrum) und des UFZ (Helmholtz Zentrum für Umweltforschung) vielversprechend.

Die Studie geht davon aus, dass von insgesamt 30 Millionen Tonnen jährlich anfallenden Getreidestrohs zwischen 8 und 13 Millionen Tonnen für die Herstellung nachhaltiger Energie oder Biotreibstoffegenutzt werden könnten. Das unterstreicht zweifellos die Rolle, die Stroh als Quelle für erneuerbarer Energie spielen könnte. Darüber hinaus kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass man 1,7 bis 2,8 Millionen Haushalte mit Elektrizität versorgen könnte bzw. 2,8 bis 4,5 Millionen Haushalte beheizen könnte.

Insgesamt tut sich also eine potenzielle energie- und umweltschonende Alternative zur derzeitigen Energieproduktion auf. Stroh könnte die steigenden Nachfrage für Elektrizität, die bis 2025 auf ein Niveau 2,7 mal höher als 2015 anwachsen soll, zum Tel bedienen. In Zukunft müssen 90% der Energie aus nicht fossilen Quellen gewonnen werden. Durch ein simples Umrüsten von Kohlekraftwerken könnte man dort Stroh als Energiequelle nutzen.Klingt das wie ein Sisyphusprojekt?

Die Eigenschaften von Stroh sind so vielfältig, dass die Nachfrage an diesem Rohstoff in Zukunft zunehmen wird. Daher muss der Trend weg von der Kurzhalmigkeit und hin zu Langhalmigen Getreidesorten gehen. Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen winter-, wind-, sturm- hagelresistente Arten zu entwickeln, gibt es viele (Limagrain Cereal Seeds, 2010). Es beibt zu hoffen, dass sie den Fokus dabei auf stärkere Halme richten. Es werden immer wieder Weizensorten entwickelt, die in den Vereinigten Staaten durch das NVT (National Variety Trials Project) und das DAFWA (Department of Agriculture and Food) getestet werden (Shackley et al, 2014). Dabei ist die Entwicklung von Sorten mit längeren Halmen und größerer Resistenz und Widerstandskraft wünschenswert. In Kombination mit traditionellen Anbaumethoden, wie dem Einsatz von Hecken an Feldrändern, wäre so eine Verfügbarkeit von Stroh auch bei steigender Nachfrage gewährleistet.

bild23

Stroh kann nicht nurals nachhaltiger Treibstoff im globalen Energiemix ein Beitrag zu Emissionsreduktionen leisten, sondern auch den mit der Bauindustrie einhergehenden Umweltschäden entgegenwirken. Diese Art der Verwendung von Stroh ist innovativ und umweltfreundlich und stellt eine neue Phase in der Öko-Erfindung dar. Neben des Beitrags zum Umweltschutz bietet sich die Verwendung von Stroh aus folgenden Gründen an: es ist verlässlich, nachhaltig, leicht transportabel, kostengünstig, kann lange gelagert und flexibel eingesetzt werden. Daher bietet Stroh eine Alternative mit großem Potential um den globalen Bedarf nach sauberer Energie zu decken und wird daher zu einer der wichtigsten Rohstoffe für die Öko-Innovationen der Zukunft.

Quellenangaben

Brewer, L., Andrews, N., Sullivan, D., & Gehr, W. (June 2013). Agricultural composting and water quality (EM 9053). Oregon State University Extension Service. Verfügbar unter

http://ir.library.oregonstate.edu/xmlui/bitstream/handle/1957/39040/em9053.pdf


Paulsen, G. (May1997). Growth and development. Wheat production handbook. Kansas State University Agricultural Experimental Station and Cooperative Extension Service. Verfügbar unter

http://www.caes.uga.edu/commodities/fieldcrops/gagrains/documents/c529.pdf


Mantanis, G., Nakos, P., Berns, J., & Rigal, L. (2000). Turning agricultural straw residues into value-added composite products: a new environmentally friendly technology. Verfügbar unter:
http://users.teilar.gr/~mantanis/research.files/G1.pdf

Shackley, B., Zaicou-Kunesch,C., Dhammu, H., Shankar, M., Amjad, M., Young, K. (2014). Wheat variety guide for WA. Grains Research & Development Corporation. Verfügbar unter:

http://www.nvtonline.com.au/wp-content/uploads/2014/03/WA-wheat-variety-guide-2014-for-web1.pdf


Limagrain Cereal Seeds (2010). What we do. Breeders & development of varieties of wheat. Verfügbar unter:
http://www.limagraincerealseeds.com/what-we-do


Zeng, X. & Ma, Y. (2005). Utilization of straw in biomass energy in China. Thermal Energy Research Institute, Tianjin University, Tianjin 300072, People’s Republic of China doi: 10.1016/j.rser.2005.10.003

Hedgegrows, ditches and open drains are designated as landscape features for the purpose of the single payment scheme. Department of Agriculture, Food and the Marine (Ireland). Verfügbar unter:

https://www.agriculture.gov.ie/media/migration/farmingschemesandpayments/crosscompliance/landscapefeatures/Hedges%20and%20drains%2012%2008%2009.pdf

Economics and funding SIG (June 2007). Valuing the benefits of biodiversity. Verfügbar unter:
http://archive.defra.gov.uk/environment/biodiversity/documents/econ-bene-biodiversity.pdf

Healthy Garden Workshop Series, maximizing your harvest. United States Department of Agriculture. Verfügbar unter:

http://www.usda.gov/documents/Companion_Planting_and_Harvesting_Workshop_Handout.pdf

http://www.renewableenergyworld.com/rea/news/article/2013/10/is-straw-germanys-next-big-energy-resource

http://ec.europa.eu/environment/ecoap/about-eco-innovation/policies-matters/eu/20130409-houses-built-of-straw_en.htm

http://www.alchimag.net/portale/2014/03/10/modcell-straw-technology-the-eco-innovate-european-research/

http://www.inspirebradford.com/content/news/europe%E2%80%99s-largest-straw-bale-buildings-take-shape-inspire-bradford-business-park

http://www.worldhabitatawards.org/winners-and-finalists/project-details.cfm?lang=00&theProjectID=292


Fotos (Quellen):

https://www.flickr.com/photos/zunami/2749249152/

https://www.flickr.com/photos/usdagov/8369765859

https://www.flickr.com/photos/svenikolov/6050882756/

ionic-engines

99 Ionenmotoren - Eine Idee, die funktioniert

Dieser Artikel stellt Innovationen für den Antrieb von Raumfahrzeugen vor, die auf die „Blue Economy“ auf der Erde übertragen werden könnten. Dies ist eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy” und Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze. In diesem Fall ist es ein Aufruf zu kreativen Lösungen für die Herausforderungen an unsere Gesellschaft auf der Grundlage des wissenschaftlichen Fortschrits. Dies ist der vorletzte Artikel dieser Reihe, ein visionäres, bisher nicht umgesetztes Beispiel, das es uns ermöglicht, Lösungen über das Offensichtliche hinaus zu finden, auf die uns eine sehr junge Wissenschaftlerin hinweist.

Der Markt

Der Weltmarkt für Weltraumfracht wird für 2012 auf 100 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt, eingeschlossen sind Lieferungen von militärischen, zivilen und wissenschaftlichen Satelliten in den Orbit. Die kommerzielle Fracht wird auf 3 Milliarden Dollar pro Jahr beziffert. Die United Launch Alliance mit Sitz in Centennial, Colorado (USA), ein Zusammenschluss von Lockheed Martin und Boeing, bietet Dienstleistungen in der Raumfahrt vor allem für zwei Kunden: das US-Verteidigungsministerium und die NASA. Sie besitzt und betreibt Startrampen in Cape Canaveral (Florida) und die Vanderberg Air Force Base (Kalifornien). Ein völlig neues Geschäft in der Raumfahrt ist der Weltraumtourismus, der zunächst von der russischen Welltraumbehörde betrieben wurde. Der Preis für einen Flug in einem Sojus-Raumschiff liegt offiziell bei 20 bis 35 Millionen Dollar pro Flug. Zwar wurde der russische Weltraumtourismus im Jahr 2010 aufgrund fehlender Kapazitäten eingestellt, doch für 2013 wird eine Wiederaufnahme des Betriebs mit einem Ticketpreis von über 50 Millionen Dollar pro Flug erwartet.

c99_ionic_engines01

Das erste Unternehmen für Weltraumtourismus war Virgin Galactic, mit einem Ticketpreis von 200.000 US-Dollar für ein paar Minuten Schwerelosigkeit und einem großartigen Blick auf die Erde aus nur 100 Kilometern Höhe. XCOR Aerospace, ein neues Unternehmen aus Kalifornien, bietet ab 2014 Plätze in seinem Lynx-Raumschiff für suborbitale Reisen für 95.000 US-Dollar. Space Exporation Techniques ist ein weiterer Mitstreiter auf diesem sich formierenden Markt, mit dem außergewöhnlichen Angebot eines Platzes auf einer Reise um den Mond für 100 Millionen Dollar, die noch vor 2020 stattfinden soll. Bei diesen Preisen ist es kein Wunder, dass sich der Weltraumtourismus in den nächsten 10 Jahren zum Milliardengeschäft entwickeln soll. Während die amerikanischen und britischen Unternehmer sich auf den Raumtransport konzentrieren, baut die russische Firma Orbitel Technologies ein Weltraumhotel für 7 Gäste, das im Jahr 2016 eröffnet werden soll. Ein fünftägiger Aufenthalt soll eine Million Dollar Kosten, Essen und Getränke sind im Preis enthalten.

Die Innovation

Es ist schwer zu verstehen, dass Menschen bereit sind, ein Vermögen für die Entdeckung des Weltraums auszugeben, obwohl es auf der Erde so viele schwerwiegende Probleme zu lösen gibt. Wir sollten erst einmal unsere eigene Welt entdecken und lernen, nachhaltig zu leben. Wir sollten zwar begreifen dass der Himmel nicht mehr die Grenze darstellt, uns dann aber auf ein menschliches Leben ohne Armut auf der Erde konzentrieren und die Fähigkeit entwickeln, die Grundbedürfnisse aller mit verfügbaren Ressourcen zu stillen. Virgin Galactic rechtfertigt sein neues Geschäft des Weltraumtourismus damit, es handle sich um ein Cleantech-Projekt, das Kohlenstoffverbindungen auf einem breiten Gebiet von industriellen Sektoren verdrängen wird. Prof. James Lovelock, Umweltschützer der ersten Generation und Mitautor der Gaia-Theorie, unterstützt Virgin Galactic als eins der wichtigen industriellen Projekte des 21. Jahrhunderts. Ebenso glaubt er, dass Atomkraft die saubere Energiequelle ist, die die Welt braucht. Ob er seit der Katastrophe von Fukushima seine Ansichten noch einmal überdacht hat?

c99_ionic_engines02

Aisha Mustafa ist eine 19-jährige Studentin an der Universität Sohag, am westlichen Nilufer mitten in Ägypten. Als Physikstudentin mit Begeisterung für die Astrophysik entwickelte sie kreative Einsichten in die Quantenphysik. Sie erfuhr von virtuellen Teilchen, die nur über einen kurzen Zeitraum existierten. Diese Teilchen ermöglichen die Entstehung von Vakuumenergie. Zwar ist das Konzept reine Theorie und basiert auf dem Prinzip der Raum-Zeit-Unsicherheit, doch die Vakuumenergie in einem Kubikmeter leerem Raum (d.h. Raum ohne Materie) wird auf 10 E 113 Joule geschätzt. Sie erkannte, dass der Weltraum nicht wirklich ein Vakuum ist, sondern Brutstätte von Interaktionen, bei der virtuelle Teilchen entstehen und zerstört werden. Dieser Raum – wie klein auch immer – könnte eine ungeheure Energiequelle sein und Aisha überlegte, wie diese eingefangen werden könnte. Ohne die Last der Erfahrung und mit nur begrenzten Erkenntnissen in die bestehenden Theorien dachte sich Aisha einen neuen Motor aus: einen Ionenmotor. Die Kraft von Aishas Ansatz liegt darin, dass sie im Gegensatz zu vielen erfahrenen Astrophysikern ihre Überlegungen nicht auf Diskussionen und Theorien beschränkt, sondern sich verpflichtet fühlt, etwas zu tun.

Aisha lernte die Theorie der dynamischen Kasimir-Kräfte und schlägt einen praktischen Weg vor, Vakuum-Energiefelder für den Antrieb in der Raumfahrt zu nutzen, die wenig oder gar keinen Treibstoff benötigen. Sie ist entschlossen, die Quanteneffekte auszunutzen, indem zwei einfache Silikonplatten in einem Vakuumfeld in einem Abstand von wenigen Mikrometern zueinander aufgestellt werden. Die Platten interagieren mit virtuellen Photonen im Quantenfeld und erzeugen eine Kraft, die entweder anziehend oder abstoßend wirkt. Im Grunde ist Aishas Beitrag ebenso bedeutend wie die Theorie, dass es Öl unter der Erde gibt, indem sie seine Existenz beweist und einen Weg findet, kleine Mengen als Beweis vorzustellen und unserer Wirklichkeit zu präsentieren. Natürlich werden einige wenige Tropfen nicht das Energieproblem lösen, doch diese Geisteshaltung und Entschlossenheit ist ein großer Fortschritt. Dr. Nabil Nour Eldin Abdellah, Präsident der Universität Sohag, ermutigte Aisha, ihren kreativen Ansatz weiterzuverfolgen und stellte das notwendige Budget über den Wissenschaftsverein für Innovative Studenten bereit, um ein Patent zu beantragen, das letztes Jahr im Februar durch die Ägyptische Akademie für Wissenschaftliche Forschung und Technologie in Kairo bewilligt wurde. Die institutionelle Unterstützung ist vorbildlich.

Der erste Umsatz

Der innovative Antrieb basiert auf einem interessanten Mix aus Quantenphysik, Weltraumtechnologie, chemischen Reaktionen und Elektrowissenschaften. Vom Automotor über Antriebe für Flugzeuge, Raumschiffe bis hin zu Satelliten nutzen solche Apparaturen Brennstoffe, die ein Gas in hoher Geschwindigkeit bis hin zu Überschallgeschwindigkeit aus dem Motor treiben. Diese Antriebe beruhen auf chemischen Reaktionen oder elektrischen Teilchen, über die Ionen beschleunigt werden, um eine Vorwärtsbewegung zu erzeugen. Aishas kreative Idee geht über diese traditionellen Lösungen hinaus und findet Wege, wie dieser Antrieb durch elektrische Kraft zwischen voneinander getrennten Oberflächen und Objekten in einem Vakuum durch Nullpunktenergie, den angenommenen geringsten Energiestatus, erzeugt werden könnte. Die Kraft ihrer Erfindung liegt darin, dass Prof. Mark Milles, der das Antriebsprojekt der NASA leitete, zwar den theoretischen Rahmen lieferte, jedoch nie die Logik hervorbrachte, die Aisha in ihrem Patent aufzeigt. Sie überträgt die ursprünglichen Analysen, die den einzufangenden Energiefluss in einem Vakuum erforschen, wie in Prof. John Davidsons Buch „The Secret of Creative Vacuum“ dargestellt wird, in einen realistischen Rahmen.

c99_ionic_engines03

Während für die kommenden Jahrzehnte die Raumfahrt weiterhin auf traditionellen Antriebssystemen beruhen wird, ist Aishas Ansatz weitere Finanzierung wert – auch weil Ägypten die akademische Plattform fehlt, um diese Forschungsrichtung weiter zu verfolgen. Vielleicht könnte Virgin Galactic die Grenzen des Energieproblems verschieben, indem sie Aisha einladen, Teil ihres Wettrennens um die Führung auf dem Gebiet der Weltraumreisen zu werden. Erst einmal ist Aisha stolz auf ihre Leistungen als Teenager, doch sie will zuerst ihr Studium beenden und hofft, ihre Erfindung in einer größeren Forschungsorganisation testen zu können, damit ihr Patent für eine der künftigen Weltraummissionen fertiggestellt werden kann.

Die Chance

Aisha bietet solide Inspiration für alle unter uns, die die entstehenden Innovationen der Blue Economy verfolgt haben. Zwar soll ihre Logik auf den Weltraum übertragen werden, doch es gibt keinen Grund, warum zukünftig diese Idee nicht auch auf der Erde angewandt werden sollte. Die Erzeugung eines Vakuums oder leeren Raums ist eine große Herausforderung, die von Experten als unmöglich erklärt wird, doch es wäre nur ein winziger Raum nötig, um möglicherweise eine riesige Energiequelle zu schaffen. Freie Energie wurde uns schon häufiger versprochen, doch Aishas Beitrag geht über das Offensichtliche hinaus und zeigt die Fähigkeit, eine neue Realität zu visualisieren. Noch weiß niemand, wie dies in näherer Zukunft zu bewerkstelligen wäre, und viele werden es als Fantasie abtun, doch wir brauchen die Beharrlichkeit und Kreativität der jungen und unbeschwerten Menschen wie Aisha Mustafa, um uns den Fragen zu widmen, auf die wir noch keine Antwort wissen. Die Zukunft hängt von unserer Fähigkeit ab, von der Fantasie über die Vision zur Realität zu gelangen.

c99_ionic_engines04

Vielleicht sollten wir uns von kreativen Köpfen wie Jules Verne leiten lassen, dem französischen Autor des 19. Jahrhunderts, der die Science-Fiction-Literatur über Weltraumfahrten, Luftreisen und U-Boote angeführt hat, bevor diese Techniken je entwickelt waren. Der Grund, warum ich über ein Jahr meine ganze Zeit der Erforschung, Entdeckung, Bewertung, Analyse und Niederschrift dieser Beispiele gewidmet habe, ist, dass wir dringend eine Generation benötigen, die Dinge erfinden kann, auf die bisher noch niemand gekommen ist. Wir brauchen Inspiration. Das letzte Werk von Verne, das er um die Jahrhundertwende herum verfasst hatte und das erst 1994 erschien, ist ein Roman mit dem Titel „Paris im 20. Jahrhundert“. Es ist eine Erzählung über einen jungen Mann inmitten gläserner Hochhäuser, der das ganze Land in Hochgeschwindigkeitszügen bereisen kann, Zugang zu gasbetriebenen Autos hat, einen Rechner und weltweite Kommunikationsnetzwerke, aber dennoch nicht glücklich wird und schließlich auf tragische Weise umkommt. In Zeiten, in denen die Jugendarbeitslosigkeit historische Rekordwerte erreicht, ist es ein Lichtblick zu sehen, wie Aisha nicht den Job für alle, sondern vielmehr ihren eigenen Arbeitsplatz erfindet, indem sie ihrer Leidenschaft zusammen mit einer erfrischenden Sicht auf die Wissenschaften folgt.

Die Menschheit wird dann aktiv oder reagiert, wenn wir vor einer schweren Krise stehen oder wenn wir durch eine Vision inspiriert werden. Vielleicht brauchen wir auch beides: Krise und Vision. Menschen hören auf zu rauchen, wenn bei ihnen ein Lungenkrebs gefunden wird, sie wandern aus, wenn ihnen woanders eine bessere Zukunft geboten wird. Die Geschäftsmodelle, die ich beschrieben habe, bieten eine Vision und Wege aus dem exzessiven Konsumdrang nach unnötigen Dingen (denken wir an das Prinzip, „Etwas“ durch „Nichts“ zu ersetzen). Unser Wunsch nach Lebensqualität muss einhergehen mit Innovationen, die nicht nur auf einer neuen Technologie basieren, sondern vielmehr auf einem neuen Blickwinkel auf dieselbe und sich doch immer ändernde Wirklichkeit, die uns umgibt. In diesem Sinne sind Cashflow, Zeitwert und Einkommen nicht mehr die einzigen Ziele, sondern die Werkzeuge, die Gesellschaften zu der Zukunft verhelfen, die sie sich wünschen. Gesellschaften, in denen das Nötige billig und das Unverzichtbare zum Leben frei erhältlich sind, bieten die Voraussetzungen zum Glück. Dies ist meine Vision, die ich mit Blue Economy verbinde.

GUNTER PAULI

Bilder: Stock.XCHNG

himalayas, buckwheat

98 Eine Zukunft für den Buchweizen im Himalaja

Dieser Artikel stellt Innovationen für die Landwirtschaft im Hochgebirge vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

Der Markt

Im Jahr 2010 erreichte der Weltmarkt für Buchweizen schätzungsweise 400 Millionen US-Dollar. Die Gesamtproduktion lag bei nur 1,5 Millionen Tonnen, d.h. nur bei der Hälfte dessen, was 2001 noch geerntet wurde. In Russland, dem Land mit der zweitgrößten Produktionsmenge nach China, haben die Wetterverhältnisse stark zu diesem Rückgang beigetragen und den Verbrauchspreis von einem auf drei Dollar steigen lassen. Die Landbesitzer wurden zunehmend für große Firmen unter Vertrag genommen, die vorhersehbare Einnahmen bieten. Die fünf weltgrößten Produzenten (China, Russland, Ukraine, Polen und die USA) erwirtschaften über 80 Prozent, davon allein China 39 Prozent. China ist nicht nur weltgrößter Lieferant, sondern führt auch den Markt für Innovationen auf diesem Gebiet mit 100 Vollzeitstellen für Forscher in 66 Instituten. Sie konzentrieren sich auf die Steigerung der Ernteerträge, die in den letzten drei Jahrzehnten um 70 Prozent anstiegen.

c98_buckwheat01

Buchweizen wird in den hohen Lagen Zentralasiens seit mindestens 5000 Jahren angebaut. Dieses glutenfreie Korn wurde vor etwa tausend Jahren in Europa bekannt und gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Nordamerika eingeführt. Über Generationen hinweg sicherte er die Ernährung im Himalaja, hauptsächlich in zwei Varianten: Gemeiner Buchweizen mit einem Ernteertrag von 750 kg pro Hektar und bitterer Buchweizen mit 1600 kg Ertrag pro Hektar. Buchweizen wächst in einer Höhe von bis zu 4400 Metern und kann bereits 30 Tage nach der Aussaat geerntet werden. In Japan dauert es nur 75 Tage von der Aussaat bis zu verbrauchsfertigen Soba-Nudeln. Buchweizen wächst so schnell, dass er das meiste Unkraut überwuchert. Er kann auf mageren Böden angebaut werden, benötigt weder Pestizide noch Dünger und ist ideal für die Vorbereitung der Böden auf Bio-Landwirtschaft. Hauptsächlich wird Buchweizen für Pfannkuchen verwendet (Europa und Nordamerika) sowie für Soba-Nudeln (Japan). Im Himalaja jedoch wird er zu 70 Prozent zur Versorgung der örtlichen Bevölkerung angebaut.

Die Innovation

Buchweizen ist eine der effizientesten Quellen für pflanzliches Protein und übertrifft in dieser Hinsicht alle anderen Getreidesorten (obwohl es aufgrund seiner Pyramidenform als Frucht klassifiziert wird). Der menschliche Organismus kann 74 Prozent des Proteins aus Buchweizen verwerten, darin sind acht essentielle Aminosäuren enthalten sowie Vitamin E und fast das gesamte Spektrum aller B-Vitamine, die den Insulinbedarf des Körpers regeln. Honig aus Buchweizenblüten enthält bis zu zwanzig Mal mehr Antioxidantien als jeder andere Honig und ist daher ein erstklassiges Nebenprodukt. Die Schalen werden als Verpackungsmaterial genutzt sowie als Ausgangsmaterial für Heizkissen, Matratzen und als Füllmasse für hypoallergene Kissen, die den Nacken hervorragend stützen. Die Werbung jedoch hat das Image des Buchweizens beeinträchtigt, weswegen die lokale Bevölkerung zunehmend weißen Reis bevorzugt. Durch diesen Wandel in den Verbrauchsgewohnheiten läuft der Buchweizen Gefahr, vergessen zu werden, trotz des einfachen Anbaus, der gesundheitlichen Vorteile sowie seiner unumstrittenen Fähigkeit, den Boden zu verbessern. In Europa und Nordamerika erfreut sich diese Pflanze nur bei Diabetikern zunehmender Beliebtheit. Als integraler Bestandteil der Kultur und Tradition im Himalaja ist Buchweizen nun von der Ausrottung bedroht. Dies würde nicht nur einen Einnahmenverlust für die Bauern bedeuten, die nicht in Wettbewerb mit subventioniertem Getreide aus Massenproduktionen treten können, sondern auch die Gesellschaft grundlegend beeinflussen.

c98_buckwheat02

Kinley Tshering studierte Forstwirtschaft an der Universität Montana in Missoula (USA). Als gebürtiger Bhutanese interessierte er sich für die Erhaltung der Traditionen seines Landes, vor allem seiner Wirtschaft und Ökosysteme auf Grundlage des Waldbestands, und schloss daher den Studiengang der Forstwirtschaft ab. Während er in Montana lebte, erlernte er jedoch auch die Kunst des Bierbrauens. Ursprünglich war er als oberster Förster Bhutans vom Konzept der Blue Economy begeistert. Nachdem er an den Treffen teilgenommen hatte, ergab sich für ihn die Möglichkeit, das Thema der Bierbrauerei auf Grundlage des Buchweizens erneut aufzugreifen. Als er von dem Geschäftsmodell erfuhr, das der Japaner Sy Chen als Marken- und Vertriebsexperte beschrieben hatte, erkannte er, dass Buchweizen aus Bhutan zwar nicht auf internationalen Märkten in Wettbewerb treten, aber doch die ideale Basis für die Kreation eines einzigartigen alkoholfreien Buchweizenbiers liefern könnte. Sy zufolge stellt alkoholfreies Bier das Segment mit dem höchsten wirtschaftlichen Wachstum in Japan dar. Das Geschäftsmodell sieht nicht vor, dass Bier aus Buchweizen in Bhutan produziert und dann nach Japan verschifft wird; stattdessen soll die Marke lizenziert und die Schlüsselzutaten geliefert werden. Ersten Schätzungen zufolge könnten die Erträge aus Lizenzgebühren auf den Bierverkauf mehr Einnahmen als der Export des Buchweizens generieren.

Der erste Umsatz

Sy und sein Team von Creative Intelligence Associates in Japan entwickelten die Marke PAWO, die in Japan registriert und Eigentum des Bhutanesischen Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft ist. Jim Lueders von der Wildwood Brewery in Stephensville (Montana), nur 20 Meilen von Kinleys Studienort entfernt, ist bereit, an den ersten Schritten der Brauerei aus Buchweizenmalzextrakt mitzuwirken. Wenn der Buchweizen exportiert und für die Bierbrauerei genutzt würde, hätte nur die Stärke einen Wert. Der Rest würde als billiges Tierfutter enden. Doch wenn die Bhutanesen zunächst das Malzextrakt herstellen, können die übrigen 92 Prozent vor Ort als Tierfutter verwendet und so der teure und minderwertige Import von Futter aus Indien ersetzt werden, das meist aus landwirtschaftlichen Abfällen sowie Resten aus der Fisch verarbeitenden Industrie besteht. Jede Tonne Buchweizen würde somit 900 kg Tierfutter liefern.

c98_buckwheat03

Da Buchweizen nur 14 Prozent Feuchtigkeit enthält und Trester nach der Malzextraktion 50 Prozent, ergibt sich hier ein hochwertiges lokal verfügbares Futter ohne oder nur mit geringen Transportkosten, eine Win-Win-Situation für Farmer und Bierbrauer. So entsteht ein typisches und doch wettbewerbsfähiges Geschäftsmodell im Sinne der Blue Economy. Kinley und sein Team arbeiten nun an der Produktion eines Biers für den Genuss vor Ort in einer örtlichen Brauerei mit der technischen Unterstützung durch Jim Lueders. So wird Expertenwissen vor Ort gesichert und auf dem lokalen Markt ein Ruf kreiert, der das richtige Image auf dem internationalen Markt schafft. Gleichzeitig werden die Bedürfnisse des Markts vor Ort berücksichtigt. Mit einer Investition von etwa 600.000 US-Dollar kann die Brauerei im Jahr 2013 in Betrieb gehen.

Die Chance

Die ersten Kontakte in Japan bestätigen die Machbarkeit des Lizenzmodells. Doch es besteht Nachfrage nach mehr als nur einem Markennamen und einem Malzextrakt aus Bhutan. Die Bierbrauerei nach dem Deutschen Reinheitsgebot aus dem 16. Jahrhundert sieht vor, dass nur Wasser, Gerste und Hopfen eingesetzt werden. Im Originaltext fehlt der Hinweis auf Hefe, die erst drei Jahrhunderte Später von Louis Pasteur entdeckt wurde: Bier kann nur mit Hilfe der richtigen Art Hefe fermentiert werden. Bhutan besitzt großen Reichtum an wilder Hefe, die auf die gleiche Weise wie in mehreren traditionellen Brauereien Belgiens geerntet werden kann.

c98_buckwheat04

Dies bedeutet, dass die exklusive bhutanesische Bierlizenz nun Gewinne produzieren könnte aus: (1) der Lizenzgebühr auf den Bierverkauf, (2) den Verkauf des Malzextrakts, (3) den Verkauf des Tresters aus dem Extraktionsprozess als Tierfutter, (4) dem Verkauf des Biers vor Ort und (5) dem Verkauf wilder Hefe. Bei der Bierbrauerei entsteht unvermeidlich Alkohol. Für alkoholfreies Bier muss der Alkohol nachträglich wieder entzogen werden. In diesem Fall also könnte ein zusätzlicher Strom für Einnahmen aus dem Alkohol entstehen. Zukünftig könnte Bhutan sogar eigenen Hopfen liefern und somit ein halbes Dutzend Einnahmeströme schaffen, die den Buchweizen im Himalaja unabhängig von den Weltmarktpreisen machen.

Das Programm für Bio-Anbau der bhutanesischen Landwirtschaftsbehörde wird die Belebung des Anbaus von Bio-Buchweizen als Teil einer Initiative zur Beschleunigung der sozioökonomischen Entwicklung des Landes genehmigen. Bisher war der in Höhen über 3000 Metern angebaute Buchweizen unwirtschaftlich und konnte den Weltmarktpreisen nicht standhalten. Nun wird das traditions- und nährstoffreiche Getreide zum Motor der ländlichen Entwicklung. Noch besser: Es ermöglicht den Erhalt der Jahrtausende alten Kultur im Himalaja und der ländlichen Gemeinden, indem Transport- und Lieferkosten auf ein Minimum reduziert und doch die Vorteile der globalisierten Gesellschaft genutzt werden. Blue Economy stellt sich nicht der Globalisierung entgegen, sondern unterstützt die Fähigkeit der Befriedigung lokaler Bedürfnisse, den Aufbau von Sozialkapital und die Sicherung der Lebensqualität. Die für Bhutan entworfene Lösung ist keine Ausnahme, sondern Teil einer breiteren Initiative zum wirtschaftlichen Aufbau durch verfügbare Ressourcen. Sie bedeutet einen Wandel von der blinden Massenproduktion und dem kurzsichtigen Blick auf niedrige Preise und Löhne, während Transport und Werbung 90 Prozent des Mehrwerts schlucken, der auf dem Weg von der Farm oder Mine bis hin zum Endprodukt generiert wird. Diese 90 Prozent könnten in der lokalen Wirtschaft verbleiben und dort das Wachstum fördern, ohne eine Inflation zu verursachen. Die fehlende Verbindung zum Erfolg sind Unternehmensgründer, die Chancen sehen und bereit sind, die sechs Gewinnströme zu nutzen, die sowohl Zitrusfrüchte aus Südafrika, Äpfel in Chile oder australisches Gemüse charakterisieren.

Bilder: K.G. Kirailla/Wikipedia, Stock.XCHNG

urban-agriculture

97 Die neue Generation der urbanen Landwirtschaft

Dieser Artikel stellt Innovationen für die urbane Landwirtschaft vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

Der Markt

Seit 2010 lebt die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Schätzungsweise 800 Millionen Personen arbeiten weltweit in der urbanen Landwirtschaft und produzieren mindestens 15 Prozent der Gesamtmenge an Lebensmitteln. So wie sie heutzutage betrieben wird, ist die urbane Landwirtschaft primär keine Geldquelle, sondern eher ein Mittel zur Sicherung der Ernährung. Nur in wenigen Ländern wird über ein Drittel der Produktion auf dem Markt verkauft, daher gibt es nur wenig Daten zu Verkäufen und Umsatz. In Madagaskar und Nigeria liegen die Einkünfte aus der urbanen Landwirtschaft bei über 50 Prozent des Einkommens der wirtschaftlich schwächeren Bevölkerung. Die einkommensschwachen Stadtbewohner geben 40-60 Prozent ihres täglichen Einkommens für Lebensmittel aus und sind zunehmend auf lokal produzierte Nahrungsmittel angewiesen. Für 2015 wird erwartet, dass mindestens 25 Städte die 10-Millionen-Einwohner-Grenze überschreiten. Dies erfordert den Import von täglich mindestens 6000 Tonnen Lebensmitteln pro Stadt. Da die Transportkosten vom Land in die Stadt bis zu 90 Prozent des Gesamtpreise ausmachen, werden Lebensmittel unerschwinglich für die ärmere Bevölkerung, deren Situation sich durch Mangelernährung und gesundheitliche Risiken dauerhaft verschärft.

c97_urban_gardening_01

Um die Bedürfnisse der 250 Millionen armen Stadtbürger weltweit zu befriedigen, muss die Lebensmittelproduktion in den Städten sich mindestens verdoppeln. Die Stadt Havanna ist vielleicht noch die erfolgreichste in der Nutzung urbaner Landwirtschaft zur Sicherung der Ernährung. Dort gibt es 300 000 Hinter- oder Innenhöfe mit einer Gesamtfläche von 2500 Hektar, mit steigender Tendenz hin zu einer halben Million im Jahr 2015. Über 40 Prozent aller Haushalte betreiben irgendeine Form der urbanen Landwirtschaft einschließlich der weit verbreiteten Hydrokultur und sichern sich so 2600 gesunde Kalorien pro Tag und Kopf. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der folgenden Hungersnot gelang es Kuba im Allgemeinen und Havanna im Besonderen, innerhalb eines Jahrzehnts die Mangelernährung zu beseitigen. Während dieser zehn Jahre nahm jeder erwachsene Kubaner im Durchschnitt um 10 Kilo ab und 22 Prozent aller neuen Arbeitsplätze im Land entstanden in der urbanen Landwirtschaft. In Harare, der Hauptstadt Simbabwes, gedeiht die urbane Landwirtschaft ebenfalls bestens. Über ein Viertel aller armen Stadtbewohner betreibt diese Art des Anbaus und trägt so 60 Prozent zum Gesamtbedarf der Nahrungsmittel bei. 80 Prozent der urbanen Landwirtschaft in Harare werden auf öffentlichen Böden betrieben und inzwischen sind 25 Prozent der Stadtfläche zu kleinen Gärten oder Farmen geworden – ein Zeichen des Einfallsreichtums, den die Menschen zur Überwindung ihrer Armut und Mangelernährung entwickeln.

Doch Armut gibt es nicht nur in den Städten der Dritten Welt. In den USA leben bereits 50 Millionen Einwohner ohne gesicherte Ernährung und in Europa sind schätzungsweise 30 Millionen Stadtbürger unterernährt. In einer Stadt wie Chicago gibt es 600 Gemeindegärten mit einer Fläche von 300 000 m2 Gemüseanbau auf Dächern, in Detroit sogar 1300 Gärten. Die Kosten zur Bewirtschaftung von 2000 m2 belaufen sich auf etwa 25 000 Dollar und sind durch Mikrokredite finanzierbar, die jedoch nicht leicht bewilligt werden.

Die Innovation

Gemeinhin gilt die urbane Landwirtschaft als kleinräumig und unproduktiv. Die Herausforderung liegt hauptsächlich in der Kontrolle der Qualität und der Steigerung der Produktivität. Die Einführung der Perma- und Hydrokultur in städtischen Räumen bot einen ersten Durchbruch. Die Permakultur beruht auf der Logik der Kombination dreier Reiche der Natur (Pflanzen, Tiere und Mineralien) nach dem Wissen der Biologen in den 1970er-Jahren. Seitdem wurde die Theorie auf fünf Reiche erweitert (Bakterien/Einzeller, Algen/Protisten, Pilze, Pflanzen und Tiere). So konnte die lokale Landwirtschaft auf Pilze und Algen ausgeweitet werden (Siehe Beispiel 3 und 21). Ziel ist jedoch die Verdopplung des Ertrags in der urbanen Landwirtschaft, womit Transport-, Lager- und Kühlkosten eingespart und so die Lebensmittelkosten für die armen Stadtbewohner um 90 Prozent gesenkt werden könnten. Es werden also noch ehrgeizigere Ideen und Unternehmensgründer gesucht. Zwar funktioniert die urbane Landwirtschaft in tropischen Zonen gut, doch wie sieht es in den gemäßigten oder kalten Klimazonen aus?

c97_urban_gardening_02

Der gebürtige Libanese Mohamed Hage ist mit Leib und Seele Geschäftsmann. Er gründete eine durch Werbung finanzierte Web-Community über Robotik und Elektronik, die schnell in Cypra Media mündete, einen der größten Provider für Email-Marketing in seiner Wahlheimat Kanada. Als Mensch, der sich gern im Freien aufhält und motiviert durch seine Leidenschaft für Haute Cuisine und frische Lebensmittel, wie er sie aus seiner Kindheit im Mittelmeerraum kannte, dachte er sich ein neuartiges Modell für die Landwirtschaft aus, das in Großstädten umgesetzt werden kann. Im kanadischen Montreal mit seinen harten und kalten Wintern entwarf er Treibhäuser auf Dächern, in denen die Lebensmittel für den Bedarf der Städter wachsen. Zwar verstand er viel von Technologie, doch er besaß nur begrenztes Wissen im Feldbau. Also gründete er eine Allianz auf akademischer Ebene mit der McGill University und erforschte, wie sein unternehmerisches Talent ein Geschäftsmodell hervorbringen könnte, das über Gemeindegärten hinausgeht, die nur halbjährlich betrieben werden. Sein Ziel war der ganzjährige Betrieb trotz des kalten Winterwetters.

Der erste Umsatz

Mit einem Startkapital von 2 Millionen Dollar gründete Mohamed die Lufa Farms, deren Name durch die libanesische Luffa-Pflanze inspiriert ist (Luffa aegyptiaca), die in seiner Heimat als pflanzlicher Schwamm und anfangs auch als Nährboden in der Hydrokultur eingesetzt wurde. Er mobilisierte ein vielseitiges Team und vereinte alles vor Ort verfügbare Wissen, um den ersten Nutz-Dachgarten anzulegen, der an die schneereichen kanadischen Winter angepasst war und gleichzeitig den städtischen Bauvorschriften entsprach. Es war viel Geduld nötig, um das wissenschaftlich fundierte und gut finanzierte Projekt zu Ende zu führen. Es dauerte ein Jahr, um die städtischen Bauvorschriften dahingehend zu ändern, dass sie die Landwirtschaft im Stadtzentrum erlaubten. Nach vier Jahren hatte er alle technischen und gesetzlichen Herausforderungen gemeistert und liefert nun ganzjährig Nahrungsmittel wie Obst und Gemüse zum täglichen Genuss an Menschen in der Innenstadt.

c97_urban_gardening_03

Die Anlage liegt im Viertel Ahuntsic-Cartierville in Montreal, nahe dem Zentralen Marktplatz, auf einem 3000 m2 großen Dach. Sie liefert wöchentlich 1000 Körbe frischer Lebensmittel zu einem Preis von 22-42 kanadischen Dollar pro Einheit. Für den Anfang wird der Betrieb durch Spenden und freie Unterstützung aus Wissenschaft und Technik getragen; um das Unternehmen rentabel zu machen, bedarf es weiterer Anlagen. Da die Dachkonstruktionen nicht genügend Erde für den Anbau von Kartoffeln oder Karotten tragen können, konzentriert er sich auf Tomaten, Gurken, Pfeffer, Paprika, Auberginen, Salat, Senfkohl und Kräuter, ein Portfolio von 25-30 Arten für den Anbau im Dachgarten. Zur Ergänzung um die fehlenden Zutaten für einen kompletten Lebensmittelkorb für die ganze Familie schloss Mohamed Partnerschaften mit städtischen Biofarmen.

Eine Studie hat belegt, dass sein Ansatz der urbanen Landwirtschaft Nahrungsmittel hervorbringt, die frei von Pestiziden und Gentechnik sind und auf einem Raum produziert werden, der nur ein Zehntel der herkömmlichen Anbaufläche beträgt. Alles benötigte Wasser ist aufgefangenes Regenwasser und die für den Anbau benötigten unterschiedlichen Temperaturen werden durch „heiße“ und „kalte“ Zonen erzeugt, um so ideale Bedingungen für den Anbau zu schaffen. So ergibt sich ein Zehnfaches an Produktivität bei einem Achtel des Energieverbrauchs für Transport, eine Verringerung der Energiekosten des Gebäudes sowie die Unabhängigkeit von Bewässerung im Gegensatz zum Rest der Welt, in dem die Landwirtschaft 80 Prozent allen Trinkwassers verbraucht. Somit ist dieser Betrieb ein interessantes Beispiel für die Blue Economy. Aufgrund seines Erfolgs in seinem Erstbetrieb erhielt Mohamed im Jahr 2011 den „Next Generation Award“ von der Stadt Montreal.

Die Chance

Verfügbare Dachflächen und Regenwasser werden genutzt, die Raumtemperatur der Gebäude wird reguliert, in der Innenstadt werden Lebensmittel zu wettbewerbsfähigen Kosten ohne Chemikalien hergestellt, Transportkosten werden drastisch gesenkt und es werden ein Dutzend Arbeitsplätze geschaffen. Auch deckt der Verbund der Landwirtschaft in der Innenstadt mit dem Stadtrand den Lebensmittelbedarf der Bürger. Dieser systemische Ansatz liefert eine Perspektive, wie man die Verdopplung der Anbauerträge in der Innenstadt erreichen könnte, und dies sogar in gemäßigten und kalten Zonen, in denen die Dachbegrünung an sich schon revolutionär war. In den USA gibt es 1,4 Millionen Quadratmeter Fläche auf Flachdächern über Geschäfts- und Bürohäusern. Auf Grundlage der Erfahrungen der Lufa Farms in Montreal könnte dies bedeuten, dass 50 Milliarden Familien jeden Werktag einen frischen Korb Gemüse erhalten könnten und dabei 470 000 neue Jobs entstünden. Das bedeutet, dass es keinen Grund gibt, warum 50 Millionen Städter in Armut leben sollen, solange es Unternehmer wie Mohamed gibt, die die Spielregeln ändern können und sowohl wettbewerbsfähig als auch nachhaltig produzieren. Obendrein wäre dies ein großer Beitrag zu einer gesunden Ernährung in einem Land, in dem ein Großteil der Bevölkerung übergewichtig ist.

c97_urban_gardening_04

Die erfolgreiche Umsetzung einer so großräumigen Strategie zur Herstellung gesunder Nahrung vor Ort erfordert einen Verbund neuer Partnerschaften, wie sie Mohamed bereits erfolgreich geschlossen hat. Er arbeitet zusammen mit Bauingenieuren, Treibhaustechnikern, Biobauern, Marketing- und Vertriebsexperten, Internetspezialisten, Kooperativen, Grundstücksinvestoren, Architekten, örtlichen Politikern und Ernährungsberatern, die ebenso gebraucht werden wie die Bauentwickler, die diesen innovativen Ansatz vorantreiben. Ziel ist es, nicht nur Lebensmittel zu produzieren, sondern ein wettbewerbsfähiges Angebot zu schaffen, das die lokale Entwicklung auf Grundlage der örtlich verfügbaren Ressourcen nach den Prinzipien der Blue Economy fördert. So können wir Szenarien schaffen, die weit über das hinaus gehen, was die Investoren in den letzten Jahren gesehen haben. Vor allem wird klar, dass alle über ihre Kernkompetenzen hinaus gehen müssen, um das volle Potenzial ihrer Anlagegüter und Cashflows nutzen zu können – und hierzu bedarf es einer neuen Generation von Unternehmensgründern.

Bilder: Stock.XCHNG

chili-agriculture

96 Die Magie des Chilis

Dieser Artikel stellt Innovationen für Biokraftstoffe vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Weltmarkt für Pestizide

Der Weltmarkt für Schädlingsbekämpfungsmittel ist in den Jahren 2001 bis 2010 von 32,5 auf 45 Milliarden US-Dollar gestiegen, mit einer Wachstumsrate jenseits Inflationsrate. Betrachten wir zusätzlich zu diesen Chemikalien auch Pflanzenschutzmittel, Pilzvernichtungsmittel und Desinfektionsmittel für die Landwirtschaft, steigt der weltweite Absatz auf 270 Milliarden US-Dollar. Zwei Drittel des Pestizid-Konsums konzentrieren sich auf die OECD-Mitgliedsstaaten, während China mit über 20 Prozent den größten Bedarf eines einzelnen Landes an diesen Produkten hat. Der US-Markt stellt mit 11 Milliarden US-Dollar ein Viertel des globalen Absatzes dar, 21.500 Unternehmen beschäftigen dort über 110.000 Mitarbeiter.

c95_chili01

Nach den letzten verfügbaren Daten ist BAYER mit über 8 Milliarden US-Dollar Absatz der größte Pestizid-Hersteller der Welt, knapp gefolgt von Syngenta (Schweiz). Beide repräsentieren jeweils ungefähr 20 Prozent des Weltumsatzes. BASF, Dow, Monsanto und Dupont sind wichtige Mitspieler auf dem Pestizid-Markt, auf dem die besten zehn Hersteller über 85 Prozent des weltweiten Absatzes erreichen. Das staatliche Unternehmen ChemChina übernahm Israels Makhteshim Agan Gruppe, den größten Hersteller von generischen Pestiziden für 2,4 Milliarden US-Dollar. Interessant ist, dass Monsanto auch der größte Saatguthersteller der Welt ist, knapp gefolgt von Dupont (Nr. 2) und Syngenta (Nr. 3).

Weltweit beeinträchtigen rund 9.000 Insektenarten und 8.000 Unkrautarten die Produktivität von Erzeugnissen aus Monokulturen. Insektenplagen schränken die landwirtschaftlichen Erträge jährlich um rund 14 Prozent ein, Unkraut um rund 13 Prozent. Die weltweit führenden Saatgut- und Schädlingsbekämpfungs-Unternehmen kooperieren zunehmend und generieren Umsatz durch entweder Samen, die manipuliert werden, um Plagen zu widerstehen, oder durch den Verkauf von Chemikalien zur Kontrolle der Nebeneffekte von industrieller Landwirtschaft. Monsanto und BASF verfolgen ein 1,5 Milliarden US-Dollar Kooperations-Schema, ein Deal vergleichbar mit den engen Beziehungen, die Monsanto mit Dow geschmiedet hat. Monsanto und Syngenta haben ihre juristischen Kämpfe eingestellt und trafen gegenseitige Lizenzvereinbarungen über ihr jeweiliges geistiges Eigentum, während sich Syngenta und Dupont entschieden, ihr Pestizid-Portfolio zusammenzulegen. Es ist schwer sich nicht vorzustellen, dass es ein Produktions-Kartell gibt, welches dem prüfenden Blick von Behörden verborgen bleibt.

Die Innovation

Die unüberlegte Nutzung von Chemikalien auf landwirtschaftlichen Pflanzen hat das Ökosystem und die Tierwelt allgemein irreparabel geschadet. Das Leben von Vögeln und Amphibien wird nachteilig beeinflusst, was zur Gefährdung oder sogar zum Aussterben vielerlei Arten führt. Die Nutzung von Pestiziden ist außerdem der Hauptgrund für viele Gesundheitsprobleme, die zuerst durch Rachel Carson in ihrem bahnbrechenden Buch „Silent Spring“ aufgedeckt wurden. Das Buch wurde schon 1964 publiziert und führte zu dem Verbot von DDT, dem damaligen Standard-Pestizid. Eine der ersten Verbesserungen war die Einführung von Schädlings-spezifischen Chemikalien anstelle des Gießkannenprinzips. Im Falle der Baumwolle reduzierte diese Innovation Pestizid-Einsätze von 20 bis 40 Sprühungen pro Jahr auf nur 4 bis 5 pro Jahr. Dies führte zu einer Senkung der Arbeitskosten bei geringerem Einsatz von Chemikalien. Eine der kreativeren Lösungen der Schädlingsbekämpfung sind die schützenden Netze, wie die von Avi Klayman in Israel entwickelt, die die richtige Menge an Sonnenlicht und Luft an die Tomaten durchlassen. Schädlinge, die das Hindernis überwinden, werden sofort durch einen Lichtfilter aufgehalten. Heutzutage wird das meiste aus Zentral- oder Südamerika importierte Obst, anstatt es mit Pestiziden zu besprühen, mit einem mit Pestiziden imprägnierten Material eingenetzt oder verpackt. Dies bietet Obstbauern die seltene Gelegenheit, die Nutzung von Pestiziden auf eine kontrollierte Art und Weise zu nutzen und gleichzeitig das Bio-Siegel zu erhalten. Der Nachteil sind jedoch die hohen Kosten.

c95_chili02

Dr. José Oscar Gutiérrez Montes wurde in Cali (Kolumbien) geboren und hat Medizin an der Universität del Valle (Cali) studiert. Dort erlangte er auch seinen Master in Pharmakologie gefolgt von einer Professur. 1985 arbeitete er am General Hostpital of Edinburgh, während er einen Postgraduierten-Kurs für Innere Medizin an der University of Edinburgh (GB) belegte. Dr. Gutiérrez arbeitete ein Jahr lang an der Cornell Universität (New York, USA) in Form einer Postgraduierten-Mitgliedschaft, indem er die Funktion von Membranen untersuchte. 2007 las er eine Studie, die in „Biochemical and Biophysical Research Communications“ der Universität von Nottingham veröffentlicht wurde. Darin ging es um Vanilloide, eine Familie von Molekülen aus Capsaicin, die aus scharfen Chilischoten gewonnen werden. Diese können an Proteinen in den Mitochondrien von Krebszellen haften und eine Apoptose, die Selbstzerstörung der Zelle, bewirken. Daraufhin hat sich Dr. Gutiérrez entschieden, auf diesen Erkenntnissen aufzubauen und sie mit seinen eigenen Erfahrungen zu vergleichen.

Dr. Gutiérrez erinnerte sich nur zu gut an die traditionelle Nutzung von Chilischoten (Capsicum spp.), die dank der Anregung der Blutzirkulation als Schmerzmittel wirken. Er wendete Extrakte zur Behandlung der Haut an und verkleinerte und eliminierte sogar in machen Fällen Hautnarben, besonders solche, die durch Verbrennungen entstanden waren. Die Dokumentation dieser positiven Effekte auf Basis von Einzelberichten und über die Jahre zusammengetragenen wissenschaftlichen Studien überzeugte Dr. Gutiérrez, sich auf die Anwendungen zu konzentrieren, für die er genügend Material sicherstellen konnte. Er wusste, dass die Kultivierung von Chili einfach ist, wenig Platz beansprucht, für Mischkulturen geeignet ist, noch nicht einmal Böden hoher Qualität benötigt und darüber hinaus auch noch neue Arbeitsplätze schafft. Jeder Hektar gepflanztes Chili benötigt fünf Arbeitskräfte. Mit über 10.000 ha leicht verfügbaren Bodens könnten daher mehr als 50.000 neue Arbeitsstellen geschaffen werden. Dr. Gutiérrez musste jedoch erkennen, dass die Versorgung mit Material nicht das Problem darstellte; stattdessen fehlten ihm finanzielle Ressourcen für klinische Studien. Diese sind unverzichtbar, wenn es darum geht, den Zugang zum hochwertigen Arzneimittelmarkt zu erlangen.

c95_chili03

Der erste Umsatz

Dr. Gutiérrez gründete schließlich das Unternehmen Capsacorp SA in Cali und entwickelte ein integriertes System, um Kosmetikprodukte für den lokalen Markt aus lokalen Ressourcen zu produzieren, während er die Bauern motivierte, ihre Produktion zu steigern, sodass er die Qualität und die Kosten der lokal bearbeiteten Capsaicine sichern konnte. Capsaicin-Extrakt ist ein verbreitetes Rohmaterial für bekannte Produkte wie Tabasco, Dermalpflaster zur Linderung von Schmerzen oder ein tropisches Anästhetikum gegen Arthritis. Capsaicin wird sogar als Mittel bei Krawallbekämpfungen und zur persönlichen Verteidigung eingesetzt, als Inhaltsstoff von Pfefferspray, dessen Wirkstoff nicht Pfeffer, sondern Capsaicin ist. Die erfolgreiche Integration von landwirtschaftlichen Produkten zu Zwischenerzeugnissen und kosmetischen Produkten brachte Capsacor SA 2009 die Auszeichnung „Viel versprechendster Exporteur von Kolumbien“ ein. Der Erfolg mit Kosmetika ermöglichte dem Unternehmen, weiter zu wachsen und ein Labor zu finanzieren, das von der reinen Nutzung für Kosmetika hin zu den zahlreichen anderen Möglichkeiten weiterentwickelt wurde, die auf der lebenslangen Erfahrung von Dr. Gutiérrez aufbauen, dem Pharmazeut, Autor und Co-Autor von über 100 wissenschaftlich veröffentlichten Artikeln.

c33_Refrigeration03

Die Chance

Zum Anlass des zweiten Blue Economy Workshops in Cali im Mai 2012 trafen Produzenten zusammen, um ihr Potenzial in jedem Sektor zu prüfen. Der Aufbau von neun Ethanol-aus-Zuckerrohr Produktionen hat kürzlich zu mehr Wirtschaftsaktivität in der Zuckerrohr-Branche geführt. Während dies einerseits eine positive Auswirkung auf die Region hat, konsumiert der Sektor andererseits für jeden Liter Ethanol zehn Liter Wasser. Die Behandlung dieses verseuchten Wassers mit einem hohen Biologischen Sauerstoffbedarf (BSD) ist teuer und gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit des Ertrages, wenn internationale Standards einzuhalten sind. Dieses Abwasser ist chemisch sicher und reich an Nährstoffen; die Zuckerrohrplantagen wiederum müssen viel bewässern. Wasser per Lastwagen zu transportieren wäre eine durchführbare Möglichkeit, die jedoch teuer ist. Auch der Bau von lokalen Kläranlagen ist zu kapitalintensiv. Die Zuckerrohr-Industrie im Bezirk des Valle del Cauca ist mit zwei Ernten pro Jahr die produktivste der Welt. Nur alle elf Jahre müssen die mehrjährigen Zuckerpflanzen neu angebaut werden. Das Ziel, eine höhere Produktivität zu erlangen, hängt jedoch von einem besser integrierten Ressourcen-Management, insbesondere bezogen auf Wasser, ab.

c95_chili05

Scharfe Chilischoten wurden bereits traditionell zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Da die meisten Vögel (mit Ausnahme von Tauben) nicht von Capsaicin beeinflusst werden, scheinen Insekten unter dem Einsatz zu leiden. Tests haben ergeben, dass eine Mischung von Capsaicin mit Abwasser aus der Ethanol-Herstellung und ihre Anwendung auf Zucker-rohr-Boden viele Vorteile bietet: Die Erde wird mit organischem Material angereichert und mit Prozesswasser bewässert. Bereits ein Prozentsatz von 0,03 Prozent schützt vor Ratten und Ungeziefer. Die Umwandlung des Abwasserproblems in ein Produkt mit vielen Vorteilen, das lokal genutzt werden kann, ist ein typisches Beispiel für die Blue Economy. Mit Blick auf die großen Mengen an verfügbarem Wasser und die regionale Nähe zu den Ethanol-Fabriken kann man sich jetzt ein lokales Netzwerk von Chili-Bauern und eine lokale Gewinnung von Capsaicin vorstellen, wobei durchschnittliche Ware eine Massenanwendung erfährt und Spitzenqualität in Nischen genutzt werden kann. Wenn man bedenkt, dass Dünger und Pestizide neben Arbeitskraft die höchsten Kosten darstellen, könnte die Nutzung von Wasser und Pflanzen, die lokal verfügbar sind, den Zuckerrohr-Sektor wettbewerbsfähiger machen und gleichzeitig zahlreiche Arbeitsstellen schaffen.

Die Gelegenheit, Industrien zusammenzuführen, die alle auf leichter und ergiebiger Landwirtschaft basieren und die Kraft der Tropen ausnutzen, könnte von diesem Massenkauf von Chili profitieren. So wird der Markt für Dünger und die Schädlingsbekämpfung zu einem Motor der Entwicklung, während die Importnachfrage eliminiert wird. Die Masse könnte bei den Lieferanten des Zuckerrohrsektors erfolgen, die daraus nährstoffreiche Pestizide und Fungizide herstellen. Wenn die Qualität der Herstellung steigt, kann der Ertrag selektiv in hochwertigere Capsaicin-Produkte umgewandelt werden und so gleichzeitig ein geringeres Investitionsrisiko bei höheren Erträgen für die Landwirte bieten.

Dr. Gutiérrez hat seine Untersuchung bereits auf eine weitere Serie von Kosmetikprodukten ausgeweitet. Dafür erhielt er von den peruanischen Chirurgen die Auszeichnung für die „beste (innovative) Forschung in der Plastischen Chirurgie“. Schönheit stand bei ihm nie im Vordergrund, zeigt aber das Marktpotenzial auf. Damit hat er den Weg für einen Geldfluss geebnet, der ihm erlauben wird, seine Erkenntnisse und sein Wissen auf seine bevorzugten Gebiete wie Schmerzlinderung, Zahnpflege, Fettsuchtbehandlung, Magen-Darm-Pflege, post-chirurgische Behandlung und Hämorrhoidenbeschwerden zu übertragen. Dr. Gutiérrez glaubt, die Zeit sei gekommen, dass diese Erkenntnisse nicht die Domäne eines Einzelnen bleiben. Statt dessen sollen sie Teil einer Entwicklungsplattform für Unternehmer werden, die die Heimat von Dr. Gutiérrez in Kolumbien in eine florierende Region verwandeln, aufbauend auf dem, was zur Verfügung steht – Überfluss.

Bilder: Stock.XCHNG

rabbits-fuel

95 Kaninchen und Benzin

Dieser Artikel stellt Innovationen für Biokraftstoffe vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

Der Weltmarkt für Biokraftstoffe

Der Weltmarkt für Biokraftstoffe wurde im Jahr 2011 mit 82,7 Milliarden US-Dollar bewertete und verdoppelt sich erwartungsgemäß bis 2021 auf 185,3 Milliarden Dollar. Bereits 2012 wird die weltweite Erzeugung von Biokraftstoffen 118 Milliarden Liter erreichen; bis 2015 werden es 155 Milliarden Liter sein. Der Markt ging 2006 mit 49 Milliarden Litern an den Start. Bis 2021 wächst die Produktion noch auf 250 Milliarden Liter an. So ergibt sich ein jährliches Wachstum von 15-20% und der Anteil am Treibstoffverbrauch steigt von 3 auf 8,5 Prozent an, was 40 Prozent des globalen Wachstums auf diesem Sektor entspricht. Schätzungen zufolge werden bis 2030 bis zu 30 Prozent der Treibstoffe biologischen Ursprungs sein. Ethanol wird weiter den Sektor beherrschen. 2007 erzeugten 20 Öl-fördernde Länder Treibstoff für über 200 Länder. Für 2020 wird erwartet, dass etwa 200 Nationen irgendein Programm zur Produktion von Biokraftstoff haben werden. Dies könnte als der größte Wandel einer globalen Industrie in lokale Plattformen für den Handel und die Entwicklung gelten.

c95_rabbits_and_fuel_01

Die erste Generation von Biokraftstoff stand in Konkurrenz mit dem Lebensmittelanbau wie Mais, Soja, Zuckerrohr, Raps und Palmöl. Die zweite Generation Biokraftstoff konzentriert sich auf alternative land- und forstwirtschaftliche Quellen. Brasilien hat die größte Vielfalt von erneuerbaren Kraftstoffquellen: heimisches Babassu (eine Palmenart) und Cupuassu (eine Kakaovariante), Soja, Rizinusöl, Palmöl, Baumwolle, Sonnenblume, Kokosnuss, Erdnüsse, Raps, Algen, Zellulose und Zuckerrohr. Mehrere Länder haben die Jatropha curcas aus Lateinamerika eingeführt. Die weiträumigsten Initiativen liegen in Indien (über eine Million Hektar), Mosambique (300 000 Ha), Indonesien (200 000 Ha) und Brasilien (100 000 Ha). Indien hat 60 Millionen Hektar ungenutztes Land reserviert und beabsichtigt, 20 Prozent aller Biokraftstoffe durch Jatropha zu ersetzen. In Kolumbien wurde erstmals Treibstoff aus Pinien (Terpentin) gewonnen, der mittlerweile das Interesse Bhutans geweckt hat. Dieses Land hat per Verfassung 60 Prozent seiner Fläche als Primärwald, hauptsächlich Kiefernwald, unter Schutz gestellt.

Im Jahr 2012 gibt es in mindestens 30 Ländern bereits Mischvorschriften und 29 regionale Regierungen sind ihren Entscheidern auf nationaler Ebene zuvor gekommen und haben lokal Biokraftstoffgemische im Angebot. Im Jahr 2010 stellten die USA, Brasilien und die EU zusammen 85 Prozent der globalen Produktion. Es gibt keine klaren Marktführer, und viele Firmen versuchen sich zu positionieren: die größten Anlagen bauen derzeit Neste (Finnland) in Singapur sowie Tyson-Conoco in den USA, mit einer Produktionskapazität von 250 bzw. 200 Millionen Gallonen. Ein Trend zur Massenproduktion zeichnet sich also ab. Auf der anderen Seite des Spektrums haben Ingenieure wettbewerbsfähige kleine Biodiesel-Anlagen für täglich 2000 Liter Biokraftstoff aus lokal erzeugten Rohstoffen entwickelt, die den ökologischen Fußabdruck durch Einsparungen der Transportkosten drastisch vermindern. Mit dem Bau von 150 Kleinanlagen in zwei Jahren schafft die Firma Extreme Biodiesel (Kalifornien, USA) die Basis für lokale Kooperativen, die den Zusammenschluss von Einzelherstellern fördern und Konzerne unterstützen, die den Wechsel zu erneuerbaren Treibstoffen wagen wollen.

Die Innovation

Biokraftstoffe haben eine hohe Energieausbeute und reduzieren dabei den Ausstoß von Kohlendioxid (-78%), Schwefel (-100%), Kohlenmonoxid (-48%), Feinstaub (-47%) und Kohlenwasserstoffen (-85%). Bekannt ist, dass sich Kraftstoffe auf Maisbasis ohne massive Subventionen der US-Regierung auf dem Markt nicht tragen. Die Industrie sucht nach besseren Wegen der Konversion, unter anderem durch die Einführung des Bioraffinerie-Konzepts (Siehe Beispiel 6). Der Ethanolsektor ist sich bewust, dass für jeden Liter Treibstoff 10 Liter flüssige Abfälle entstehen. In Folge dessen erschöpft eine hohe dichte großer Anlagen schnell die Wasservorräte vor Ort. Die neun Kali-basierten Ethanolfabriken in Kolumbien suchen nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten für ihr Abwasser. Auf breiter Ebene besteht die Sorge, dass in ländlichen Gemeinden der Anteil an Anbauflächen für Biokraftstoff außer Kontrolle gerät und die Bauern gezwungen werden, große Flächen für Monokulturen ohne Rücksicht auf Energieaufwand, lokalen Lebensmittelbedarf oder gesundheitliche Risiken anzulegen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Dr. Sean Simpson blickt auf eine breit angelegte Karriere in der Biologie und Biochemie zurück. Der gebürtige Brite hat an der Teeside University (Vereinigtes Königreich) seinen Bachelor of Science mit Schwerpunkt auf Biotechnologie und seinen Mastergrad an der University of Nottingham (Vereinigtes Königreich) in Pflanzengenetik erlangt. Seine akademische Karriere krönte er mit einem PhD in Pflanzen-Biochemie der University of York. Mittlerweile lebt er in Neuseeland. Zu Beginn seiner beruflichen Karriere arbeitete er in der Entwicklung von Medikamenten bei Hoffmann La Roche in der Schweiz und Sandoz in Österreich, dann untersuchte er Zellstrukturen an der Universität Tsukuba in Japan, bis er schließlich nach Neuseeland übersiedelte und dort beim Konzern Genesis an der Umwandlung von Hartholz in Ethanol zu arbeiten. Er fand eine Mikrobe, die imstande war, Kohlenstoff aus Gasen als Energiequelle zu nutzen und diese Kohlenstoffenergie in Treibstoff umzuwandeln. Diese Forschung mündete in einen Bericht, der bestimmte Bakterien im Verdauungstrakt einer speziellen Kaninchenart vorstellte, die möglicherweise Abfallstoffe in Treibstoffe umwandeln könnten. Kaninchen haben eine besondere Art der Verdauung: Zunächst kauen sie 300-Mal und verarbeiten dann, nachdem die ersten Nährstoffe extrahiert wurden, im Plumpdarm, in dem durch Enzyme und Bakterien die Überreste der Nahrung für die erneute Verdauung vorbereitet werden. Dieser unglaubliche und einzigartige Mix aus Mikroorganismen im Plumpdarm inspirierte den Forscher für sein nächstes Unterfangen, aus Abfällen Treibstoff zu gewinnen.

c95_rabbits_and_fuel_03

Dr. Simpson war klar, dass die erste sowie die zweite Generation Biokraftstoffe direkt oder indirekt (über die Anbauflächen) mit der Nahrungsmittelproduktion konkurrieren. Zwar ist die zweite Generation breiter gefächert und weiter entwickelt als die einfache Nutzung von Lebensmitteln für Menschen als Kraftstoffquelle, doch es handelt sich weiterhin um die Nutzung von Landflächen, die alternativ auch Hanf oder Nesseln hervorbringen könnten. Dr. Simpson entwarf eine neuartige Fermentation, die Kohlenmonoxid-haltige Gase einfängt und den Kohlenstoff in Treibstoff und weiter Chemikalien umwandelt. Sein Denken folgt der Idee der Bioraffinerien und er erforscht das Potential der Umwandlung von Abfallströmen aus Industrien und Landwirtschaft, die gegenwärtig Luft, Wasser und Boden belasten und so das Klima gefährden. So bietet er eine völlig neue Vision, wie die Gewinnung von Kohlenstoff zur Grundlage einer Strategie für erneuerbare Treibstoffe werden könnte. Seine ursprünglichen Rechnungen zeigen auf, dass diese Technologie mit einem möglichen Ertrag von über 400 Milliarden Litern pro Jahr das Potenzial hat, die Zukunft der Kraftstoffproduktion mitzubestimmen und neue Rohstoffe für die chemische Industrie bereitzustellen.

Der erste Umsatz

Eine Analyse der Stahlindustrie hat gezeigt, dass aus den Emissionen der Produktion von jährlich 1,4 Milliarden Tonnen Stahl durch diesen neuartigen komprimierten Fermentationsprozess 115 Milliarden Liter Ethanol gewonnen werden könnten. Dr. Simpson wurde daraufhin zum Mitgründer von LanzaTech in Neuseeland dank der Unterstützung durch einige private Investoren. Im Jahr 2008 wurde eine Pilot-Anlage an die BlueScope-Stahlfabrik in Neuseeland angeschlossen, die erfolgreich Kohlenmonoxid und weitere Gase in zunächst 208 000 Liter Ethanol umwandelte. Diese erste Erfahrung motivierte die in China ansässige Firma Baosteel, eine Vorführanlage zu bauen, die die Produktion auf jährlich 380 000 Liter Ethanol steigerte. Die Anlage ist seit Herbst 2011 in Betrieb. Die verfügbaren Daten waren überzeugend genug, um den Betrieb dieser kleinen Anlage auszuweiten auf eine kommerzielle Produktion, die Abgase aus der Stahlindustrie in bis zu 250 Millionen Liter pro Jahr umwandeln kann. Die privaten Investoren wurden mittlerweile durch institutionelle und industrielle Partner aus Malaysia, Indien, China und den USA abgelöst. LanzaTech hat inzwischen Niederlassungen in den USA und China.

Die Chance

Zwar ist Europa bisher zweifellos Marktführer für Biokraftstoffe, doch LanzaTech hat bereits seine Kooperationsprogramme auf Indien (Indian Oil, Jindal Steel and Power), Malaysia (Petronas) und Japan (Mitsui & Co.) erweitert. Der erfolgreiche Betrieb der Vorführanlagen sowie die daraus folgenden Finanzierungen brachten LanzaTech den Titel „Firma des Jahres im Asien-Pazifik-Raum“ ein und Dr. Simspon wurde als „Nachwuchs-Biotechnologe des Jahres“ geehrt. Die möglichen Weiterentwicklungen beschränken sich nicht nur auf Abgase aus Stahlfabriken; LanzaTech ist ebenso bereit, die Abfallströme aus der Herstellung von Petrolkoks sowie aus der Landwirtschaft weiterzuverwerten. Allein die in den USA anfallenden 1,3 Milliarden Tonnen Biomasse könnten durch einen Ertrag von jährlich 720 Milliarden Litern den Mais als Biokraftstoff ein für allemal verdrängen, und das ohne den Bezug von Subventionen in Milliardenhöhe, die der Mais-Ethanol momentan verschlingt.

c95_rabbits_and_fuel_04

Dr. Simpson beschränkt sein Portfolio von Chancen nicht, und es scheint, für das Team von LanzaTech ist das erst der Anfang (so enden alle Fabeln von Gunter Pauli). Er hat die Möglichkeit der kontinuierlichen Nutzung von CO2 in einem Fermentationsprozess bewiesen, in dem Acetat gewonnen wird. Außerdem sind da die großen Mengen von Feststoffabfällen aus der Land- und Forstwirtschaft, städtische Abfälle (siehe Beispiel 51) und sogar die Abfälle aus der Kohleverarbeitung, die gleich wie die Emissionen der Stahlindustrie weiterverarbeitet werden können. Die Prozesse zur Umwandlung gemäß den Konzepten von Dr. Simpson schließen die Rückgewinnung von Abwasser ein, während alle Nebenprodukte zu Rohstoffen für die Chemieindustrie werden, ebenso wie in den Raffinerien Nebenprodukte aus Erdöl gewonnen werden. Ein Prozess, in dem Emissionen und Feststoffabfälle inspiriert durch natürliche Prozesse der biologischen Fermentation in Kraftstoff und Rohstoff umgewandelt werden, ohne dass Subventionen benötigt oder die Lebensmittelproduktion verdrängt werden, ist ein konkretes Beispiel für die Blue Economy. Zwar können kleine oder einzelne Investoren solche Anlagen nicht mittragen, doch sicher ist, dass jedes Land, in dem Kohleabbau und Landwirtschaft betrieben sowie Stahl hergestellt wird, diese Technologie einführen könnte, die schon bald durch Bakterien eine Plattform für den Wettbewerb auf dem Markt der Biokraftstoffe bilden wird.

Bilder: Stock.XCHNG
https://www.flickr.com/photos/jcapaldi/7823435568

birth-control-pills

94 Familienplanung ohne Pille oder andere Mittel

Dieser Artikel stellt Innovationen in der Empfängnisverhütung vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

Der Weltmarkt für die Geburtenkontrolle

Der Weltmarkt für Verhütungsmittel wurde für 2010 auf 15,5 Milliarden Dollar geschätzt und für 2017 wird eine Zunahme auf 19,2 Milliarden Dollar erwartet. Der Markt erfreut sich zunehmender Beliebtheit für Pharmafirmen, die daran interessiert sind, auf dieses Segment zurückzukehren, da die Nachfrage in den letzten Jahrzehnten nicht von dem wirtschaftlichen Abschwung betroffen war. Mehr als die Hälfte aller Paare zwischen 15 und 49 in Europa, Russland, Australien, Latein- und Nordamerika nutzen Methoden der Familienplanung. In der EU liegt das Verhältnis sogar bei bis zu 70 Prozent, mit Ausnahme Spaniens. Der Weltmarkt für Kondome lag im Jahr 2010 bei 4,2 Milliarden US-Dollar. In Entwicklungsländern ist die Sterilisation mit 17 Prozent der Paar die wichtigste Methode der Geburtenkontrolle, nur 7 Prozent nehmen orale Verhütungsmittel, 5 Prozent nutzen intrauterine Methoden und nur 4 Prozent vertrauen auf Kondome. In der „Dritten Welt“ haben nur 260 Millionen Frauen Zugang zur Geburtenkontrolle. Etwa 215 Millionen würden gern verhüten, haben aber keinen Zugang. Diese Daten bestätigen das Wachstumspotenzial des Marktes, wenn die Produkte verfügbar wären.

c94_birth-control01

Weltweit stellen orale Verhütungsmittel mit 78 Prozent den größten Marktanteil; er wächst um weniger als 3 Prozent pro Jahr. Mechanische Verhütungsmethoden (Spirale, Vaginalringe und Kondome) stellen einen weitaus geringeren Anteil, ihr Wachstum liegt mit 8,5 Prozent pro Jahr für die nächsten 5 Jahre jedoch viel höher. Alle drei Jahre beantragen eine Million mehr Frauen staatlich bezuschusste Verhütungsmittel und steigern somit die institutionelle Nachfrage der OECD. Der Markt wird von einigen wenigen Pharmakonzernen wie Bayer Schering Pharma (Deutschland), Pfizer und Merck (USA), Ansell Ltd. (Australien, Janssen Pharmaceuticals (Belgien) und Teva Pharmaceuticals (Israel) beherrscht. Durex ist globaler Marktführer für Kondome mit 35 Prozent Marktanteil bei Markenprodukten. Mit einer Gesamtwachstumsrate von über sechs Prozent wächst der asiatische Markt für Kondome am schnellsten.

Non-Profit-Organisationen wie DKT International (USA) engagieren sich für soziales Marketing, d.h. die Nutzung moderner Marketingtechniken zum Erreichen eines sozialen Ziels und nicht allein zur Gewinnmaximierung, und verkaufte im Jahr 2011 über 650 Millionen Kondome sowie 72 Monatspackungen orale Verhütungsmittel an 24,5 Millionen Paare. Weltweit verteilt diese innovative Art des Marketings zur Erreichung der Paare bereits jährlich 2,4 Milliarden Kondome und 162 Millionen „Pillen“ zur Empfängnisverhütung. Seit diese Produkte verkauft werden, werden sie als kosteneffektive Familienplanung bevorzugt eingesetzt und die für Mütter hochriskante Abtreibung zunehmend vermieden.

Die Innovation

Die Produktpalette für Verhütungsmittel steht vor mehrerlei Herausforderungen. Chirurgische Interventionen sind irreversibel und daher weniger beliebt. Der Konsum synthetischer Hormone mit langer Haltbarkeit stellt zunehmend die Wasseraufbereitungsanlagen vor Probleme, denn auch mit fortschrittlichste Reversosmose ist es unmöglich, alle chemischen Komponenten aus dem Wasser zu entfernen; somit wächst die Gefahr hormoneller Störungen für den Menschen (und die Wasserlebewesen), wenn das Wasser für den menschlichen Gebrauch oder die Landwirtschaft wiedergenutzt wird. Für Kondome wird ein nicht abbaubarer Kunststoff verwendet, der Toiletten und Abwasseranlagen verstopfen kann, wenn sie unsachgemäß entsorgt werden; außerdem beeinträchtigen sie die Erektion bei etwa einem Fünftel aller Männer. Ebenso sind die Kosten ein wichtiger Faktor. Innovative mechanische Mittel wie Sino-Implant, SILCS-Diaphragma, der Langzeit-Vaginalring NES/EE, der über 12 Monate statt nur einen genutzt werden kann, reduzieren die Kostenpreise für den Käufer und macht Hilfen zu ihrer Nutzung überflüssig. Es bleiben jedoch einige Probleme offen, zum Beispiel die Entfernung derselben sowie die korrekte Entsorgung.

c94_birth-control02

Jorge Reynolds war Wegbereiter in der Entwicklung des Herzschrittmachers in den 1950er-Jahren und widmet sich seit den 1990er-Jahren dem Bau eines EKG ohne Batterien (siehe Beispiel 4). Dr. Reynolds erforschte dabei gründlich eine breite Palette von Anwendungsmöglichkeiten des „batterielosen Konzepts“ und erkannte, dass die wichtigste Innovation die Entwicklung eines integrierten mobilen, interaktiven, informationsverarbeitenden Sensorsystems wäre, das es Frauen ermöglicht, ihren Fruchtbarkeitszyklus zu überwachen. Die Körpertemperatur der Frau liegt normalerweise bei 36,5 bis 36,8°C; sie schwankt geringfügig von Frau zu Frau. Während des Eisprungs bewirkt das Hormon Progesteron einen leichten Temperaturanstieg von 0,1 bis 0,2°C. Zwar klingt ein Zehntelgrad unbedeutend, doch durch tägliche und ständige Temperaturmessung über mehrere Zyklen kann ein regelmäßiges Muster festgestellt werden.

Dr. Reynolds entwickelte einen speziellen Sensor von der Größe eines Reiskorns, das mithilfe von Klettband an der Unterwäsche befestigt werden kann. Der Sensor misst Tag und Nacht genau die Temperatur und überträgt die Daten an ein registriertes Mobiltelefon in der Nähe der Person. Der Sensor funktioniert ohne Batterie und kann die Funkfrequenz des/der Handys in der Nähe in genügend Energie umwandeln, um die Körpertemperatur zu messen und die Daten über ein spezielles Programm an das Telefon zu übertragen, das durch SMS, Rufton oder Vibration ebenfalls mitteilt, wann gemäß den aufgezeichneten Daten die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis hoch ist.

Der erste Umsatz

Auf dem Markt gibt es bereits zahlreiche Apps zur Familienplanung für Smartphones. Jedoch ist keins von ihnen mit einem batterielosen Kommunikationssensor verbunden. Die derzeit verfügbaren Apps bieten wenig verlässliche Fruchtbarkeitstabellen durch Kompilation von Datensammlungen über die Zeit sowie individuelle Bemerkungen. Über ein Dutzend dieser Apps sind verfügbar, unter anderem Women Calendar ($9.99), iChartMe ($2.99), MeFertil ($4.99), FemiCycle ($2.99), iOvulation ($0.99) and NFP Manager (gratis). Sie alle bieten die Basisinformation auf anschauliche Weise. Wenn diese Apps die Sensor-, Antennen- und Datenübertragungsfunktionen zusammen mit genauer Verarbeitung der Informationen wie bei Dr. Reynolds verbänden, dann könnte die Temperaturmessmethode tatsächlich als Werkzeug zur Familienplanung genutzt werden. Sogar die Antennen könnten in das Innovationskonzept mit einbezogen werden, siehe Johan Gielis und die Superformel (Beispiel 91).

c57_health01

Die Chance

Seit Einführung des Mobiltelefons 1994 wurden elf Milliarden Handys verkauft. In den letzten 18 Monaten kam eine weitere Milliarde hinzu. Allein Nokia verkaufte 3,4 Milliarden Stück. Über die Jahre wurden fünf Milliarden Geräte weggeworfen, während 6 Milliarden noch in Gebrauch sind, davon eine Milliarde in China und eine weitere Milliarde in Indien. In vielen Regionen liegt die Deckungsrate für Handys bei über 100 Prozent, d.h. viele Menschen nutzen mehr als ein Telefon. Fast die Hälfte aller Telefone der Welt werden in der Asien-Pazifik-Region genutzt, ebenso liegt die Deckungsrate in Südafrika bereits bei 100 Prozent. Afrika und Asien sind an der Familienplanung besonders interessiert. Die Kosten für den Sensor sind niedrig und werden mit wachsender Stückzahl weiter sinken. Somit könnte dies zum billigsten denkbaren Mittel der Familienplanung werden. Der winzige Sensor, der bereits auf dem Markt ist, wird innerhalb weniger Monate käuflich sein. Die Prototypen, die in Bogotá (Kolumbien) produziert werden, liegen bei einem Preis von unter 10 Dollar pro Stück.

c94_birth-control04

Die Ersetzung von Chemie (künstlichen Hormonen) und Mechanik (aus seltenen Erden oder Polymeren) durch Sensoren und Software, die auf den Gesetzen der Physik und Mathematik beruhen, sind ein Beispiel für Innovationen im Sinne der Blue Economy. Während der Ersatz von Batterien durch „keine Batterien“ wie im EKG oder Mobiltelefon ein großer Fortschritt wäre, wird die Einführung neuer Geräte, vor allem von batterielosen Sensoren in der Gesundheitsversorgung und Sicherheit im täglichen Leben unsere Gesellschaft nicht nur nachhaltiger gestalten, sondern auch die Qualität verbessern und sicherstellen, dass wir unsere Kosten reduzieren und gleichzeitig weniger abhängig von Materialien aus dem Bergbau werden. Bei jährlichen Kosten, die unter denen der bisher erhältlichen Mittel zur Familienplanung liegen, wäre diese Methode billig und somit erreichbar für Millionen Menschen, die zwar nicht über Medien oder Social Media, aber doch über ihr Mobiltelefon mit der Außenwelt in Verbindung stehen.

Bilder: Stock.XCHNG

weed-work

93 Von Brennnesseln zu Arbeitsplätzen

Dieser Artikel stellt Wildkräuter als natürliche Verbundwerkstoffe vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Im Jahr 2010 überstieg der weltweite Markt für natürliche Faserverbundwerkstoffe den geschätzten Marktwert von 2 Milliarden US-Dollar. Bereits von 2005 bis 2010 verzeichnete der Markt eine jährliche Wachstumsrate von 15 Prozent. In den nächsten 5 Jahren wird von einem jährlichen Wachstum von 10 Prozent ausgegangen und eine Verdoppelung des Marktwertes auf 3,8 Milliarden US-Dollar in 2016 erwartet. Mit mehr als 50 Prozent des Gesamtumsatzes, ist Europa mit einer stabilen Nachfrage aus der Automobilbranche der stärkste Markt, der die Werkstoffe zur Herstellung von Türverkleidungen, Sitzlehnen, Armaturen und Stoßstangen einsetzt. Die Verwendung von natürlichen Verbundwerkstoffen zur Produktion von Stoßfängern und Schutzleisten machen bereits einen Marktwert von 162 Millionen US-Dollar aus. Dies entspricht einem Gesamtgewicht natürlicher Materialien von ca. 162.000 Tonnen. Die Elektrotechnik-Industrie setzt ebenfalls in der Herstellung von Telefonen und Computergehäusen immer mehr auf natürliche Verbundwerkstoffe.

c93_nettle01

Henry Ford entwickelte einen seiner Prototypen auf Basis des natürlichen Verbundwerkstoffs Hanf. Erstmalig wurde in der Automobilindustrie für die Herstellung der Karosserie des ostdeutschen Trabanten ein natürlicher Verbundwerkstoff, hier ein Mix aus Baumwolle und Polyester, eingesetzt. Unternehmen wie Audi, BMW und Volvo haben bereits auf die Verwendung von natürlichen Verbundwerkstoffen in Produkten umgestellt. General Motors folgt diesem Trend und könnte die USA zur zweitgrößte Region im Verbrauch von natürlichen Verbundwerkstoffen weit vor Japan positionieren. NEC war im Jahr 2006 weltweit das erste Unternehmen aus der Branche der Elektrotechnik, das Kenaf und Polymilchsäure für die Produktion von Mobiltelefon-Gehäusen verwendete. Johan Museeuw, ein belgischer Radrennfahrer, gründete ein Unternehmen für die Herstellung von Rennrädern und entwickelte den ersten Rennradrahmen aus einem Verbund aus Flachs und Epoxidharz – das Ergebnis: ein kostengünstiger Anti-Vibrationsrahmen. Die Bauindustrie ist der zweitgrößte Markt für Verbundwerkstoffe, der sich auf Kunststoffe auf Basis von Holz konzentriert. Die Nachfrage nach Carbon und Glasfaser leidet unter dieser neuen Konkurrenz. Die natürlichen Verbundwerkstoffe aus Flachs, Hanf, Kenaf und das reichlich verfügbare Sisal, das hauptsächlich für Seile verwendet wird, zeichnen sich durch niedrigere Kosten und geringeres Gewicht aus.

Zusätzlich bieten Flachsfasern eine sehr hohe Verstärkung und Zugfestigkeit. In der Automobilindustrie haben natürliche Verbundwerkstoffe fast ein 8-mal besseres Preis-/Leistungsverhältnis als Stahl und 14-mal besseres als Aluminium erzielt. Die steigenden Preise für Mineralölprodukte, die staatliche Förderungen für grüne Produkte, die hohe Akzeptanz und Nachfrage durch die Verbraucher werden in absehbarer Zeit die natürlichen Verbundwerkstoffe auf einen Rekordwert bewegen.

Die Innovation

Die wichtigsten Treiber für Innovationen auf Basis von natürlichen Verbundwerkstoffen sind die geringen Kosten, eine geringe Feuchtigkeitsaufnahme, keine Korrosion und die höhere Gleichmäßigkeit als Holz. Die Bauindustrie wird schon seit langer Zeit für die Verwendung von Harthölzern wie Teak, die in eine massive Abholzung geführt hat, kritisiert. Da sich Fensterrahmen, Zäune und Wandpaneele auch aus Reisschalen und Bagasse herstellen lassen, ersetzen zunehmend Hersteller ihre bisher verwendeten Tropenhölzer gegen natürliche Verbundwerkstoffe. Flachs, Kenaf und Hanf, die sehr gute Eigenschaften in der Dämmung aufweisen, ersetzen immer mehr Kunststoffe und Metalle. Mit Ausnahme der Reisschalen, die ein Abfallstoff sind, konkurrieren alle anderen Naturfasern mit landwirtschaftlicher Nutzfläche für die Produktion von Lebensmitteln. Das ist eine sehr große Herausforderung im Wandel zu einer nachhaltig handelnden Gesellschaft, deren Grundbedürfnisse, beginnend mit Wasser und Nahrung, bewahrt werden müssen.

Unterstützt durch die kreative Forschungsarbeit von Jeroen Bos entdeckten Carla Wobma und ihr Partner Bob Crebas aus den Niederlanden die Nutzung der Brennnesselfasern neu, einer Pflanz, die auf eine lange Historie in der Arzneimittelherstellung zurückblickt. Dokumentationen zufolge wurden bereits 900 n. Chr. wilde Brennnesseln für die Herstellung von Textilien verwendet und kamen in den meisten Fällen als Luxustextilien für Königshäuser zum Einsatz. Die Brennnessel ist eins der neun Zauberkräuter, die von den Angelsachsen im 10. Jahrhundert aufgezeichnet worden sind. Sie wurde bereits im mittelalterlichen Europa zur Befreiung des Körpers von überschüssigem Wasser und zur Behandlung von Gelenkschmerzen eingesetzt. Die Brennnessel bietet mehr als nur medizinische Heilungen – sie ist nahrhaft wie Spinat und Gurken, reich an Vitamin A und C und beinhaltet die benötigten Tagesmengen von Kalium und Calcium. Als Getränk bietet es eine Quelle von Zitronensäure mit natürlich langer Haltbarkeit. Es gibt sogar ein Brennnesselbier, ein beliebtes Getränk in Großbritannien. Brennnessel wird seit jeher neben Leinen als Rohstoff für Textilien verwendet und erfordert keine Pestizide. Selbst Farbstoff kann man aus ihr gewinnen – gelb von den Wurzeln und gelb-grün aus den Blättern. Bhutan ist das einzige Land, wo das Ernten von Wildkräutern zur Herstellung von Kleidung, wie für die als „Goh“ bekannte Herren-Jacke, weit verbreitet ist.

c93_nettle02

Bob und Jeroen haben Produktionsforschung in Großbritannien, Russland, Deutschland und den Niederlanden studiert und aufgezeigt, dass auf jedem Hektar sechs Tonnen Brennnesseln wachsen, mit einem Ertrag von 600-780 kg Nesselfasern. Diese Fasern erzielen auf dem Markt einen vier- bis fünffach höheren Preis als Baumwolle. – im Vergleich dazu: 2.000 EUR pro Hektar für Mais und 1.000 EUR / ha für Sonnenblumen. Während die meisten natürlichen Ressourcen jedes Jahr neu ausgesät werden müssen, sind Brennnesseln mehrjährig und benötigen keine Bewässerung. Somit können die Kosten für Energie, Arbeitskraft und Kapital im Vergleich zu Baumwolle drastisch gesenkt werden.

Jeroen Bos und die Familie Crebas extrahierten die Fasern der Brennnessel mittels eines Experimentes, bei dem beheizte Vakuum-Zylinder eingesetzt wurden. Im Rahmen einer Testproduktion kombinierten sie die Verrottung, Fermentierung und Wasseraufbereitung unter Zugabe von Regenwasser, aus jeder Tonne verarbeiteter Brennnessel 50 bis 55 Kubikmeter Biogas mit einem Anteil von 75 Prozent Methan herzustellen. Jeroen konzentrierte sich auf die Optimierung der Prozesse und erforschte die Verwendung des hergestellten Gases für die Trocknung der produzierten Fasern. Es scheint, dass durch Nutzung der Gärprozesse, die bereits in anderen Beispielen beschrieben wurden (siehe Beispiel 51), die Herstellung der Rohfasern allein durch Energiezufuhr aus dem Produktionsbetrieb selbst bewerkstelligt werden und so das Ziel der Nullemissionen erreicht werden kann, indem verschiedene Abfallströme kombiniert werden.

Im nachfolgenden Schritt taucht das Team von Netl die Rohfasern in ein Glyzerinbad, ein natürliches Nebenprodukt der Seifenfertigung, um die Herstellung von einzelnen Fasern zu ermöglichen. Ein landwirtschaftlicher Herstellungsprozess, der vorhandene Ressourcen nutzt, den eigenen Energiebedarf deckt, Wasser kontinuierlich aufbereitet und dabei immer mehr Nährstoffe und Material extrahiert, der dabei einfach bleibt und gleichzeitig hochwertige Produkte zu wettbewerbsfähigen Kosten liefert, ist ein sehr gutes Beispiel, das im Detail die Prinzipien der Blue Economy wiedergibt. Daher sollte man die gewonnenen Brennnesselfasern „Blaue Faser“ (Blue Fibre) nennen.

Der erste Umsatz

2006 gründete Bob Crebas das Unternehmen „Netl“. Carla konzentrierte sich fortan mit Experten aus Italien, Großbritannien und Frankreich auf das Spinnen der Fasern. Das Garn wird in Litauen und den Niederlanden zu Stoffen verstrickt und zu einer eigenen Damenbekleidungs-Modelinie weiterverarbeitet. Das Paar baute einen 48 Hektar großen Brennnesselpark und integrierte ein Produktionssystem von der landwirtschaftlichen Produktion bis hin zum Endprodukt. Ihre eigene Modelinie boten sie auf dem internationalen Markt zu Beginn 2012 an. Es konnten in der ersten Phase vier landwirtschaftliche Standorte in Europa erschlossen werden und eine Nachfrage für ihr Produkt, das keine Pestizid behandelten Baumwollfasern beinhaltet, generieren. Das Potential ist stark und das Geschäftsmodell ist wettbewerbsfähig, auch wenn das Preisgefüge heute noch nicht dem der Baumwollbranche entspricht. Der geschaffene Wert für den Kunden und die Natur birgt vielfältige Vorteile und Einnahmen, die dringend benötigt werden, um die Bekleidungsindustrie in eine wettbewerbsfähige Nachhaltigkeit zu steuern.

c93_nettle03

Die Chance

Während Netl sich weiterhin mit der Entwicklung von Serienprodukten befasst, schließen sich bereits weitere Unternehmer an, so zum Beispiel Paul van Zoggel, ebenfalls Niederländer. Das innovative Produktportfolio umfasst das Design einer Reihe von neuen Fasern aus Brennnesseln, algenbasierten Garnen und Seide, dem Triumvirat der Fasern der Blue Economy. Das im Produktionsprozess anfallende Wasser ist reich an organischen Stoffen. Es sieht zwar nicht wirklich aus wie eine essbare Suppe, doch es enthält Vitamine, Eisen und Kalium und ist letztlich ein idealer Nährbodenmix, aus dem im weiteren Schritt in die natürlichen Nährstoffe extrahiert werden können. Nach näherer Erforschung der Eigenschaften der Nesselfasern und unter Betrachtung der Nutzungsmöglichkeiten für Flachs ist auch das erste Produkt aus natürlichem Verbundwerkstoff bereits entwickelt: ein Brotkasten und ein Trinkbecher. Die niederländische Aerospace Laboratory erkannte die hohe Festigkeit im Vergleich zu Glasfaser und die hohe Zugfestigkeit, die höher als bei jeder anderen Naturfaser ist, und erwägt ihre Nutzung für die Zukunft.

Die Verlagerung von dem Einsatz von Baumwolle hin zu Textilien aus Brennnesseln ist in jeder Hinsicht eine bemerkenswerte Verbesserung. Dies ergänzt Flachs, Leinen, Hanf, und Kenaf in der Reihe der wilden Pflanzen und ermöglicht einen Anbau sogar auf verschmutzten landwirtschaftlichen Flächen, schafft Arbeitsplätze und bietet eine Ergänzung für den Markt der natürlichen Fasern, die von Industrie und Endverbraucher eine zunehmende Nachfrage verzeichnen. Brennnessel ist eine Rückkehr zu alten Traditionen, die bereits rund ein Jahrtausend alt sind. Die Vision könnte sein, dass die Brennnessel zusammen mit den Algen kontaminierte Böden, verschmutzte Luft und Wasser reinigt und uns die Luft zum Atmen und Wasser zum Trinken sichert. Es gibt bereits Unternehmen in Deutschland, die auf den fahrenden Zug aufgesprungen sind, das Risiko eingehen und durch das innovative Geschäftsmodell der Vorbestellung sicher auf dem Weg sind, die dynamische Marktbewegung mitzugestalten.

Bilder: Stock.XCHNG, morguefile
https://www.flickr.com/photos/geishaboy500/2317380018
https://www.flickr.com/photos/48184699@N04/4557666012

wood-batteries

92 Kathoden auf Holzbasis

Dieser Artikel stellt Kathoden auf Holzbasis für Batterien vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze

Der Markt

Der Weltmarkt für Materialien zur Herstellung von Kathoden wurde für 2011 auf 59.470 Tonnen mit einem Gesamtverkaufswert von 600 Millionen US-Dollar berechnet. Die Nachfrage nach Lithium ist pro Jahr um 30 Prozent gestiegen und es wird erwartet, dass sie im gleichen Maße weiter steigt. In Folge dessen stiegen die Preise für Lithium um das Zehnfache, von einem Dollar pro Kilogramm im Jahr 2005 auf 10.000 Dollar pro Tonne. Da die Anzahl der Elektrofahrzeuge erwarteter Maßen auf 500.000 Stück im Jahr 2015 steigen wird, muss die Stromversorgung aus Batterien ebenfalls bis auf 15 Milliarden kWh/Jahr steigen. So gerät der Rohstoffmarkt massiv unter Druck. Für eine kleine, herkömmliche Lithiumbatterie mit 5 kWh Leistung für einen Kleinwagen werden 300 Gramm Lithium pro Kilowattstunde Speicherkapazität benötigt. Ein Geländewagen der Marke SUV hingegen würde 3 Kilogramm reinen Lithiums pro Batterie benötigen.

c92_batteries_from_wood_01

Aufgrund seiner hohen Energiedichte setzt man in aller Welt auf Lithium als Metall für sämtliche mobilen Geräte. Den größten Markt stellen Laptops und die meisten Mobiltelefone, trotz höherer Kosten. Neu ist das Wachstum auf dem Markt für Mobilität und Transport. Lateinamerika kontrolliert etwa 80 Prozent des Weltmarkts für Lithium, vor allem Chile (3 Millionen Tonnen), Argentinien (2 Millionen Tonnen), Bolivien (5,4 Millionen Tonnen) und Brasilien (unter 1 Million Tonnen). China liegt an vierter Stelle mit 1,1 Millionen Tonnen. Wenn auf der ganzen Welt die Antriebsmotoren von Erdöl auf Lithium umgestellt würde, würde Südamerika der neue Nahe Osten und Bolivien mit seinen Uyuni-Salzseen – ein einzigartiges, uraltes Ökosystem – könnte reicher und politisch mächtiger als Saudi-Arabien werden. Die USA, Europa und Japan hingen einmal mehr von auswärtigen Rohstoffquellen ab, während China dank eigener Reserven zumindest den eigenen Bedarf stillen könnte.

Der größte Lithiumhersteller ist SQM in Chile, mit einer jährlichen Produktion von 27.000 Tonnen pro Jahr. Stärkster Konkurrent vor Ort ist SCL (unter der Leitung der deutschen Gruppe Chemetall) mit jährlich 14.000 Tonnen. FMC Lithium in Argentinien steht im Wettbewerb mit Admiralty Resources aus Australien und Sterling Resources aus China. Der größte Teil der geförderten Lithiummenge wird künftig aus Salzseen stammen, die in 3000 Meter Höhe liegen. Dort muss der Bergbau umweltgerecht unter strengen Witterungsbedingungen stattfinden, womit weitere wertvolle Ressourcen riskiert werden. Das völlige Fehlen von Infrastruktur sowie die strengen Regeln für Investitionen in Bolivien und Argentinien schränken die herkömmlichen Investmentprogramme multinationaler Unternehmen ein.

Die Innovation

Von der heutigen Automobilflotte von einer Milliarde Fahrzeugen werden jährlich 60 Millionen ersetzt. Treten an ihre Stelle Hybridautos, Plug-in-Hybrids oder Elektrofahrzeuge mit Batteriebetrieb, dann wird klar, dass die Erdkruste nicht genügend Lithium enthält, um alle Elektromobile mit Lithiumbatterien auszustatten. Schlimmer noch, ein solcher Wandel hätte zur Folge, dass die Lithiumvorkommen schneller erschöpft wären als die Erdölvorkommen durch den derzeitigen Verbrauch. Daher kann der Wechsel von einer nicht nachhaltigen Ressource zu einer anderen keine Lösung für die Suche nach Treibstoff für die Mobilität bieten; auch wäre fraglich, ob die CO2-Bilanz sich angesichts der massiven Bergbau- und Verarbeitungsaktivitäten verbessern würde. Alternative Batterietechnologien wie ZnAir und NaNiCl sind zwar weniger knappe Ressourcen, bieten aber nicht genug Leistung für die Industrie.

Grzegorz Milczarek stammt aus Gostynin bei Warschau. Seine Leidenschaft für Naturwissenschaften, vor allem Chemie, wurde bereits im Grundschulalter geweckt. Er liebte es, mit Bolzengewehren und Knallfröschen zu spielen, und interessierte sich für die Kräfte, die diese Knallgeräusche erzeugten. Sein Interesse für Sprengstoffe brachte ihn bis zum Abschluss des Chemiestudiums am Institut für Chemie und technische Elektrochemie an der Technischen Universität Poznan, wo er 1994 den Mastergrad erlangte. Nach einer intensiven Forschungszeit verteidigte Grzegorz hervorragend seine These über modifizierte Elektroden und erlangte 1999 den Doktortitel. Seine Forschungsarbeit brachte ihn für zwei Jahre nach Japan. Vor wenigen Monaten wurde er zum Vizedekan der Fakultät ernannt, nachdem der zusammen mit Kollegen einen überraschenden Artikel im Science-Magazin veröffentlicht hatte (23.3.2012), in dem er, vereinfacht ausgedrückt, Batterien aus Holz vorstellte.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Grzegorz und Olle Inganäs, sein Kollege von der Abteilung für Physik, Chemie und Biologie an der Universtät Linköping (Schweden), untersuchten die Nutzungsmöglichkeiten für Schwarzlauge, ein Abfallprodukt aus der Papierverarbeitung. Dieser Chemiemix aus Schwefelstoffen, Lignin und Hemizellulose wird oft zur Dampfgewinnung verbrannt. Doch angesichts der Mengen und der verbleibenden Abfallströme nach der Verbrennung suchte das Team nach höherwertigen Anwendungen über Energie und Wärme hinaus. Grzegorz ließ sich durch die Photosynthese inspirieren und erforschte zusammen mit seinem Team, wie das Lignin in elektrisch leitende Moleküle umgewandelt werden könnte, die wie manche an der Photosynthese beteiligten Moleküle Elektronen transportieren.

Durch Einleiten des Schlamms in ein leitendes Polymer stellten sie eine billige Kathode her, die Strom speichern kann. Es funktionierte erstaunlich gut. Olle und Grzegorz entwickelten daraufhin einen Prototypen, der sich jedoch entlud, wenn die Batterie nicht in Gebrauch war. Dies musste korrigiert werden, und sie fanden einen Weg, dieses Problem zu meistern. Das Team hält sich für imstande, Lignin in eine kostengünstige, erneuerbare Batterie umzuwandeln und so einen zweiten Ertragsstrom für die Papiergewinnung aus Holz zu erschließen: Eine Batterie, die hauptsächlich aus reichlich vorhandenen Holz-Abfallstoffen besteht. Dies klingt nach einem typischen Ansatz im Sinne der Blue Economy.

Der erste Umsatz

Ziel der Erfinder ist, erneuerbaren Strom ohne teure Netze dort zu speichern, wo er produziert wird. Da die Solartechnologie bereits wettbewerbsfähige Kosten erreicht hat (siehe Beispiel 53) gilt es nun, neue Systeme der Stromspeicherung auf Grundlage billiger erneuerbarer Rohstoffe zu entwickeln und so weiteren Bergbau zu vermeiden. Der Schlüssel zum Erfolg war die Entwicklung eines 0,5 µ dünnen Films, den das polnisch-schwedische Team aus einem Gemisch von Ligninderivaten aus Schwarzlauge herstellte. Da Lignin 20-30% der Biomasse eines Baums stellt und bisher bei der Papierherstellung entsorgt werden muss, ist es eine ständig verfügbare Ressource und mindert so den Druck auf die schwindenden Lithiumvorkommen. Olle und Grzegorz ließen daraufhin ihren zwei Quadratzentimeter großen Protoypen patentieren.

c92_batteries_from_wood_03

Von Anfang an waren sie sich jedoch bewusst, dass die Entwicklung der Kathode nur die halbe Lösung auf dem Weg zu einem völlig neuen Batteriekonzept war. Auch die Anode musste noch entwickelt werden. Ein Team von Doktoranden hat nun Ideen für das gesamte Konzept. Die Vision ist, eine zu hundert Prozent erneuerbare Batterie zu entwickeln. In der Zwischenzeit experimentieren sie mit einem voll recyclingfähigen Polymer, Polypyrrol, einem Erdölderivat, das seit über drei Jahrzehnten in der Industrie bekannt ist.

Die Chance

Grzegorz beschränkt seine Kreativität nicht auf die Welt der Batterien. Ebenso sieht er vielfältige Möglichkeiten für die Nutzung des Abfallstoffs Lignin und zeigt vielfältige Erträge und Vorteile dieses erneuerbaren Materials. Er entwickelte erfolgreich einen chemischen Sensor aus reinem Lignin, den er ebenfalls aus Schwarzlauge extrahierte. Dieser billige und schnelle Sensor misst Glukose im Blut von Diabetespatienten. Ihre kreative Forschung schließt auch neue Einsichten ins Immunsystem von Pflanzen ein, womit sich eine breite Plattform für vielfältigen Nutzungen einer der am reichlichsten vorhandenen Ressourcen auf der Erde eröffnet, die in unserer Industrie ungenutzt bleibt und nicht den Mehrwert, den Nutzen oder die Jobs hervorbringt, den sie schaffen könnte.

c92_batteries_from_wood_04

Da nun der erste Teil der Produktentwicklung erfolgreich abgeschlossen ist, ist es Zeit für hellsichtige Unternehmer, die Entwicklung eines völlig erneuerbaren Batteriekonzepts mit voranzutreiben und die Sensoren auf den Markt zu bringen. Die Industrie für Papier und Pulpe könnte sogar erster Nutznießer werden, da der Konsum abnimmt und das Papierrecycling an seine Grenzen stößt.

Bilder: Stock.XCHNG

antenna

91 Die Superformel und Super-Antennen

Dieser Artikel stellt einen neuen mathematischen Ansatz vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt für Antennen

Der Weltmarkt für Basisstationen sowie feste Außen- und Innenantennen betrug im Jahr 2009 10 Milliarden US-Dollar; für 2014 werden 13,3 Milliarden Dollar geschätzt. Am schnellsten wächst der Sektor für Verteidigungszwecke, er liegt bereits bei 1,2 Milliarden mit einer jährlichen Wachstumsrate von 13 Prozent. In der drahtlosen Kommunikation sind Antennen mittlerweile unverzichtbar in Computern und Mikroelektronik für Haus-, Geschäfts- und Industrieanlagen. Die Infrastruktur für drahtlose Telekommunikation wird 2014 bei 2,2 Milliarden Dollar liegen, da jedes Telefon, jeder Computer und die meisten Eigenheime künftig mit Antennen ausgestattet sein werden, um Anschluss ans Internet und ans Mobilfunknetz zu bekommen. Die drahtlosen Sendestationen verzeichnen ein Wachstum um jährlich 17 Prozent zwischen 2010 und 2011, wobei Breitbandantennen sogar um 39 Prozent zunahmen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

Die weltweit größten Märkte sind zurzeit Indien und China. Da jedoch die europäischen Systeme für drahtlose Kommunikation weiter ausgebaut werden, könnte Westeuropa in den nächsten Jahren Zeuge des größten Wachstums werden. Der älteste Hersteller von Antennen ist die deutsche Kathrein-Gruppe mit 6300 Mitarbeitern, 21 Produktionsstätten und Verkäufen von über 1,4 Milliarden Dollar für 2010. Die Putian Antenna Company, eine Tochterfirma der Putian Corporation, ist der größte chinesische Hersteller, mit Sitz in Xian und spezialisiert auf die Produktion von Mikrowellen-, Mobilfunk- und Satellitenantennen. Kavveri mit Firmensitz in Bangalore führt den indischen Markt mit einer Herstellungskapazität von einer Million hochwertiger Antennen pro Monat an.

Die Innovation

Die Drahtlos-Industrie untersucht, wie noch kleinere und leistungsstärkere Antennen mit weniger Funklöchern und noch höherer Übertragungsgeschwindigkeit hergestellt werden können. Die Industrie ist sich der visuellen Kontamination und der wachsenden Besorgnis in der Bevölkerung vor Strahlungsrisiken bewusst. Heute sehen Standardantennen wie Bügelbretter aus. Die neue, kleinere Version des französisch-amerikanischen Herstellers von Telekommunikationsanlagen, Alcatel-Lucent, sind würfelförmig, mit dem Vorteil, dass diese Sender und Empfänger klein genug sind, um innen aufgestellt werden zu können und so aus dem Blick sind. Die kleinere Größe macht die Antennen nicht nur unauffälliger, sondern auch leistungsstärker für die Daten- und Stimmübertragung. Alcatel-Lucent behauptet, die Leistung verbessere sich um das Zehnfache, womit die Notwendigkeit entfiele, dass alle Telefone sich in einem Umkreis von 2-3 Kilometern von einer Antenne befinden müssen.

Mit dem Aufkommen der datenhungrigen iPhone- und Smartphone-Nutzer werden die Netze durch die hohe Nachfrage stark ausgelastet. Auch die bestpositionierten Dienstleister sind nicht fähig, einen 100-prozentigen Service zu bieten, daher akzeptieren selbst die streitbarsten Nutzer Gesprächsabbrüche. Eine weitere große Herausforderung auf dem Antennenmarkt liegt in der Interferenz zwischen verschiedenen Netzen. Mit wachsender Zahl von Nutzern in dichtbesiedelten Stadtgebieten wie Flughäfen, Bahnhöfen, Konferenzzentren und Sportstadien wird es immer schwieriger, die Verbindungen für die einzelnen Anbieter sicherzustellen. Die einzige Art, wie Antennen den Empfang von Signalen garantieren können, ist es, „lauter zu rufen“ und dabei mehr Energie zu verbrauchen. Daher müssen neuartige Antennen Wege finden, das „Geschrei“ zu vermindern, was sich am Ende auch auf den Energieverbrauch und die Lebensdauer der Batterien positiv auswirkt.

c91_superformula02

Johan Gielis schloss Latein und Griechisch mit Auszeichnung an der Oberschule in Antwerpen (Belgien) ab. Dann schloss er einen Gärtnerlehrgang ab, und nach einem Treffen mit Jan Oprims konzentrierte er seine Karriere auf Bambus und seine Kultur in tropischen und gemäßigten Zonen. Während seiner Forschung experimentierte er mit der Studie von molekularen Markern und der Physiologie des Bambus und versuchte, den Metabolismus aufzuschlüsseln. Seit den frühen 1990er-Jahren interessierte sich Johan für die mathematische Beschreibung von Pflanzen, vor allem Bambus. 1994 begann er, mathematische Formeln zur Beschreibung natürlicher Formen zu nutzen. 1997 generalisierte er die „Lamé-Kurven“ durch eine neue mathematische Formel, die heute als „Superformel“ bekannt ist. Sie wurde zuerst 2003 im Amerikanischen Journal für Botanik veröffentlicht. Seitdem haben etwa 200 wissenschaftliche Artikel sich auf die Gleichung bezogen oder sie genutzt; sie ist inzwischen als „Gielis-Formel“ bekannt. Johan wurde sich bewusst, dass dieser mathematische Durchbruch eine einzige Gleichung zur Berechnung jeder beliebiger zwei- oder dreidimensionalen Form bot. Die Myriaden denkbarer geometrischer Formen, die mithilfe der traditionellen Mathematik unmöglich zu berechnen oder zu konstruieren sind, sind nun mit nur sechs Parametern erfassbar.

Der erste Umsatz

Die Superformel löst das Problem der begrenzten Symmetrie von Superellipsen und Superkreisen. Formen wie Pentagone und Seesterne, Dreiecke und Rosenblätter, Blumen und Laub können nun mit einer einzelnen Gleichung berechnet werden. Die Möglichkeit, Formen so zu berechen, ermöglichte einen neuen Denkansatz für die Geometrie. Kreise und Kugeln, hängende Ketten, Umlaufbahnen von Planeten, die Form von Schneeflocken, Konturen von Planeten und Galaxien, Radiowellen, Telekommunikationsnetze, die Formation von Felsen und Kristallen versuchen immer, Fläche, Volumen und/oder Energie zu optimieren. Johan und sein Team haben die Folgen dieser Entdeckung für Anwendungen zur Optimierung wie die Berechnung der kürzesten Entfernung in Netzwerken erforscht. Daraufhin wurde Genicap gegründet, eine gewerbliche Firma, die ein Lizenzierungsmodell verfolgt, sowie das Simon-Stevin-Institut für Geometrie als Forschungs- und Bildungszentrum, beide in den Niederlanden ansässig, während er selbst seine Teilzeitprofessur an der Universität Antwerpen hält.

c91_superformula03

Auf Grundlage dieser Erkenntnisse begann Johan’s Team, unter der Leitung von Dr. Diego Caratelli die nächste Generation von Antennen zu entwerfen, die die höchste Energieeffizienz, die weitestmögliche Reichweite und den geringsten Materialbedarf vereinen sollte. Er und sein Team erkannten, dass die Superformel den Bau einer neuartigen Super-Antenne ermöglicht, die auf Bestellung zu sehr niedrigen Kosten (ein Cent pro Stück) hergestellt werden könnte und dabei eine ultra-hohe Bandbreite abdeckt. Diese Antennen können sogar aus recyceltem Plastik hergestellt werden, womit die Abhängigkeit von Metall und vor allem von seltenen Erden wegfällt. Die Eigenschaften drahtloser Systeme und die Interferenzen, die bisher nur durch „Rufen“ bei entsprechend steigendem Energieverbrauch überwunden werden kann, treibt die Nachfrage nach geeigneten Entwürfen für großräumigere Zugangspunkte an. Da diese neuen Antennen noch kleiner gebaut werden können, die Strahlung optimieren, mit größerer Bandbreite operieren und dabei noch leicht installiert und in Betrieb genommen werden können, war für Johan klar, dass eine seiner ersten gewerblichen Umsetzungen der Bau von Antennen sein würde, die keinerlei Ähnlichkeit mit den herkömmlichen Antennen haben.

Das Team von Genicap hat die Machbarkeit der Super-Antennen bewiesen. Dies könnte bedeuten, dass die Zahl der Sendetürme, die derzeit überall weithin sichtbar sind, stark reduziert und damit auch die Energie- und Materialeffizienz dramatisch gesteigert werden könnten. Diese 3D- Antennen ähneln in keiner Weise den heutigen Würfel-, Bügelbrett- oder Stabformen. Der Erfolg der Herstellung dieser kieselalgenförmigen Strukturen beruht auf neuen Technologien wie der direkten Fertigung und des 3D-Drucks (siehe Beispiel 50). Die Anwendung der Mathematik, Geometrie und Physik zur Steigerung der Produktivität und Material- und Energieeffizienz ist eins der Kennzeichen der Blue Economy.

Die Chance

Die Entdeckung der Superformel eröffnet eine breite Plattform für Innovationen für die Welt. Der am stärksten betroffene Sektor ist aller Voraussicht nach ist der Informatiksektor. Bisher gründete sich die Steigerung der Leistung von Computerchips auf Durchbrüche bezüglich Material und physischer Struktur der Prozessoren. Nun liegt der Durchbruch für mehr Rechengeschwindigkeit allein im zugrunde liegenden Algorithmus, der mit Johan’s Formel dramatisch vereinfacht werden kann. Da die visuellen Präsentationen stark in Richtung der Dreidimensionalität tendieren, kann die Übersetzung in einen binären Code mithilfe der Superformel die Bandbreite um ein Hundert- oder Tausendfaches erhöhen. Dies bedeutet, dass der einfache Wechsel des Algorithmus ungeheure Rechenkapazitäten freisetzt. Zum ersten Mal sehen wir hier, wie eine mathematische Formel in vielerlei Hinsicht eine Leistungsverbesserung ohne Verbesserung der eingesetzten Materialien ermöglicht.

c91_superformula04

Dies kann weitreichende Folgen haben. Keine der führenden Softwares, von Microsoft über Oracle oder SAP, konnten bisher die Tiefe und Breite der Auswirkungen der Superformel auf ihr bestehendes Kerngeschäft erfassen. Hier jedoch liegt die Möglichkeit, eine Plattform für Unternehmensgründungen zu schaffen, durch die mit den Jahren Dutzende neuer „Microsofts“ entstehen könnten. Die Macht von Johan’s Durchbruch liegt darin, dass er Innovationen auf allen Gebieten, von der EDV bis hin zur Telekommunikation, Verpackungsindustrie und Wasserleitungssystemen, Herstellung und Vertrieb hervorbringen könnte. Diese Art von Innovationen macht die Blue Economy zu dem, was sie ist: eine Chance, die Geschäftsmodelle dahingehend zu verändern, dass die Gesellschaft zu mehr Effizienz, Suffizienz und vielleicht sogar zum Überfluss geführt wird.

Bilder: Stock.XCHNG