83 Aufwertung statt Recycling
Dieser Artikel stellt das Konzept des Upcyclings vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.
Der Weltmarkt für Abfall und Recycling war im Jahr 2010 um die 450 Milliarden US-Dollar wert. Die Daten einer weiträumigen Studie der Universität Paris-Dauphiné in Frankreich lassen darauf schließen, dass pro Jahr etwa vier Milliarden Tonnen unerwünschten Materials anfallen, von denen nur 2,7 Milliarden Tonnen eingesammelt werden. Der Rest verschmutzt die Umwelt und gefährdet die Gesundheit. Das Gesamtvolumen für recycelte Stoffe liegt bei ungefähr einer Milliarde Tonnen. Die wohlhabendste Milliarde der Weltbürger verursacht 1,4 kg Abfall pro Tag und Person, während es die 2,4 Milliarden Ärmsten auf 0,6 kg bringen. Die USA und Australien verursachen den meisten Müll. In der Türkei werden 97 Prozent der Abfälle auf Deponien verbracht, während die Schweiz nur 0,5 Prozent im Boden vergräbt. Japan ist mit 74 Prozent aller Abfälle führend in der Müllverbrennung, gefolgt von Dänemark, Schweden und der Schweiz mit etwa 50 Prozent, die in Rauch aufgehen. Das größte Recyclingprogramm nennt sich Energieverbrennung, wobei leider giftige Abfälle zurückbleiben. In Europa werden auf diese Art 200 Millionen Tonnen jährlich „entsorgt“, einschließlich 7,3 Millionen Tonnen Plastik. Weitere 5 Millionen Tonnen Kunststoffe werden recycelt.
Mit 49 Prozent hat Korea die beste Recyclingrate für Hausmüll. Italien und Spanien schaffen etwa 30 Prozent, während Länder wie Deutschland, die Schweiz, Norwegen und Dänemark nur zwischen 15 und 17 Prozent wiederverwerten. Neusten Statistiken zufolge recycelt Ungarn nur 1,1 Prozent und die Niederlande überraschen mit gerade einmal 2,3 Prozent. Nach der Energiegewinnung ist die Kompostierung mit weltweit 100 Millionen Tonnen pro Jahr die zweitverbreitetste Praktik im Recycling. Wenn menschliche Abfälle hinzugerechnet werden, könnte diese Zahl sich leicht verzehnfachen, dabei wird jedoch nicht nur der Boden angereichert, sondern es entsteht auch Methangas. Metallschrott und Papier haben einen höheren Marktwert; hiervon werden 400 bzw. 250 Millionen Tonnen pro Jahr recycelt. Diese Zahlen sind offiziell und Teil der formalen Wirtschaft. Die sogenannte Dritte Welt recycelt auf informelle Weise und die Weiterverwertung wird auf breiter Basis praktiziert. Recycling ist wirtschaftlich notwendig, entlastet die Deponien um 75 bis 95 Prozent und bietet in gewisser Weise so etwas wie eine Existenzgrundlage. In der ägyptischen Hauptstadt Kairo leben schätzungsweise 40 000 Menschen vom informellen Recycling.
Seit 2002 ist die Mehrzahl der Rohstoffmärkte von Verknappungen und Preisanstiegen betroffen. Das weltweite Wirtschaftswachstum und der Aufstieg der chinesischen Wirtschaft standen an der Wurzel dieses Problems, wie die Nachfrage befriedigt werden könnte, das zwei Jahrzehnten der Illusion von Überfluss ein Ende setzte. Gleichzeitig genossen die Sekundärmärkte für Wiederverwertung und Recycling von Abfällen eine Vervielfachung der Preise durch den chinesischen Bedarf. Der Anteil sekundärer Märkte für Materialien wie Papier und nicht eisenhaltige Metalle war im Jahr 2010 bereits größer als der Primärmarkt für Forstwirtschaft und Bergbau.
Aus der Perspektive der Wirtschaftstheorie ist Abfall eine Negativauswirkung außerhalb des Markts. Durch Regulierungen soll versucht werden, diese Auswirkung durch Einbeziehung von Kosten nach Produktion und Konsum wieder auszugleichen. Jedoch geschieht die Festlegung von Preisen hier in Abhängigkeit von politischen Entscheidungen durch Einführung von Steuern und Emissionsabgaben, die den Preis und die Menge beeinflussen. Auf diese Weise wird für Abfall ein Wert festgelegt und die Auswirkungen haben nun einen Preis. Die meisten Gesetzgeber und Wirtschaftsexperten sind sich einig, dass die Entstehung echter Weltmärkte für Schrott und Papier sich in der Entwicklung der hohen Nachfrage nach Stahl und Papier spiegeln, vor allem in Ländern wie China und der Türkei, in denen es an diesen Rohstoffen fehlt. Es bleibt die Herausforderung, wie ohne schwere Steuerlasten, die ohne Umschweife an den Verbraucher weitergegeben werden, mehr Wert generiert werden und gleichzeitig höhere Qualität zu wettbewerbsfähigen Preisen angeboten werden kann.
Antonia Edwards schloss ihr Studium an der Universität Brighton mit einem Master der Innenarchitektur ab; vorher hatte sie bereits Kunstgeschichte am University College of London studiert. Sie begann ihre Karriere als Innenarchitektin und Modistin. Als eine Künstlerin aus ihrem Freundeskreis begann, alte ausgemusterte Tische und Stühle zu bemalen, war sie von den einzigartigen Ergebnissen begeistert. Nach einigen Recherchen war Antonia überzeugt, dass das Konzept der Umwandlung alter und unerwünschter Dinge in schöne Gegenstände eine der Lieblingsaufgaben kreativer Köpfe ist. Sie glaubt, dass die Arbeit mit vorgegebenen Materialien die Einbildungskraft und Kreativität viel stärker befeuert als der Beginn eines Projekts von Grund auf, für das die Materialien von überall her kommen können. Doch genau die Nutzung von Verfügbarem ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy.
Antonia startete ein Online-Magazin und nannte es „The Upcyclist“. Da sie selbst einen breiten Erfahrungsschatz in Web-Veröffentlichungen hatte, begann sie, über das Internet über alle möglichen wiederaufgewerteten, stylishen Dinge zu berichten. Schnell wurde die Webseite eine Quelle für Schöpfer wie Verbraucher und inspirierte Menschen, etwas aus Altmaterial herzustellen, sie funktionstüchtig zu machen und zu verschönern und ebenso, um die Produkte zu kaufen und zu verkaufen. Dabei macht Antonia einen Unterschied zwischen ihrer und vielen anderen Initiativen, die über innovative Wiedernutzung berichten oder sie unterstützen. Sorgfältig wählt sie nach Qualität und Stil diejenigen Produkte aus, die auf dem Markt als hochwertig gelten können. Ihren Blog positioniert sie als Ressourcenplattform für ästhetische und innovative Weiternutzung von weggeworfenen, ungeliebten Materialien und Objekten aus aller Welt.
Statt der Massenverarbeitung standarisierter Waren berichtet sie über Restauration, Reparatur, Wiederbelebung, Neu- und Weiternutzung sowie neuer Liebe zu den Objekten. Antonia fuhr fort, „Upcyclisten“ für Angebot und Nachfrage nach Materialien vor allem für künstlerische Projekte aufzustellen. In weniger als zwei Jahren hat sie 12 Projekte der Architektur, 54 Modedesigner, 27 Möbelhersteller, 24 Schmuckdesigner, zehn Lichtinstallateure, acht Glasverwerter und 15 Kleinbetriebe zur Holzverarbeitung vorgestellt. In den zwei Jahren hat sie eine Plattform für Unternehmer aus 38 Ländern geschaffen, die ihre hohen Standards erfüllen. Allein 2011 berichtete sie über 178 Neugründungen.
Antonias Aktivität erstreckt sich auf Textilien, Metalle, Skulpturen, Installationen, Plastik- und Papierprodukte von Menschen und Firmen-Neugründungen, die meisterhaft Abfälle in hochwertige Produkte mit hohem Nutzen für die Umwelt umwandeln. Dabei bemüht sich Antonia, den Menschen die Geschichte jedes Objekts nahezubringen und sich vom Glanz der Verbrauchsgüter aus Massenherstellung zu distanzieren. So wird eine neue Art der Kreativität genährt und aufgezeigt, wie wir Dinge, die wir bereits besitzen, neu entdecken. Antonia begann als Einzelkämpferin und berichtete über einzelne Initiativen; inzwischen hat sie einen zweiten, bedeutsamen Schritt getan, indem sie spezifische Chancen in einzelnen Berichten sammelt und untereinander vernetzt, z.B. „The Shirt off his Back“ von Juliet Bawden, mit 30 Projekten, in denen gewöhnliche, abgetragene Hemden zu Bettwäsche, Stuhlbezügen oder Vorhängen umgearbeitet wurden.
Die Beispiele, die Antonia vorstellt, inspirieren viele, sich dem Upcycling-Trend anzuschließen, so auch Freddie Saul, dessen Vater der Gründer der berühmten britischen Modemarke Mulberry ist. Er arbeitete bei der Dokumentation der „Upcycled Furniture Collection“, die inzwischen in angesagten Londoner Läden erhältlich ist. Alle Möbel werden von Hand aus wiederverwerteten Materialien hergestellt, darunter auch aus hochwertigem Parkettholz aus Ballsälen. Freddie entwirft und fertigt inzwischen in Zusammenarbeit mit einem Team in Somerset (England). Südafrika und vor allem Kapstadt haben eine ganze Industrie der Aufwertung entwickelt, die Tausende von Arbeitsplätzen hervorgebracht hat, einer der Designer ist mittlerweile zum Innenarchitekten aufgestiegen. Katie Thompson verwandelt Alltägliches in Außergewöhnliches, indem sie kaputte und ausrangierte Möbel umfunktioniert. Sie gründete die Firma REcreate und bietet eine Reihe Möbelbeleuchtungen aus bedruckten Dekostoffen an, ebenso Accessoires wie einen Stuhl aus einem Koffer oder Lampen aus Milchflaschen und Schreibmaschinen. Antonia arbeitet wie die Blue Economy Community, indem sie eine Plattform geschaffen hat, auf der sie andere inspiriert, mehr und bessere Dinge zu tun. Sie setzt das Open-Source-Prinzip um und hat die Gabe, ihre Beiträge mit Stil und Ästhetik so zu präsentieren, dass sie leicht für immer den Blick auf ungeliebte Dinge ändern kann und unserer materiellen Umgebung neuen Sinn gibt – und damit auch unserer Arbeitswelt und unserem Lebensstil.
Bilder: Stock.XCHNG