Neue Toiletten
Die Toilette neu erfinden
von Markus Haastert, Anne-Kathrin Kuhlemann
Hintergrund: Krankheiten und verschwendete Ressourcen
Eine der Hauptursachen für die immer noch viel zu Hohe Kindersterblichkeit in den Entwicklungsländern ist Durchfall. Durchfallerkrankungen kosten jedes Jahr schätzungsweise 760.000 Kindern unter fünf Jahren das Leben. Diese Erkrankungen sind gewöhnlich ein Symptom einer Infektion des Verdauungstraktes. Sie führen zu Mangelerscheinungen und behindern die gesunde Entwicklung von Kindern, da Nährstoffe ungenutzt den Körper verlassen. Jedes Kind unter drei Jahren leidet in den Entwicklungsländern durchschnittlich drei Mal jährlich an Durchfallerkrankungen. In 86% der Fälle ist verschmutztes Wasser der Grund für diese Krankheiten.
In vielen Regionen der Welt gibt es keine zentrale Trinkwasserversorgung und auch kein Abwassersystem. Fäkalien werden oft einfach in nahegelegene Gewässer geleitet, aus denen dann wiederum Wasser zum Trinken, Kochen und Waschen geholt wird. Krankheiten wie Typhus oder Cholera werden durch Bakterien übertragen, die durch Nahrung und Wasser aufgenommen werden. Diese sind der Grund für hunderttausende Todesfälle jedes Jahr, und das, obwohl sie zu 100% vermeidbar sind, wenn angemessene hygienische Standards eingehalten werden. Insgesamt haben allerdings immer noch ungefähr 2,6 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sicheren und hygienischen Sanitäranlagen.
Dies ist absurd, denn eigentlich stellen Kot und Urin eine wertvolle Ressource da, solange sie getrennt voneinander behandelt werden. Mit Wasser vermengter Urin ist ein effektiver Pflanzendünger, der zahlreiche Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor enthält. Gerade Phosphor ist ein unverzichtbarer Nährstoff in der Landwirtschaft, der immer knapper wird, so dass schon diskutiert wird, Phosphor künftig in der Tiefsee abzubauen. Getrockneter Kot kann in humusartige Erde umgewandelt werden.
Während in Europa zentrale Kläranlagen das Abwasser reinigen, gibt es in den meisten Teilen der globalen Südens nicht einmal Abwasserkanäle. Politisch geht der Trend jedoch in Richtung Imitation der westlichen Standards. Zentrale Kläranlagen zu bauen, ohne über Abwasserkanäle zu verfügen, ist allerdings nicht zielführend, da diese Maßnahmen außerhalb von Städten kaum greifen. Dezentrale Lösungen der Problematik wären daher zu bevorzugen. Diese würden es auch erlauben, den Wert der Ausscheidungen für die Landwirtschaft zu nutzen.
Die Innovation: dezentrale Wertschöpfung
In der westlichen Welt werden Toiletten mit Trinkwasser gespült – eine unglaubliche Verschwendung einer der wertvollsten Ressourcen die wir haben. Diese Methode auch in Gegenden einzuführen, in denen ein großer Teil der Bevölkerung keinen sicheren Zugang zu Trinkwasser hat kann keine nachhaltige Lösung sein.
Es gibt mittlerweile unzählige Ideen und Innovationen, die zu einem Umdenken geführt haben. Immer öfter werden dezentrale Lösungen wie Komposttoiletten gewählt, um auch in Gegenden ohne zentralen Abwasseranschluss eine gesundheitlich unbedenkliche Möglichkeit zu haben, Exkremente zu behandeln.
Aber auch Hightech Lösungen wurden entwickelt. Im Jahr 2011 begann die Reinvent the Toilet Challenge (RTTC) der Bill and Melinda Gates Foundation. Das Ziel war es eine Toilette zu entwickeln, die unabhängig von Strom- und Wasseranschluss arbeitet, gleichzeitig Keime abtötet und Ressourcen generiert und dabei für jeden bezahlbar ist. Seit dem Beginn des Projekts gab es mehrere Konferenzen, unter anderem in Indien und China, auf denen neue Innovationen vorgestellt wurden. Den ersten Preis des Wettbewerbs gewann das California Institute of Technology mit einer hochkomplexen, zweistöckigen Erfindung, die mit selbst produzierter Solarenergie einen biochemischen Reaktor antreibt, das Wasser reinigt und wertvolle Nebenprodukte wie Dünger und Wasserstoff generiert. Ein anderes prämiertes Projekt der TU Delft schlägt vor, zentrale Häuser mit Sanitäranlagen in ärmlichen Siedlungen zu bauen, die die Einwohner gegen ein kleines Entgelt von fünf Cent am Tag benutzen können. Diese Häuser sollen als Franchise-System die lokale Wirtschaft ankurbeln und Mindeststandards an Hygiene und auch Sicherheit erfüllen. Die Abfallprodukte werden von einem Lastwagen abgeholt und zu einer zentralen Kläranlage außerhalb der Siedlung gebracht.
Neben diesen hochtechnisierten Lösungen, deren Potential hauptsächlich darin liegt, die Sanitärsituation in Ballungsgebieten zu verbessern, gibt es auch unzählige Konzepte, die ohne großen technischen Aufwand praktisch selbst zu bauen und zu warten sind. Großes Potential haben Systeme, die kein Wasser benötige um zu funktionieren. Trockentrenntoiletten sind besonders geeignet für Gegenden ohne zentralen Sanitäranschluss. Diese Toiletten kommen ohne Wasser, Strom und Chemikalien aus und basieren auf dem Prinzip der Kompostierung. Bei einer simplen Komposttoilette werden Urin und Fäkalien getrennt gesammelt, zu letzteren Bindemittel wie Holzspäne nach der Benutzung hinzugefügt um Gerüche zu vermeiden. Nach dem Trocknen der Exkremente an der Luft erhält man wertvollen Pflanzendünger. Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht einfach um Plumpsklos geht. Eine gesteuerte Luftzufuhr bei der Zersetzung der Exkremente ist von großer Wichtigkeit, da es ansonsten zu anaeroben Prozessen kommt, die schlechte Gerüche und Gesundheitsgefährdungen durch Gasproduktion verursachen. Daher haben industriell gefertigte Trockentoiletten eine installierte Ventilation, die einerseits den Kompostierungsprozess steuert und andererseits schlechte Gerüche vermeidet.
Der Urin eines gesunden Menschen ist normalerweise frei von Krankheitserregern. Wenn Urin allerdings mit Kot vermischt wird, entsteht eine gefährliche Brühe. Das Trennen der Ausscheidungen ist daher sinnvoll, um das Ausbrechen von Krankheiten zu vermeiden. Durch die Trennung der Exkremente erhält man zwei wertvolle, nicht verunreinigte Ressourcen. Von Hightech bis Marke Eigenbau, gibt es gibt schon zahlreiche Modelle sogenannter Trenntoiletten auf dem Markt. Im Hamburger Hauptbahnhof wurde ein Projekt initiiert, bei dem eine öffentliche Trockentoilette installiert worden ist. Durch Mikrofilter werden Fest- und Flüssigstoffe getrennt, um aus ihnen neuen Wert für die Landwirtschaft zu schaffen. Die Feststoffe werden mit Kohle vermischt und unter Zugabe von Mikroorganismen fermentiert. Es dauert circa sechs Monate die Feststoffe unter kontrollierter Luftzufuhr zu wertvoller Erde zu kompostieren. Am Ende dieses Prozessen entsteht äußerst fruchtbarer Humus, sogenannte Terra Preta. Diese verwendet wiederum der Botanische Garten in Berlin zur Pflanzenzucht. Auch das mit Wasser verdünnte Urin wird als Dünger verwendet.
Mittlerweile gibt es auch ökologische mobile Toiletten, die im Gegensatz zu herkömmlichen Dixiklos komplett auf schädliche Chemie verzichten. Anstatt derer werden Holzspäne hinzugefügt, die die Exkremente abdecken und Geruchsbildung komplett vermeiden. Ökonomisch machen solche Installationen Sinn, da die hohen Kosten für die Entsorgung von Sondermüll entfallen. Stattdessen werden die Exkremente kompostiert, sodass neuer Wert geschöpft wird.
Aber auch gerade für Entwicklungsländer sind dezentrale Lösungen zu bevorzugen, die möglichst simpel gehalten werden, sodass eine ständige technische Überprüfung unnötig ist. Denn eine solche sicherzustellen ist nicht unbedingt einfach in Regionen mit wenig Planungssicherheit. Trenntoiletten sind hier eine sehr geeignete Möglichkeit, von denen bei richtiger Installation keine Gefahr für die Gesundheit ausgeht. Hier werden Feststoffe direkt vom Urin getrennt.
China ist ein Vorreiter auf dem Gebiet der nachhaltigen Toiletten. Im von Dürre geplagt Norden des Landes wurde eine Modellstadt gebaut, in der alle Exkremente der Einwohner zusammen mit Küchenabfällen gesammelt und kompostiert worden sind. Obwohl der Versuch eingestellt wurde, zeigt dieses Beispiel zusammen mit zahlreichen anderen, dass es möglich ist ganze Städte mit solchen ökologischen Sanitäranlagen zu versehen.
Das Potential: Trinkwasser sparen und Krankheiten vermeiden
Trinkwasser zur Spülung von Toiletten zu verwenden ist eine unglaublich Verschwendung. Jeder Einwohner Deutschlands verbraucht jeden Tag durchschnittlich 35 Liter an Trinkwasser nur für das Spülen der Toilette. Das sind über 12.000 Liter im Jahr. Zum Vergleich: die Verfassung Südafrikas spricht jedem Menschen das Recht auf gerade einmal 25 Liter Wasser am Tag zu. Dieser Vergleich macht klar, was für eine Verschwendung einer wertvollen Ressource die Verwendung von Trinkwasser ist. Wir spülen wortwörtlich eine überlebenswichtige Ressource das Klo runter, zu der fast 900 Millionen Menschen weltweit überhaupt keinen Zugang haben.
Eine Alternative dazu ist, schon für andere Zwecke verwendetes, sogenanntes Grauwasser zum Spülen zu benutzen, falls man nicht komplett auf wasserbasierte Toiletten verzichten möchte. Dieses Wasser, was zuvor zum Geschirrspülen, Wäschewaschen oder Kochen benutzt wurde und daher leicht verunreinigt ist, kann Trinkwasser ersetzen und so eine wertvolle Ressource schützen. Auch aufgefangenes Regenwasser kann zum Spülen der Toilette verwendet werden. Dadurch können auch Kosten im Haushalt gespart werden, da weniger Abwasserkosten anfallen. Beides muss jedoch bereits beim Hausbau berücksichtigt und integriert werden.
In Deutschland ist die rechtliche Lage in Bezug auf alternative Sanitärsystem wie Trockentoiletten sehr komplex. Eventuell macht man sich sogar strafbar, wenn man neben seinem Gartenhäuschen eine Trockentoilette installiert und daraus Humus herstellt. Hier ist die Politik gefragt, den Weg für diese innovative Technologie freizumachen und so weitere Forschung anzustoßen. Dabei bieten alternative Systeme zahlreiche Vorteile: Zentrale Kläranlagen sind auch mit modernster Technologie nicht in der Lage, bestimmte Verunreinigungen aus dem Wasser zu klären. So sind im Trinkwasser hormonelle Rückstände der Anti-Baby-Pille zu finden. Durch Kompostierungsprozesse ist es möglich, Hormone, Krankheitserreger und Medikamentenrückstände zu zersetzen. Weiterhin könnte bei einer großflächigen Installation eine hoher landwirtschaftlicher Mehrwert geschaffen werden.
Nachhaltige Toiletten bieten die große Chance, Krankheiten zu vermeiden, wichtige Ressourcen zu schonen und gleichzeitig Wertstoffe zu generieren.
Note:
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Quellen:
http://www.un.org/waterforlifedecade/pdf/human_right_to_water_and_sanitation_media_brief.pdf
http://greywateraction.org/content/about-composting-toilets
http://www.nonwatersanitation.de/sind-trockentoiletten-in-deutschland-zulassig/
http://www.futurzwei.org/#236-toiletten-hamburg
http://www.ecotoiletten.de/mobile-komposttoiletten/
http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF-Hintergrundpapier-Tiefseebergbau.pdf
Video: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=1bRCmGztzUg
Bilder: StockXCHNG
https://www.flickr.com/photos/veisto/7389502820
https://www.flickr.com/photos/foam/2583161107
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