80 Frachttransport per Luftschiff

Dieser Artikel stellt Luftschiffe vor als eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Luftfracht lag 2011 bei einem Wert von schätzungsweise 57 Milliarden US-Dollar. Flugzeuge transportieren alle möglichen Waren, von Schnittblumen bis hin zu Formel-1-Autos für die nächsten Rennen. Gemessen in Erträgen pro Tonnen-Kilometer (revenue per ton kilometer, RTK) liegt das Luftfrachtgeschäft bei 167 Milliarden Dollar. Dem gegenüber stehen 60 Billionen Dollar in der Frachtschifffahrt. Der Handelswert des Frachtguts erreicht 2,7 Billionen Euro. In den letzten zehn Jahren hatte das Militär einen wachsenden Bedarf, schnell größere Güter in höherer Menge in Regionen mit schlechter oder überhaupt keiner Infrastruktur zu befördern: Hilfsgüter, Panzer sowie Nahrungsmittel und Treibstoff. Dies ist zwar nicht Teil des Umsatzes, doch Insidern zufolge könnte dies leicht bis zu 20 Milliarden pro Jahr kosten, wenn nicht noch mehr bei langfristigen Einsätzen in Afghanistan und Irak. Planmäßige Dienstleister stellen pro Woche 4,5 Millionen Tonnen Frachtkapazität bereit, die in 220 Ländern an 3400 Flughäfen verfügbar sind, während Charter- und Expressfirmen noch weitere Kapazitäten bieten.

Der weltweite Luftfrachtverkehr wird sich erwartungsgemäß über die nächsten 20 Jahre verdreifachen, wenn man als Ausgangsjahr 2009 festlegt, das schlechteste der letzten 10 Jahre. Dies bedeutet ein jährliches Wachstum von 5,9%. Innerhalb Asiens wächst der Markt um 7,9% und allein im chinesischen Inlandverkehr um 9,2%. Die Anzahl Flugzeuge in der Frachtflotte wird in der selben Zeit um zwei Drittel steigen, von 1755 Flugzeugen im Jahr 2009 bis zu 2967 für 2029. Die Erträge im Frachtverkehr machen im Durchschnitt 15% der Einnahmen der Fluggesellschaften aus, nur in wenigen Ausnahmefällen erreichen sie 50%.

Eine Tonne Schiffsfracht kostet einen gewerbsmäßigen Transportunternehmer zwischen 6 und 10 Cent pro Meile und Tonne (Tonnenmeile). Ein Schiff braucht zwei bis drei Wochen, um von China bis an die Westküste der USA zu gelangen. Ein 747er-Frachtflugzeug kann die Güter zwar in weniger als einem Tag um die ganze Welt fliegen, doch dies kostet 50-60 Cent pro Tonnenmeile, also etwa zehnmal mehr als per Schiff. In der Luftfracht sind die internationalen Expresslieferungen von 4,1% des gesamten internationalen Frachtverkehrs auf 12,8% gestiegen, dabei wog jedes einzelne Ladegut im Schnitt 5 kg. Expresslieferer bieten Dienstleistungen von Tür zu Tür und vereinen so die Kette von Fluggesellschaft, Spedition und Auslieferer der traditionellen Logik von Kerngeschäft und Kernkompetenzen. Da jeder einzelne Akteur nur seinen eigenen Betrieb maximiert, arbeitet niemand an der Optimierung des gesamten Systems. Durch integrierten Service können kleine Pakete gebündelt und ausgeliefert werden. Inzwischen ist FedEx der weltgrößte Luftfrachtbetrieb mit 692 Flugzeugen, gefolgt von UPS, Korean Air und Emirates. Der größte europäische Beförderer, die Lufthansa, steht weltweit auf Rang 12. Das deutsche Flaggschiff wird u.a. von fünf chinesischen Airlines übertroffen.

Die Innovation

Für den Schiffsverkehr wurde das Kernproblem des Treibstoffs bereits angesprochen (Beispiel 72). Zwar ist Flugzeugbenzin sehr sauber im Vergleich zu Schiffsdiesel, doch es wird auch mehr pro Meile verbraucht. Das naheliegendste Ziel ist die Reduktion des Treibstoffverbrauchs durch Einsatz effizienterer Flugzeuge. Im Jahr 2010 haben die Fluggesellschaften zusammen 139 Milliarden Dollar für Treibstoff ausgegeben, das sind 14 Milliarden mehr als noch 2009. Dann kann zwar die Leistung derer sich steigern, die das Kapital investieren können, doch die anderen Flugzeuge werden nicht ausgemustert, sondern mitsamt ihrem ineffizienten Treibstoffverbrauch an weniger wettbewerbsfähige Konkurrenten weitergegeben. FedEx sieht vor, dass bis 2030 ein Anteil von 30 Prozent Biosprit in den eigenen Flugzeugen eingesetzt wird. Momentan betreibt das Verteilzentrum des Flughafens Köln-Bonn Solarpaneele auf dem Dach, die pro Jahr 800 Megawattstunden pro Jahr generieren. Das Hauptproblem bleibt, dass der weltweite Frachtverkehr, ob per Flugzeug oder per Schiff, über die nächsten Jahrzehnte weiterhin riesige Infrastrukturen benötigt, die von Mörtel und fossilen Treibstoffen abhängen.

Alex Hall wuchs im Vereinigten Königreich auf; ihr Traum war es, Astronautin zu werden. Leider machten ihr die Gene einen Strich durch die Rechnung, denn sie war nicht einmal groß genug für einen gewerblichen Pilotenschein. Sie wohnte in der Nähe der Cardington-Luftschiffhangars in Bedford. Diese riesigen Hallen spornten ihr Interesse für übergroße Flugzeuge und die Geschichte der Luftschiffe an, vor allem für die Weltumrundungen des Zeppelin. Sie schloss ihr Studium der Astrophysik an der Universität Leicester ab und begann ihre berufliche Karriere in Besucherzentren mit Raumfahrtbezug – zunächst am British National Space Centre in Leicester und später als Direktorin des Chabot Space and Science Center in Oakland (Kalifornien). Nachdem ihr Verlobter Brian im Juli 2006 den neuen Zeppelin der deutschen Firma ZLT (Zeppelin Luftschifftechnik) geflogen hatte, begann er, gemeinsam mit ihr eine neue Strategie auszuarbeiten und einen Businessplan aufzustellen, mit dem der Zeppelin zum ersten Mal seit 1937 wieder in die USA gebracht werden sollte. Im Februar 2007 wurde über ihre neu gegründete Firma Airship Ventures ein Kaufvertrag mit dem deutschen Hersteller geschlossen.

Der erste Geschäftsauftrag war, eine Basis für den Zeppelin einzurichten. Glücklicherweise standen drei der ursprünglich 13 US-amerikanischen Luftschiffhangars in Kalifornien. Esther Dyson, zuvor Technologie-Analystin an der Wall Street, zeichnete als Leitinvestorin und bis März 2008 konnte sich die Firma voll finanzieren. Die größte Herausforderung war, die Gesetze für Luftschiffe in Amerika neu aufzusetzen, da diese nur Blimps für Werbezwecke berücksichtigten, jedoch keine Starrluftschiffe für den Passagier- oder Frachtverkehr. Die ersten Passagiere konnten im Herbst 2008 an Bord gehen; eine erstaunlich schnelle Entwicklung der Initiative, die viele, wenn nicht für völlig unmöglich, dann doch für langsam und komplex gehalten hatten. Alex und ihr Team hatten den Zweiflern das Gegenteil bewiesen.

Der erste Umsatz

Der erste Cashflow konnte durch Rundflüge über die San Francisco Bay, Silicon Valley, San Diego und Los Angeles erzielt werden. Das Luftschiff wird auch für wissenschaftliche Zwecke an die NASA und das Woods Hole Institute vermietet sowie an verschiedene Fernsehsender, die es zur Aufzeichnung der Golden Globes, PGA Golf und den Rose Bowl nutzen. Durch die Erträge konnte die Planung vorangebracht werden und Airship Ventures beabsichtigt, mit weiteren Luftschiffen an der Ostküste zu expandieren.

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Ein zweiter Einnahmestrom soll sich aus Flugschulen und Ausbildungen entwickeln, eine Kombination aus fundierter Luftschifffahrtsausbildung sowie Forschung und Entwicklung rund um Luftschiffe. So ist Alex zwar keine Astronautin geworden, doch ihr visionäres, kreatives und unternehmerisches Talent zur Umsetzung einer Idee führte dazu, dass sie im Juli 2011 zur Leitenden Direktorin des Google Lunar X-Preises aufstieg. So bleibt ihr die Hoffnung, eines Tages doch noch zum Mond zu fliegen.

Die Chance

Nachdem Alex und Brian den Erfolg ihres Geschäftsmodells mit Luftschiffen bewiesen hatten, zogen weitere Initiativen nach. Im Jahr 2009 startete der Risikofinancier Kirk Purdy die Aviation Capital in Calgary, Alberta (Kanada). Er unterzeichnete einen Vertrag mit Lockheed Martin zur Kommerzialisierung von Frachtluftschiffen, die in Palmdale, Kalifornien gebaut werden. Bis 2013 könnte Aviation Capital bereits 100 Tonnen Fracht pro Flug in den weit abgelegenen Norden Kanadas liefern, mit einem Luftschiff von der Größe eines Fußballplatzes, das kaum Infrastruktur für den Landeplatz benötigt. Dr. Bob Boyd, Leiter des Hybridprogramms bei Lockheed Martin, ist zuversichtlich, dass bis 2016 ein Luftschiff von der Länge dreier Fußballfelder bis zu 450 Tonnen Frachtgut pro Flug transportieren kann. Während Lockheed Martin die Rechte an sämtlichen militärischen Nutzungen hat, die ein breiteres Feld darstellen als die zivile Nutzung, behält sich Aviation Capital das Exklusivrecht auf dem Frachtmarkt vor. Momentan kann die Luftschifftechnologie Frachten zu einem Preis von 25 Cent pro Tonnenmeile liefern, also zum selben Preis wie die Luftfracht per Flugzeug, jedoch das Doppelte oder Dreifache der Schiffsfracht.

Wenn wir jedoch die Gesamtkosten berechnen, vor allem die Infrastruktur, bemerken wir schnell, dass Luftschiffe die günstigsten, vielseitigsten und treibstoffeffizientesten Transportsysteme der Gegenwart sind. Ein Luftschiff benötigt weder Rollfeld, Start- und Landebahn noch tiefe Docks. Ohne diese invasiven, umweltverschmutzenden und oft lärmintensiven Konzentrationspunkte der Transport-Infrastruktur wird das Luftschiff zu einem höchst wettbewerbsfähigen Transportmedium. Da Luftschiffe wie ein Hubschrauber starten und landen, benötigen sie nur einen Ankerwagen oder –punkt und einen Liegeplatz in der Größe des jeweiligen Luftschiffs. Frühere Erfahrungen mit Luftschiffen von Paolo Lugari (siehe Beispiel 15) in Las Gaviotas (Kolumbien) mit lenkbaren Luftschiffen zur Brandbekämpfung sowie das Luftschiff von De Beers in der Minenerkundung in Botswana haben die Vielfalt von Einsatzmöglichkeiten über den Frachtverkehr hinaus gezeigt. Eine neuartige Transportform für Passagiere und Fracht, die wenig Infrastruktur benötigt, Treibstoff spart, wettbewerbsfähig ist und dabei die Marktregeln grundlegend ändert, steht ganz im Sinne der Blue Economy.

Bilder: Stock.XCHNG

79 Lernspiele mit eigener Stromquelle

Dieser Artikel stellt ein Lernspiel vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Lernspiele (Edutainment) hat 2010 5,5 Milliarden US-Dollar erreicht und sich damit in nur fünf Jahren verdreifacht. Ein Viertel aller Spielzeuge werden in den USA verkauft. Dieser Sektor wächst auch weiterhin schnell, da der Kostenpreis für Elektronik weiter fällt. Zudem treiben die Eltern den Markt an, indem sie immer mehr Wert auf den pädagogischen Aspekt von Spielzeugen und –geräten legen. 30 Prozent aller Babys in der OECD sind von gutsituierten Müttern, für die die Bildung ihrer Kinder oberste Priorität hat, daher werden die Verkäufe in Zukunft weiter steigen. Dieser Trend zeichnet sich weltweit ab, doch die Eltern in Asien übertreffen alle anderen in ihrer Bemühung um die Intelligenz ihrer Nachkommenschaft, vor allem in Nationen wie Korea, China und Vietnam, frei nach der Lehre des griechischen Philosophen Platon, der in seinem Standardwerk Gesetze formuliert: „Wir sollten lernen, Kinderspiele so zu gestalten, dass ihre Vergnügungen und Wünsche auf Aktivitäten ausgerichtet werden, die sie ausüben sollen, wenn sie erwachsen sind.“

Die Spielzeughersteller haben ihre Produktpalette erweitert und Edutainment für Babys ab einem Alter von 9 Monaten entwickelt. Nintendo, Playstation und Xbox haben den Markt zunächst mit simplen Spielen ohne jeglichen Lernwert durchdrungen. Inzwischen geben die Entwickler von Inhalten für diese Hardware, z.B. Electronic Arts Inc. (USA) Milliardenbeträge für Forschung und Entwicklung von Produkten in der Branche der elektronischen Spiele aus, die im Durchschnitt bessere Margen aufweisen als Spielzeug der Marke Disney oder Pixar. Da berufstätige Mütter mehr als doppelt so viel Zeit auf die Erziehung ihrer Kinder aufwenden wie berufstätige Väter (48 bzw. 19 Prozent), anstatt ihre berufliche Karriere weiterzuentwickeln, haben sie den größten Einfluss auf den Inhalt der Bildung und der Spielzeuge.

Das meistverkaufte Lernspiel der jüngsten Geschichte ist „Rubik’s Cube“, das vom ungarischen Bildhauer und Architekturprofessor Erno Rubik erfundene dreidimensionale Puzzle. Bis Ende 2011 wurden fast 400 Millionen „Zauberwürfel“ auf der ganzen Welt verkauft. Die Firma LEGO hingegen bietet bunte zusammensteckbare Plastikbausteine, die zu Fahrzeugen, Brücken und sogar Robotern verbaut werden können. Das Spielkonzept hat 1932 der Däne Ole Kirk Christiansen erfunden; er stellte Holzspielzeug her, mit dem man „gut spielen“ konnte (dän. „leg godt“). Bereits 1947 stellte die Firma auf Plastik um, damit die Bausteine sich leichter zusammenstecken ließen. In den ersten 50 Betriebsjahren hat die LEGO-Gruppe eigenen Schätzungen zufolge über 400 Milliarden Bausteine verkauft. Jedes Jahr stellt der Konzern 360 Millionen kleiner Gummiräder her und kann somit als weltgrößter Reifenproduzent gelten. Doch dies ist nur ein Prozent der 36 Milliarden Einzelteile, die pro Jahr die Werke verlassen und 2010 rund 2,8 Milliarden Euro an Verkäufen erwirtschafteten. Außerdem verkauft LEGO Spiele, Videos und betreibt sogar Vergnügungsparks.

Die Innovation

Experten zweifeln, ob es sinnvoll ist, Kinder in sehr frühem Alter zum Lernen anzuhalten, wenn sie noch ein hohes Spielbedürfnis haben. Einige Akademien behaupten, ein Pappkarton, ein Puzzle und ein Satz Bauklötze habe genauso viel Lernwert wie ein Programm am Tablet-PC. Dann gibt es noch Videospiele, die Spaß mit Bildung verknüpfen wie Sim City. Doch noch bilden Video-Lernspiele nur ein sehr kleines Segment auf dem Markt. Eine innovativere Idee sind essbare Spielzeuge für Kleinkinder. Da inzwischen die traditionelle Erziehung mehr und mehr von der Elektronik durchdrungen wird und Kinder den Umgang mit Computern und Tablet-PCs anders lernen als Erwachsene, bleibt die große Frage: Wann und wie sollen Kinder den Umgang mit Elektronik erlernen?

Jordan McRae ist geborener Erfinder und begeisterter Taucher. Sein Traum ist es, Innovationen im Bereich erneuerbarer Energien, sauberen Wassers und der Schutz der Meere durchzusetzen. Ihm zufolge liegen de größten Herausforderungen der Welt in diesen drei Bereichen. Nach seinem Studium am MIT (Massachusetts Institute of Technology) sucht er nach einfachen, nachhaltigen und skalierbaren Lösungen. Er baute ein weltweites Netzwerk von Entwicklern und Erfindern auf, die seine Leidenschaft teilen und lernte schnell durch Zusammenarbeit mit Partnern aus aller Welt, u.a. Hong Kong, Guatemala und Frankreich. Mit Shawn Frayne (Beispiel 12) arbeitete er an der Flutter-Technologie – die sich noch in Entwicklung befindet – in der Hoffnung, dass diese eines Tages ohne Metallbauteile auskommen wird. Ebenfalls dachte er auf Lernplattformen über elektronische Systeme nach, die ausschließlich durch Solarenergie betrieben werden. Sein Wunsch war es, ein Gerät ohne Drähte oder Lötverbindungen zu entwerfen – ein System, das einfach durch Drehen verändert werden könnte. Dies klingt nach einer Mischung aus Lego und Rubik’s Zauberwürfel mit ständig verfügbarem Solarantrieb.

Jordan und sein Team erfanden B-Squares, ein seltsamer Markenname für ein dreidimensionales Gerät. Ebenfalls kursiert ein etwas anspruchsvollerer Name: „Solarduino“. Es besteht aus (1) einem Arduino-Quadrat, d.h. einem Open-Source-Mikrocomputer, der die Entwicklung von Computersoftware ermöglicht und diverse elektronische Hardware für Prototypen einschließt; (2) einem Solar-Quadrat, das Energie aus Licht erzeugt, (3) einem Quadrat mit drei weißen und farbigen LEDs und (4) einem Batterie-Quadrat zur Energiespeicherung. Jedes Quadrat besitzt magnetische Kontakte an den Ecken, die aneinander haften und gleichzeitig elektrische Signale und Strom übertragen. So können die Quadrate schnell zusammengefügt und durch Drehen die Kombination verändert werden. Durch kleine Saugnäpfe haften die B-Squares an Fenstern und Wänden. Hier dienten Geckos als Inspirationsquelle, die seit Jahrtausenden ohne Klebstoff an den Wänden entlang klettern. Das Set besteht aus einzelnen Bauteilen und ist beliebig erweiterbar. Somit ist dieser vielseitige Ansatz, eine praktisch erfassbare Lernplattform für überall erhältliche Elektronik, typisch für den Innovationsgeist der Blue Economy.

Der erste Umsatz

Jordan und sein Team arbeiten schnell. Eine erste Skizze brachte das Projekt im Januar 2011 zum Laufen. Drei Monate später war ein vielseitiges, leicht zu tragendes und einfaches Spielzeug mit integriertem Solarbetrieb für Hobbytechniker, Schüler und viele mehr fertig. Ein unabhängiger Test mit zweijährigen Kindern bewies schnell, dass sie in nur 10 Minuten verstanden, wann und wie die Lichter an- oder ausgehen und wie sie die Farbe wechseln. Dies war zwar eine brillante Idee, doch das Geld war knapp.

Jordan und Shawn wandten sich an Kickstarter, eine Fundraising-Plattform für kreative Projekte, und fanden 1100 Unterstützer in einem Monat, die eine Summe von 145 000 Dollar durch Vorabkäufe ihrer Erfindung bereitstellten. Das Interesse war überwältigend und nun gab es genug Mittel durch Vorabkunden statt von Investoren. Das Team hatte Zeit, die Entwürfe auszufeilen und zu verbessern. Der Betriebsbeginn mit tausend Kunden, die die ersten Gelder bereitstellen und so Bankkredite und Finanzierungen durch Investoren überflüssig machen, bedeutet für die Erfinder, dass sie mit großer Unabhängigkeit ihr Vorhaben vorantreiben können und durch ihren Cashflow die meisten Start-Ups übertreffen können. Wer ab dem ersten Tag Gewinne erwirtschaftet, hat nicht nur eine herausragende Technologie, sondern kann auch die Spielregeln auf dem Gebiet der Innovation verändern.

Die Chance

B-Squares sollen jeden mit der Funktionsweise elektronischer Geräte vertraut machen und inspirieren, eigene Geräte durch ihre Einsatzmöglichkeiten zu entwickeln. Die B-Squares sind weder für Menschen mit zwei linken Händen im Technikbereich noch für Tüftler, die bereits vertraut im Umgang mit Elektronik sind. Sie bieten zusätzliche Möglichkeiten und Funktionsweisen für herkömmliche Elektronikprodukte, indem sie spielerisch den Erfindergeist mobilisieren. Die Quadrate können schnell kleinere mit Gleichstrom betriebene Geräte mit Solarstrom betreiben.

All diese Gleichstromapparate können ohne Trafo mit LED-Leuchten verbunden werden. Jedes Ladegerät für Handy, Tablet oder Laptop kann durch eine Reihe von Quadraten ersetzt werden, über einen Bewegungsmelder kann Licht ein- und ausgeschaltet werden oder ein Piepton erzeugt werden, wenn sich ein Fenster öffnet oder schließt. Die B-Squares ersetzen kein anderes Gerät, doch sie schaffen neuen Nutzen und ermöglichen es jedem, seine Elektronikgeräte beliebig anzupassen. Somit besitzen sie ein unbegrenztes Potenzial.

Bilder: Stock.XCHNG, B-squares

78 Fitness-Schuhe

Dieser Artikel stellt einen Schuh vor, der wie ein Fitness-Studio wirkt; eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Fitnesscenter sowie Gesundheits- und Fitnessclubs wird auf bis über 100 Milliarden US-Dollar beziffert. Der größte und vielleicht ausgereifteste Markt mit Erträgen von schätzungsweise 25 Milliarden Dollar für 2011 sind die USA, für die auch ein jährliches Wachstum von 2,6 Prozent über die nächsten 5 Jahre vorhergesagt wird. Auf diesem Sektor arbeiten 30 000 Firmen mit 550 000 Beschäftigten und 43 Millionen Mitgliedern. Dies bedeutet, dass über 13% der Amerikaner Mitglied in einem Fitnesscenter, Gesundheits- oder Fitnessclub sind. Die sportbegeisterte Nation Australien zählt 1500 Betriebe und 3 Milliarden Dollar Erträge in dieser modernen Freizeitaktivität, mit fast 40 000 Angestellten. Somit liegen sie beim Dreifachen der britischen Zahlen, obwohl in Großbritannien doppelt so viele Menschen leben. Trotz der bereits etwa 1,8 Millionen australischen Mitglieder von Fitnesscentern und –clubs (8,5% der Gesamtbevölkerung) ist der Markt noch lange nicht gesättigt. Daher wird erwartet, dass die Erträge der Center „Down Under“ noch weiter um jährlich 13 Prozent steigen und damit alle Trends weltweit übertreffen. Auch während der letzten wirtschaftlichen Rückgänge blieb das Wachstum auf diesem Sektor stabil. Dies spiegelt sich im Wachstum des Weltmarkts für Trainings- und Fitnessgeräte, für den im Jahr 2015 über 10,5 Milliarden Dollar erwartet werden.

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Die Center und Clubs sind lokale Betriebe, und es gibt keine Großfirmen in dieser Industrie, die einen Marktanteil von mehr als 5% halten. Einer der Gründe für ein Fehlen von Standards und Marktbeherrschung ist die Vielfalt dieses Geschäfts, die von Tennisclubs über Eissport- und Schwimmhallen über Sportplätze, Spas, Bodybuilding bis hin zu Fitness- und Tanzclubs geht. Der globale Umsatz ist beeindruckend und wächst weiter, und dem Markt ist die weitere Durchdringung urbaner Zonen sicher. Die wachsende Sorge der Bevölkerung bezüglich Übergewicht und Abnehmen sowie der Wunsch nach Teilnahme in Sportvereinen hat zur Gründung einiger weniger Firmen wie Gold Gym’s International geführt, einer Kette mit über 600 Centern in den USA und weiteren 30 Ländern, gegründet 1965 in Venice (Kalifornien). Gold’s Gym ist der weltgrößte Konzern mit über 3 Millionen Mitgliedern. Fitness First und die Ardent Leisure Group in Australien überschatten zunehmend die traditionellen Marktführer wie den Melbourne Cricket Club.

Die Innovation

In den Fitnesscentern werden zunehmend Themen der Gesundheit und Ernährung angesprochen und Geräte zur Messung und Stimulierung von Herz und Kreislauf sowie Programme zur Gewichtsreduktion eingeführt. Einige kombinieren physische Stärke mit innerer psychischer Kraft und Selbstvertrauen. Gleichzeitig laufen Forschungsprogramme an, die das massenweise Laufen, Gehen und Gewichtheben in eine Quelle für erneuerbare Energie umwandeln. Alle Mitglieder von Gold’s Gym laufen zusammen 23 Mal um die Welt, radeln 750 Mal quer durch die Vereinigten Staaten und heben mehr Gewicht, als es Gold in Fort Knox gibt. Zur Zeit kommen die meisten mit dem Auto zum Fitnesscenter, und die genutzten Maschinen verbrauchen Energie, anstatt sie selbst zu erzeugen. Auf der anderen Seite bleibt die Frage: Was können Menschen tun, die nicht Clubmitglieder sind?

Die auf dem Land geborene Marcia Kilgore zog von der Provinz Saskatchewan (Kanada) nach New York, um an der Columbia University zu studieren. Zwar schaffte sie den Abschluss nicht, doch sie bildete sich autodidaktisch zur Schönheitstherapeutin aus. Zunächst behandelte sie erfolgreich ihr eigenes Akneproblem und im Alter von 31 Jahren gründete sie Bliss, im Jahr 1996, ein Spa-Konzept, in dem Behandlungen zusammen mit Popmusik, Brownies und Wein angeboten wurden. Nachdem sie das Unternehmen an die französische Modefirma LVMH verkauft hatte, zog Marcia nach London und begann, ihre eigenen Kosmetika und Körperpflegeprodukte unter der Marke Soap & Glory herzustellen. Während sie in einem Seminar saß und eher Lust hatte, zum Sport zu gehen, überlegte sie, wie man Schuhe entwickeln könnte, die die Füße und Beine beim einfachen Gehen trainieren. Sie schuf eine Mittelsohle, die wie ein Stoßdämpfer wirkt, und kombinierte sie mit einer gewölbten Innensohle, die den Fuß etwas anhebt. Dieses „Microwobbleboard“ ließ sie patentieren und an der South Bank University in London in einer Serie von Sandalen-Prototypen testen.

Der die Muskeln aktivierende Schuh verlängert mit jedem Schritt die Zeit der Aktivität der beteiligten Muskeln. Ein hochfester Absatz absorbiert bis zu 22% des Stoßes auf die Unterschenkel und schont die Gelenke, eine weiche Mittelzone schafft Instabilität, die die Unterschenkelmuskel um bis zu 11% stärker aktiviert. Die Zehenkappe enthält ein mittelfestes Material, mit dem Geschwindigkeit und Schrittlänge erhalten und die Stabilität verbessert werden. So werden Gesäß- und hinterer Oberschenkelmuskel um 30% stärker aktiviert und stimuliert und insgesamt um 25% stärker belastet; dabei wird Mode mit Funktionalität und Training kombiniert. Vielerlei Nutzen ist eins der Kernprinzipien in der Blue Economy, und selten sieht man ein einfaches Konsumprodukt mit einem so breiten Wirkungsgrad. Im Jahr 2006 gründete Marcia ihre Firma unter dem Markennamen Fitflop.

Der erste Umsatz

Als dieses Schuhdesign in den Medien erwähnt wurde, verzeichnete die Website von Fitflop 55 000 Klicks, dabei enthielt sie nur eine Ideensammlung, da der Schuh noch nicht fertig war. Motiviert durch das große Interesse und ohne Businessplan wurde Marcia aktiv und bestellte 15 000 Schuhe für Europa und 15 000 für die USA. Sie wurden sofort zum Verkaufsschlager und die erste Charge war im Nu ausverkauft.

Die Idee zu Schuhen, die dem Körper und der Gesundheit dienen, wurde von der breiten Öffentlichkeit klar verstanden und entsprach demnach einer unterschwelligen Nachfrage von Männern und Frauen. Allzu oft sind Modeschuhe eine wahre Folter für die Füße; gesunde Schuhe wie die von Dr. Scholl vor fast einem Jahr erfundenen hingegen korrigieren zwar die Schwäche im Mittelfuß, sehen aber schwer und klobig aus. Solche Schuhe lassen sich kaum mit eleganter Kleidung kombinieren. In nur wenigen Jahren stiegen die Verkäufe von zehntausend bis auf zehn Millionen (2011). Der Bruttoertrag für Fitflop-Schuhe lag 2010 bei 125 Millionen Dollar. Was könnte noch geschehen, wenn dieses Schuhkonzept auch noch mit dem von Guillem Ferrer (Case 63) kombiniert würde?

Die Chance

Das Geschäft steht gerade erst am Anfang seiner Expansion, und obwohl Marcia nie im Sinn hatte, den Gesundheitsclubs Konkurrenz zu machen, setzt sie neue Akzente für Verbrauchsgüter. In 5 Jahren hat sich ihr Geschäft auf über 50 Länder ausgedehnt. Doch die Möglichkeit zu zusätzlichem Training beim Gehen oder auch beim Tanzen am Strand könnte noch ausgeweitet werden auf Beintraining für Fahrradfahrer, Bergsteiger oder Marathonläufer. Mit einem Preisspektrum von 50 bis 250 Dollar erreicht Marcia ein breites Publikum. Als nächsten Schritt beschloss Marcia die Integration des kulturellen Aspekts mit der „Manyano Sandal“, einem Sommerslipper mit Perlenapplikationen, die Frauen der Wola-Nani-Kooperative in Kapstadt herstellen. Innovativ ist hier das Angebot eines Kultursymbols, das gleichzeitig durch die amerikanische Gesellschaft für Fußgesundheit zertifiziert ist. Die Kombination von Kunst und Mode hat sich schon lange bewährt, doch die Erweiterung um den Aspekt von Fitness und Gesundheit macht sie zu einem neuen Geschäftsmodell. Genau darum geht es in der Blue Economy.

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Bilder: Stock.XCHNG
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77 Algen

Der Markt

Im Jahr 2010 wurden weltweit Naturfasern pflanzlichen und tierischen Ursprungs im Wert von 50 Milliarden US-Dollar hergestellt, entsprechend 35 Millionen Tonnen, von denen 23 Millionen für Textilien und Kleidung verwendet wurden. Die restlichen 12 Millionen Tonnen wurden in einer Reihe von Industrie- und Konsumgütern eingesetzt wie Verstärkungen für Thermoplastik-Platten in europäischen Autos, Verbundplatten mit Kokosfaser in der indischen Bauindustrie, die resistenter als Teakholz sind, Sisal für Dächer in Brasilien sowie Hanf, der 2008 zu den Olympischen Spielen in China dem Zement beigemischt wurde. Der Weltmarkt für Naturfasern Baustoffen der Automobil-, Bau-, Sport- und Freizeitindustrie wurde 2010 mit 2,1 Milliarden Dollar bewertet und es wird erwartet, dass dieser Wert sich bis 2015 verdoppelt. Fahrzeuge von BMW enthalten bis zu 24 Kilogramm Flachs und Sisal, die in Verbundmaterialien für Innenverkleidungen und Armaturenbrettern verarbeitet wurden. Die Mercedes Benz A-Klasse nutzt Naturmaterialien im Unterbau, nicht nur weil sie natürlich sind, sondern vielmehr aufgrund ihrer hohen Performance und Haltbarkeit im Verhältnis zum Gewicht.

Die weltweit am weitesten verbreitete Naturfaser ist Baumwolle mit jährlich 25 Millionen Tonnen. Die drei größten Baumwollproduzenten sind China (32%), Indien (22%) und die USA (12%). Baumwolle befindet sich jedoch auf dem Rückzug, vor allem in den USA, wo die Anbauflächen für diese Faser in nur einem Jahr um 30 Prozent auf knapp über 3 Millionen Hektar reduziert wurden, so wenig wie zuletzt 1983. Bisher lag der Hauptgrund für diesen Abwärtstrend im zunehmenden Ersatz durch synthetische Fasern, doch inzwischen beruht die Tendenz auf dem Wunsch Chinas, auf den bisher für Baumwolle genutzten Landflächen Nahrungsmittel anzubauen. China will auf breiter Ebene den wasserintensiven Baumwollanbau durch Nahrungsmittelanbau ersetzen. Die Baumwolle ersetzen sie wiederum durch Industriehanf. Zuchthanf wird somit innerhalb weniger Jahre von bescheidenen 20 000 Ha bis auf vielleicht 1,3 Millionen Ha expandieren. Hanf gedeiht gut auf hügeligen und weniger fruchtbaren Böden ohne Bewässerung und wirkt der Erosion entgegen; er dient somit dem Ökosystem. Die zweitwichtigste Naturfaser der Welt ist Jute mit 2,9 Millionen Tonnen, die vor allem in Indien angebaut wird und höhere Preise erzielt als Baumwolle (bis zu 400 Dollar pro Tonne), da sie vor allem als Ersatz für Plastik-Verpackungen eingesetzt und ihr Preis daher vom Ölpreis mitbestimmt wird.

Die Innovation

Naturfasern sind beliebt und werden überall mehr und mehr nachgefragt. Eine stärkere industrielle Nutzung ist aufgrund von Qualitätsschwankungen und schlechter Feuerfestigkeit (außer bei Wolle) sowie ihrer geringen Festigkeit nur begrenzt möglich. Andererseits werden die Formfestigkeit sowie die Eigenschaft zu brechen, ohne scharfe oder gefährliche Kanten zu bilden, auch als Vorteile gesehen. Eine der größten Herausforderungen bleibt jedoch, dass die meisten Pflanzenfasern mit der Nahrungsmittelproduktion um Anbaugebiete konkurrieren. Es gibt Versuche, beispielsweise Wasserhyazinthen in stabile Fasern für Möbel und Accessoires zu verarbeiten. Diese invasive Spezies verstopft Flüsse und Dämme in Afrika und Asien und ernährt sich von den Nährstoffen, die durch Bodenerosion und übermäßige Düngung in die Flüsse gelangen. Abgesehen von einigen kleinen Neuerungen für diese Wasserpflanze in Thailand und Bangladesh werden weitere natürlich vorkommende und reich verfügbare Faserressourcen gesucht, aus denen hochwertige Produkte hergestellt werden können, ohne die Ernährungssicherung zu gefährden.

Ji Yujun war Vorsitzender des 7., 8., 9. und 10. Nationalen Volkskongresses von China, doch im Herzen ist er Unternehmer. Als Parteifunktionär war er stets um das Wirtschaftswachstum im Einklang mit der Sicherung des gesellschaftlichen Wohlstands bemüht. Seine Karriere begann 1980 als Direktor einer Handtuchfabrik, die außerstande war, die Qualitätsansprüche zu erfüllen. Dies war zu Zeiten der Planwirtschaft, während der Baumwolle nur unregelmäßig und nicht auf Bestellung lieferbar war. Unter der Leitung von Ji Yujun verbesserte sich die Qualität, somit stieg auch die Produktionsmenge dank des Imports neuerer Verarbeitungsmaschinen aus Japan und Deutschland. Ji begann dann, die Handtuchfabrik mit den staatlichen und städtischen Betrieben unter der Marke Xi Ying Men zu vereinen. Diese ging 2005 als führende Marke der chinesischen Textilindustrie hervor. Während sich die Produktion konsolidierte, beschloss er, in die Forschung zu investieren, um verschiedene Rohstofflieferströme zu erschließen.

Ji Yujun und sein Team ließen sich davon inspirieren, dass jedes Jahr im Juni und Juli an der Küste von Qingdao grüne Algen auftreten, die große Mengen Sauerstoff verbrauchen und so das Leben im Meer sowie die Fischerei bedrohen. Im Jahr 2007 brachte eine Algenpest in Taihu, Chinas drittgrößtem Süßwassersee, die Wasserversorgung für eine Million Menschen in Wuxi in der Provinz Jiangsu für etwa zehn Tage zum Erliegen. Bevor die Segelwettkämpfe der Olympischen Spiele 2008 in Qingdao beginnen konnten, entfernten Freiwillige und die Armee fast eine Million Tonnen Algen aus dem Meer. Da das Algenwachstum oft Chinas Wasserwege blockiert und das Ökosystem im Meer sowie die Fischerei bedroht, wurde eine gemeinsame Forschungsinitiative mit dem nationalen Labor für Neue Materialien der Universität Qingdao bewilligt, um das Potential der Algen als Faserlieferant zu untersuchen.

Der erste Umsatz

Anfangs waren die Algen empfindlich und nur verwendbar für medizinische Stoffe wie Binden oder in der Chirurgie. Später gelang es dem Team, einen neuen Extraktionsprozess für Rohfasern aus Seetang zu optimieren. Da diese Fasern stärker und stabiler als Baumwolle waren, untersuchte das Forschungsteam die Extraktion von hochfesten Algenfasern aus einer Vielzahl verschiedener Grün- Braun- und Rotalgen. Dabei fanden sie heraus, dass die neuen Fasern feuersicher und unempfindlich gegen elektromagnetische Wellen waren. Somit liefern die Fasern auf Algenbasis einen einzigartigen Rohstoff für spezielle Kleidung wie feuerfeste Anzüge, Klinikuniformen sowie Schutzkleidung für militärische Zwecke.

Der neu entwickelte Extraktionsprozess für Algen ermöglicht die Gewinnung von 200-250 kg Rohfaser pro Tonne getrockneter Algen. Die Produktionskosten für Algenfasern schwanken zwischen 8000 und 10 000 Dollar pro Tonne. Da China der weltgrößte Algenproduzent ist und etwa die Hälfte der einfachen Produktionsmenge stellt, besitzt es Rohstoffe zur Algenfaserproduktion im Überfluss. Dies bedeutet, dass die minderwertigen Algen zu hohen Preisen verkauft werden können. Noch besser ist, dass die Beseitigung des Algenwachstums Arbeitsplätze und hochwertige Produkte mit sicherem Marktwert schafft. Die Reaktion der Kunden auf erste Versuche bewegten Ji Yujun dazu, eine Anlage zur Faserherstellung mit einer Kapazität von 1000 Tonnen zu bauen, die 2011 in Betrieb genommen wurde.

Die Chance

Die ersten Verkäufe von Textilprodukten auf Algenbasis sind von den Kunden auf breiter Ebene positiv aufgenommen worden, da weithin bekannt ist, dass Algenextrakte die Hautgesundheit fördern und erhalten. Die Vorkommen an Algen in China können eine Produktion von 1,9 Millionen Tonnen des erneuerbaren Rohstoffs Algenfaser ermöglichen. So könnten Algenfasern aus dem Nichts als drittwichtigste natürliche Faser den Markt durchdringen. Dies würde bedeuten, dass China (und die Welt) ihre Abhängigkeit von der Pestizidabhängigen und wasserintensiven Baumwolle weiter vermindern könnten, ohne weitere Ackerbauflächen zu beanspruchen. Inzwischen gibt es nicht nur Stoffe für Bandagen und Spezialbekleidung aus Algenfasern, sondern auch schon Modewaren.

Es entstehen neue Modemarken wie „Twosquaremeter“ in Deutschland, eine Startup-Firma, die Textilien auf Algenbasis vertreibt, die nachweislich die Regeneration der Haut fördern und sie pflegen. Ein Rock oder Kleid kostet zwischen 100 und 250 Euro; dies ist zwar ein Vielfaches der Preise von Zara oder H&M, doch nur ein Bruchteil anderer berühmter Marken. So erobern Textilien auf Algenbasis eine Nische in der Bekleidung; sie ist gesund für ihren Träger und für die Natur, aus der sie auf nachhaltige Weise gewonnen wird. Wenn die Algenblütezeit in die Produktion einbezogen wird, findet sich hier eine beispielhafte Umsetzung des Konzepts der Blue Economy. Die Beseitigung der Algen kostet Geld, doch diese Ressource aus Salz- oder Süßwasser bringt Erträge, geht auf bestehende Nachfrage am Markt ein und schafft Arbeitsplätze sowie entscheidende Verbesserung gegenüber der Entsorgung dieser fruchtbaren Biomasse auf Deponien, wo sie verrottet und Methangas abgibt.

Das Potenzial der Seetangfasern hat bereits Wettbewerber auf den Plan gerufen. Die Qingdao Xi Ying Men-Gruppe hat zwar die weltweit größte Produktionsanlage, doch es gibt Konkurrenten wie die New Fibers Textile Corporation aus Taiwan, die eine kombinierte Faser aus Zellulose und Seetang herstellt, beides erneuerbare Ressourcen. Der deutsche Chemiekonzern Zimmer AG hat ähnliche Fasern erfunden, den Betrieb jedoch an die Smart Fiber AG verkauft, die inzwischen eine Produktionskapazität von jährlich 500 Tonnen in Rudolstadt hat und Algen aus der Nordsee verarbeitet, die sie an die Fabrik Lenzing in Österreich liefert, einer führenden Firma für Zellulosefasern. Das Team von Smart Fiber stellt antibakterielle, geruchsmindernde, hautfreundliche, wärmeregulierende, stromleitende sowie chemisch und thermisch resistente Fasern her. Hier beginnt der Markt der therapeutischen und Funktionskleidung und es öffnet sich ein weites Feld für Unternehmensgründer weltweit.

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76. Zellulose als Isolierung

Der Markt

Der Weltmarkt für natürliche Dämmstoffe könnte 2015 die Milliarden-Dollar-Marke erreichen. Die Daten und Hochrechnungen einzelner Firmen, sowohl kleinerer als auch multinationaler Unternehmen, lassen darauf schließen, dass der Weltmarkt gegenwärtig bei 500-600 Millionen Dollar liegt. Da sich bereits Beispiel 37 (Isolierfarbe) auf den Dämmstoffmarkt bezieht, konzentrieren wir uns hier allein auf den Markt für natürliche Dämmstoffe. Die Nutzung erneuerbarer Quellen pflanzlichen oder tierischen Ursprungs wird immer beliebter, da zur Gewinnung, Produktion und Verarbeitung der gewünschten Inhaltsstoffe weniger Energie benötigt wird. Führend unter den Dämmprodukten ist ein sojabasierter Polyurethanschaum. Es wird erwartet, dass die etwa 7 Milliarden Pfund Polyol, der Grundstoff zur Produktion des in den OECD-Staaten verbrauchten Polyurethans, zunehmend aus natürlichen Polyolen (Natural Oil Polyols, NOPs) bestehen werden.

BAYER Material Science (Deutschland) und BioBased Technologies, eine Startup-Firma aus Arkansas (USA), haben Technologien entwickelt, um den erneuerbaren Anteil an Inhaltsstoffen zu erhöhen. Dies ist dringend notwendig. Auch wenn das Produkt erklärtermaßen auf Sojabasis hergestellt wurde, kann es selten als „biologisch“ gelten, da es nicht den Mindestprozentsatz erreicht, der von der US-Landwirtschaftsbehörde gefordert wird. BAYER’s NOP enthält zwischen 40 und 70 Prozent erneuerbare Komponenten; das bedeutet, dass das Endprodukt nur noch zu 10-15 Prozent natürlichen Ursprungs ist und daher kaum als überwiegend biologisch gelten kann. Ein so geringer erneuerbarer Anteil bringt selbst auf dem Etikett wenig. Immerhin wurde errechnet, dass bei Ersetzung einer Tonne Erdöl oder mineralischer Substanzen durch biologische Inhaltsstoffe ganze 5,5 Tonnen Kohlendioxid entweder abgebaut werden oder verhindert wird, dass sie in die Atmosphäre gelangen. Dieser Umstand motivierte den deutschen Elektrogerätehersteller Liebherr dazu, Isolierschaum aus NOP einzusetzen. Hyundai und Kia statten ausgewählte Modelle inzwischen mit NOP-Polstern aus, ebenso Ford Motor die Sitze des Mustang. Hier zeigt sich ein Beispiel der Green Economy.

Die Innovation

Schaumstoffe aus erneuerbaren Ölen sind eine beliebte Lösung. Die herkömmlichen Einsatzfelder für Dämmstoffe wie Platten aus Stroh und Flachs, Wolle, Zellulose und Jute konkurrieren zunehmend mit Glasfaser und Steinwolle. Der seit längster Zeit genutzte Dämmstoff stammt von den Schafen, die bereits seit 8000 Jahren vom Menschen gehalten werden. Wolle wird seit Urzeiten als Dämmschutz für Körper und Heim genutzt. Mehrere Firmen für Dämmstoffe aus den USA und dem Vereinigten Königreich verzeichnen zweistellige Wachstumsraten und bieten gern gesehene Zusatzerträge für einen Sektor, der Schwierigkeiten hat, im Konkurrenzkampf mit synthetischen Ersatzstoffen zu bestehen. Gebäude auf Strohbasis erfreuen sich ebenfalls einer gestiegenen Nachfrage. Doch abgesehen von recycelten Zeitungen, deren Farbe nicht entfernt wird, können die meisten erneuerbaren Materialien kaum als nachhaltig bezeichnet werden, da ihre Nutzung als Rohstoff zur Isolierung mit anderen grundlegenden Verwertungsformen einschließlich der Nahrungsmittelproduktion im Wettstreit steht. Zwar ist die Minderung unserer Abhängigkeit von Erdöl ein lobenswertes Ziel, doch langfristig werden für mehr Nachhaltigkeit Innovationen benötigt, die sich auf Stoffe konzentrieren, die nicht im Wettbewerb gegeneinander stehen; es muss nach schnell verfügbaren Stoffströmen ohne Marktwert gesucht werden, für die demnach ein Mehrwert geschaffen werden muss. So entsteht eine ergänzende Wirtschaft mit Mehrwertketten, die tatsächlich Werte und Arbeitsplätze schaffen und nicht nur Produkte ersetzen.

Reidar Berglund, ausgebildeter Bauingenieur mit Spezialisierung auf Wärme, Lüftung und Sanitär, begann seine Karriere als Berater für Energieeffizienz. Er entwickelte Systeme zur Energieeinsparung im Industrie- und Wohnsektor. Zunächst arbeitete er mit Sägemehl als Dämmstoff, ein herkömmliches, langlebiges Produkt. Dann untersuchte er Möglichkeiten zur Entwicklung eines rein natürlichen Dämmstoffs aus derselben Rohmasse, das ähnlich genial wie die zellulosebasierte Absorption in Windeln funktioniert. Er erfand eine hocheffiziente, vollständig recycelbare und natürliche Dämmung auf Grundlage der überbleibenden kurzen Fasern in Papiermühlen. Reidar brauchte zehn Jahre, um ein wettbewerbsfähiges Produkt zu schaffen, das die Fasern durch feine Verteilung winziger Zellulosefäden luftiger machte, kombiniert mit der Integration mikroskopischer Luftblasen in den Fasern selbst sowie den Zwischenräumen. Dann holte er alle notwendigen Lizenzen ein, auch zur Feuersicherheit. Reidar hatte sich nicht nur verpflichtet, ein wirksames Produkt zu entwickeln, sondern auch einen Produktionsprozess, für den keine Inputs von außen benötigt würden. Schließlich konnte Reidar die physikalischen Eigenschaften der Zellulose unter strengsten Umwelt- und Qualitätsauflagen ausnutzen. Nachdem er Produkt und Prozess fertiggestellt hatte, gründete er 1989 die Firma Termoträ und entwickelte sein eigenes Verkaufs- und Vertriebssystem in enger Zusammenarbeit mit einer begrenzten Zahl lokaler zertifizierter Installationsexperten.

Der erste Umsatz

Seine Investitionen in Forschung und Entwicklung konnte Reidar durch den Cashflow aus seiner Energieberatung und Ingenieurarbeit finanzieren. Er arbeitete eng mit Anders Nyquist zusammen, dem Pionier der Eco-Cycle-Architektur, der immer nach lokalen Lösungen aus vor Ort verfügbaren Materialien sucht. Termoträ wandte die bewährte Technologie im Nydala-Wohnkomplex in Umeå sowie der berühmten Laggarberg-Schule in Timrå an. Diese Gebäude bewiesen schon bald die Effizienz des Dämmstoffs in einer der qualitätsbewusstesten Regionen: Nordschweden, drei bis vier Stunden Bahnfahrt von Stockholm entfernt. Eine engmaschige Überwachung der Leistung des Materials in einem Wohnhaus ergab, dass durchweg 15 000 Kilowattstunden Energie eingespart werden können. Hinzu kommt, dass der Einbau keine Schaumsperren oder Plastikfolien erfordert, die somit eingespart werden können. Das in den eigenen vier Wänden entwickelte Produkt hat die Öffentlichkeit so beeindruckt, dass sogar der Königspalast in Stockholm inzwischen durch dieses lokale Naturprodukt gedämmt ist.

Der Markt weitete sich aus, und inzwischen sind bereits 6500 Wohnhäuser durch diesen hochwirksamen Stoff gedämmt, der ursprünglich verbrannt oder auf Deponien verbracht wurde und inzwischen in einem integrierten Produktions- und Vertriebssystem verarbeitet wird. Es ist ein wettbewerbsfähiges Produkt in Leistung und Preis, das aus einem Abfall entsteht, physikalisch umgewandelt wird, vollständig aufarbeit- und recycelbar ist und Arbeitsplätze sowie Sozialkapital schafft, und das in einem teuren Land, in dem billigere Alternativen aus Übersee importiert werden. Außerdem schimmelt es nicht, verbessert so die Raumluft und ist gesünder für die Bewohner. All dies steht im Einklang mit den Merkmalen der Blue Economy.

Die Chance

In der zunehmend eingesetzten Fertigbauweise kann der Zelluloseflaum von Termoträ auch in Bauteile eingespritzt werden und so den Zusammenbau effizienter gestalten. Ältere Häuser können schnell nachgerüstet werden, indem eine Isolierungsschicht an geeigneten Stellen in die Wände oder den Deckenzwischenraum eingesprüht wird. Hier kommt ein Staubsaugern ähnlicher Apparat mit einem 60 Meter langen Schlauch zum Einsatz, der praktisch jeden Teil des Hauses erreicht. Reidar und sein Team treiben keine Werbung und vertrauen lieber der Mundpropaganda.

Die herausragenden Resultate führten zur Einführung der Technologie in Deutschland; das erste Projekt steht in Borkwalde bei Berlin, und schon bald gab es mehrere Initiativen in Norwegen. Jede Gemeinde in der Nähe einer Papiermühle könnte ein Produktions- und Vertriebsgeschäft nach Art des Durchbruchs von Reidar aufbauen. Seine Bereitschaft zum Wissenstransfer nach Bhutan und in andere faserreiche, aber dämmstoffarme Länder hat er bereits bezeugt. Es werden nur noch die Gründer benötigt, die diese Geschäftschance umsetzen.

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75. Poröser Asphalt

Der Markt

Der Weltmarkt für Asphalt und Bitumen erreicht 2011 voraussichtlich 124 Millionen metrische Tonnen und einen Umsatz von schätzungsweise 74,4 Milliarden US-Dollar. 1999 kostete die metrische Tonne ab Raffinerie noch 115 Dollar, 2005 lag sie schon bei 200 Dollar und diesen Sommer bei über 600 Dollar. Die Nachfrage wird bis 2013 um jährlich 2,1 Prozent steigen. Dass der Markt langsamer wächst als früher, liegt hauptsächlich am gebremsten Wachstum in China, das dennoch das welthöchste Wachstum verzeichnet. In den Entwicklungsländern wächst die Nachfrage nach Bitumen jedoch nicht zum Straßenbau, sondern eher für Dächer, die inzwischen schon 10 Prozent des Gesamtvolumens verbrauchen gegenüber 84 Prozent für Straßenbeläge. Ein kleiner Teil wird zur Abdichtung von Booten genutzt. Die Nachfrage nach Asphalt in der Dachdeckerei macht gegenwärtig nur einen kleinen Teil dieser Branche aus, daher bleiben Möglichkeiten zum Wachstum in Asien (außer Japan) und Lateinamerika. China wird nach den USA der zweitgrößte Markt für Teerdächer nach den USA.

Eine Tonne 18 Zoll starker Asphalt deckt einen Quadrat-Yard. Asphaltemulsionen und in ihren Polymeren modifizierte Asphalte gewinnen Marktanteile, während die traditionellen Asphaltzemente zurückfallen. Eine grundsätzliche Neuerung ist das Austauschen nicht porösen Asphalts, der Aquaplaning verursach, durch porösen, der für mehr Sicherheit im Straßenverkehr sorgt. Abgesehen von den bekannten weltweit führenden Raffinerien, die multinationalen Firmen wie Exxon Mobil, BP, Chevron und Shell hat auch die lateinamerikanische Konzern Petróleos de Venezuela (PDVSA) eine dominante internationale Position inne, da eins der größten Teervorkommen der Welt im Ölsand des Orinoco liegt, etwa 300 Milliarden Barrel. Dies wird nur von den kanadischen Reserven in Alberta mit 310 Milliarden Barrel übertroffen. Wenn diese Reserven im selben Tempo wie heute verbraucht werden, können diese noch etwa 400 Jahre lang die Welt beliefern.

Die Innovation

Während Pech schon vor Jahrtausenden in den Städten von Babylon und Karthago zur Abdichtung von Schiffen und Gebäuden genutzt wurde, fand es auch Anwendung in der frühen Fotografie, da Pech auf Zinnplatten Schwarzweißbilder erzeugt, wenn es belichtet wird. Später wurde es auch zur Geräuschdämmung in Computern und Haushaltsgeräten genutzt. Zwar wird der meiste Asphalt aus tiefen Erdschichten gewonnen, doch er kann auch aus erneuerbaren Quellen wie Zucker, Molasse, Reis-, Mais- und Kartoffelstärke gewonnen werden. Heutzutage wird Bitumen größtenteils aus Erdölresten nach der Raffinerie und aus gebrauchtem Motoröl hergestellt. Sein Hauptproblem besteht darin, dass er massiv Abfälle verursacht, da die Straßenbeläge schnell verschleißen und regelmäßig neu asphaltiert werden müssen. In Europa werden gegenwärtig 80% allen Asphalts recycelt, doppelt so viel wie Papier, Glas, Plastik und Aluminium zusammen. Das Straßenbauamt der USA schätzt, dass pro Jahr 91 Millionen Tonnen Asphalt bei Bau- und Erweiterungsarbeiten von den Straßen abgetragen oder abgefräst werden. 73 Millionen Tonnen von dieser enormen Menge werden weiterverwertet. Doch diese riesigen Mengen müssen erst einmal zu den Aufbereitungsanlagen transportiert werden, was zusätzliche Staus verursacht, da das Recycling und Anmischen von 10-25% des alten Asphalts an entfernten Orten stattfindet.

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Hisahi Hosokawa hat als Berufsberater des japanischen Ministeriums für internationalen Handel und Industrie (jetzt Wirtschaft, Handel und Industrie) große Dienste geleistet, u.a. als Generaldirektor des Büros für Internationale Handelsabkommen und schließlich auf Regierungsebene als Vizeminister für Internationale Angelegenheiten. Nach seiner rechtmäßigen Amtsübergabe wurde Hosokawa nicht in einen gemütlichen Posten der Industrie- oder Regierungsagentur (Amakudari) weggelobt, sondern er entschloss sich, Unternehmer zu werden. Sein großes Umweltbewusstsein ließ ihn nachdenken über die wichtigsten Industrien, in denen seiner Meinung nach bestimmte Innovationen zu mehr Nachhaltigkeit führen könnten. Angesichts der riesigen Mengen Asphalt und der Heraus-forderungen, vor denen die Industrie zur Verarbeitung dieser Abfälle aus normalem Asphalt in hochwertigere und poröse Sorten steht, gründete er ein Konsortium aus den japanischen Industrien und ein Expertenteam. Basierend auf einer bereits bestehenden Technologie perfektionierte er ein System, das nicht nur Asphalt gleich vor Ort recycelt, sondern sogar den alten Straßenbelag in höherwertigen porösen Asphalt umwandelt und so über die Untermischung von 10-25% des Altmaterials hinaus geht. Seine bewährte Technologie und Prozesse erfordert, je nach Asphaltart, die erreicht werden soll, nur die Untermischung von maximal 30 Prozent Neumaterial zur Erneuerung des Straßenbelags. Daraufhin gründete er in Tokio die Firma GreenARM Co. Ltd., um diese Lösung zu vermarkten. Hosokawa nannte seinen Ansatz zum Asphaltrecycling und andere Entwicklungen im Industriebereich „Ökofabrikation“ und grenzt die Methodologie so von der herkömmlichen Fertigung ab.

Der erste Umsatz

Hosokawa und sein Team von GreenARM sowie Prof. Atsushi Kasahara, ein prominenter Akademiker des Ingenieurwesens, der die Idee mit begründet hatte, machten schnell Fortschritte bei der Entwicklung eines Werkstattzuges und bewiesen erfolgreich die Effektivität der Technologie in einem Regierungsprojekt nach Vorabtests in Japan. Eine frühere Technologie verhalf ihnen zu einer Serie von Tests mit porösem Asphalt in Italien vor den Olympischen Winterspielen in Turin 2006. GreenARM war ebenso beteiligt an einem Großauftrag mit der Bauabteilung der Regierung des Staates Delhi (Indien) durch ein örtliches Joint-Venture zur Vorbereitung der Commonwealth Games 2010 zur Restaurierung von 820 000 m2 Belag auf städtischen Straßen. Die frühere Technologie des Recyclings vor Ort zeigte ebenfalls höhere Leistung in Zeit und Oberflächenqualität; der alte Asphalt war wieder wie neu.

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Die National Highway Authority of India (NHAI) hat das Recycling in der Straßenerneuerung zur Pflicht erhoben und betont hierbei die Aufbereitung vor Ort. Der Werkstattzug erhitzt vorab die Mischung für den Oberflächenasphalt, indem er sie auf der Straße leicht aufreißt und mischt ihn an der selben Stelle neu unter Nutzung von 100 Prozent des Altasphalts mit einer geringen Menge neuen Materials. Die Technologie zur Herstellung porösen Asphalts verfügt über eine zusätzliche Einheit, die mit Asphalt überzogene Partikel nach dem Aufreißen und vor dem Mischen trennt, sowie eine Doppelanlage, die sowohl den porösen Asphalt als auch die Mörtelschicht darunter in einem Arbeitsgang aufbringt. Die Nutzung vorhandener Ressourcen ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy; sie vermeidet Transporte und recycelt vor Ort, spart also Kosten und Materialverbrauch. In diesem Fall reduziert sich der Materialfaktor auf ein Neuntel. Somit ist genug finanzieller Anreiz für die Investition geschaffen.

Die Chance

Der Straßenbau belastet die Umwelt stark. Poröse Straßenbeläge stellen sicher, dass Regenwasser auf natürliche Weise abfließen kann. Aquaplaning ist nicht nur gefährlich für die Autofahrer, sondern verhindert auch die Selbstreinigung des Wassers in natürlichen Filtrierungsprozessen und führt zur Anreicherung mit Abfallstoffen und Giften auf der Straße und in ihrer Umgebung. Während die Hersteller von Asphalt und Bitumen einige wenige multinationale Konzerne sind, sind Straßenbaufirmen meist stark regional gebundene Firmen vor Ort. Die Neustrukturierung, die zur Umsetzung des hier beschriebenen Geschäftsmodells notwendig ist, zieht eine schnelle Entwertung der bestehenden Kapitalinvestitionen nach sich.

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Da die Geräte meist eine lange Lebensdauer besitzen, stehen sie dem Wandel im Wege, vor allem, wenn sich die Maschinen noch nicht vollständig amortisiert haben. Genau hier können Unternehmer ansetzen, um etwas zu ändern. Der poröse Asphalt aus alten Straßenbelägen zusammen mit einer geringen Menge Neumaterials reduziert den Bergbau und die Transporte und erhält zudem die Wasserqualität. Hier werden neue Spielregeln aufgestellt, nach denen jeder agieren kann, der imstande ist, das Risiko abzuwägen.

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74. Gratis Drucken

Der Markt für Druckerzeugnisse

Der Weltmarkt für den Drucksektor erreicht im Jahr 2014 erwartungsgemäß 724 Milliarden US-Dollar. Bis dahin wird Asien Marktführer vor Nordamerika sein, das immer noch einen Anteil von 31 Prozent hält. Der aufstrebende Kontinent wird in drei Jahren bei 35 Prozent des Marktes liegen. Der US-Markt wird in den nächsten 5 Jahren von 198 auf 186 Milliarden Dollar schrumpfen, ebenso Japan, Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Andererseits wird der Markt für Druckerzeugnisse in China bis 2014 von 59 auf 98 Milliarden Dollar steigen und damit entscheidend dafür sein, dass dieser Markt auf globaler Ebene überhaupt noch wächst. Einzige weitere Ausnahme vom globalen Trend weg von Druckerzeugnissen hin zu elektronischen Dokumenten ist Indien, das von 16 auf 23 Milliarden Dollar wachsen wird; Brasilien schafft es noch von 15,5 auf 20,5 Milliarden.

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Der globale Markt für Druckerzeugnisse wird von kommerziellen Materialien dominiert, vor allem Werbung und Vertrieb. Dieser Markt stellt fast die Hälfte des Werts weltweit, doch er schrumpft aufgrund des starken Trends hin zu digitalen Medien. Hingegen stellen bedruckte Verpackungen fast 30 Prozent des Umsatzes, mit wachsender Tendenz sogar in Nordamerika und Europa. Zeitungen stellen nur einen Anteil von 5,5 Prozent; die Verkäufe sinken rapide, ebenso die Umsätze von Copyshops und Schnelldruckern, die das unternehmerische Leben der 1980er- und 1990er-Jahre auf lokaler Ebene beflügelt haben. Während Zeitungen auf breiter Ebene recycelt werden und hier einen Rekord von 63 Prozent aufgestellt haben, liegt die Rückgewinnung von Verpackungsmaterial weit zurück. Beispielsweise werden nur 20 Prozent der 150 Milliarden Getränkeverpackungen von Tetra Pak recycelt. Der Rest einschließlich des Polyethylens von geringer Dichte und hochwertigen Aluminiums landet zusammen mit den Farben und Überzügen auf der Müllhalde.

Auf dem Weltmarkt für Druckertinten werden 3,7 Tonnen zu einem Wert von 16,4 Milliarden Dollar für 2015 vorausgesagt. Der stärkste Wachstumsimpuls geht hier von den Verpackungen aus, da die Marketingexperten immer leuchtendere Bilder verlangen. Während Europa nur die drittstärkste Region für bedrucktes Papier ist, besitzt sie den höchsten Marktanteil für Tinten, doch die USA dominieren bezüglich des Geldwerts. Für 2015 wird erwartet, dass Europa als größter Markt für Tinten auf allen Ebenen hervorgeht. Unter anderem resultiert dies aus den strengen Umweltgesetzen, die die europäischen Regierungen aufstellen und sich so von den billigen Tinten aus den Schwellenregionen abheben. Europa verlangt zudem von der Industrie, ihre Umwelteinwirkungen durch Entsorgung von Tinten zu senken. Unter anderem hat diese Maßnahme das Interesse an pflanzlichen Ölen statt erdölbasierten Produkten gefördert, trotz höherer Kosten. Jedoch ist für viele Tinten auf (genmanipulierter) Sojabasis weiterhin ein Erdölanteil erlaubt und wahrscheinlich auch enthalten, egal was das Etikett verheißt.

Die Innovation

Papier und Tinte enthalten immer noch Schwermetalle wie Zink und Kupfer, wenn auch in deutlich geringerem Maße als früher. Die Tagespresse (auch im Farbdruck) sowie bedruckte Pappkartons werden als so sicher eingestuft, dass sie auch im Gemüsegarten kompostiert werden können. Metalloxide sind vor allem in Zusatzstoffen für Hochglanz, Schimmer, Magazine, farbige Werbung und leuchtende Verpackungen enthalten. Noch schlimmer ist, dass diese Art von Druckerzeugnissen oft mit Plastik überzogen sind, um die „Entfärbung“ vor oder während des Gebrauchs zu verhindern. Dies macht die Wiederverwendung schwieriger, da die Entfernung der Tinte aus den Fasern zeitraubender ist und zusätzliche Chemikalien eingesetzt werden müssen. Wenn auch mit relativ viel Erfolg recycelt wird und so schon Millionen von Bäumen am Leben bleiben durften, ist es doch schwierig für die Industrie, mit den recycelten Fasern und der rückgewonnenen Tinte neuen Mehrwert zu generieren. Für die Weiternutzung der Fasern in neuen Märkten gibt es bisher nur Nischen wie die Lärmdämmung, wo kürzere Fasern und billige Preise nachgefragt werden.

Pamela Salazar Ocampo schloss 1999 ihr Studium als Industriedesigner an der Unabhängigen Universität Manizales (Kolumbien) ab. Sie entwickelte ein Geschenk an die Bambusarchitektur und dokumentierte zusammen mit ihrer Schwester Carolina ausführlich die Bautechnik, die Simon Vélez für die Errichtung des ZERI-Pavillons angewandt hatte, zunächst für das Recinto de Pensamiento des Komitees des kolumbianischen Kaffeeverbands, dann für die Weltausstellung in Hannover. Durch die Zeichnungen von Pamela und Carolina konnte der Bambusbau zum ersten Mal in Deutschland genehmigt werden. Während der Arbeit als Grafikerin und Koordinatorin für visuelle Kommunikation am ZERI-Bambuspavillon auf der Expo stand Pamela vor der Aufgabe, Kurzgeschichten über die Philosophie der Null-Emissionen druckkostengünstig zu produzieren. Sie informierte sich über die Prozesse in Druck, Papier und Tintenherstellung und stellte dabei fest, dass große Druckerpressen immer auf einem Kontrollstreifen die Qualität und Kombination der Farben überprüfen. Dann strukturierte sie die Grafik um, damit sämtliches Papier einschließlich Schnitträndern und der Farbe auf den Kontrollstreifen genutzt werden könnte, und produzierte so ihre Hefte. Durch geringe Änderungen an den Grafiken auf dem Blatt können die Kindergeschichten so angepasst werden, dass nur noch für das Falten und Heften Kosten anfallen. So können die Hefte zu einem Preis von weniger als einem Cent pro Exemplar für alle Kinder erschwinglich werden.

Der erste Umsatz

Die Fabel „Der stärkste Baum“ des Autors von „The Blue Economy“ wurde in 27 Sprachen übersetzt und über eine Million Exemplare gratis gedruckt, indem Papier und Tinte aus den Druckereien genutzt wurde, die das Informationsmaterial für die Besucher der Expo gedruckt hatten.

Die Papierstreifen, die gewöhnlich abgeschnitten und recycelt werden, wurden nun aufgewertet als Geschenke für Kinder, die umsonst verteilt wurden. Es wurde als Symbol genutzt, um Aufmerksamkeit zu gewinnen, und sogar zur Einwerbung von Geldmitteln, da Eltern und Freunde, die sie erhielten, zu freiwilligen Spenden ermutigt wurden. Nutze, was du hast; schaffe mehr Wert aus etwas, das als Abfall gilt; schaffe sozialen Nutzen: dies sind Schlüsselprinzipien der Blue Economy. Die Grafik der Fabeln ist wahrscheinlich eine der ersten praktischen Erfahrungen und konkreten Initiativen, die im Geist der Innovation zur Schaffung neuer Geschäftsmodelle entstanden sind.

Die Chance

Die Verwertung der Kontrollstreifen hatte jahrelang die Grafikdesigner vor Rätsel gestellt. Solange man bei den traditionellen Formaten für Jahresberichte bleibt, würde der Kontrollstreifen als zu schmal gelten. Doch wenn die Grafik die Streifen einbezieht und den für sie verfügbaren Raum sogar noch vergrößert, indem der Jahresbericht der Bank oder die Wartungsanleitung für den Maschinenlieferer an jeder Seite um ein paar Millimeter verkleinert wird, dann entsteht genügend Platz für ein kleines Heft. Vor Kurzem hat die Regierung der Balearen mit der örtlichen Industriedruckerei vereinbart, die Verteilung von 36 Fabeln an 92000 Kinder von 3-10 Jahren über die Nutzung der von Pamela entworfenen Technik zu sichern, insgesamt 3,3 Millionen kostenfreie Exemplare.

 

Die Regierungen müssen immer mehr Ausgaben streichen. Überall geraten die Budgets unter Druck, so auch der Bildungsetat. Doch dieser simple Ansatz des „kostenfreien Druckens“ von Kindergeschichten überwindet die Hindernisse, die gewöhnlich aus Kürzungen öffentlicher Gelder resultieren, vor allem in einem finanziell klammen Land wie Spanien. Es wird erwartet, dass das Beispiel der Balearen auf weitere Nationen übertragen wird, in denen Innovationen auf dem Bildungssektor stark nachgefragt werden, Internet und Tablets nicht allen zur Verfügung stehen und so die traditionelle Form der Kommunikation Millionen Kinder auf der Welt inspirieren kann. Zwar könnte die Zahl der gedruckten und verteilten Exemplare in den letzten 10 Jahren schon auf über 100 Millionen gestiegen sein, doch dies ist wenig im Vergleich zum weltweiten Potenzial. Wenn die großen Kommunikationskonzerne, die Druckerzeugnisse herstellen, vom Recycling zum Upcycling übergehen würden, indem sie ein durchdachtes Grafikdesign anwenden, dann könnte eine Milliarde Kinder diese simplen Kommunikationsmittel erhalten. Natürlich wäre hierzu eine neue Generation von Unternehmern und Grafikdesignern nötig.

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73. Bewegungssensoren

Der Markt für Bewegungssensoren

Der Marktwert von Bewegungssensoren hat 2010 die 70-Milliarden-Dollar-Marke überschritten. Für die nächsten Jahre ist ihm eine Wachstumsrate von insgesamt über 10 Prozent sicher. Sensoren in der Automobiltechnik, einer der am schnellsten wachsenden Märkte, werden 2012 die 15,8 Milliarden US-Dollar erreichen. Für chemische Sensoren werden 2015 17,3 Milliarden erwartet. Auf dem Weltmarkt für Sensoren in der Unterhaltungselektronik werden 22,1 Milliarden Dollar für 2015 erwartet, mit einer jährlichen Wachstumsrate von 12 Prozent. Dabei übertreffen die Einsatzgebiete in der Unterhaltung alle anderen Segmente mit einem starken Wachstum von jährlich 16 Prozent über die nächsten fünf Jahre. Hier liegen die Bildsensoren vorn. Der US-Markt für Sensoren wird mit 10 Milliarden Dollar beziffert, Europa liegt bei über 15 Milliarden Dollar, die militärischen Einsatzfelder nicht eingerechnet.

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In Zeiten drohender Rezession bleibt der Markt für Sensoren eine der wenigen von amerikanischen und europäischen Firmen dominierten Nischen mit hohem Wachstum. Dies liegt daran, dass sie ursprünglich im Militärbereich eingesetzt und die Forschung und Entwicklung aus diesem Etat bezahlt wurden. So erklärt sich die Präsenz von Firmen wie Northrop Grumman und Honeywell unter den Marktführern weltweit. Jedoch drängen auch Innovationen aus mittelständischen, familienbetriebenen deutschen Firmen auf den Markt, so Robert Bosch (Crash-Sensoren für Airbags), First Sensor AG (in Berlin ansässige Sensoren-Manufaktur), Pepperl+Fuchs (u.a. führend in elektronischen Sensoren) und fast hundert weitere in Deutschland ansässige Nischenlieferanten.

Eins der neuen Schlüsselgebiete für die Entwicklung sind Sensoren auf Basis von mikro-elektro-mechanischen Systemen (MEMS), in Japan auch bekannt als Mikro-Maschinen. MEMS können gerade einmal 20 Mikrometer (20 Tausendstel Millimeter) oder bis zu 1 Millimeter groß sein. Diese winzigen Systeme erfassen Geschwindigkeit, Beschleunigung, Vibration oder Stoß und lösen dabei das Aufblasen der Airbags zum Schutz der Passagiere in Autos und Zügen aus. MEMS-Technik durchdringt inzwischen alle Sektoren der Wirtschaft, von der Vorhersage von Erdbeben und Vulkanausbrüchen, Geräuschen, Vibration oder Härte, die Unbehagen verursachen, über Geschwindigkeitsmesser in Sportuhren, Schrittzählern und Entfernungsmessern für Wanderer, die die Verbrennung von Kalorien im Blick behalten möchten, bis hin zur Überwachung von Pumpen, Ventilatoren, Kompressoren und Kühltürmen oder der Effizienzmessung für Bremsen. Insbesondere durch Neuerungen auf dem Automobilsektor kosten MEMS-Sensoren mitunter nur einen Dollar, dabei bieten sie Sicherheit und präzise Arbeit über lange Zeit zu sehr günstigen Kostenpreisen.

Die Innovation

Die Welt der Sensoren steckt noch in den Kinderschuhen. Bald werden diese Geräte zahlreiche Produkte und Systeme ersetzen, die zurzeit als Teil des modernen Lebens gelten. Beispielsweise wird die batteriebetriebene Fernbedienung bald durch Gesten ersetzt, die überhaupt keine Geräte benötigen. Ein solches Produkt wird bereits durch Gesture Studios (USA) vermarktet, eine Idee von John Underkoffler (MIT) der die Hardware für GoodPoint mit entwickelt hat. Dieser Apparat erfasst Bewegungen und übersetzt sie in elektronisch gesteuerte Aktionen. So werden PowerPoint-Präsentationen nie wieder inkompatibel mit der Fernbedienung, weil sie nicht mehr nötig ist. Diese Innovation wird die Interaktion von Verbrauchern und ihren Elektrogeräten revolutionieren. Intel entwickelt gerade eine neue Form der Bewegungserfassung, die ermöglichen wird, dass der Programmwechsel und die Lautstärkeregelung mit Winkbewegungen gesteuert werden. So können in fünf Jahre die Fernbedienungen für Audio- und Bildgeräte abgeschafft und durch Gestenerkennung ohne spezielle Brillen oder Handschuhe ersetzt werden. Intel entwickelt nichts weniger als ein Körpererkennungssystem. Ihr Ziel ist es, die Nachfrage nach einer neuen Generation von Halbleitern und Superprozessoren anzutreiben. Doch die Bewegungserfassung ist komplex und für dieses Feld von Innovationen wird eine neue Art des Aufspürens von Beschleunigung und Bewegung benötigt, damit sie noch effektiver und präziser als der gegenwärtige Standard ist.

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Santosh Kumar hatte bereits eine steile Karriere bei Siemens in Indien hinter sich, für die er Codes für Telekommunikationsschalter entwickelte. Er entschloss sich, seinen gut bezahlten Job aufzugeben und ein Doktorstudium in Informatik und Ingenieurwissenschaften an der Ohio State University aufzunehmen, das er 2006 abschloss. Er erkannte, dass für viele Sensoren die Integration der Miniaturisierung (MEMS) zusammen mit drahtloser Kommunikationstechnik essenziell war, um den Herausforderungen der Welt zu entsprechen. Da die meisten gebräuchlichen Kontrollgeräte heutzutage über Satellit verbunden sind, benötigen sie viel Batteriestrom und sind anfällig für Unterbrechungen der Verbindung.

Kumar beschloss eine kleine Leiterplatte zu entwickeln, einen drahtlosen Sensor für einen Dollar, einen Beschleunigungsmesser, ein Gyroskop, eine Verbindung zu einem Mobiltelefon oder Radio und Support-Software. Die Haupt-Sensortechnik (Beschleunigungsmesser und Gyroskop) funktionieren auf einfacher physikalischer Grundlage, indem sie 6 Grad freie Bewegung aufzeichnen. Mit einem magnetischen Kompass wären sogar 9 Grad Spielraum bei größter Perfektion möglich. Diese Bausteine könnten ohne Batterien laufen und daher handelt es sich hier um eine Innovation im Sinne der Prinzipien der Blue Economy. Es ist eine Plattformtechnologie mit Hunderten von Anwendungsmöglichkeiten, in denen „etwas durch nichts“ ersetzt wird.

Der erste Umsatz

Später entwickelte Kumar kommerzielle Produkte. Das erste ist der so genannte „AutoWitness“, ein Verfolgungssystem für Diebe. Wenn ein solches Gerät an einem Computer oder Gemälde angebracht ist, meldet es Bewegungen und unterscheidet zwischen Diebstahl, Reinigung und Umbaumaßnahme. Wenn das gestohlene Objekt in einem Auto transportiert wird, meldet der Sensor alle Bewegungen über die Netze der mobilen Telefonie zusammen mit den geografischen Koordinaten. Der Systemtext meldet die exakte Position des Autos an die Polizei.

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Die einfache Handhabung und niedrigen Kosten motivierten die Polizeireviere von Memphis und Jackson (Tennessee, USA) zu einem Test. Diese Erfindung brachte Kumar die Anerkennung des Popular Science-Magazins als einer der brillantesten Wissenschaftler der USA unter 38 Jahren ein. Währenddessen wurde er zum Professor an der Universität Memphis ernannt, an der er das Labor für drahtlose Sensortechnik und Mobile Ad-Hoc-Netzwerke (WiSe MaNet) leitet. Er arbeitet sowohl an der theoretischen Forschung als auch an praktischen Anwendungen für den kommerziellen Gebrauch. Kumar ist einer der wenigen Wissenschaftler, die grundlegende Wissenschaft mit pragmatischer Implementierung in Projekten vereinen.

Die Chance

Mit der selben Plattformtechnologie hat Santosh Kumar eine weitere Anwendung namens „AutoSense“ entwickelt. Dieses winzige Gerät wird unter der Kleidung getragen und überwacht das Stress-Niveau durch gleichzeitige Messung von Atmung, Herzschlag, Blutdruck und physische Aktivität. Die Software eines Smartphones ermöglicht es Ärzten, jeden Patienten individuell zu überwachen; sie wissen, ob er oder sie sich drinnen oder draußen aufhalten, ob sie sprechen oder rauchen. Die Information wird auf Stressindikatoren ausgewertet, so dass die Ärzte Anfälligkeiten und Rückfällen vorbeugen können. Die erste Umsetzung richtet sich an Suchtpatienten. Dieses Projekt ist inzwischen Teil des Nationalinstituts für Gesundheit und ermöglicht das Erkennen von Stress, Begehren und Panikanfällen ohne ständige persönliche Überwachung. Eins der einzigartigen Merkmale dieser Forschung ist, dass eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen wie Informatik, Elektroingenieurwesen, Mathematik, Psychologie, Verhaltensexperten, Physiologie, Anthropologie, Biochemie und Physik entsteht.

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Die Integration von Wissenschaften wird die Funktionsweise von Flugzeugen ändern, von Computerspielen und davon, wie Werbung uns dazu bringt, die neuesten Produkte zu betrachten. Die Sportartikelfirma Adidas hat dies jüngst durch die interaktive Schneeflockenwerbung auf U-Bahnhöfen in New York bewiesen. Durch Handbewegungen in der Luft konnte man fallende Schneeflocken zu Stadtbildern formen. Durch Winken beider Hände verwirbelten sich die Flocken. Die per Gyroskop gesteuerte MEMS-Technologie, die Asahi Kasei Microsystems (AKM) aus Japan für das iPhone 4 geliefert hatte, beeindruckte Steve Jobs so stark durch die Fähigkeit, sich selbst zu orientieren, dass dies nun eine Standardfunktion bei Apple ist.

Die mikroskopische Version eines Vibrations-Gyroskops in Kombination mit MEMS und einem Chip, die Gerüchten zufolge zu diesem Ziel durch STMicroelectronics entwickelt wurde, bietet dem iPhone 4 und dem iPad 2 einzigartige Funktionalität, für die es bisher noch wenig Anwendungen gibt. Das Gyroskop, das ursprünglich im Jahr 1817 durch Johann Bohnenberger erfunden und durch Leon Foucault berühmt wurde, der es nutzte, um die Erdrotation zu beobachten, wird nun zum Kernstück, um das sich die Imagination Tausender Erfinder in den kommenden Jahrzehnten drehen wird. Es überrascht nicht, das ein Visionär wie Steve Jobs dies erkannte und zum Standard seiner neuesten Produkte erklärte.

Bilder: StockXCHNG

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72. Energie von Containern

Der Markt für Containertransporte

Der Marktwert für weltweite Containerverschiffung wurde 2010 auf 480 Milliarden US-Dollar geschätzt. Bei dieser Art von Transport wurden im selben Jahr insgesamt 500 Millionen Standard-Container über mehr als 600 Milliarden Kilometer weit versendet. Die Ladekapazität der Containerflotte der Welt wuchs von 4 Millionen Containern im Jahr 2000 bis auf 12, 5 Millionen heutzutage. Zwischen 2008 und 2017 wächst der Frachtverkehr per Container auf den Ozeanen erwartungsgemäß weiter mit einer Rate von 6,9 %. Experten sehen voraus, dass der interkontinentale Handel zwischen Asien und Europa am schnellsten expandieren wird – um 9,8 Prozent an Volumen und 9 Prozent in Erträgen, da Europa um etwa fünf Jahre hinter den USA zurückliegt, was die Verlagerung der Produktion nach Asien betrifft. Die Attraktivität des Transports auf dem Seeweg gründet sich offensichtlich auf die Treibstoffkosten pro 40-Fuß-Einheit: Der Transport eines Containers von Schanghai nach Atlanta ist immer noch billiger als von Guadalajara (Mexiko) nach Atlanta.

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Das weltweite Container-Transportnetzwerk bildet das Rückgrat der globalisierten Versorgungskette mit etwa 60 Prozent des Welthandelswerts und über 90 Prozent des Volumens. Die Wertkette, innerhalb der ein Container vom Absender zum Empfänger gelangt, umfasst folgende fünf Sektoren: (1) Erstellung des Versands, Routenbestimmung und Verwaltung der Kapazitäten, (2) Container, (3) Betrieb der Fahrzeuge, (4) Schiffsbeladung und Löschen der Ladung und (5) Lieferung auf dem Landweg. Die Hälfte der Kosten verursacht der Betrieb der Schiffe selbst, während das Verladen nur 17 Prozent ausmacht. Zentrum für die Finanzierung und den Betrieb neuer Schiffe ist Hamburg. Deutschland besitzt 35 Prozent aller Containerschiffe (1644 von 4619) und in der Stadt haben sich fast 60 Versandbanken und Financiers niedergelassen. A.P. Møller-Maersk (Dänemark) hat P&O Nedlloyd aufgekauft und ist führender Schiffsbetreiber mit einer Rechnungsstellung von jährlich über 43 Milliarden Euro weltweit.

Der Containertransport hat für eine Revolution in der Herstellung gesorgt. Einen Fernseher von Asien nach Europa zu verschiffen kostet 10 Euro, ein Staubsauger 1 Euro und eine Bierflasche 1 Cent. Umgekehrt ist es noch billiger. Durch niedrige Lieferkosten rentiert es sich, spanische Tomaten nach China zu schicken, um sie dort zu Ketchup zu verarbeiten und zum Verbrauch wieder zurück nach Europa zu schicken. Doch jüngste Forschungen zeigen, dass ein Containerschiff in einem einzigen Jahr so viele Abgase freisetzt wie 50 Millionen Dieselautos. Frachtschiffe werden mit minderwertigem Dieselöl betrieben, das bis zu 2000-Mal mehr Schwefel enthält als der von Dieselautos. Das größte Containerschiff der Welt, im Besitz von Maersk, kann 15 200 Container von 40 Fuß bei konstant 50 km/h transportieren und verbraucht dabei pro Tag auf hoher See 380 Tonnen Treibstoff.

Die Innovation

Schiffstreibstoff besteht aus Abfallstoffen des Öls und Resten aus der Raffinerie. Es ist die billigste verfügbare Energiequelle. Alle Schiffe der Welt zusammen verbrauchen täglich 7,3 Millionen Barrel, so viel wie die Gesamtproduktion von Saudi-Arabien. Somit ist der Schiffsverkehr bei weitem der größte Umweltverschmutzer im Transport und bläst – The Guardian zufolge – 260-Mal mehr Schwefel in die Luft als die gesamte Autoflotte der Welt. Allein die 15 größten Schiffe der Welt verursachen genauso viel Schwefeloxide wie alle 760 Millionen Autos auf dem Planeten. Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation der Vereinten Nationen (IMO) zeigt auf, dass die bestehende Flotte ihren Energieverbrauch um 10 Prozent senken und neue Schiffe mit einer Technologie zur Senkung um 30 Prozent ausgestattet werden könnten. Als alternative Energiequelle für Schiffe gilt die Atomkraft. Es gibt 150 Schiffe mit Atomantrieb, die meisten davon sind U-Boote. Doch die Option der Kernkraft wird weitgehend ausgeklammert aufgrund der komplizierten Wartung und den Risikofaktoren im Falle von Havarien. Der Umstieg auf sauberen Treibstoff würde zusätzliche Kosten verursachen und den Ölpreis unter Druck setzen, gleichzeitig bliebe die Industrie auf einem minderwertigen Produkt ohne Absatzmarkt sitzen.

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Vatche Artinian ist Amerikaner armenischer Abstammung mit einem Mastergrad im Elektroingenieurwesen und einem MBA der University of Southern California. Ebenfalls hält er einen Bachelorgrad in Elektro- und Computeringenieurwesen der Polytechnischen Universität Kaliforniens. Seine Faszination galt den Schwungrädern, die seit der Bronzezeit zur Speicherung kinetischer Energie eingesetzt werden. Er erkannte, dass neue Hochgeschwindigkeitsmotoren mit magnetischen Lagern Energie effizient speichern. Artinian und sein Team bauten Energiespeichersysteme auf Grundlage eines Magnetmotors für einen Wechselbetrieb in schnellem Rhythmus (12 Sekunden Entladung, 18 Sekunden Leerlauf, 12 Sekunden Wiederaufladung, 18 Sekunden Leerlauf). Ergänzt wurde die Entwicklung um Magnetlager, die das Schwungrad im Schwebezustand halten, so dass die Einheit bis zu 60 000-Umdrehungen pro Minute ohne Reibung oder Wärme schafft. Das Team erkannte, dass die Magnetlager die Wartung auf praktisch null senken konnten, da die Lager nie ersetzt werden und nie Schmierstoffe benötigen.

Artinian (als Vorsitzender) und Larry Hawkins (technischer Direktor) gründeten Calnetix, eine High-Tech-Firma in privater Hand, die in den letzten 20 Jahren zum Industrieführer für Hochgeschwindigkeitsmotoren, Magnetlager und Magnetantrieb für dezentrale Energiesysteme aufstieg. Im Jahr 2004 entschlossen sie sich, ihre Schwungrad-Technologie auszugliedern und gründeten Vycon, eine Firma, die Hochgeschwindigkeits-Schwungräder zur Speicherung von Gleichstrom entwickelt und herstellt. Nach anfänglichen Erfolgen bei der Vorführung der Technologie stellten sie 2010 mit Erfolg ein Budget von 13,7 Millionen Dollar von amerikanischen, dänischen und neuseeländischen Investoren, um die Produktion zu stärken und auf die gestiegene Nachfrage nach sauberen Energiespeicherungsformen reagieren zu können.

Der erste Absatz

Ein mobiler Kran kann innerhalb einer Minute einen Container vom LKW oder Waggon auf ein Frachtschiff oder umgekehrt heben. Artinian erkannte, dass die Kraft zum Anheben und die benötigte Energie zum langsamen Absetzen eine Menge Treibstoff erfordert. Diese Aktionen stellen den zweitgrößten Kostenfaktor im Containertransport nach dem Betreiben des Schiffes selbst dar. Mobile Kräne werden durch Dieselgeneratoren an Bord betrieben. Wenn der Kran etwas anhebt, wird Energie zugeführt, und beim Absetzen und Bremsen wird die wiedergewonnene Energie in einen Widerstand geleitet, in dem sie abgebaut wird.

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Vycon entwickelte und vertreibt inzwischen Schwungräder, die diese Energie auffangen und speichern, damit sie beim nächsten Anheben wieder eingesetzt werden kann; so wird der Energieverbrauch um 30-35 Prozent gesenkt, Lärm gemindert und gleichzeitig die Betriebsdauer des Generators verlängert. Das Schwungrad arbeitet so präzise und zuverlässig, dass Vycon seinen Kunden eine 20-jährige Garantie anbietet. Diese Technologie kann ebenso in bestehende Kräne eingebaut werden, so dass sofort Einsparungen möglich sind. Das erste System wurde am Containerterminal von Long Beach, Kalifornien, installiert und ist seit Mai 2006 in Betrieb.

Die Chance

Diese Neuerung in der Containerindustrie reduziert die dramatischen Emissionen im Schiffsverkehr nur geringfügig. Und doch ist das bewährte Schwungrad-System in der Umsetzung im großen Maßstab eine Plattformtechnologie, die eine Alternative zu Bleisäure-Batterien, die als Reserve für die unterbrechungsfreie Stromversorgung in Datenzentren und Servern dienen. Die Technologie bietet eine batteriefreie Alternative in der Datenspeicherung und in Kommunikationsnetzwerken. Im April dieses Jahres hat die Vycon-Technologie das Zertifikat für Erdbebensicherheit von der kalifornischen Behörde für staatsweite Gesundheitsvorsorge und Entwicklung erhalten, nachdem Tests bewiesen hatten, dass das System vor, während und nach simulierten Erdbeben gleichbleibend funktionierte.

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Die derzeit betriebenen Systeme beweisen, dass die Schwungrad-Technologien sich nach 2 ½ Jahren auszahlen und somit die Gesamt-Anlagekosten für ein herkömmliches batteriegestütztes Stromsystem unterbieten. Zwei Jahre in Folge (2010-2011) wurde Vycon vom Inc.-Magazin als eine der unternehmerischsten und am schnellsten wachsenden amerikanischen Firmen in Privatbesitz ausgezeichnet und konnte über drei Jahre ein Wachstum von fast 800 Prozent aufweisen, das höchste im Energiesektor der gesamten USA. Schwebetechnologien, die über längere Zeit stabil und sicher laufen und so einen besseren Dienst zu niedrigeren Kosten leisten, sind somit selbstverständlich Teil des Portfolios von Innovationen der Blue Economy.

Bilder: StockXCHNG

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71. Pumpspeicherkraftwerke

Der Markt für Pumpspeicherung von Wasserkraft

Der Weltmarkt für Pumpspeicherkraftwerke (PSW) hat 2010 knapp über 127 GW erreicht. Wasserkraft einschließlich Pumpspeicherung ist heutzutage die am weitesten verbreitete erneuerbare Technologie zur Stromerzeugung. Wie Dampf in Kohlekraftwerken ist Pumpspeicherkraft ein Nebenprodukt der Wasserkraft. Sie nutzt den billigen Strom zu verbrauchsarmen Zeiten, um Wasser aus einem niedriger gelegenen Reservoir in größere Höhen zu pumpen. Zu Spitzenverbrauchszeiten fließt dieses Wasser durch Turbinen zur Stromproduktion. Wenngleich das Pumpen selbst Energie verbraucht, steigt doch der Umsatz durch Verkauf von Strom zu höheren Preisen in Spitzenzeiten.

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In der EU liegt die Nettokapazität bei fast 40 GW, was einem Drittel der weltweiten Kapazität sowie 5 Prozent der Kapazität zur Grundversorgung in der EU entspricht. Die EU verzeichnet die größte Aktivität im Ausbau dieser Speicherkapazitäten. Japan hat ebenfalls über die letzten Jahre investiert und liegt inzwischen bei 26 GW bzw. einem Viertel der Weltkapazität. Die USA halten 22 GW (etwa ein Fünftel), die 2,5 Prozent der nationalen Grundversorgung (1088 GW) entsprechen. Es wird erwartet, dass der Markt für Pumpspeicherung in den nächsten 4 Jahren um 60 Prozent auf 203 GW im Jahr 2014 wächst. Hierfür werden zusätzlich knapp 60 Milliarden US-Dollar an Kapital investiert.

Die Weltbank sowie die Europäische Investmentbank stellen bereits vorab Fonds für die Erweiterung von Pumpspeicherkraft aus Portugal, der Schweiz, Spanien und dem Vereinigten Königreich für Russland, Indonesien, China und Vietnam auf. Ein interessanter neuer Trend ist die Kooperation zwischen RWE, einem der führenden europäischen Energieversorger, und Deutschlands Kohlenbergwerkbetreiber RAG zur gemeinsamen Entwicklung von integrierten Windkraft- und Pumpspeichersystemen in Tagebaugebieten. Das Konzept verbindet die zeitweise vorhandene Windenergie mit Wasserkraft, die innerhalb einer Minute zur Verfügung stehen kann. Das System wird Windkraft in Momenten hoher Produktivität und niedriger Nachfrage nutzen, um Wasser 50 Meter höher auf die Abraumberge zu pumpen. Es wird voraussichtlich ab 2016 in Betrieb gehen. Mit über 40 000 installierten Anlagen ist Voith Hydro (Deutschland) Marktführer in der Lieferung von Generatoren und Turbinen. Seit letztem Jahr bekommt die Firma jedoch starke Konkurrenz durch Toshiba, Mitsubishi und Sumimoto aus Japan sowie Alstom aus Frankreich.

Die Innovation

Da erneuerbare Energie nicht ununterbrochen zur Verfügung steht, werden Speicherreserven benötigt. Traditionell werden hierfür Batterien genutzt, doch diese Lösung auf chemischem Wege ist nur im kleinen Maßstab möglich. Natrium-Schwefel-Akkumulatoren erreichen nur eine Kapazität von 200 MW. Druckluftspeicherkraftwerke als Alternative haben es schwer, sich auf dem Markt zu positionieren; weltweit sind nur zwei Anlagen in Betrieb. Ein in einem Vakuum mit extrem geringer Reibung betriebenes Schwungrad speichert Energie aus Stoffzusammensetzungen zur Lieferung von Zentripetal-kräften. Komprimierter oder verflüssigter Wasserstoff wird gespeichert, um später wieder in Energie und/oder Wärme zurückverwandelt zu werden. Somit ist die Pumpspeicherung zurzeit zwar das gebräuchlichste System, ihre Nachteile jedoch der negative Umwelteinfluss und die Genehmigungsverfahren, die im Durchschnitt zehn Jahre dauern.

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James Fiske, Spezialist in Magnetschwebetechnik, hat 1978 sein Studium im Elektroingenieurwesen und Informatik am Massachusetts Institute of Technology abgeschlossen. Er arbeitete für Hughes Aircraft an Signalverarbeitungssystemen und war maßgeblich am Bau eines Mini-Supercomputers sowie der Entwicklung von wegbereitender computergestützter Software für das Ingenieurwesen beteiligt. Er besitzt sechs Patente. Als er an der Entwicklung einer neuartigen Transportart für Frachten auf Basis der Magnetschwebetechnik arbeitete, wurde er auf die Nutzung der Schwerkraft als netzgestütztes Stromspeichersystem aufmerksam. Er betrachtete die Pumpspeichertechnik und beschloss, diese bewährte Technologie auf einen neuen Weg zu bringen, nämlich abwärts. Er bemerkte, dass die beiden großen Reservoirs und die Umweltschädigung überwunden werden könnten, indem unterirdisch ein Schwerkraftmodul installiert wird. Dieses modulare System hinterlässt nur einen kleinen ökologischen Fußabdruck und kann fast überall eingesetzt werden, wo Energiespeicherung benötigt wird. James gründete Gravity Power als Spinoff der LaunchPoint Technologies, für die er als Vizepräsident im Prozessingenieurwesen arbeitet.

Der erste Umsatz

James bemerkte, dass wir uns nicht nur auf das Einfangen der Sonnen-, Wind- und Wellenkraft konzentrieren sollten, sondern die Möglichkeit haben, sie über viele Stunden nach Sonnenuntergang oder Abflauen des Windes zu speichern. Er errechnete die gesamten Kapitalkosten pro KW und stellte fest, dass Batterien zwischen 1750 und 3640 Dollar pro KW liegen, während PSH höchstens 1500 Dollar erreicht – also vergleichbar ist mit den billigsten Batterien, jedoch mehr als doppelt so viele Stunden lang Strom speichern kann (10 Stunden). Aus breit angelegten computergestützten Modellen und Simulationen schloss James, dass eine Anlage zur Speicherung von 2 GW weniger als 2 Hektar Fläche benötigt. Da die Technologie auf einem tiefen Schacht basiert, der mit Wasser gefüllt und durch Beton gestützt wird, ist sie auch erdbebensicher.

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Das Schwerkraftmodul ist eine vertikale Säule, die einige hundert Meter tief in die Erde gebohrt und mit Wasser gefüllt wird. Ein riesiger Kolben aus Beton- und Eisenerzscheiben für hohe Dichte und niedrige Kosten drückt auf die Wassersäule, die durch gleitende Dichtungen gesichert werden, um Energie zu speichern. Zur Entladung der Energie über ein Rücklaufrohr werden sie abgesenkt. Solange Energie im Überfluss vorhanden ist, wird Wasser hinabgepumpt; Gewicht und Wassersäule werden angehoben. Bei Bedarf drückt das Gewicht das Wasser durch eine Turbine, die Strom produziert. In einem einzigen Schacht könnten mehr als 50 MW Energie über vier Stunden gespeichert werden, entsprechend sind dies 200 MWh gespeicherter Strom. Gravity Power kooperiert mit Robbins Co., dem Erfinder des Erdbohrers, um ihre Technologie so anzupassen, dass sie innerhalb von 24 Stunden 100 Meter tief graben kann. Durch Geschwindigkeit, niedrige Kosten und Bau aus vorhandenen und billigen Materialien können die zu erwartenden Investitionskosten um mindestens die Hälfte gesenkt werden, und die Zeit zwischen Beschluss und Inbetriebnahme liegt bei wenigen Jahren anstatt einem Jahrzehnt. Die erste Anlage ging 2011 in Texas in Betrieb.

Die Chance

Die Einführung erneuerbarer Energien macht Energiespeicherung im Maßstab zur Anlage notwendig, also in riesigen Dimensionen. Daher liegt eine der Chancen in der Nutzung bereits vorhandener Schächte, die in den letzten Jahrhunderten bereits zu Tausenden von Bergwerksbetrieben in aller Welt gegraben wurden.

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Das Projekt MineWater in Heerlen (Niederlande) nutzt bereits die Temperaturdifferenz tiefer Förderschächte zur Kühlung und Heizung von Wohngebieten. Jetzt würde man aber nicht nur die Wärme nutzen, wie es sich im holländischen Fall bereits bewährt hat, sondern das Vorhandensein von Wasser. Es werden die idealen Schächte gesucht, Dichtungen gebaut und das reichlich vorhandene Wasser in den verlassenen Minen genutzt, das in PSWs sonst häufig herausgepumpt werden muss. In einem Land wie Südafrika rund um Johannesburg, in dem Millionen Liter Wasser aus Bergwerken gepumpt und hierfür 25 Prozent des Gesamtverbrauchs an Energie benötigt werden, könnte die bahnbrechende Technik von James und seinem Team dauerhaft Strom liefern. Erst jetzt entdecken die Betreiber der bis zu 4000 Meter tiefen Minen dieses enorme Potenzial.

Bilder: StockXCHNG