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90 Mehr Gesundheit als Medikamente

Dieser Artikel stellt einen kreativen Ansatz für die Gesundheitsversorgung vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt für Antibiotika

Der Weltmarkt für Antibiotika wächst Erwartungen zufolge von 26 Milliarden US-Dollar im Jahr 2002 bis auf 40,3 Milliarden Dollar für 2015. Trotz der Tatsache, dass die Industrie in letzter Zeit keine völlig neuen Antibiotika entdecken konnte, wird ein solch starkes Wachstum erwartet. Der Grund hierfür liegt eher in den günstigen Regulierungsbedingungen; die staatlichen Versicherungsprogramme sehen mehr Ausgaben für Medikamente vor angesichts der wachsenden Sorge vor Medikamentenresistenzen und der Wiederausbreitung von Krankheiten wie Tuberkulose, die als besiegt galten. Der größte Markt für Antibiotika sind die USA; dort hat sich der Konsum dieser verschreibungspflichtigen Medikamente in nur einem Jahrzehnt vervierfacht.

Das erste Antibiotikum hat Alexander Fleming im Jahr 1929 durch Zufall entdeckt, als er herausfand, wie Penicillin gegen Bakterien wirkt. Fleming hat das Penicillin nie patentieren lassen, sondern es den Medizinern und der Gesellschaft frei zugänglich gemacht. Hierfür erhielt er im Jahr 1945 den Nobelpreis für Medizin. Überraschender Weise ist der am stärksten wachsende Markt für Antibiotika heutzutage nicht der Schutz der menschlichen Gesundheit. Schätzungsweise 50-70 Prozent der Antibiotika werden gesunden Tieren verabreicht, um deren Wachstum um 2-3 Prozent zu steigern, und dienen nicht der Behandlung kranker Menschen. Während diese Praxis in der Europäischen Union erst seit kurzem verboten ist, haben einzelne Länder wie Dänemark dieses Verbot schon im Jahr 2000 durchgesetzt. Nach einem Jahrzehnt lassen die Statistiken darauf schließen, dass die bakteriellen Resistenzen gegen Antibiotika rückläufig sind.

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Die Anzahl neuer Antibiotika ist extrem gering. Nur fünf der dreizehn größten Pharmafirmen forschen überhaupt nach neuen Antibiotika. Zwischen 2003 und 2007 wurden nur fünf neue Variationen bereits existierender Antibiotika durch die FDA anerkannt, 20 Jahre zuvor waren es noch 16. Das Problem liegt darin, dass Antibiotika zur Heilung eines Patienten nur 1-2 Wochen verabreicht werden, während ein Krebs- oder Diabetespatient seine Medikamente oft lebenslang benötigt und der Absatz auf dem Markt somit besser gesichert ist. Gleichzeitig sind bestimmte Mutationen von E.coli völlig unempfindlich gegenüber fast allen modernen Antibiotika geworden. Inzwischen stecken sich jährlich etwa 100.000 Amerikaner in Krankenhäusern an.

Der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), eine mutierte Bakterienart, verursacht inzwischen mehr Todesfälle bei Amerikanern als AIDS. Hier wird deutlich, dass die Technologie und der Markt versagt haben. Sobald ein Patent auf ein Antibiotikum verfällt, wird es als Generikum zu einem Bruchteil des ursprünglichen Preises weiterverkauft, was zu verstärktem Konsum führt und somit zu weiteren Mutationen und Resistenzen. Gleichzeitig führt der Verfall des Patents zu einem Umsatzeinbruch; durch die geringeren Einnahmen entfallen Forschung und Entwicklung des Produkts. Letztendlich wird die Entwicklung der Resistenzen auf das betreffende Antibiotikum weder durch den Erfinder, den früheren Halter des Patents, noch durch den Hersteller des Generikums erfasst.

Die Innovation

Die Wissenschaft warnt davor, dass schon bald alltägliche Infektionen zur Todesursache werden. Obwohl es sehr kostspielig erscheint, Medikamente mit einer Milliarde Dollar pro Wirkstoff zu subventionieren und den Patienten die Versorgung zu garantieren, denken viele darüber nach, wie die Lücke zwischen der Dringlichkeit neuer Antibiotika für die Gesellschaft und den geringen Einnahmen – trotz massiver Subventionen – für die Pharmakonzerne zu schließen sei. Experten drängen darauf, dass zur Gewährleistung der Wirksamkeit bestehender Medikamente der übermäßige Einsatz in der Medizin und der Tierhaltung gesetzlich geregelt und gleichzeitig der Infektionsschutz in Krankenhäusern verstärkt werden soll. Innovative Ideen hingegen folgen der Logik, dass Antibiotika wie die Artenvielfalt funktionieren; sie sind eine natürliche Ressource, die bewahrt und mit größter Vorsicht genutzt werden sollten.

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James Colthurst ist ein britischer Chirurg und Urenkel von Sir Almroth Wright, dem Entdecker des Impfstoffs gegen Typhus, der im selben Labor wie Alexander Fleming arbeitete. Seit seine Schwester schwere Kopfverletzungen erlitten hatte, erforschte er die Wirkung der Elektrizität auf den Körper. Da seine Expertise auf diesem Gebiet bekannt war, kam eine Gruppe sowjetischer Wissenschaftler auf ihn zu, die die elektrische Stimulation als futuristische Methode der Gesundheitsversorgung auf Weltraumreisen erforschte. Er arbeitete an der Weiterentwicklung dieser Geräte für einen breiteren Wirkungsgrad mit. Nach der Perestroika beschlossen sie, ihre Ergebnisse zu vermarkten, doch Dr. Colthurst zog es vor, seine eigenen Ideen zum Elektro-Biofeedback weiterzuentwickeln. Auf Grundlage seiner Arbeit während seines Bachelorstudiengangs im Jahr 1978 zur Neuro-Anatomie am St. Thomas Hospital stellte er die Fenzian-Hypothese auf.

Diese Hypothese basiert auf der Tatsache, dass die Nerven aus der selben embryonalen Schicht wie die Haut entstehen – dem Neuroektoderm. Ein Netzwerk aus Nerven, bestehend aus dem Zentralnervensystem (ZNS) aus Hirn und Rückenmark sowie dem Periphernervensystem (PNS) sammelt Informationen, wertet sie aus und sendet Signale durch den Körper in Form von elektrischen Impulsen. Diese Impulse werden in chemische Botenstoffe umgewandelt, die die Zellaktivität steuern. Die elektrische Stimulation durch ein simples Gerät, das allen Anforderungen der EU und der FDA in den Vereinigten Staaten entspricht, verhält sich gleichartig wie die Impulse durch Nerven und bilden einen Prozess der biologischen Rückmeldung über einfachen Hautkontakt im Dialog mit dem ZNS. Schon bald konnten Dr. Colthurst und sein Team Beweise in Krankengeschichten finden, von der Asthmabehandlung über Wundheilung, Heilung der Fazialislähmung (Lähmung der Gesichtsmuskulatur) bis hin zur Behandlung von Morbus Crohn und Lupus erythematodes. Da hier Medikamente und Chirurgie durch keine Medikation bzw. keine Operation ersetzt werden konnte, findet sich hier ein Kernmerkmal der Blue Economy: „Ersetze etwas durch nichts“.

Der erste Umsatz

Auf eine rückblickende Umfrage unter 600 Patienten hin, die in der Zeitschrift Pain Clinic erschien (The Pain Clinic 2007 Band 19 Nr. 1) wurde 2009 eine erste Pilotstudie zur Behandlung durch elektrische Stimulation bei Asthma auf Grundlage der Fenzian-Hypothese als Brief im European Respiratory Journal veröffentlicht (Band 34, Nr. 2, S. 515-517). Hier wurde eine neuartige alternative Behandlung ohne Einsatz von Medikamenten bewiesen. Zwar ist sich die Wissenschaft einig, dass der genaue Mechanismus noch unbekannt ist, doch für sie steht fest, dass diese Art von „Biofeedback“ über das Zentralnervensystem Veränderungen bewirken kann. Dies führte zu klinischen Versuchen in sechs medizinischen Einrichtungen, darunter an der University of California, Los Angeles, am Johns Hopkins Hospital und an der Universität Kapstadt.

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Gleichzeitig wurden Fonds für weiterführende Studien am Manchester Interdisciplinary Biocentre bereitgestellt. Die wissenschaftliche Wundenforschung in Manchester liefert extrem positive Resultate. Nun ist eine Reihe von Studien in vitro notwendig, um den wissenschaftlichen Vorstoß weiter zu untermauern. Währenddessen gründete Dr. Colthurst die Firma Fenzian Limited als im Vereinigten Königreich registriertes privates medizinisches Zentrum für Forschung und Entwicklung mit Unterstützung von europäischen und amerikanischen Investoren, die verschiedene, mehr oder weniger positive Erfahrungen mit der Fenzian-Hypothese im Bereich von Medizin und Gesundheitsversorgung sammeln konnten.

Die Chance

Die Regierungen stehen vor vielerlei Herausforderungen. Zum einen verursacht die alternde Gesellschaft immer höhere Kosten in der Gesundheitsversorgung. Zum anderen stehen sie vor immer größeren Haushaltsdefiziten, die die Genehmigung Milliardensubventionierungen durch die entsprechenden Behörden zunehmend erschweren. Die Pharmakonzerne hingegen müssen immer mehr Auflagen bei der Zulassung neuer Medikamente erfüllen, die Kosten für Rechtsstreitigkeiten steigen, viele Patente für Arzneien stehen kurz vor ihrem Ablaufdatum, und das Problem der Medikamentenfälschung nimmt zu, während gleichzeitig Chirurgie und längere Krankenhausaufenthalte das Infektionsrisiko der Patienten erhöhen.

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Das weite Spektrum möglicher Anwendungen von Dr. Colthurst’s neuartigem Ansatz durch die Fenzian-Technologie jedoch öffnet neue Perspektiven, die die Pharmakonzerne von ihrem beschränkten Fokus auf chemische Mittel mit wenig Einnahmen erlösen können. Fenzian macht Subventionen unnötig, reduziert Kosten, die durch Nebenwirkungen entstehen und arbeitet mit der Fähigkeit zur Selbstheilung des Körpers stimulieren. Nutze, was du hast – das ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy.

Bilder: Stock.XCHNG

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89 Krabbenschalen zur Reinigung von Bergbauwasser

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz zur Wasserreinigung vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt für Bergbausanierung

Die Kapitalkosten, die weltweit zur Sanierung aufgegebener Minen erforderlich sind, werden auf über eine Billion Dollar geschätzt. Die Sanierung einer einzigen Mine in Kalifornien, die in den 1960er-Jahren aufgegeben wurde, erforderte 200 Millionen Dollar Steuergeld, allein um die Probleme der Versickerungen, Grundwasserverseuchung und Erosion einzudämmen. Zwar bilden alle öffentlich angegebenen Bergbaufirmen Rückstellungen für die Stabilisierung und Regeneration der Umwelt, doch die Menge an Geldern, die für die Beseitigung der Halden, durch Verunreinigung mit saurem Wasser und Verseuchung durch Schwermetalle nötig sind, haben sich über die letzten Jahre verzehnfacht, da dem Bergbau neue Standards auferlegt worden sind. Sollten sie die vollen Kosten nach neuesten Standards übernehmen müssen, müssten einige Bergbaufirmen starke Aktieneinbrüche in Kaufnehmen, andere würden sogar bankrott gehen.

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Im Bergbau werden kostbare Erze entweder durch Wasser und Schwerkraft gefördert, oder das Gestein wird in feine Partikel zermahlen und dann das Erz durch Chemikalien gelöst. Für große Bergbaubetriebe, Tagebau oder unterirdische Stollen werden Flüsse umgeleitet, ganze Ökosysteme vernichtet und sogar Dörfer und Gemeinden dem Erdboden gleichgemacht, um das begehrte Erz mit hocheffizienten Methoden zu erreichen. Im Minenbetrieb fällt saures Wasser an, ebenso Schwefelsäure durch Versetzen von Pyrit mit Sauerstoff und Wasser, in der Natur vorhandene radioaktive Stoffe sowie Zusätze wie Zyanid. Zur Vergabe neuer Bergbaulizenzen fordern die Länder zunehmend einen Plan zur Schließung, bevor die Arbeiten überhaupt beginnen können. In der Provinz Quebec (Kanada) geht man noch einen Schritt weiter und fordert eine 100-prozentige finanzielle Garantie über die errechneten Sanierungskosten.

Die Lagerung von Abfällen im Tagebau war früher gängige Praxis, doch sie stehen zunehmend in der Kritik, ebenso wie Halden in Flüssen oder untermeerische Halden; somit müssen die Bergbaufirmen ihre Ansätze neu überdenken. Die Emissionen von saurem Wasser werden häufig durch Zusatz von Kalk eingedämmt. Abgänge werden stabilisiert, indem die Verunreinigungen an sowie rund um Pflanzenwurzeln sequestriert werden. Dies ist billig und verringert die Erosion durch Wind und Wasser, der Mensch und Natur sonst ausgesetzt wären. Die Sanierung durch Pflanzen schützt Wildtiere und Vieh vor den Schadstoffen und verhindert so die Anreicherung in der Nahrungsmittelkette. Da das Erz an Wert gewinnt und die Extraktionstechniken immer weiter perfektioniert werden, werden auch die Abgänge zunehmend wiederverarbeitet, um Erze zurückzugewinnen. Diese Technik wird erfolgreich in Australien umgesetzt.

Die Innovation

Steigende Kosten sowie strenge Auflagen zwingen die Industrie zur Innovation. Die Umwandlung einer Reihe Tagebaugebiete in Wasserkraftanlagen wurde in Ghana zwar versucht, aber nicht durchgeführt. Ebenso wurde versucht, Algen und Bakterien und sogar Pilze zur Abfallverarbeitung einzusetzen. Doch keine dieser Methoden konnte sich behaupten, da die Kosten sehr hoch schienen und die Industrie unsicher und zögerlich in der Annahme von Innovationen ist, für die keine eigenen Erfahrungen vorliegen. Als belastend für jeden kreativen Ansatz erweist sich das schiere Ausmaß des Handlungsbedarfs aus der Bergbauindustrie. Leider münden Minenschließungen zunehmend in Gerichtsverfahren, in denen die Parteien, manchmal nach Jahrzehnten von Rechtsstreitigkeiten, hohe Kompensationszahlungen leisten müssen und die Rechtsbeistände am Ende den Großteil der Beträge einstreichen.

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Tyler Barnes ist noch Schüler der Northwestern High School in Kokomo, Indiana (USA). Inspiriert durch seine Lehrerin Patty Zech erfuhr er über die Probleme durch saure Grubenwässer, vor dem sein Staat durch seine lange Geschichte des Tagebaus steht. Ein Bild des orangefarbenen Wassers sieht aus wie eine Wandmalerei, doch es entstand nicht aus künstlerischer Freiheit sondern aus echter Umweltverseuchung, die die Fische tötet. Tyler lernte, dass die Minen nicht nur verschmutzten und eine wüstenähnliche Landschaft hinterließen, sondern dass das Wasser für Jahrzehnte übersäuert ist und sämtliches Leben in ihm unmöglich macht. Aktuell wird im Bergbau in Indiana Kalkstein genutzt, der ebenfalls vor Ort abgebaut wird, um den Säuregehalt zu reduzieren. Doch Kalkstein allein kann nicht das ganze Spektrum der Probleme lösen, da es das im Wasser gelöste Eisen und Kupfer nicht bindet. Die hohen Rostkonzentrationen bedrohen das Fortbestehen der Artenvielfalt dauerhaft. Bereits in seinem ersten Jahr an der High School wollte Tyler noch weiter gehen als bis zur Analyse des Problems und begann, nach Lösungen zu suchen, indem er alle möglichen Abfallstoffe in Augenschein nahm, die sowohl das Problem der Säure beheben als auch die Metalle absorbieren könnten.

Er entschied sich, seine Aufmerksamkeit auf die Suche nach positiven Antworten auf ein wohl bekanntes Problem zu konzentrieren. Er untersuchte zahlreiche Optionen mit wenig Aussicht auf Erfolg, bis er über die Eigenschaften von Chitosan erfuhr, einem reichlich vorhandenen Abfallstoff aus Krabben- und Krebsschalen. Vier Jahre lang forschte er darüber, oft über viele Stunden nach der Schule. Er reiste herum und sammelte Proben aus Grubenteichen, sogar aus Brasilien, und konnte zwar sehen, dass Chitosan funktionierte, aber nicht erklären, warum. Dann erstellte er eigene Proben aus Sickerwässern und erhielt Unterstützung durch einen Chemielehrer bei der Suche nach der Begründung, warum dies funktionierte. Schließlich entdeckte er, dass die Aminosäurengruppe der Chitosan-Moleküle Eisen und Kupfer absorbierten und dabei sowohl das Wasser reinigten als auch den pH-Wert regulierten.

Der erste Umsatz

Tyler wurde bereits an der Indiana University aufgenommen, um dort Biochemie zu studieren. Derweil überlegt er, wie er seine Entdeckung praktisch umsetzen kann. Ihm ist bewusst, dass Chitosan teurer als Kalkstein ist, doch jeder in der Industrie und der Regierung weiß auch, dass Kalkstein das Überleben der Wasserlebewesen nicht gewährleisten kann.

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Er ist überzeugt, dass es der Rechtsprechung bedarf, um Bergbauunternehmen dazu zu zwingen, sowohl den pH-Wert zu regulieren als auch die Metalle aus dem Wasser zu ziehen. Andererseits ist Chitosan ein Nebenprodukt natürlicher Wasserlebewesen, so entwarf er eine Lösung nach dem Prinzip: „aus dem Wasser für das Wasser“. Bei alldem lernte er viel über Biochemie und seine Vorträge über dieses Fachgebiet brachten ihm zahlreiche Preise auf wissenschaftlichen Kongressen ein.

Die Chance

Der Weltmarkt für Chitin-Derivate wie Chitosan hat 2010 bereits 13 700 Tonnen erreicht und für 2015 wird ein Wachstum bis auf 21 400 Tonnen erwartet, mit einem Gegenwert von 63 Milliarden US-Dollar. Dieses Abfallmaterial ist ein Biopolymer mit der besonderen Eigenschaft, Lipide, Fette und Metalle zu binden. Da die Nachfrage durch diverse innovative Einsatzmöglichkeiten steigen wird, werden auch zunehmend die Schalen von Krabben, Hummern und Krebsen gesammelt und neue Chancen für Krabbenfarmen zur Erweiterung ihrer Ertragsströme geschaffen. Die von Tyler genannte Chance ist, dass hochreines Chitosan auch für medizinische Zwecke und zur Nahrungsergänzung genutzt werden kann, während das minderwertigere Material zur Neutralisierung von Umweltgiften im Wasser eingesetzt werden kann. Diese Materialkaskade, die bereits verursachte Probleme auf positive Weise löst und dabei Arbeitsplätze schafft, ist ein gutes Beispiel für die Denkweise der Ansätze im Rahmen der Blue Economy.

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Das meiste Chitosan wird auf der Welt in der Asien-Pazifik-Region verbraucht, von dort kommt die Hälfte der weltweiten Nachfrage. Der japanische Markt verfügt über reichlich Wasser, doch nur wenig davon ist sauber, daraus ergibt sich eine erhöhte Nachfrage nach Chitosan als Flockungsmittel. Zwar muss Tylers Ansatz noch einige Hürden nehmen, doch seine klare Zielsetzung auf der Grundlage jahrelanger wissenschaftlicher Forschung, die er bereits sehr früh begonnen hatte, beweist, dass junge Menschen, denen man die Chance dazu gibt, tatsächlich die Sichtweise auf die ungelösten Probleme dieser Welt ändern können. Diese Lösungen können (!) leicht zu einer Steigerung der Nachfrage nach Chitosan führen, somit einen Abfallstrom in einen Ertragsstrom umwandeln und dabei Jobs insbesondere in Regionen schaffen, in denen dringender Beschäftigungsbedarf besteht. Daher inspiriert diese Art der wissenschaftlichen Forschung in Zusammenhang mit der Suche nach Problemlösungen, wie Tyler sie betreibt, nicht nur zur Forschung und Wissenschaft im Allgemeinen, sondern auch zum Denken über das Offensichtliche hinaus und zur Umsetzung, so wie es Unternehmer tun sollten, die die Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit bewegen wollen.

Bilder: Stock.XCHNG

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88 USB-Strom durch Feuerholz

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz Stromversorgung über USB vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Für 2015 wird geschätzt, dass der Weltmarkt für USB-Treiber (Universal Serial Bus) rein mengenmäßig 10 Milliarden Einheiten erreicht, die etwa 24 Milliarden US-Dollar an Umsätzen generieren. USB ist ein Standard, der den Datenaustausch zwischen Geräten ermöglicht und gleichzeitig Strom aus dem Quellgerät bezieht, ohne selbst eine Energiequelle zu benötigen. Anfangs war eine Batterie mit enthalten, doch diese wurde (glücklicherweise) entfernt. Die Preise liegen bei weniger als einem Dollar für eine Einheit von 512 Mbits, bis hin zu 40 Dollar für 32 GB. An der Spitze steht Kingston’s Data Traveller mit 256 GB, der für knapp 1000 Dollar verkauft wird und Speicherplatz für 50 000 Bilder oder 365 CDs bietet. USBs sind billiger als der schnellere FireWire, da sie keinen Extra-Chip benötigen.

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Der USB ist das Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung von sieben Firmen, die 1994 begonnen wurde. Compaq, DEC, IBM, Intel, Microsoft, NEC und Nortel wollten den Anschluss externer Geräte an Computer vereinfachen. Intel produzierte den ersten USB im Jahr 1995. Die Rechte liegen bei keiner einzelnen Firma. Der neueste superschnelle USB wurde 2010 entwickelt und war imstande, bis zu 5 GB pro Sekunde bei verringertem Stromverbrauch zu übertragen. Die Kombination aus Datenübermittlung und Stromversorgung (5 Volt Gleichstrom) bietet eine Doppelfunktion ähnlich der Blue Economy-Ansätze, die mehr Nachhaltigkeit für die Gesellschaft durch mehrerlei Vorteile erreichen wollen. Angesichts der Möglichkeit, noch mehr Strom zu liefern als es der USB-Standard vorsieht, haben IBM, NCR und FCI/Berg einen veränderten Kontakt entwickelt, der bis zu 6 Ampère bei entweder 5, 12 oder 24 Volt Gleichstrom für eine Vielzahl von angeschlossenen Geräten liefern kann.

Kingston Technology Co. Inc., eine Firma in Privatbesitz mit 6,5 Milliarden Dollar Umsatz, ist der weltgrößte Hersteller für Speichermodule mit einem Marktanteil von 40,3 Prozent – 2007 waren es noch 27,5 Prozent. Der vielleicht größte (und einzige) europäische Konkurrent ist LaCie, der Speicherhersteller unter Leitung von Phillippe Spruch, der bezüglich Arbeitskräften zehnmal kleiner als Kingston ist und bezüglich Umsätzen sogar zwanzigmal kleiner. Wenig überraschend ist die Tatsache, dass China der weltgrößte Hersteller von USBs ist.

Die Innovation

Es entbrannte ein Wettkampf darum, immer mehr Daten in immer kleinere USB-Geräte zu pressen. Gleichzeitig sparte man nicht an Bemühungen, den Energieverbrauch zu senken und die Energieflexibilität der USB-Verbindungen zu steigern. Zusätzlich wird versucht, die Sicherheit der Datenspeicherung zu erhöhen. Eine bedeutende Innovation ist hier die Einführung kabelloser USBs und mobiler USB-Netzteile, wie sie von CurrentWerks angeboten werden. Doch die prinzipielle Herausforderung bleibt, dass sämtlicher Strom weiterhin aus dem Stromnetz mit hoher Spannung (110 oder 220V) und Wechselstrom bezogen werden muss und die Umspannung zusätzlich Kosten verursacht sowie mit einem Verlust von Wärme und Effizienz einhergeht. Firmen wie Power Gorilla bieten Solarlösungen an, doch diese sind generell recht teuer; ein komplettes Set von Solarpaneelen und Akkus kostet mehrere hundert Dollar.

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Jonathan Cedar erlangte 2003 den Bachelor of Arts in Ingenieur- und Umweltwissenschaften am Dartmouth College (Vermont). Danach reiste er um die Welt und leitete Seminare in mechanischen und elektrischen Systemen an Bord eines Forschungsschiffs. Als Schiffsingenieur musste er erfinderisch sein, was die Deckung des Strombedarfs auf hoher See und an Land ohne Verbindung zum Stromnetz betraf. In New York begann er, bei Smart Design für Kunden wie Pyrex, OXO, Staples, Pepsi, Johnson & Johnson und Hewlett Packard zu arbeiten. Jon registrierte Dutzende von Patenten und hat eine Erfolgsquote von 90 Prozent bei der Markteinführung von Ideen. Doch seine Zeit auf hoher See erinnerte ihn daran, wie notwendig es war, immer und überall Energiequellen zu finden.

Jon bemerkte, dass offene Holzfeuer am Strand zwar romantisch sein können, doch ineffizient, weil sie viel potentielle Energie verschwenden und giftigen Rauch durch unvollständige Verbrennung verursachen. Er wusste, dass Öfen, die Luft in das Feuer blasen, die Verbrennung verbessern können. Diese jedoch benötigen Energie zum Betreiben von Ventilatoren, und die meisten Menschen, die mit Holz kochen, haben weder Stromanschluss noch Batterien. Er erinnerte sich an seinen Physikunterricht und baute ein Gerät zur Stromgewinnung, dass einen Teil der Wärmeenergie des Feuers in Elektrizität zum Betrieb eines Ventilators nutzte, der wiederum den Verbrennungsprozess verbesserte. Als er erst einmal bemerkte, wie viel Energie durch Feststoffwärmetauscher verfügbar wird, überarbeitete er die Versorgung mit Wärmeenergie zum Betreiben kleiner elektronischer Geräte wie Mobiltelefone, LED-Lichter, GPS und andere mobile Geräte, die alle durch standardmäßige 5-Volt-USB-Anschlüsse geladen werden.

Der erste Umsatz

Jon wurde bewusst, dass drei Milliarden Menschen auf der Welt ihr Essen auf offenem Feuer zubereiten, also 40 Prozent der Weltbevölkerung. Da offene Feuer mehr Holz verbrauchen und das Kochen im Haus giftige Gase verursacht, die die Raumluft beeinträchtigen, entwickelten Jon und sein Team einen Herd, der nur halb so viel Holz benötigt wie ein offenes Feuer und die Rauchemissionen um mehr als 90 Prozent verringert.

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Die erhöhte Effizienz – würden sie überall eingesetzt – könnte die globale Erwärmung um 7 Prozent vermindern, den Kahlschlag durch Sammeln von Feuerholz verringern und Rauchgas vermeiden, das schätzungsweise 1,6 Millionen Todesfälle pro Jahr verursacht. Die Herde wurden in Indien, Ghana, Uganda und Kenia getestet. Unter dem Markennamen HomeStove wird das Produkt ab Mitte 2012 auf den Markt gebracht. Der Erfolg motivierte Jon und sein Team, die Startup-Firma BioLite in New York zu gründen. Der Vorverkauf über das Internet hat bereits begonnen.

Die Chance

In den Entwicklungsländern besteht ein unmittelbarer Bedarf für diese Lösung, doch die Startup-Firma BioLite benötigt den Cashflow, um die Markteinführung der Innovation zu finanzieren. Daher entwickelten Jon und sein Team den CampStove, mit dem Essen auf Wanderungen allein durch die am Weg gesammelten Zweige zubereitet werden kann. So wird kein Petroleum mehr benötigt, und die Bedürfnisse der Outdoor-Sportler werden angesprochen. Der Herd hat die Form einer Literflasche Wasser, ist leicht, schnell aufzubauen und kocht das Essen ebenso schnell. Zusätzlich zu Feuer, Licht und Wärme wird die überschüssige Hitze mittels der selben Technik wie im HomeStove in Strom umgewandelt, mit dem Handys, LED-Lampen, GPS, Computer, Kameras und ähnliche Geräte aufgeladen werden können. Jons interessantes Geschäftsmodell sieht das Angebot dieses Geräts für die „Erste Welt“ parallel zum Modell für die „Dritte Welt“ vor, um die Nachfrage nach dem Feststoffwärmetauscher anzutreiben. Gleichzeitig kann das Luxusprodukt zu einem höheren Preis angeboten und damit eventuell das soziale Produkt subventioniert werden. So wird die Nachfrage ebenfalls gesteigert, damit die Kosten pro Einheit gesenkt und in allen Teilen der Welt saubere und sichere Energie zur Verfügung gestellt, ohne dass erst auf einen Lerneffekt gewartet werden muss. Hier wurde ein Geschäftsmodell entwickelt, das Cashflows so wie in der Blue Economy angedacht integriert.

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Die Vorabverkäufe zu Vorzugspreisen über das Internet tragen zusätzlich dazu bei, einen Standard zu setzen für die Integration von Stromerzeugung überall da, wo Holz oder Holzpellets als Brennstoff entweder aus Notwendigkeit oder für mehr Komfort eingesetzt werden. In jedem offenen Feuer im Norden oder Süden können die Vorzüge der Stromerzeugung über einen Standard-USB zum Einsatz kommen. Wenn also eine Familie sich an der Feuerstelle zusammenfindet, kann der gesamte Strom für die LED-Beleuchtung im Haus erzeugt werden, die Telefone werden geladen und dank voll funktionsfähigem GPS finden alle den Weg nach Hause. In Österreich, Schweden und Norwegen wurde die Technologie des offenen Feuers bereits mit der Wasser- und Luftheizung verbunden; nun kann sie noch auf die Stromerzeugung erweitert werden.

Die selbe Logik könnte auf alle solaren, elektrischen oder gasbetriebenen Wassererhitzer übertragen werden. Das heiße Wasser im Tank oder den Rohren sollte nicht einfach dort verbleiben und warten, bis es mit Kaltwasser vermischt wird, um die ideale Duschtemperatur zu erlangen, sondern besser mit energieeffizienter Beleuchtung verbunden werden und alles aufladen, was es gerade aufzuladen gibt. Dies ermöglicht die Abschaffung von Umspannern und sichert eine vielseitige Energiequelle, die Wohnungen und Gebäude in Nord und Süd unabhängig vom Stromnetz macht und eine stabile Grundversorgung mit Gleichstrom über einfache USB-Standards schafft.

Bilder: Stock.XCHNG

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87 Plastik aus Umweltverschmutzung

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz für CO2 vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Kohlenstoffmarkt wird weltweit mit 98 Milliarden Euro für 2011 beziffert, das bedeutet eine Steigerung um vier Prozentpunkte gegenüber 2010. Der EU-Emissionshandel (ETS), der weltgrößte Kohlenstoffmarkt, liegt bei 76 Milliarden Euro. Das gesamte Handelsvolumen an Emissionsberechtigungen (EUA) hat letztes Jahr 6 Milliarden Tonnen erreicht, eine 17-prozentige Steigerung gegenüber 2010. Dabei fielen die Preise auf 6,3 Euro pro Tonne und damit auf die Hälfte des Vorjahrs. Die von der UN ausgegebenen Emissionsreduktionsgutschriften (CER) wurden für letztes Jahr mit 17,8 Milliarden Euro beziffert, 2 Prozent weniger als 12 Monate zuvor. Auch der nordamerikanische Markt fiel von 367 auf 221 Milliarden Euro für 2011.

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Zwar hat Kohlenstoff seinen Preis angesichts des Klimawandels, doch es gibt auch einen Markt für gereinigtes Kohlendioxid (CO2). Der CO2-Markt für die Nutzung in Krankenhäusern erreicht 2017 voraussichtlich einen Wert von 292 Millionen Dollar. Der größte industrielle Verbraucher von CO2 ist die Getränkeindustrie. Das CO2 macht die Getränke saurer, geschmacklich ansprechender und das Kohlenstoffgas dient gleichzeitig der Konservierung. Da die Getränke bei tiefen Temperaturen mehr CO2 binden können als bei höheren, empfehlen die Hersteller, dass ihre Produkte so kalt wie möglich serviert werden sollen, um dem Kunden mehr Geschmack bieten zu können. Eine Firma wie Pepsi hat eine Milliarde Kästen kohlensäurehaltige Cola verkauft und damit schätzungsweise 160 000 Tonnen reines CO2 verbraucht. Weltweit werden weit über eine Million Tonnen CO2 in Getränke gepumpt, die später nach und nach wieder in die Umwelt gelangen. Die Kosten für verflüssigtes reines CO2 erreichen im Fabrikverkauf bis zu 2 Euro pro Kilo.

Die ersten Versuche, den hohen Ausstoß von Emissionen aus der Energieerzeugung und Industrie durch fossile Brennstoffe an diese industriellen Bedürfnisse zu koppeln, wurden von allen Beteiligten mit Begeisterung aufgenommen, bis Probleme in der Qualitätskontrolle die Industrie zwangen, sich wieder zurückzuziehen aus der Wiederverwertung niedrig konzentrierten CO2 aus der Energieerzeugung, industriellen und landwirtschaftlichen Prozessen wie der Gewinnung von Magnesium aus Dolomit oder der Kalkverbrennung zur Herstellung von Zement. Die Aufgabe dieser Möglichkeit der Kanalisierung von einer Million Tonnen CO2 aus der Umwelt in die Industrie öffnete wiederum neue Wachstumsmöglichkeiten für traditionelle Gasfirmen wie Air Liquide, den größten Lieferer auf dem Sektor mit fast 5 Milliarden Euro an Umsätzen.

Die Innovation

Die Nutzung von CO2 als Nebenprodukt industrieller und landwirtschaftlicher Prozesse erfordert neue Erkenntnisse, da die Entdeckung verseuchten Kohlenstoffs in Coca Cola aus Belgien großes Aufsehen hinsichtlich der Qualitätskontrolle der großen Hersteller erregte. Zwar gibt es viele Firmen, die in der Lage sind, die Konzentration und Aufreinigung von lebensmitteltauglichem CO2 zu übernehmen, doch das Lieferkettenmanagement der multinationalen Konzerne zieht es vor, das Gas aus der Wasserstoff- oder Ammoniakproduktion aus Erdgas oder Kohle, mittlerweile auch aus der Fermentation von Zuckerrohr für Ethanol zu gewinnen. Bei der Ethanolherstellung aus Mais werden ebenfalls große Mengen CO2 freigesetzt und zunehmend industriell weiterverwertet, doch leider steht dies im Konflikt mit der Nahrungsmittelproduktion. Daher kann diese Produktionsform nicht als nachhaltig bezeichnet werden, auch wenn die Rohstoffe biologischen Ursprungs sind.

Geoffrey Coates wurde in Evansville, Indiana geboren. Seinen Abschluss in Chemie erlangte er am Wabash College (Indiana) und 1994 schloss er das Studium der anorganischen Chemie an der Stanford University in Kalifornien ab. Seit 1997 ist Geoff Mitglied der Cornell University Faculty. Als Leiter des Bereichs der Synthese von Polymeren mit Schwerpunkt auf katalytischen Umwandlungen machte er akademische Karriere. Er beobachtete, das der für etwa 30 000 chemische Verbindungen genutzte Kohlenstoff weltweit von etwa 300 chemischen Zwischenprodukten herrührte. Letztlich kamen all diese Zwischenmoleküle aus fossilen Brennstoffen. Geoff war interessiert daran, neue Wege zu finden, wie erneuerbare biologische Ressourcen in Polymere umgewandelt werden könnten. Er fand heraus, dass der Schlüssel zum Erfolg nicht in der Verfügbarkeit der Rohstoffe bestand, sondern eher in der Erkennung von Katalysatoren, die die erforderliche Reaktivität zur Polymerisierung von CO2 erbrachten.

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Kohlendioxid ist ein ideales Ausgangsmaterial; es ist reichlich vorhanden, billig, wenig giftig und nicht brennbar. Geoff beobachtete, dass die Natur CO2 zur Produktion von jährlich über 200 Milliarden Tonnen Glukose durch Photosynthese nutzt, doch bis vor kurzem hatten die Chemiker wenig Erfolg bei der Entwicklung eines Prozesses, der diesen attraktiven Rohstoff ausnutzt. Geoff und sein Team entwickelten Katalysatoren auf Zink- und Kobaltbasis, die CO2 unter milden Bedingungen in einen Ausgangsstoff für chemische Produkte umwandeln. Es bleibt noch die Herausforderung, sowohl die zink- als auch die kobaltbasierten Katalysatoren zurückzugewinnen, um einen echten Kreislauf zu schaffen, der unseren bereits exzessiven Bedarf nach Bergbau nicht noch weiter in die Höhe treibt.

Geoff baute ein starkes Forschungsteam an der University of Cornell auf. Doch die Bandbreite und Tiefe dieser Katalysatoren sowie die Notwendigkeit, diesen innovativen Ansatz für Polymere aus Treibhausgasen marktfähig zu machen, erforderte besondere Aufmerksamkeit. Er gründete daher Novomer (Neue Polymere) auf Grundlage einer exklusiven Lizenz auf die Patente für Katalysatoren aus Cornell und brachte Investitionen in Höhe von 6,6 Millionen US-Dollar auf, unter anderem von der holländischen Chemiegruppe DSM. Dies war ein idealer Partner auf der Suche nach Innovationen, da dessen Management beschlossen hatte, bis 2015 50 Prozent seiner Gesamtverkäufe aus Ökoprodukten zu erzielen. Physics Ventures, die Tochterstiftung von Unilever, brachte ein ebenso großes Investitionsvolumen auf.

Der erste Umsatz

Das Team von Novomer hat erfolgreich die Katalysationstechnologie von der Labor- auf die Vorführungsebene geführt und entwickelt nun Methoden zur Produktion von Chargen sowie kontinuierlicher Massenproduktion. Das Portfolio an Geschäftschancen ist so breit, dass die Produktentwickler die CO2-basierten Polymere in einer großen Bandbreite von Anwendungen testen, darunter Thermoplastik, Bindemittel, Elektronik, Überzüge, Netzmittel und Schäume.

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Die Möglichkeit, Flaschen aus Blasformen zu ersetzen, weckte nicht nur die Aufmerksamkeit von DSM, sondern auch von Unilever, einem der weltgrößten Verbraucher von Plastik. Die von Unilever durchgeführten Tests sowie dessen erklärtes Interesse an dieser neuen Weise, Umweltverschmutzung in Plastik umzuwandeln, konnte Novomer nutzen, um von der Energiebehörde der USA eine Förderung in Höhe von 18,4 Millionen US-Dollar zu erhalten, um die Markteinführung weiter voranzutreiben. Die Testproduktion von extrudiertem Dünnfilm bot weitere Motivation, um auch Verpackungen aus Umweltverschmutzung herzustellen. Geoff und sein Team bekamen bereits den nötigen finanziellen Spielraum, um die Produkte und Produktionsprozesse weiterzuentwickeln.

Die Chance

Unilever sieht große Vorteile in der Produktion von kostengünstiger Verpackung ohne Subventionen, Kohlenstoffsteuern oder Strafabgaben, nicht weil die Firma dagegen wäre, sondern weil die Zukunft dieser politischen Entscheidungen unsicher ist und ein Unternehmen daher nicht auf Innovationen als strategischer Option bauen kann, solange deren endgültiges Schicksal durch Politik und internationale Abkommen bestimmt wird.

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Novomer besitzt eine Plattformtechnologie, die über Verpackungen hinaus geht. Sie könnte Hunderte von Produkten von Windeln bis hin zu Wandfarben betreffen. Jetzt sehen wir die Chancen, Technologiecluster durch diese innovative Plattform auf der Basis neuer Erkenntnisse über Katalysatoren zu bilden. Wettbewerb auf dem Markt ohne Subventionen, Umwandlung von Abfällen in Ressourcen und vielleicht sogar Zahlungseingänge durch CO2-Abbau sind typische Merkmale, die den Ansatz der Blue Economy untermauern.

Bilder: Stock.XCHNG

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86 Von der Wiederaufforstung zu Kleiderbügeln

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz für die Wiederaufforstung vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Kleiderbügel wird auf 50 Milliarden Einheiten pro Jahr geschätzt, was einem Marktwert von 25 Milliarden US-Dollar entspricht. Die billigsten unter ihnen sind die Drahtbügel, die bei Reinigungen gratis mitgegeben werden. Sie kosten pro Stück nur 8-12 Cent in der Herstellung. Von den 3,3 Milliarden in den USA verbrauchten Bügeln werden etwa 2,7 Milliarden aus China importiert und kosten der letzten Zählung von 2008 zufolge 83,6 Millionen Dollar. Die 30 000 in den USA ansässigen Reinigungsfirmen geben pro Jahr etwa 6500 Dollar oder 10 Prozent ihres Durchschnittsumsatzes für die kostenfreie Abgabe ihrer Bügel an Kunden aus, die dies als essentielle Komponente des Service ansehen. Weltweit enden 7,5 Milliarden Drahtbügel aus Karbidstahl auf Müllhalden, wo sie ein riesiges Rattennest bilden. Das Problem geht so weit, dass einige Städte bereits die Gratisbügel verboten haben, weil sie so viel Unheil auf den Müllhalden verursachen. Der am zweitweitesten verbreitete Typ Kleiderbügel ist aus Plastik, vor allem Polystyren und Polykarbonat. Diese Stücke werden oft mit dem Markennamen versehen und vor allem im Einzelhandel eingesetzt. Mit einem Kostenpreis von 15-50 Cent enden auch diese Bügel meist nach einem einzigen Gebrauch auf Müllhalden, wo sie Benzol und Bisphenol A an die Umwelt abgeben.

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Schätzungsweise 15 Prozent aller Bügel im Einzelhandel wird dank der Anstrengungen von Geschäften wie Zara oder Hennes & Mauritz recycelt. Das Recycling ist jedoch komplex, da das Plastik mit Metallen und anderen Kunststoffen kombiniert wird und sich die Rückgewinnung so erschwert und verteuert. Die Gesamtproduktion an Kleiderbügeln verursacht Schätzungen zufolge 6,5 Millionen Tonnen CO2, so viel wie 1,5 Millionen Autos. In dieser Industrie gibt es keine Global Players, die Betriebe sind klein und ortsansässig. Der größte unter ihnen erreicht etwa 250 Millionen Dollar an Verkäufen und ist die privat geführte Firma Mainetti in Castelgomberto (Italien) mit Herstellungsbetrieben in 42 Ländern auf der ganzen Welt.

Die Innovation

Über die Jahre sind die Kleiderbügel eine wahre Lagerstätte für Chemikalien geworden. Von Formaldehyd zur Schädlingsbekämpfung über Phthalate für mehr Biegsamkeit, Azofarbstoffe, Brandhemmer und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe sind Blei, Quecksilber, Kadmium bis hin zu Chrom(VI) und noch viel mehr enthalten. Nur wenige Menschen wissen, was für ein Chemiemix da in ihrem Schrank hängt. Während mehrere Firmen wie MAWA aus Pfaffenhofen (Deutschland) unter der Leitung von Michaela Schenk bestrebt sind, alle giftigen Komponenten zu meiden, bleibt die Frage, was nun wirklich in den Bügeln steckt und welche Inhaltsstoffe ausgewählt werden sollten, um die Verbraucher von mehr Nachhaltigkeit zu überzeugen, ohne dass das Produkt weniger wettbewerbsfähig würde. Hanger4Life bietet einen soliden, unzerstörbaren Plastikbügel an, während EcoHanger aus 100 Prozent Altpapier hergestellt sind und sich durch Werbung finanzieren. Welches Geschäftsmodell könnte zukünftig noch mehr und besser produzieren?

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Lucio Ventania hatte schon immer eine Neigung zum Social Entrepreneur. Als Brasilianer mit afrikanisch-indigenen Wurzeln lernte er Bambus durch seinen chinesischen Nachbarn Master Lu kennen. Ohne jede formelle Bildung, doch inspiriert durch seinen Mentor seit er gerade einmal zehn Jahre alt war, begann er in den frühen 1980er-Jahren, mit Naturfasern zu arbeiten. Nach erfolgreicher Leitung einiger akademischer Seminare über die Nutzung von Bambus gründete er 1988 das Ateliê Pengala in Belo Horizonte, das Straßenkindern eine Ausbildung in der Möbelherstellung mit dem leicht verfügbaren Bambus bot. Sein Erfolg generierte schon bald eine Nachfrage seitens professioneller Architekten und Ingenieure, die ebenfalls die Techniken lernen wollten, die er den Kindern beibrachte.

1996 gründete Lucio das Brazilian Institute for Bamboo und wenig später BAMCRUZ, ein multidisziplinäres Zentrum mit Schauspielern, Ärzten, Sozialarbeitern und Vereinsmitgliedern, das seine Aktivität auf ländliche Kooperativen und Kunstschulen konzentriert und so Chancen für die Schwächsten in der Gesellschaft bietet. Lucios Vision ist es, eine kulturelle, wirtschaftliche und umweltorientierte Plattform für Bambus zu schaffen, um die gesellschaftliche Entwicklung anzukurbeln. Sein Traum ist die Schaffung einer Bambuszivilisation, denn er weiß, dass dieses Gras für 2,5 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt Teil des täglichen Lebens ist, doch von fast allen als Symbol für Armut angesehen wird. Er formte die Idee der „Bambuzerias“, einer sozialen Kooperative, die Ökoprodukte aus Bambus herstellt und vertreibt. Das erste Produkt, das er bereits im Jahr 2000 in Masse herzustellen gedachte, waren Kleiderbügel.

Der erste Umsatz

Im Jahr 2001 lernte Lucio die Probleme der Stadt Cajueiro im Staat Alagoas im Nordosten Brasiliens kennen. Früher war hier ein Regenwald, doch dieser wurde in den frühen 1960er-Jahren zerstört, um Platz für Zuckerrohrfarmen zu schaffen. 1990 produzierte diese Region 85 Prozent des gesamten brasilianischen Zuckerrohrs. Dann jedoch zwang die Globalisierung zur Einführung der Mechanisierung und Automatisierung bei Anbau und Ernte des Zuckerrohrs, womit zwei Drittel der Arbeitskräfte überflüssig wurden. Angesichts der Problematik der arbeitslosen Landarbeiter entwarf er zusammen mit der Bevölkerung vor Ort einen Plan, der den Anbau von Bambus mit dem Vertrieb fertiger Produkte verband. Er bot an, den ausgelaugten Boden durch Bambus wieder anzureichern. Die Zuckerrohrbarone überließen ihm trockene und unfruchtbare Böden, auf denen er zu Beginn 10 000 Halme Phyllostachys viridis pflanzte, eine dünnstielige, in der Region wachsende Art mit nur 1,5 cm Durchmesser, die schnell geerntet werden konnte.

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Sechs Monate nach dem Projektstart hatte Lucio 80 ehemalige Arbeiter ausgebildet, um monatlich 5000 Kleiderbügel herzustellen. Diese Bügel sind aus Bambus ohne Klebstoff oder Metallverbindungen und bestehen nur aus den vor Ort verfügbaren Materialien. Die Verpackungskartons dieser Designerbügel wird aus der Bagasse des Zuckerrohrs hergestellt, die in den örtlichen Fabriken anfällt, womit noch mehr Arbeit für die Beschäftigung suchende Bevölkerung entsteht. Schon ab dem ersten Monat erhielten die Arbeiter der Kooperative, in deren Gemeinde hohe Arbeitslosigkeit, Analphabetismus und Kindersterblichkeit vorherrschte, ein Gehalt von 120 Dollar. So konnten die Familien besser leben, während das Geschäft der Anpflanzung, Ernte und Verarbeitung des Bambus sowie der Verkauf der Bügel weiterhin Erträge brachten, die die Ausweitung der Produktion durch eigenen Cashflow ermöglichten. Mehrere Auszeichnungen, unter anderem Casa Planeta, trugen ebenfalls zu einer stabilen Nachfrage nach diesen ökologischen Produkten der Kooperative bei, die inzwischen unter dem Namen „Bambuzeria Capricho“ bekannt ist. Diese Initiative geht über die Schaffung von Arbeitsplätzen hinaus: Sie schafft gesellschaftliches Kapital.

Die Chance

Die Nachfrage stieg weiter an. Der Staat Alagoas besitzt inzwischen drei Produktionszentren, in denen pro Bügel und Arbeiter etwa 10-15 Cruzeiros (6-9 Dollar) eingenommen werden. Die Vertriebskampagne erreicht fast 500 Dollar, ein Vermögen für jeden brasilianischen Arbeiter. Dieses Einkommen trägt zum Aufbau der Gemeinde bei, bietet Arbeit für marginalisierte Bürger und schafft gleichzeitig neue Impulse für die Wiederaufforstung des Atlantischen Regenwalds, indem diese Vorreiter der Artenvielfalt angepflanzt werden und so eine Alternative zum Zuckerrohranbau geschaffen wird. Die Produktpalette hat sich von Bügeln auf Möbel und Gartenutensilien ausgeweitet. Lucio beschloss, dass diese neuen Errungenschaften Chancen für Afro-Brasilianer, arbeitslose Tagelöhner, Straßenkinder und Bürger mit besonderen Bedürfnissen schaffen sollten. Dieser Ansatz der Kombination sozialer, kultureller, ökologischer und wirtschaftlicher Entwicklung ist ein überzeugendes Beispiel, wie die Blue Economy zu einer neuen gesellschaftlichen Entwicklung beitragen und gleichzeitig die Natur zurück auf ihren Weg der Eigendynamik gebracht werden kann. Die ZERI Brasil-Stiftung hat Lucio seit dem Jahr 2000 begleitet, als er den ZERI-Bambuspavillon auf der Expo in Hannover besucht hatte.

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Bis 2012 hat Lucio in über 30 brasilianischen Gemeinden Ausbildungen innerhalb seines Konzepts der Bambuszivilisation angeboten, einschließlich persönlicher Weiterentwicklung, Berufsethik, gesellschaftlicher Integration, Gesundheitsversorgung und Unternehmensgründung. Dies hat bis dato zur Schaffung von fünf Bambuzerias in Form von Kooperativen und einer großen Zahl unabhängiger Handwerksbetriebe geführt, die pro Monat etwa 25 000 Kleiderbügel herstellen. Der Bügel ist zu einem Symbol geworden und noch viele mehr könnten inspiriert durch dieses seit über einem Jahrzehnt erfolgreiche Geschäftsmodell in den Markt eintreten. Lucio glaubt, dass die Ära des Bambus gerade erst begonnen hat, da Bambus sechsmal mehr Zellulose enthält als eine Kiefer, die von skandinavischen und nordamerikanischen Herstellern bevorzugte Ressource für Papier. Auf der Grundlage seiner breitgefächerten Erfahrung im Design für Innen und Außen glaubt Lucio, dass diese Chance zur Schaffung einer Bambuskultur nur noch eine Frage der Zeit ist. Vielleicht ist alles was fehlt, nur noch mehr Unternehmer, die keinen Unterschied zwischen sozialem und echtem Geschäft machen. Die Blue Economy unterstützt nur Unternehmensgründer, die echte Geschäfte machen und dabei noch sozial und ökologisch wirken. Lucio Ventania ist hier ein inspirierendes Beispiel.

Bilder: Stock.XCHNG
https://www.flickr.com/photos/daquellamanera/312347786

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85 Segel-Fischerboot

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz für den Bau von Fischerbooten vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) zufolge wurden im Jahr 2010 93.3 Millionen Tonnen Fisch mit einem Wert von 150 Milliarden Dollar in der kommerziellen Wildfischerei gefangen; hinzu kommen 48,1 Millionen Tonnen Zuchtfische im Wert von ca. 110 Milliarden Dollar. Es gibt weltweit 4 Millionen gewerbliche Fischereifahrzeuge, davon 1,3 Millionen mit einem Deck und einem abgeschlossenen Lagerbereich. Die anderen sind kleine Fischerboote. Fast 40 000 Fischtrawler sind größer als 100 Tonnen und stellen die Flotte für die schwimmenden Fischfabriken auf der Welt. China ist der weltgrößte Fischkonsument und besitzt auch die weltgrößte Fischindustrie mit einem Drittel des weltweiten Fangs. An zweiter Stelle folgt Peru, das jedoch fast sämtlichen Fangfisch exportiert. Indonesien hat mit 700 000 Fischerbooten die größte Flotte, doch hiervon sind 25 Prozent Kanus. Japan, die USA, Chile, Indonesien, Russland, Indien, Thailand, Norwegen und Island stellen zusammen mit China und Peru mehr als die Hälfte des gesamten Fangs.

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Das weltgrößte Fabrikschiff verarbeitet 350 Tonnen Fisch pro Tag und besitzt Kapazitäten zur Lagerung von 7000 Tonnen filetierten Fangs. Da die Trawler keinen Unterschied zwischen Fischen machen, werden alle unerwünschten Fische zunehmend gleich in Fischmehl und Tierfutter verarbeitet. Leider werfen viele Fabrikschiffe den unerwünschten Fisch auch über Bord. Den Vereinten Nationen zufolge sind 70 Prozent aller Fischgründe entweder voll ausgelastet, überfischt oder schon regelrecht leergefischt. Da die kommerzielle Fischerei bald am Ende ihrer Möglichkeiten ist, scheint die einzige Hoffnung in der Ausweitung der Fischzucht zu liegen. Doch um eine Million Tonnen Lachs zu produzieren, muss man drei Millionen Tonnen Wildfisch fangen und verarbeiten. In Beispiel 47 wurde bereits eine alternative Fischzuchtmethode beschrieben.

Nippon Suisan Kaisha Ltd., auch bekannt als Nissui, ist der weltgrößte Fischereikonzern. Die japanische Firma besitzt etwa 20 Prozent der Fangquoten und –rechte für Weißfisch auf der Welt. Ebenso betreibt sie über 150 Fischfabriken mit einem Jahresumsatz von über 5 Milliarden Dollar. Der Tokyo Metropolitan Central Wholesale Market (Tsukiji Market) ist der größte Großhändler für Fisch und Meeresfrüchte. Dort werden über 400 Arten Meeresfrüchte gehandelt, von Seetang über Kaviar, Sardinen, Thunfisch bis hin zum kontrovers diskutierten Walfleisch. Insgesamt werden auf diesem Markt über 700 000 Tonnen Meeresfrüchte mit einem Gesamtwert von 5,5 Milliarden Dollar gehandelt, und er bietet Beschäftigung für 65 000 Arbeitnehmer.

Die Innovation

Der Trend zur nachhaltigen Fischerei hat die Industrie gezwungen, sich auf die schwindenden Fischmengen einzustellen. Zunehmend arbeiten die Fischfirmen an der Verbesserung ihrer Fangsysteme durch innovative Netze, Radar oder sogar Ultraschall, um nicht unbeabsichtigt Delfine zu töten, Haie zu massakrieren oder die Thunfischbestände zu erschöpfen. Mehrere Marktführer wechseln von minderwertigem Fisch hin zum Vertrieb spezieller hochwertiger Nahrungsmittel für mehr Gesundheit mit einem Anteil an aus Fisch gewonnenen ungesättigten Omega-3-Fettsäuren sowie der Verfeinerung von Substanzen aus Fischen als Medikamentenzusätze, die die Blutfettwerte senken und so der Arteriosklerose vorbeugen. Doch die größte Herausforderung bleibt, wie beschrieben, dass die Schifffahrt und Fischereiindustrie weiterhin Schweröl als Hauptenergiequelle nutzen und damit die Fischbestände der Flüsse und Ozeane noch weiter belasten. Der ökologische Fußabdruck der Fischerei steht in keinem Verhältnis zu ihrem wirtschaftlichen Beitrag.

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Eric Le Quéré verbrachte seine ersten Berufsjahre mit der Entwicklung und dem Betrieb von Fischerbooten vor der Atlantikküste. Er liebt das Meer und bemerkte über die Jahre die höhere Nachfrage und Notwendigkeit, dieses Geschäftsmodell nachhaltiger zu gestalten. Im Bewusstsein, dass diese Industrie seit dem letzten halben Jahrhundert keine Neuerungen gesehen hatte und angesichts der durch die EU beschlossenen strengen Quoten gründete er 2003 seine eigene Firma für Schiffbau und -wartung in Marokko. Schnell bemerkte er, dass die Art, wie Fabrikschiffe gebaut und betrieben werden, überdacht werden musste. Seine Verhandlung mit den marokkanischen Behörden vor Ort motivierten ihn, im Jahr 2009 eine größere Initiative zu starten und ein Fischereikonzept zu entwickeln, das bessere Einkünfte generiert und dabei vollständig nachhaltig operiert, vom Treibstoff bis hin zur Verarbeitung. Seine Erkenntnisse beschloss er zunächst für kleine Fische wie Anchovis, Sardinen und Makrelen umzusetzen. Sein Ziel war einfach: Null Emissionen und Null fossile Brennstoffe. Er entschied sich für einen Fischkatamaran, der seine eigene Energie durch Sonne und Wind generiert, zwei Ressourcen, die auf dem Meer reichlich vorhanden sind.

Sein Katamaran hat vier feste Segel, die um 360° drehbar und mit Solarpaneelen ausgestattet sind. Das Boot besitzt zwei Unterwasser-Generatoren, die zusätzlich Energie aus Strömungen ziehen. Das neuartige Konzept wurde 2010 international patentiert als multimodales Hybridschiff, dass bis zu 13 Knoten schnell mit 50 Tonnen Fisch an Bord segeln kann. Die Bootshaut besteht aus 100% recyceltem Aluminium. Die Netze fangen nur Sardinen und lassen alle anderen Fische im Meer frei. Da es in Marokko nicht das Know-How gab, um solche Boote zu bauen, wurde beschlossen, das Forschungs- und Produktionszentrum in Caen im Norden Frankreichs anzusiedeln. Roger Vandomme und Bruno Racouchot wurden Erics Partner bei der Gründung von Marethix Industries SAS.

Der erste Umsatz

Die marokkanische Regierung hat sechs Schiffe bestellt. Beim Bau der Boote greift man auf die Erfahrung in der Region der Normandie und Bretagne zurück und stützt sich so auf die Zusammenarbeit von sechs Firmen, die vor Ort operieren. Die Finanzierung der Boote basiert auf den Fangrechten über 60 000 Tonnen Fisch, die nach einer öffentlichen Ausschreibung zugeteilt wurden. Der Katamaran verursacht wenig Betriebskosten und schafft Arbeit durch die Verarbeitung des gesamten Fangs an Bord, der somit gleich zu Verbrauchsgütern mit Mehrwert wird, einschließlich der Omega-3-Fettsäuren. Die gesamte Initiative erfordert die Einstellung von 45 Personen pro Boot. Das Geschäftsmodell übertrifft alle anderen Boote dank seiner Fähigkeit, die ganze Wertschöpfungskette vom Bootsbau über die Verarbeitungsanlage auf See, die Fangtechniken, Logistik bis hin zur Lieferung zu verbessern. Innerhalb dieser Kette ist der Fischfang jederzeit nachverfolgbar.

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Der Fang wird an Bord in standardisierten Kühlbehältern aufbewahrt und so standardisierte, multimodale Transportsysteme genutzt. Antrieb, Betrieb und Kühlung sind auf See wie an Land zu 100% aus erneuerbaren Energien gespeist. Dieser systemische Ansatz, der mehrere Technologien zu einem hocheffizienten Cluster bündelt, entspricht einem der Kernprinzipien der Blue Economy.

Die Chance

Dieser integrierte Ansatz erhöht den Mehrwert des normalen Fischfangs um das 2,5-fache. Das Schiff, das 10 000 Tonnen Sardinen fangen kann, spart pro Jahr 250 000 Liter Schweröl als Treibstoff. Jede Tonne verbrannten Schweröls verursacht 3,1 Tonnen Kohlendioxid. Dies bedeutet, dass, alle weiteren Komponenten eingeschlossen, jedes Schiff pro Jahr 1000 Tonnen an CO2-Gutscheinen produziert, die soviel wert sind wie das Gehalt eines Mannschaftsmitglieds in Marokko. Zusätzlich spart jedes Boot 50 000 Kubikmeter Süßwasser pro Jahr ein, und das in einem Land, das unter Trinkwassermangel leidet. Kosteneinsparungen bei gleichzeitiger Produktion von höherem Wert ohne Kompromisse bezüglich der Nachhaltigkeit ergeben eine gute Wettbewerbsposition, nicht nur für den Neubau von Schiffen, sondern auch als Pauschalangebot an Behörden bei der Vergabe von Fanquoten über öffentliche Ausschreibungen, bei denen Jobs entstehen.

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Das neue Geschäftsmodell von Marethix schließt die Schaffung einer neuen Industrieentwicklung in der Nähe von Agadir ein. Im Fall Marokkos wird eine Verarbeitungszentrale Fertigkost auf Fischbasis produzieren. Die schwindenden Fischreserven und der Verlust von Arbeitsplätzen durch Restriktionen der Fanquoten werden so überkompensier durch höheres Einkommen bei gleichzeitiger Belebung des Schiffsbaus in Frankreich. Dies schafft eine Plattform für lokales Wachstum sowohl in Frankreich als auch in Marokko. Da bekannt ist, dass die Fischindustrie für Kleinfische immer beliebter werden aufgrund ihrer weit höheren gesundheitlichen Vorteile und des geringeren Risikos der Ansammlung von Schwermetallen, ist dies eine Strategie, wie eine Wirtschaft verfolgt werden kann, die bessere Nahrung zu niedrigeren Preisen bei gleichzeitiger Schaffung von mehr Einkommen für alle Beteiligten bietet. Diejenigen, die mit den Geschäftsmodellen der Vergangenheit verhaftet sind, riskieren die völlige Leerfischung unserer Ozeane. So steht hier ein Geschäftsmodell, das vier Millionen Schiffsbesitzer auf der Welt inspirieren könnte. Wer sagte, dass es für die Fischerei keine Zukunft gäbe? Das Beispiel von Marethix zeigt, wie Fischereien Millionen von Arbeitsplätzen schaffen können, indem vorhandene Ressourcen klug genutzt werden. Nun liegt es an den Unternehmern, dies umzusetzen.

Bilder: Stock.XCHNG

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84 Die Magie des Biers

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz für des Geschäftsmodell der Bierbrauerei vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Bier liegt gegenwärtig bei knapp 110 Milliarden US-Dollar an Umsätzen. Für Jahr 2011 wird ein Wachstum von 2,5 Prozent geschätzt. China und Afrika sind zur selben Zeit um fünf Prozent gewachsen, Lateinamerika immerhin noch um 3 Prozent. Das meiste Bier der Welt wird in China getrunken, gefolgt von den USA und Russland; Deutschland liegt noch hinter Brasilien an fünfter Stelle. Der Pro-Kopf-Konsum hingegen ist in der Tschechischen Republik am höchsten, gefolgt von Irland und Deutschland. Der Gesamtkonsum an Bier sank in Europa in den letzten fünf Jahren um 7 Prozent, doch die Verkäufe an alkoholfreiem Bier stiegen um 37 Prozent. Mit 5,8 Litern pro Person für das Jahr 2010 ist Spanien weltweit führend im Pro-Kopf-Konsum von alkoholfreiem Bier und hält damit einen Marktanteil von 13 Prozent.

Vier Brauereiriesen dominieren diesen Sektor und kontrollieren etwas mehr als die Hälfte der Gesamtproduktion von 1,8 Milliarden Hektolitern. Gleichzeitig generieren diese Konzerne 70 Prozent der Profite. Anheuser-Busch InBev mit Sitz in Belgien verkaufte 2010 rund 350 Millionen Hektoliter, weit mehr als SABMiller mit knapp 250 Millionen. Heineken braut über 200 Millionen und Carlsberg etwa 125 Millionen, während die chinesische Brauerei Tsingtao pro Jahr 50 Millionen Hektoliter verkauft. Der Marktanteil der zehn größten Brauereien ist von 37 Prozent im Jahr 1998 auf 62 Prozent im Jahr 2004 gestiegen und wächst weiter. Alle Bierbrauereien sind bemüht, in China Fuß zu fassen, wo InBev bereits 30 Betriebe in acht Provinzen besitzt.

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Die Globalisierung von Bier hat das lokale Handwerk von einst in ein Markengeschäft wie Seifen und Waschmittel umgewandelt, das stark von der Werbung beeinflusst wird. Diese Entwicklung wird durch die Werbeausgaben bestätigt. Procter & Gamble sowie Unilever setzen weltweit am stärksten auf Werbung. Diese Hygienemarken haben vor kurzem die Automobilindustrie vom ersten Platz vertrieben, doch die Brauereien Anheuser-Busch InBev und SABMiller folgen ihnen auf dem Fuße. Neben dem globalen Vertrieb der Top-Marken gibt es noch schätzungsweise 4000 Kleinbrauereien und Kneipen mit eigenem Braubetrieb, die in Nischenmärkten an den Marktanteilen und Gewinnen der Großkonzerne knabbern. Der Erfolg dieser Kleinbetriebe zeigt, dass sie ihr Handwerk beherrschen und bei guten Preisen eine hohe Qualität liefern.

In Belgien gibt es noch sieben Klosterbrauereien, die seit Jahrhunderten produzieren und deren bemerkenswerter Werbeerfolg sich auf die Fortführung der Tradition gründet. Trotz starker weltweiter Nachfrage und leicht verfügbarer Investitionsmittel werden diese Brauereien ihre Produktionsmenge nicht steigern, da ihre hervorstechende Qualität auf der traditionsreichen Kunst beruht. Mehrere handwerkliche Brauereien in Flandern (Nordbelgien) nutzen immer noch wild wachsende Bierhefe. Allein für die Brauereiregion Flandern wird geschätzt, dass dort über 3000 verschiedene Hefesorten für die Fermentation des Biers verfügbar sind.

Die Innovation

Die Globalisierung hat die Brauer gezwungen, sich durch Standardisierung hin zur Massenproduktion zu orientieren. Das hoch angesehene Deutschen Reinheitsgesetz schreibt für die traditionelle Brauerei vor, dass Bier allein aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser gebraut werden darf. Doch statt Gerste begannen die Brauer, Reis zu nutzen, weil er billiger war. Später beschlossen die Brauereimeister der großen Konzerne, unterstützt von hochtechnisierten Laboren, die Extraktion der Stärke an andere Betriebe abzugeben und Enzyme einzuführen, um die Stärkemodifikation und -stabilisierung zu beschleunigen. Ebenso sorgte eine veränderte Temperatur für eine kürzere Lagerzeit von einer statt mehreren Wochen oder sogar noch weniger. Dies führte zu massiven Einsparungen an Zeit und Raum und steigerte die Produktionsmenge auf ein Zehnfaches in den selben Anlagen. Die Reduktion von Zeit und Raum lässt wenig Raum für neue Chancen zur weiteren Kosteneinsparung. Vielleicht ist es nun Zeit, über neue Ertragsformen nachzudenken.

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Jim Lueders hat seinen Brauereimeistertitel an der Doemens-Brauereischule in München erlangt. Nach seinem Abschluss im Jahr 1990 hat er über 200 Brauereien und Produktionsanlagen in 15 Ländern inspiziert. Er glaubt, dass die Brauereiindustrie ein Handwerk ist, bei dem Qualität an höchster Stelle steht, und beherrscht jeden Schritt des Prozesses, um ein hervorragendes Bier herzustellen. Er wurde zum Experten bei der Ausarbeitung des Geschäftsplans, Dimensionierung der Anlagen, Auswahl und Installation der Geräte, Ausbildung neuer Arbeiter, Entscheidungen über die Produktmischung und die Feinjustierung des Betriebs. Immer wurde er zu Kosteneinsparungen gedrängt und ist so gut er konnte diesen Auflagen nachgekommen. Doch als er von einem Konzept erfuhr, wie aus den verfügbaren Ressourcen mehr Erträge für die Brauerei entstehen könnten, entwickelte sich ein neues Geschäftsmodell. Er lernte die Pionierarbeiten von Prof. George Chan in der Tunweni-Brauerei in Tsumeb (Namibia) von 1996 kennen, bei denen ein integriertes Anbaukonzept auf der Basis der fünf Königreiche der Natur in Zusammenarbeit mit der Ohlthaver- und List-Gruppe getestet wurde. Dann nahm er sich Zeit, ein neues Betriebsmodell zu entwickeln, das mehr Gewinne hervorbringt und so das Investitionsrisiko senkt.

Der erste Umsatz

Jim besitzt Erfahrung im Entwurf, Aufbau und Betrieb einer Kleinbrauerei mit nur 120 000 Dollar Kosten. Wenn diese mit einem Restaurant kombiniert wird, kann die Bündelung von Geschäftsaktivitäten den Lebensmittelverkauf um 25 Prozent steigern. Die Gewinnschwelle liegt zwischen 3000 und 6000 Fässern pro Jahr. Wenn das Bier direkt an den Verbraucher geliefert wird, liegt diese Schwelle sogar bei der Hälfte dieser Menge. Die höchsten Kosten entstehen bei der Abfüllung in Flaschen; hier liegen die Kosten für die Anlage bei mindestens 60 000 Dollar. Jim empfiehlt häufig kleine Pfandfässer aus Aluminium oder Glas, die der Kunde zum Wiederauffüllen zurückbringt. So können Investitionskosten eingespart und gleichzeitig die Kosten pro Maß für den Kunden gesenkt werden. Mit über 20 Projekten der traditionellen Art, die in den USA, Mexiko, Westindien und Japan umgesetzt wurden, und den hieraus gewonnenen Erfahrungen hat Jim in Stevensville, Montana (USA) Land erworben und gebrauchte Anlagen eingekauft, von einer hundert Jahre alten Holzscheune bis hin zu Kupferkesseln aus einem bankrott gegangenen Betrieb.

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Beginnend mit dem verbrauchten Trester fing er an, aus jedem seiner Abfallströme Nutzen zu ziehen. Der Trester ist reich an Ballaststoffen und Protein und stellt 92 Prozent des Trockengewichts der Braugerste; dies bedeutet, dass bisher nur acht Prozent in die Wertschöpfung eingegangen sind. Diese Überreste sind stärkefrei und werden zu einem Teil mit Brotteig vermischt, so wie es über Jahrhunderte in Deutschland üblich war. Der andere Teil dient als Substrat zur Pilzzucht. Nach der Pilzernte ist das verbrauchte Substrat mit Aminosäuren angereichert. So kann das ursprünglich minderwertige Viehfutter, das zur Selbstabholung kostenfrei an Bauern abgegeben wurde, nun als hochwertige Nahrung für Hühner und Schweine genutzt werden, die Jim ebenfalls zu züchten beabsichtigt. Der Schweinedung wird zusammen mit dem Abwasser aus der Reinigung der Fässer, Bottiche und Ställe in einen Biogas-Generator eingeleitet. Dort wiederum entsteht ein Schlamm zur Algenzucht in flachen Becken. Dieser Prozess trägt zum Wachstum von Benthos, Phyto- und Zooplankton bei – es entsteht ein ideales Fischfutter. In Brauereien werden normalerweise fünf Liter Wasser pro Liter Bier verbraucht; in diesem Wasser gedeihen Fische hervorragend. So bildet sich ein Prozess aus der Wiedernutzung von Baumaterial und Gerät für die Gebäude und Betriebseinheiten, innerhalb derer alles Material, das in die Anlagen eingebracht wird, zur Produktion von mehr Nahrung, Wasser, Energie und Arbeitsplätzen verwertet wird – ganz nach den Grundprinzipien der Blue Economy. Im Januar 2012 hat Jim seine erste Charge selbst gebrautes Bier auf den Markt gebracht. Nun, behauptet er, geht es erst richtig los.

Die Chance

Das Geschäft der Bierbrauerei nach den beschriebenen Prinzipien, wie sie von Jim umgesetzt werden, besitzt große Ähnlichkeit mit dem Projekt der Pilzzucht auf Kaffee aus einem früheren Geschäftsbeispiel (Siehe Beispiel 3). Jim hat den Vorteil, dass er imstande ist, die Anlagen komplett und betriebsbereit zu liefern, auf diese Weise die Investmentkosten sowie die Risiken zu senken und gleichzeitig die Gewinne zu verbessern. Dies ist vor allem sinnvoll in Regionen mit starkem Wachstum wie China und Afrika mit hoher Nachfrage nach Bier, doch auch Wasserknappheit und hohem Bedarf an Ernährungssicherung. Wenn Jims Programm zum Standard wird, kann das Brauereigewerbe die lokale wirtschaftliche Entwicklung beschleunigen. Das bhutanesische, alkoholfreie Pawo-Bier aus Buchweizen, das durch Unterstützung japanischer Investoren entwickelt wurde, zeigt zusätzlich, dass Bier nicht zwingend mit Alkohol in Verbindung stehen muss – so entstehen weitere Geschäftsfelder für Unternehmensgründer. Jim hat angeboten, diese Initiative zu unterstützen, damit sie den weltweit höchsten technischen Standards und geschmacklichen Ansprüchen gerecht wird.

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Trotz aller Innovation produziert die magische Bierbrauerei immer noch traditionelles oder alkoholfreies Bier, Brot und Pilze. Doch da der Ertrag an Pilzen leicht ein hohes Volumen durch die großen Mengen an Abfällen erreicht, kann noch vor Ort die Produktion veganer Würstchen integriert werden. Bier, Brot und Würstchen – das klingt doch schon nach einem echten bayerischen Fest, bei dem mit gesunden, leckeren Produkten Gewinne generiert und Arbeitsplätze geschaffen werden. Das dies möglich ist, erscheint vielen Nichteingeweihten wie Zauberei. Die Kraft der Unternehmer liegt darin, etwas Wirklichkeit werden zu lassen, was andere für unmöglich halten.

Bilder: Stock.XCHNG

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83 Aufwertung statt Recycling

Dieser Artikel stellt das Konzept des Upcyclings vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Abfall und Recycling war im Jahr 2010 um die 450 Milliarden US-Dollar wert. Die Daten einer weiträumigen Studie der Universität Paris-Dauphiné in Frankreich lassen darauf schließen, dass pro Jahr etwa vier Milliarden Tonnen unerwünschten Materials anfallen, von denen nur 2,7 Milliarden Tonnen eingesammelt werden. Der Rest verschmutzt die Umwelt und gefährdet die Gesundheit. Das Gesamtvolumen für recycelte Stoffe liegt bei ungefähr einer Milliarde Tonnen. Die wohlhabendste Milliarde der Weltbürger verursacht 1,4 kg Abfall pro Tag und Person, während es die 2,4 Milliarden Ärmsten auf 0,6 kg bringen. Die USA und Australien verursachen den meisten Müll. In der Türkei werden 97 Prozent der Abfälle auf Deponien verbracht, während die Schweiz nur 0,5 Prozent im Boden vergräbt. Japan ist mit 74 Prozent aller Abfälle führend in der Müllverbrennung, gefolgt von Dänemark, Schweden und der Schweiz mit etwa 50 Prozent, die in Rauch aufgehen. Das größte Recyclingprogramm nennt sich Energieverbrennung, wobei leider giftige Abfälle zurückbleiben. In Europa werden auf diese Art 200 Millionen Tonnen jährlich „entsorgt“, einschließlich 7,3 Millionen Tonnen Plastik. Weitere 5 Millionen Tonnen Kunststoffe werden recycelt.

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Mit 49 Prozent hat Korea die beste Recyclingrate für Hausmüll. Italien und Spanien schaffen etwa 30 Prozent, während Länder wie Deutschland, die Schweiz, Norwegen und Dänemark nur zwischen 15 und 17 Prozent wiederverwerten. Neusten Statistiken zufolge recycelt Ungarn nur 1,1 Prozent und die Niederlande überraschen mit gerade einmal 2,3 Prozent. Nach der Energiegewinnung ist die Kompostierung mit weltweit 100 Millionen Tonnen pro Jahr die zweitverbreitetste Praktik im Recycling. Wenn menschliche Abfälle hinzugerechnet werden, könnte diese Zahl sich leicht verzehnfachen, dabei wird jedoch nicht nur der Boden angereichert, sondern es entsteht auch Methangas. Metallschrott und Papier haben einen höheren Marktwert; hiervon werden 400 bzw. 250 Millionen Tonnen pro Jahr recycelt. Diese Zahlen sind offiziell und Teil der formalen Wirtschaft. Die sogenannte Dritte Welt recycelt auf informelle Weise und die Weiterverwertung wird auf breiter Basis praktiziert. Recycling ist wirtschaftlich notwendig, entlastet die Deponien um 75 bis 95 Prozent und bietet in gewisser Weise so etwas wie eine Existenzgrundlage. In der ägyptischen Hauptstadt Kairo leben schätzungsweise 40 000 Menschen vom informellen Recycling.

Seit 2002 ist die Mehrzahl der Rohstoffmärkte von Verknappungen und Preisanstiegen betroffen. Das weltweite Wirtschaftswachstum und der Aufstieg der chinesischen Wirtschaft standen an der Wurzel dieses Problems, wie die Nachfrage befriedigt werden könnte, das zwei Jahrzehnten der Illusion von Überfluss ein Ende setzte. Gleichzeitig genossen die Sekundärmärkte für Wiederverwertung und Recycling von Abfällen eine Vervielfachung der Preise durch den chinesischen Bedarf. Der Anteil sekundärer Märkte für Materialien wie Papier und nicht eisenhaltige Metalle war im Jahr 2010 bereits größer als der Primärmarkt für Forstwirtschaft und Bergbau.

Die Innovation

Aus der Perspektive der Wirtschaftstheorie ist Abfall eine Negativauswirkung außerhalb des Markts. Durch Regulierungen soll versucht werden, diese Auswirkung durch Einbeziehung von Kosten nach Produktion und Konsum wieder auszugleichen. Jedoch geschieht die Festlegung von Preisen hier in Abhängigkeit von politischen Entscheidungen durch Einführung von Steuern und Emissionsabgaben, die den Preis und die Menge beeinflussen. Auf diese Weise wird für Abfall ein Wert festgelegt und die Auswirkungen haben nun einen Preis. Die meisten Gesetzgeber und Wirtschaftsexperten sind sich einig, dass die Entstehung echter Weltmärkte für Schrott und Papier sich in der Entwicklung der hohen Nachfrage nach Stahl und Papier spiegeln, vor allem in Ländern wie China und der Türkei, in denen es an diesen Rohstoffen fehlt. Es bleibt die Herausforderung, wie ohne schwere Steuerlasten, die ohne Umschweife an den Verbraucher weitergegeben werden, mehr Wert generiert werden und gleichzeitig höhere Qualität zu wettbewerbsfähigen Preisen angeboten werden kann.

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Antonia Edwards schloss ihr Studium an der Universität Brighton mit einem Master der Innenarchitektur ab; vorher hatte sie bereits Kunstgeschichte am University College of London studiert. Sie begann ihre Karriere als Innenarchitektin und Modistin. Als eine Künstlerin aus ihrem Freundeskreis begann, alte ausgemusterte Tische und Stühle zu bemalen, war sie von den einzigartigen Ergebnissen begeistert. Nach einigen Recherchen war Antonia überzeugt, dass das Konzept der Umwandlung alter und unerwünschter Dinge in schöne Gegenstände eine der Lieblingsaufgaben kreativer Köpfe ist. Sie glaubt, dass die Arbeit mit vorgegebenen Materialien die Einbildungskraft und Kreativität viel stärker befeuert als der Beginn eines Projekts von Grund auf, für das die Materialien von überall her kommen können. Doch genau die Nutzung von Verfügbarem ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy.

Der erste Umsatz

Antonia startete ein Online-Magazin und nannte es „The Upcyclist“. Da sie selbst einen breiten Erfahrungsschatz in Web-Veröffentlichungen hatte, begann sie, über das Internet über alle möglichen wiederaufgewerteten, stylishen Dinge zu berichten. Schnell wurde die Webseite eine Quelle für Schöpfer wie Verbraucher und inspirierte Menschen, etwas aus Altmaterial herzustellen, sie funktionstüchtig zu machen und zu verschönern und ebenso, um die Produkte zu kaufen und zu verkaufen. Dabei macht Antonia einen Unterschied zwischen ihrer und vielen anderen Initiativen, die über innovative Wiedernutzung berichten oder sie unterstützen. Sorgfältig wählt sie nach Qualität und Stil diejenigen Produkte aus, die auf dem Markt als hochwertig gelten können. Ihren Blog positioniert sie als Ressourcenplattform für ästhetische und innovative Weiternutzung von weggeworfenen, ungeliebten Materialien und Objekten aus aller Welt.

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Statt der Massenverarbeitung standarisierter Waren berichtet sie über Restauration, Reparatur, Wiederbelebung, Neu- und Weiternutzung sowie neuer Liebe zu den Objekten. Antonia fuhr fort, „Upcyclisten“ für Angebot und Nachfrage nach Materialien vor allem für künstlerische Projekte aufzustellen. In weniger als zwei Jahren hat sie 12 Projekte der Architektur, 54 Modedesigner, 27 Möbelhersteller, 24 Schmuckdesigner, zehn Lichtinstallateure, acht Glasverwerter und 15 Kleinbetriebe zur Holzverarbeitung vorgestellt. In den zwei Jahren hat sie eine Plattform für Unternehmer aus 38 Ländern geschaffen, die ihre hohen Standards erfüllen. Allein 2011 berichtete sie über 178 Neugründungen.

Die Chance

Antonias Aktivität erstreckt sich auf Textilien, Metalle, Skulpturen, Installationen, Plastik- und Papierprodukte von Menschen und Firmen-Neugründungen, die meisterhaft Abfälle in hochwertige Produkte mit hohem Nutzen für die Umwelt umwandeln. Dabei bemüht sich Antonia, den Menschen die Geschichte jedes Objekts nahezubringen und sich vom Glanz der Verbrauchsgüter aus Massenherstellung zu distanzieren. So wird eine neue Art der Kreativität genährt und aufgezeigt, wie wir Dinge, die wir bereits besitzen, neu entdecken. Antonia begann als Einzelkämpferin und berichtete über einzelne Initiativen; inzwischen hat sie einen zweiten, bedeutsamen Schritt getan, indem sie spezifische Chancen in einzelnen Berichten sammelt und untereinander vernetzt, z.B. „The Shirt off his Back“ von Juliet Bawden, mit 30 Projekten, in denen gewöhnliche, abgetragene Hemden zu Bettwäsche, Stuhlbezügen oder Vorhängen umgearbeitet wurden.

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Die Beispiele, die Antonia vorstellt, inspirieren viele, sich dem Upcycling-Trend anzuschließen, so auch Freddie Saul, dessen Vater der Gründer der berühmten britischen Modemarke Mulberry ist. Er arbeitete bei der Dokumentation der „Upcycled Furniture Collection“, die inzwischen in angesagten Londoner Läden erhältlich ist. Alle Möbel werden von Hand aus wiederverwerteten Materialien hergestellt, darunter auch aus hochwertigem Parkettholz aus Ballsälen. Freddie entwirft und fertigt inzwischen in Zusammenarbeit mit einem Team in Somerset (England). Südafrika und vor allem Kapstadt haben eine ganze Industrie der Aufwertung entwickelt, die Tausende von Arbeitsplätzen hervorgebracht hat, einer der Designer ist mittlerweile zum Innenarchitekten aufgestiegen. Katie Thompson verwandelt Alltägliches in Außergewöhnliches, indem sie kaputte und ausrangierte Möbel umfunktioniert. Sie gründete die Firma REcreate und bietet eine Reihe Möbelbeleuchtungen aus bedruckten Dekostoffen an, ebenso Accessoires wie einen Stuhl aus einem Koffer oder Lampen aus Milchflaschen und Schreibmaschinen. Antonia arbeitet wie die Blue Economy Community, indem sie eine Plattform geschaffen hat, auf der sie andere inspiriert, mehr und bessere Dinge zu tun. Sie setzt das Open-Source-Prinzip um und hat die Gabe, ihre Beiträge mit Stil und Ästhetik so zu präsentieren, dass sie leicht für immer den Blick auf ungeliebte Dinge ändern kann und unserer materiellen Umgebung neuen Sinn gibt – und damit auch unserer Arbeitswelt und unserem Lebensstil.

Bilder: Stock.XCHNG

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82 Essbare Wälder

Dieser Artikel stellt essbare Wälder vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Bericht über den Kohlenstoffmarkt der Weltbank „World Bank’s State and Trends of the Carbon Market Report“ stellt für 2010 einen Wert von 142 Milliarden Dollar für Kohlenstoffrechte auf, das ist etwas weniger als die 144 Milliarden Dollar von 2009. Nur ein kleiner Bruchteil der Projekte zur Kohlenstoffbindung wird für Aufforstung, Wiederaufforstung oder nachhaltige Landwirtschaftsprojekte verwendet. Der BioCarbon Fund der Weltbank hat seit 2004 insgesamt 91,9 Milliarden Dollar in Aufforstungsinitiativen investiert, womit 8,6 Millionen Tonnen Kohlenstoffemissionen reduziert wurden, von Brachflächen, die wiederhergestellt werden sollen, bis hin zu neu angepflanzten Wäldern zur Treibstoff- und Brennholzproduktion. Da die Kohlenstoffrechnung erst aufgeht, wenn die Bäume gewachsen sind und tatsächlich CO2 binden, bedeutet dies Investitionen mit langem Vorlauf, die somit wenig beliebt sind.

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Wenig mehr als vier Milliarden Hektar der Welt bzw. 31% der gesamten Landfläche der Welt sind von Wäldern bedeckt. Nur ein Drittel hiervon sind Primärwälder, da seit 2000 eine Fläche von 40 Millionen Hektar zerstört wurde. Vor einem halben Jahrhundert war der Waldbestand noch doppelt so groß. Als einzige Region hat Asien einen Netto-Zugewinn von jährlich 2,2 Millionen Hektar im letzten Jahrzehnt zu verzeichnen, während in Südamerika und Afrika jährlich 4 beziehungsweise 3,4 Millionen Hektar verloren gingen. Somit betrug der Gesamtverlust von 2000 bis 2010 etwa 5,2 Millionen Hektar. Israel und Bhutan sind die einzigen Länder, die im neuen Jahrtausend mehr Bäume besitzen als zuvor. Bhutan schützt 60% seines gesamten Waldbestands durch eine neue Verfassungsgebung. Israel wiederum hat 240 Millionen Bäume gepflanzt, um 250 000 neue Siedler anzuwerben. Dies bedeutet, dass für jeden Siedler 1000 neue Bäume gepflanzt wurden.

Die Innovation

Das Problem bei Wiederaufforstungsprojekten liegt darin, dass diese nur ein Ziel verfolgen: Holz als Treib- oder Brennstoff und inzwischen auch zum CO2-Abbau. Der Fokus auf ein einziges Produkt treibt Firmen dazu, die Produktion kurzfristig voranzutreiben und verleitet sie dazu, dabei auf genetisch modifizierte Arten zurückzugreifen. Als Reaktion auf das wachsende Bewusstsein, dass Baumpflanzungen in Monokultur Land und Boden noch weiter schädigen, haben mehrere Organisationen Zertifikate für nachhaltige Forstwirtschaft entwickelt. Diese Zertifikate mindern zwar die aggressive Belastung der Areale, doch sie schaffen keinen Mehrwert wie z. B. Nahrung. Es scheint, heutzutage kann man entweder einen Wald haben und an den Bäumen verdienen (Holz) oder den Wald absägen, das Holz verkaufen und auf dem Land Ackerbau treiben. Gibt es keinen Ausweg aus der Zwickmühle?

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Javier Herrero ist auf der Baleareninsel Mallorca aufgewachsen und strebte immer danach, seine Leidenschaft für die Natur mit der Bildung zu verbinden. Er möchte, dass Kinder ihr angeborenes menschliches Potenzial im Kontakt mit der Umwelt entwickeln. So entwarf er ein Bildungssystem rund um Initiativen, die die Kinder selbst ins Leben rufen. Die Arbeiten von Fritjof Capra und das Konzept der „ökologischen Alphabetisierung“ inspirierten ihn. Er beschloss, an der Schaffung einer Pädagogik mitzuwirken, für die das beste Lernumfeld der Wald ist. Wälder jedoch sind immer ein Kostenfaktor und ein produktiver Wald, in dem sich Investitionen auszahlen, erfordert Pflege in einem zumindest teilweise urbanen Umfeld. Daher entschied er sich, die bestehenden Modelle von Gärten zu überdenken, die auf jährlichen Anpflanzungs- und Erntezyklen basieren, um einen ganzjährig essbaren Wald zu konzipieren, in dem man etwas über die Natur und den Nahrungsmittelanbau lernt und gleichzeitig am produktiven Prozess des Ökosystems teil hat. So überbrückt er den Gegensatz von Wald und Farm, um sicherzustellen, dass es nicht nur um die Ernte geht, sondern um die Verbesserung der Fähigkeit des Landes, sich selbst zu regenerieren, sowohl bezüglich der Nahrung als auch des Waldes.

Javier experimentierte 15 Jahre lang in verschiedenen Umgebungen und schloss, dass zu Hause, sogar auf dem Balkon oder auf einer innerstädtischen Brachfläche, ein Mini-Wald angepflanzt werden kann. Wenn es wirklich zu eng wird, sieht er nach althergebrachter Weise das Problem als Herausforderung und beginnt mit der vertikalen Anpflanzung. Dabei bedeckt er eine ganze Mauer und schafft so nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Schönheit. Javier erkannte, dass die Zeit eine große Rolle spielt. Die Anpflanzung eines essbaren Waldes erfordert Geduld. Allein die Vorbereitung kann ein Jahr dauern, manchmal auch zwei, da ein kleiner Wald zu Hause ganz anders funktioniert als die Entwicklung auf einem Landstück von zwei Hektar. Bis die erste Ernte eingebracht werden kann, vergehen leicht fünf Jahre. Nach 15 Jahren ist der Wald reif und kann, wenn er gut umsorgt wird, ständig Früchte und Nüsse liefern. Javier schuf einige Simulationen und schloss daraus, dass, wenn jede Familie und jede Schule der Welt einen essbaren Wald auf verfügbaren Flächen und Räumen anpflanzte, die CO2-Konzentration auf das Niveau vor der Industrialisierung gesenkt werden könnte. Javier glaubt sogar, dass dies die Menschheit vor dem permanenten Risiko der Hungersnöte bewahren und für alle genug Nahrung bieten könnte.

Der erste Umsatz

Javier bekam die Chance, seine Konzepte im Ökologiepark Urobia in der Stadt Orba zwischen Alicante und Valencia (Spanien) zu beweisen. Sorgfältig wählte er 700 Arten aus, von Früchten über Holz, medizinische und aromatische Pflanzen und Kräuter bis hin zu Büschen. Ein Regenwasserauffangsystem leitet 450 000 Liter Süßwasser pro Jahr in und rund um den frisch gepflanzten Wald und liefert mehr als ein handelsübliches Bewässerungssystem es jemals schaffen könnte. Einmal erbaut liefern die Leitungen reichlich Wasser durch Schwerkraft in einer Region, in der lange Sommer mit Hitzewellen und Regenarmut die Regel sind.

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Dank der reichlichen Verfügbarkeit von Wasser kamen Tiere und Vögel in die Region zurück. In Zusammenarbeit mit der Universität von Valencia legen Javier und sein Team inzwischen Quoten für die Erholung der Artenvielfalt fest. Während Javier die Bäume anpflanzte, schuf er ein System, in dem weitere Samen durch Vögel und Bienen dazukamen – ganz ohne Mehrkosten. Ein System, dass mehrerlei Erträge aus einem Wald gewinnt, als Lernmittel dient, aus Wasserknappheit Überfluss schafft, die Artenvielfalt regeneriert und dabei kostenfrei für immer funktionieren kann, ist ein wunderbares Beispiel für die Blue Economy.

Die Chance

In den letzten Jahrzehnten wurden Turnhallen für Schulen zum Standard. Das stundenlange Stillsitzen beeinträchtigte Körper und Geist der Kinder. Die Sporthalle wurde zum zentralen Bestandteil der Schulbauten. Nun ist es Zeit, einen zweiten unverzichtbaren Bestandteil in die Bildungsinfrastruktur aufzunehmen: Zugang zu einem essbaren Wald. Da Kinder entweder unterernährt sind und Hunger leiden, oder eben überernährt und fettleibig sind, müssen Eltern und Lehrer eine Lernplattform schaffen, durch die Kinder lernen, wie Früchte und Nüsse durch Licht und Wasser an den Bäumen wachsen. Im Wald gibt es mehrere Ebenen der Nahrungsmittelproduktion, vom Boden mit Wurzeln, Unterholz mit Pilzen und Beeren bis hin zu den Baumkronen, in denen die Früchte hängen. So können Kinder ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen.

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In einem Land wie Südafrika, in dem es doppelt so viele Kirchen wie Schulen gibt, sollten alle angeregt werden, sich zusammenzutun und sicherzustellen, dass die hohe Kunst der Nahrungsmittelproduktion nicht einigen wenigen Multinationalen und Agrarindustriellen vorbehalten ist, sondern alle Kinder überall ein Grundwissen zum Überleben erwerben können. Wie Javier bewiesen hat, kann mit Know-how und Geduld ein essbarer Wald geschaffen werden, der nach einer Wachstumszeit ständig Nahrung liefert. Sobald ein Stück Land, das vorher brach lag, zur Nahrungsmittelproduktion erschlossen werden kann, erhöht sich sein Wert. Aus diesem Grund sollten essbare Wälder nicht nur unverzichtbarer Bestandteil der Bildung sein, sondern eine Chance für alle, die sich hierfür neue Geschäftsmodelle ausdenken können.

Bilder: Stock.XCHNG

81 Franchising mit öffentlichen Toiletten

Dieser Artikel stellt ein Franchisingsystem für öffentliche Toiletten vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Sanitärkeramik wie Toilettenbecken, Bidets und ähnliche Badinstallationen wurde für 2010 auf 45 Milliarden US-Dollar geschätzt. Immer noch haben 2,8 Milliarden Menschen auf der Welt keinen Zugang zu Toiletten. Um ihnen die nötige Hygiene bieten zu können, müssen noch weitere 500 Millionen Toiletten gebaut werden. Der chinesische Bauboom hat den weltgrößten Markt für Toiletten geschaffen, mit einem Verkauf von 20 Millionen Einheiten im Jahr 2010. Dies zusammen mit dem kulturellen Wandel vom Waschen hin zum Wischen hat den Markt für Sanitärkeramik für das kommende Jahrzehnt weiter befeuert. Spanien ist der weltgrößte Hersteller. Japan besitzt die am weitesten entwickelte Technologie auf diesem Gebiet und erreicht damit vergleichbare Verkaufserlöse mit nur knapp der Hälfte verkaufter Einheiten.

Nach dem Krieg besaß Japan noch keine Tradition in Sanitärkeramik. Unter der Besatzung der Amerikaner änderten sich die Systeme, und um der neuen Nachfrage nachzukommen, beschloss das Land, seine größte Fliesenfabrik zur Herstellung von Sanitäranlagen umzufunktionieren, die bei gleichen Rohstoffkosten mehr Gewinn generierten. Ein vergleichbarer Wandel vollzieht sich nun in China und Indien, zweien der drei mengenmäßig weltgrößten Fliesenhersteller. Den größten Umsatz in der Keramikfliesenproduktion schafft Italien. Die Vereinigten Arabischen Emirate stellen zwar noch mehr Quadratmeter Fliesen her, spielen jedoch im Segment der Sanitärartikel eine geringere Rolle. Dort dominieren Spanien und die USA.

Die Europäische Industrie für Sanitärkeramik hat beschäftigt direkt etwa 22 000 Angestellte und setzt jährlich rund 5,9 Milliarden Dollar um. Der größte Hersteller ist der spanische Familienkonzern Roca mit Sitz in Barcelona. Roca hat 2010 mit 21 000 Mitarbeitern etwa 32,5 Millionen Toiletten in 72 Fabriken auf vier Kontinenten hergestellt. Roca konzentriert sich allein auf Badezimmer und verkaufte 2006 alle Aktivitäten, die nicht zum Kerngeschäft gehörten, wie Wassererhitzer und Klimaanlagen. Im Welt-Ranking wird Roca von einem weiteren Familienkonzern gefolgt, Kohler aus Wisconsin (USA) mit 30 000 Mitarbeitern, die etwa 21 Millionen Stück herstellen. Japan hat zwei Marktführer auf dem High-End-Markt: Toto aus Kita-Kyushu als größten Hersteller von Keramikartikeln (Fliesen und Sanitär) mit einem Jahresumsatz von über 5 Milliarden Dollar, dicht gefolgt von INAX in der Nähe von Nagoya. Letztere Gruppe kontrolliert etwa 30 Prozent des japanischen Markts.

Die Innovation

Zur Reduktion des Wasserverbrauchs hat sich die Bauweise von Toiletten deutlich verändert. Das doppelte Spülsystem konnte die Abwassermenge um 67 Prozent verringern. Noch 1980 fassten die Spülkästen 13 Liter Wasser; zur Jahrtausendwende lag der Standard bei nur noch 4,8 Litern. Trotzdem bedarf der Verbrauch an Wasser und Papier weiterer deutlicher Verbesserungen, und Wissenschaftler haben gezeigt, dass die Trocken- und Trenntoilette die beste und fortschrittlichste Option ist (siehe Beispiel 19). Die Keramik wiederum macht sehr hohe Temperaturen und den Bergbau zum Erhalt der Rohstoffe erforderlich. Panasonic ließ sich durch Geschirrspüler und Waschmaschine inspirieren, um ein nicht verschmutzendes, biologisch recyceltes Glas auf den Markt zu bringen, das durch Luftblasen gereinigt wird. Im Jahr 2005 hat Toto zusammen mit Daiwa House, dem weltgrößten Wohnhausbauer, eine intelligente Toilette entwickelt, die den Blutzucker im Urin messen kann und dem Benutzer wissenschaftliche Daten liefern kann, wenn er beispielsweise an Gewicht zunimmt. Die Kombination von Wasser, Keramik, Papier und Chemikalien ist jedoch komplex und es braucht mehr als Wasser- und Energieeffizienz, um die Leistung insgesamt zu verbessern. Auf der ganzen Welt kommen die Klärsysteme an ihre Grenzen, sogar in den hochentwickelten Ländern wie Dänemark, Schweden und dem Vereinigten Königreich.

Prof. Dr.-Ing. Ralf Otterpohl, Leiter des Instituts für Abwasserwirtschaft und Gewässerschutz an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, erforscht seit Jahrzehnten Wasser- und Sanitärsysteme. Schon lange vor der entsprechenden Deklaration der Vereinten Nationen (2010) hielt er Hygiene für ein Menschenrecht. Anstatt mehr Geld in Klärsysteme zu investieren, die mehr Steuern für den Bau ohne Garantie für bessere Leistung schlucken, beschloss er zusammen mit Torben Lenau, Gastprofessor an der Technischen Universität Dänemark, eine breiter angelegte Initiative ins Leben zu rufen, die sowohl Markenrechte, Design als auch Geschäftsmodelle für Toiletten mit einbezog. Die moderne Toilettenbenutzung hat sich überall im Geist der Menschen verankert, sogar bei denjenigen, die erst seit kurzer Zeit auf Spülklosetts aus Keramik umgestiegen sind. Somit liegt der Schlüssel im Image der Toilette und der Entmystifizierung der Wirklichkeit rund um Urin und Fäkalien. Prof. Otterpohl nahm sich vor, Lösungen zu entwickeln, die sowohl in Indien als auch in der Westlichen Welt umgesetzt werden können, ohne dass man dazu Kläranlagen bräuchte. In Indien wiederum hat Dr. Bindeshwar Pathak eine Reihe von Alternativen zu Gräben und Erdlöcherlatrinen entwickelt. Dr. Pathak mobilisierte Freiwillige in Indien, um die Leute von der unmenschlichen Praxis des Reinigens von Exkrementen per Hand zu befreien, und schloss im Zuge dieses Prozesses eine neue Partnerschaft mit Regierung und Gesellschaft.

Der erste Umsatz

Die Sulabh-Toiletteninstallationen in Indien bieten Inspiration. Diese öffentlichen Systeme in den Slums werden im Einklang mit den spezifischen kulturellen, geografischen, räumlichen Bedingungen und der Ressourcenverfügbarkeit vor Ort entwickelt. Die Kompost-Spültoilette benötigt nur 1,5 Liter Wasser, ein Drittel des besten westlichen Standards. Der Inhalt wird in zwei Behältern gesammelt, von denen der eine täglich geleert wird und der andere den Inhalt über zwei Jahre hinweg zersetzt. Es gibt 12 verschiedene Typen je nach örtlichen Bedürfnissen. Eine Million Haushalte haben bereits eine solche Toilette, durch die die Abflüsse in die Rinnsteine verhindert werden und weniger Klärwerke für Schwarzwasser gebaut werden mussten, was große Sparmöglichkeiten für die Gemeinden bedeutet, die sich normalerweise langfristig verschulden müssen, um sich eine solche Großinvestition leisten zu können.

Die Investitionskosten pro Haushalt betragen wiederum lediglich 500 Rupien, umgerechnet knapp 10 US-Dollar. Die integrierte Version der kommunalen Toiletten wird an einen Biogas-Generator geschlossen, der Energie liefert und die Abfallstoffe durch kürzere Verweildauer schneller in Nährstoffe umwandelt. Da ein einzelnes System nicht genug Inhalt liefert, um genug Methangas zu produzieren, können sich kleine Gemeinschaften in Slums oder entlegenen landwirtschaftlichen Siedlungen zusammenschließen und so schnell den Wert der Kooperation erkennen.

Die Chance

Öffentliche Toiletten sind häufig verschmutzt und werden dann gemieden. Daher musste das Modell dahingehend erweitert werden, dass es sich selbst reguliert. Inzwischen werden gleich neben den Toiletten Bade- und Waschgelegenheiten für Kleidung angeboten. Die Kombination dieser drei Aktivitäten motiviert die Menschen nicht nur, den Ort sauber zu halten, sondern bietet auch die Möglichkeit, das Wasser mehrfach zu nutzen. Seit das erste System im Staat Bihar eingerichtet wurde, wurden über 7500 öffentliche Toiletten gebaut und regelmäßig gewartet. Ein Netzwerk von 50 000 Freiwilligen unterstützt den Betrieb und wirbt für weitere Verbreitung. Die größte Anlage zählt 120 Toiletten, 108 Bäder und 5000 Schließfächer für die Besucher, die meisten von ihnen Pilger, die den Tempel von Shirdi im Staat Maharashtra besuchen.

Die Toilettenkomplexe stehen auf öffentlichen Plätzen, an Busterminals, Krankenhäusern, Marktplätzen und auch in Slums. Tag und Nacht ist fachkundiges Personal zugegen und die Seife wird durch den Komplex selbst zur Verfügung gestellt, um die Qualität zu wahren und die Umwelt zu schonen. Inzwischen wird das System 700 Millionen Mal am Tag genutzt (viele Menschen kommen mehrmals täglich). Pro Jahr können bis zu 11,2 Millionen Kubikmeter Wasser gespart werden. Die Erzeugung von Biogas wurde perfektioniert und die Erträge liegen nun bei einem Kubik-Fuß Methan pro Nutzung und Tag. Alle Systeme zusammen besitzen also ein Potenzial von 2,8 Millionen Kubikmetern Biogas, eine riesige Ressource, die den Ärmsten der Armen normalerweise gar nicht zur Verfügung steht.

Auf Grundlage ihrer Erfahrung hat die Sulabh-Organisation ein Franchise-Modell entwickelt, das überall auf der Welt in den Entwicklungsländern eingeführt werden kann und durch die Weltgesundheitsorganisation und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen unterstützt wird. Diese Beispiele ermöglichen Wasser- und Sanitärexperten wie Prof. Otterpohl, solche praktischen Umsetzungen um wissenschaftliche Erkenntnisse zu ergänzen und so eine ideale Plattform für weltweit funktionsfähige Installationen für Jedermann zu schaffen. So kann ein für allemal ein Paradigmenwechsel für die Hygiene der Bevölkerung stattfinden. Die Umwandlung einer öffentlichen Dienstleistung in ein Franchise-Geschäftsmodell, das die Grundbedürfnisse bedient, durch Integration der Wissenschaft ständig verbessert wird und dabei noch die Umwelt schont, ist ein Geschäftsmodell der Blue Economy.

Bilder: Stock.XCHNG