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90 Mehr Gesundheit als Medikamente

Dieser Artikel stellt einen kreativen Ansatz für die Gesundheitsversorgung vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt für Antibiotika

Der Weltmarkt für Antibiotika wächst Erwartungen zufolge von 26 Milliarden US-Dollar im Jahr 2002 bis auf 40,3 Milliarden Dollar für 2015. Trotz der Tatsache, dass die Industrie in letzter Zeit keine völlig neuen Antibiotika entdecken konnte, wird ein solch starkes Wachstum erwartet. Der Grund hierfür liegt eher in den günstigen Regulierungsbedingungen; die staatlichen Versicherungsprogramme sehen mehr Ausgaben für Medikamente vor angesichts der wachsenden Sorge vor Medikamentenresistenzen und der Wiederausbreitung von Krankheiten wie Tuberkulose, die als besiegt galten. Der größte Markt für Antibiotika sind die USA; dort hat sich der Konsum dieser verschreibungspflichtigen Medikamente in nur einem Jahrzehnt vervierfacht.

Das erste Antibiotikum hat Alexander Fleming im Jahr 1929 durch Zufall entdeckt, als er herausfand, wie Penicillin gegen Bakterien wirkt. Fleming hat das Penicillin nie patentieren lassen, sondern es den Medizinern und der Gesellschaft frei zugänglich gemacht. Hierfür erhielt er im Jahr 1945 den Nobelpreis für Medizin. Überraschender Weise ist der am stärksten wachsende Markt für Antibiotika heutzutage nicht der Schutz der menschlichen Gesundheit. Schätzungsweise 50-70 Prozent der Antibiotika werden gesunden Tieren verabreicht, um deren Wachstum um 2-3 Prozent zu steigern, und dienen nicht der Behandlung kranker Menschen. Während diese Praxis in der Europäischen Union erst seit kurzem verboten ist, haben einzelne Länder wie Dänemark dieses Verbot schon im Jahr 2000 durchgesetzt. Nach einem Jahrzehnt lassen die Statistiken darauf schließen, dass die bakteriellen Resistenzen gegen Antibiotika rückläufig sind.

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Die Anzahl neuer Antibiotika ist extrem gering. Nur fünf der dreizehn größten Pharmafirmen forschen überhaupt nach neuen Antibiotika. Zwischen 2003 und 2007 wurden nur fünf neue Variationen bereits existierender Antibiotika durch die FDA anerkannt, 20 Jahre zuvor waren es noch 16. Das Problem liegt darin, dass Antibiotika zur Heilung eines Patienten nur 1-2 Wochen verabreicht werden, während ein Krebs- oder Diabetespatient seine Medikamente oft lebenslang benötigt und der Absatz auf dem Markt somit besser gesichert ist. Gleichzeitig sind bestimmte Mutationen von E.coli völlig unempfindlich gegenüber fast allen modernen Antibiotika geworden. Inzwischen stecken sich jährlich etwa 100.000 Amerikaner in Krankenhäusern an.

Der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), eine mutierte Bakterienart, verursacht inzwischen mehr Todesfälle bei Amerikanern als AIDS. Hier wird deutlich, dass die Technologie und der Markt versagt haben. Sobald ein Patent auf ein Antibiotikum verfällt, wird es als Generikum zu einem Bruchteil des ursprünglichen Preises weiterverkauft, was zu verstärktem Konsum führt und somit zu weiteren Mutationen und Resistenzen. Gleichzeitig führt der Verfall des Patents zu einem Umsatzeinbruch; durch die geringeren Einnahmen entfallen Forschung und Entwicklung des Produkts. Letztendlich wird die Entwicklung der Resistenzen auf das betreffende Antibiotikum weder durch den Erfinder, den früheren Halter des Patents, noch durch den Hersteller des Generikums erfasst.

Die Innovation

Die Wissenschaft warnt davor, dass schon bald alltägliche Infektionen zur Todesursache werden. Obwohl es sehr kostspielig erscheint, Medikamente mit einer Milliarde Dollar pro Wirkstoff zu subventionieren und den Patienten die Versorgung zu garantieren, denken viele darüber nach, wie die Lücke zwischen der Dringlichkeit neuer Antibiotika für die Gesellschaft und den geringen Einnahmen – trotz massiver Subventionen – für die Pharmakonzerne zu schließen sei. Experten drängen darauf, dass zur Gewährleistung der Wirksamkeit bestehender Medikamente der übermäßige Einsatz in der Medizin und der Tierhaltung gesetzlich geregelt und gleichzeitig der Infektionsschutz in Krankenhäusern verstärkt werden soll. Innovative Ideen hingegen folgen der Logik, dass Antibiotika wie die Artenvielfalt funktionieren; sie sind eine natürliche Ressource, die bewahrt und mit größter Vorsicht genutzt werden sollten.

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James Colthurst ist ein britischer Chirurg und Urenkel von Sir Almroth Wright, dem Entdecker des Impfstoffs gegen Typhus, der im selben Labor wie Alexander Fleming arbeitete. Seit seine Schwester schwere Kopfverletzungen erlitten hatte, erforschte er die Wirkung der Elektrizität auf den Körper. Da seine Expertise auf diesem Gebiet bekannt war, kam eine Gruppe sowjetischer Wissenschaftler auf ihn zu, die die elektrische Stimulation als futuristische Methode der Gesundheitsversorgung auf Weltraumreisen erforschte. Er arbeitete an der Weiterentwicklung dieser Geräte für einen breiteren Wirkungsgrad mit. Nach der Perestroika beschlossen sie, ihre Ergebnisse zu vermarkten, doch Dr. Colthurst zog es vor, seine eigenen Ideen zum Elektro-Biofeedback weiterzuentwickeln. Auf Grundlage seiner Arbeit während seines Bachelorstudiengangs im Jahr 1978 zur Neuro-Anatomie am St. Thomas Hospital stellte er die Fenzian-Hypothese auf.

Diese Hypothese basiert auf der Tatsache, dass die Nerven aus der selben embryonalen Schicht wie die Haut entstehen – dem Neuroektoderm. Ein Netzwerk aus Nerven, bestehend aus dem Zentralnervensystem (ZNS) aus Hirn und Rückenmark sowie dem Periphernervensystem (PNS) sammelt Informationen, wertet sie aus und sendet Signale durch den Körper in Form von elektrischen Impulsen. Diese Impulse werden in chemische Botenstoffe umgewandelt, die die Zellaktivität steuern. Die elektrische Stimulation durch ein simples Gerät, das allen Anforderungen der EU und der FDA in den Vereinigten Staaten entspricht, verhält sich gleichartig wie die Impulse durch Nerven und bilden einen Prozess der biologischen Rückmeldung über einfachen Hautkontakt im Dialog mit dem ZNS. Schon bald konnten Dr. Colthurst und sein Team Beweise in Krankengeschichten finden, von der Asthmabehandlung über Wundheilung, Heilung der Fazialislähmung (Lähmung der Gesichtsmuskulatur) bis hin zur Behandlung von Morbus Crohn und Lupus erythematodes. Da hier Medikamente und Chirurgie durch keine Medikation bzw. keine Operation ersetzt werden konnte, findet sich hier ein Kernmerkmal der Blue Economy: „Ersetze etwas durch nichts“.

Der erste Umsatz

Auf eine rückblickende Umfrage unter 600 Patienten hin, die in der Zeitschrift Pain Clinic erschien (The Pain Clinic 2007 Band 19 Nr. 1) wurde 2009 eine erste Pilotstudie zur Behandlung durch elektrische Stimulation bei Asthma auf Grundlage der Fenzian-Hypothese als Brief im European Respiratory Journal veröffentlicht (Band 34, Nr. 2, S. 515-517). Hier wurde eine neuartige alternative Behandlung ohne Einsatz von Medikamenten bewiesen. Zwar ist sich die Wissenschaft einig, dass der genaue Mechanismus noch unbekannt ist, doch für sie steht fest, dass diese Art von „Biofeedback“ über das Zentralnervensystem Veränderungen bewirken kann. Dies führte zu klinischen Versuchen in sechs medizinischen Einrichtungen, darunter an der University of California, Los Angeles, am Johns Hopkins Hospital und an der Universität Kapstadt.

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Gleichzeitig wurden Fonds für weiterführende Studien am Manchester Interdisciplinary Biocentre bereitgestellt. Die wissenschaftliche Wundenforschung in Manchester liefert extrem positive Resultate. Nun ist eine Reihe von Studien in vitro notwendig, um den wissenschaftlichen Vorstoß weiter zu untermauern. Währenddessen gründete Dr. Colthurst die Firma Fenzian Limited als im Vereinigten Königreich registriertes privates medizinisches Zentrum für Forschung und Entwicklung mit Unterstützung von europäischen und amerikanischen Investoren, die verschiedene, mehr oder weniger positive Erfahrungen mit der Fenzian-Hypothese im Bereich von Medizin und Gesundheitsversorgung sammeln konnten.

Die Chance

Die Regierungen stehen vor vielerlei Herausforderungen. Zum einen verursacht die alternde Gesellschaft immer höhere Kosten in der Gesundheitsversorgung. Zum anderen stehen sie vor immer größeren Haushaltsdefiziten, die die Genehmigung Milliardensubventionierungen durch die entsprechenden Behörden zunehmend erschweren. Die Pharmakonzerne hingegen müssen immer mehr Auflagen bei der Zulassung neuer Medikamente erfüllen, die Kosten für Rechtsstreitigkeiten steigen, viele Patente für Arzneien stehen kurz vor ihrem Ablaufdatum, und das Problem der Medikamentenfälschung nimmt zu, während gleichzeitig Chirurgie und längere Krankenhausaufenthalte das Infektionsrisiko der Patienten erhöhen.

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Das weite Spektrum möglicher Anwendungen von Dr. Colthurst’s neuartigem Ansatz durch die Fenzian-Technologie jedoch öffnet neue Perspektiven, die die Pharmakonzerne von ihrem beschränkten Fokus auf chemische Mittel mit wenig Einnahmen erlösen können. Fenzian macht Subventionen unnötig, reduziert Kosten, die durch Nebenwirkungen entstehen und arbeitet mit der Fähigkeit zur Selbstheilung des Körpers stimulieren. Nutze, was du hast – das ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy.

Bilder: Stock.XCHNG

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85 Segel-Fischerboot

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz für den Bau von Fischerbooten vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) zufolge wurden im Jahr 2010 93.3 Millionen Tonnen Fisch mit einem Wert von 150 Milliarden Dollar in der kommerziellen Wildfischerei gefangen; hinzu kommen 48,1 Millionen Tonnen Zuchtfische im Wert von ca. 110 Milliarden Dollar. Es gibt weltweit 4 Millionen gewerbliche Fischereifahrzeuge, davon 1,3 Millionen mit einem Deck und einem abgeschlossenen Lagerbereich. Die anderen sind kleine Fischerboote. Fast 40 000 Fischtrawler sind größer als 100 Tonnen und stellen die Flotte für die schwimmenden Fischfabriken auf der Welt. China ist der weltgrößte Fischkonsument und besitzt auch die weltgrößte Fischindustrie mit einem Drittel des weltweiten Fangs. An zweiter Stelle folgt Peru, das jedoch fast sämtlichen Fangfisch exportiert. Indonesien hat mit 700 000 Fischerbooten die größte Flotte, doch hiervon sind 25 Prozent Kanus. Japan, die USA, Chile, Indonesien, Russland, Indien, Thailand, Norwegen und Island stellen zusammen mit China und Peru mehr als die Hälfte des gesamten Fangs.

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Das weltgrößte Fabrikschiff verarbeitet 350 Tonnen Fisch pro Tag und besitzt Kapazitäten zur Lagerung von 7000 Tonnen filetierten Fangs. Da die Trawler keinen Unterschied zwischen Fischen machen, werden alle unerwünschten Fische zunehmend gleich in Fischmehl und Tierfutter verarbeitet. Leider werfen viele Fabrikschiffe den unerwünschten Fisch auch über Bord. Den Vereinten Nationen zufolge sind 70 Prozent aller Fischgründe entweder voll ausgelastet, überfischt oder schon regelrecht leergefischt. Da die kommerzielle Fischerei bald am Ende ihrer Möglichkeiten ist, scheint die einzige Hoffnung in der Ausweitung der Fischzucht zu liegen. Doch um eine Million Tonnen Lachs zu produzieren, muss man drei Millionen Tonnen Wildfisch fangen und verarbeiten. In Beispiel 47 wurde bereits eine alternative Fischzuchtmethode beschrieben.

Nippon Suisan Kaisha Ltd., auch bekannt als Nissui, ist der weltgrößte Fischereikonzern. Die japanische Firma besitzt etwa 20 Prozent der Fangquoten und –rechte für Weißfisch auf der Welt. Ebenso betreibt sie über 150 Fischfabriken mit einem Jahresumsatz von über 5 Milliarden Dollar. Der Tokyo Metropolitan Central Wholesale Market (Tsukiji Market) ist der größte Großhändler für Fisch und Meeresfrüchte. Dort werden über 400 Arten Meeresfrüchte gehandelt, von Seetang über Kaviar, Sardinen, Thunfisch bis hin zum kontrovers diskutierten Walfleisch. Insgesamt werden auf diesem Markt über 700 000 Tonnen Meeresfrüchte mit einem Gesamtwert von 5,5 Milliarden Dollar gehandelt, und er bietet Beschäftigung für 65 000 Arbeitnehmer.

Die Innovation

Der Trend zur nachhaltigen Fischerei hat die Industrie gezwungen, sich auf die schwindenden Fischmengen einzustellen. Zunehmend arbeiten die Fischfirmen an der Verbesserung ihrer Fangsysteme durch innovative Netze, Radar oder sogar Ultraschall, um nicht unbeabsichtigt Delfine zu töten, Haie zu massakrieren oder die Thunfischbestände zu erschöpfen. Mehrere Marktführer wechseln von minderwertigem Fisch hin zum Vertrieb spezieller hochwertiger Nahrungsmittel für mehr Gesundheit mit einem Anteil an aus Fisch gewonnenen ungesättigten Omega-3-Fettsäuren sowie der Verfeinerung von Substanzen aus Fischen als Medikamentenzusätze, die die Blutfettwerte senken und so der Arteriosklerose vorbeugen. Doch die größte Herausforderung bleibt, wie beschrieben, dass die Schifffahrt und Fischereiindustrie weiterhin Schweröl als Hauptenergiequelle nutzen und damit die Fischbestände der Flüsse und Ozeane noch weiter belasten. Der ökologische Fußabdruck der Fischerei steht in keinem Verhältnis zu ihrem wirtschaftlichen Beitrag.

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Eric Le Quéré verbrachte seine ersten Berufsjahre mit der Entwicklung und dem Betrieb von Fischerbooten vor der Atlantikküste. Er liebt das Meer und bemerkte über die Jahre die höhere Nachfrage und Notwendigkeit, dieses Geschäftsmodell nachhaltiger zu gestalten. Im Bewusstsein, dass diese Industrie seit dem letzten halben Jahrhundert keine Neuerungen gesehen hatte und angesichts der durch die EU beschlossenen strengen Quoten gründete er 2003 seine eigene Firma für Schiffbau und -wartung in Marokko. Schnell bemerkte er, dass die Art, wie Fabrikschiffe gebaut und betrieben werden, überdacht werden musste. Seine Verhandlung mit den marokkanischen Behörden vor Ort motivierten ihn, im Jahr 2009 eine größere Initiative zu starten und ein Fischereikonzept zu entwickeln, das bessere Einkünfte generiert und dabei vollständig nachhaltig operiert, vom Treibstoff bis hin zur Verarbeitung. Seine Erkenntnisse beschloss er zunächst für kleine Fische wie Anchovis, Sardinen und Makrelen umzusetzen. Sein Ziel war einfach: Null Emissionen und Null fossile Brennstoffe. Er entschied sich für einen Fischkatamaran, der seine eigene Energie durch Sonne und Wind generiert, zwei Ressourcen, die auf dem Meer reichlich vorhanden sind.

Sein Katamaran hat vier feste Segel, die um 360° drehbar und mit Solarpaneelen ausgestattet sind. Das Boot besitzt zwei Unterwasser-Generatoren, die zusätzlich Energie aus Strömungen ziehen. Das neuartige Konzept wurde 2010 international patentiert als multimodales Hybridschiff, dass bis zu 13 Knoten schnell mit 50 Tonnen Fisch an Bord segeln kann. Die Bootshaut besteht aus 100% recyceltem Aluminium. Die Netze fangen nur Sardinen und lassen alle anderen Fische im Meer frei. Da es in Marokko nicht das Know-How gab, um solche Boote zu bauen, wurde beschlossen, das Forschungs- und Produktionszentrum in Caen im Norden Frankreichs anzusiedeln. Roger Vandomme und Bruno Racouchot wurden Erics Partner bei der Gründung von Marethix Industries SAS.

Der erste Umsatz

Die marokkanische Regierung hat sechs Schiffe bestellt. Beim Bau der Boote greift man auf die Erfahrung in der Region der Normandie und Bretagne zurück und stützt sich so auf die Zusammenarbeit von sechs Firmen, die vor Ort operieren. Die Finanzierung der Boote basiert auf den Fangrechten über 60 000 Tonnen Fisch, die nach einer öffentlichen Ausschreibung zugeteilt wurden. Der Katamaran verursacht wenig Betriebskosten und schafft Arbeit durch die Verarbeitung des gesamten Fangs an Bord, der somit gleich zu Verbrauchsgütern mit Mehrwert wird, einschließlich der Omega-3-Fettsäuren. Die gesamte Initiative erfordert die Einstellung von 45 Personen pro Boot. Das Geschäftsmodell übertrifft alle anderen Boote dank seiner Fähigkeit, die ganze Wertschöpfungskette vom Bootsbau über die Verarbeitungsanlage auf See, die Fangtechniken, Logistik bis hin zur Lieferung zu verbessern. Innerhalb dieser Kette ist der Fischfang jederzeit nachverfolgbar.

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Der Fang wird an Bord in standardisierten Kühlbehältern aufbewahrt und so standardisierte, multimodale Transportsysteme genutzt. Antrieb, Betrieb und Kühlung sind auf See wie an Land zu 100% aus erneuerbaren Energien gespeist. Dieser systemische Ansatz, der mehrere Technologien zu einem hocheffizienten Cluster bündelt, entspricht einem der Kernprinzipien der Blue Economy.

Die Chance

Dieser integrierte Ansatz erhöht den Mehrwert des normalen Fischfangs um das 2,5-fache. Das Schiff, das 10 000 Tonnen Sardinen fangen kann, spart pro Jahr 250 000 Liter Schweröl als Treibstoff. Jede Tonne verbrannten Schweröls verursacht 3,1 Tonnen Kohlendioxid. Dies bedeutet, dass, alle weiteren Komponenten eingeschlossen, jedes Schiff pro Jahr 1000 Tonnen an CO2-Gutscheinen produziert, die soviel wert sind wie das Gehalt eines Mannschaftsmitglieds in Marokko. Zusätzlich spart jedes Boot 50 000 Kubikmeter Süßwasser pro Jahr ein, und das in einem Land, das unter Trinkwassermangel leidet. Kosteneinsparungen bei gleichzeitiger Produktion von höherem Wert ohne Kompromisse bezüglich der Nachhaltigkeit ergeben eine gute Wettbewerbsposition, nicht nur für den Neubau von Schiffen, sondern auch als Pauschalangebot an Behörden bei der Vergabe von Fanquoten über öffentliche Ausschreibungen, bei denen Jobs entstehen.

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Das neue Geschäftsmodell von Marethix schließt die Schaffung einer neuen Industrieentwicklung in der Nähe von Agadir ein. Im Fall Marokkos wird eine Verarbeitungszentrale Fertigkost auf Fischbasis produzieren. Die schwindenden Fischreserven und der Verlust von Arbeitsplätzen durch Restriktionen der Fanquoten werden so überkompensier durch höheres Einkommen bei gleichzeitiger Belebung des Schiffsbaus in Frankreich. Dies schafft eine Plattform für lokales Wachstum sowohl in Frankreich als auch in Marokko. Da bekannt ist, dass die Fischindustrie für Kleinfische immer beliebter werden aufgrund ihrer weit höheren gesundheitlichen Vorteile und des geringeren Risikos der Ansammlung von Schwermetallen, ist dies eine Strategie, wie eine Wirtschaft verfolgt werden kann, die bessere Nahrung zu niedrigeren Preisen bei gleichzeitiger Schaffung von mehr Einkommen für alle Beteiligten bietet. Diejenigen, die mit den Geschäftsmodellen der Vergangenheit verhaftet sind, riskieren die völlige Leerfischung unserer Ozeane. So steht hier ein Geschäftsmodell, das vier Millionen Schiffsbesitzer auf der Welt inspirieren könnte. Wer sagte, dass es für die Fischerei keine Zukunft gäbe? Das Beispiel von Marethix zeigt, wie Fischereien Millionen von Arbeitsplätzen schaffen können, indem vorhandene Ressourcen klug genutzt werden. Nun liegt es an den Unternehmern, dies umzusetzen.

Bilder: Stock.XCHNG

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84 Die Magie des Biers

Dieser Artikel stellt einen neuen Ansatz für des Geschäftsmodell der Bierbrauerei vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Weltmarkt für Bier liegt gegenwärtig bei knapp 110 Milliarden US-Dollar an Umsätzen. Für Jahr 2011 wird ein Wachstum von 2,5 Prozent geschätzt. China und Afrika sind zur selben Zeit um fünf Prozent gewachsen, Lateinamerika immerhin noch um 3 Prozent. Das meiste Bier der Welt wird in China getrunken, gefolgt von den USA und Russland; Deutschland liegt noch hinter Brasilien an fünfter Stelle. Der Pro-Kopf-Konsum hingegen ist in der Tschechischen Republik am höchsten, gefolgt von Irland und Deutschland. Der Gesamtkonsum an Bier sank in Europa in den letzten fünf Jahren um 7 Prozent, doch die Verkäufe an alkoholfreiem Bier stiegen um 37 Prozent. Mit 5,8 Litern pro Person für das Jahr 2010 ist Spanien weltweit führend im Pro-Kopf-Konsum von alkoholfreiem Bier und hält damit einen Marktanteil von 13 Prozent.

Vier Brauereiriesen dominieren diesen Sektor und kontrollieren etwas mehr als die Hälfte der Gesamtproduktion von 1,8 Milliarden Hektolitern. Gleichzeitig generieren diese Konzerne 70 Prozent der Profite. Anheuser-Busch InBev mit Sitz in Belgien verkaufte 2010 rund 350 Millionen Hektoliter, weit mehr als SABMiller mit knapp 250 Millionen. Heineken braut über 200 Millionen und Carlsberg etwa 125 Millionen, während die chinesische Brauerei Tsingtao pro Jahr 50 Millionen Hektoliter verkauft. Der Marktanteil der zehn größten Brauereien ist von 37 Prozent im Jahr 1998 auf 62 Prozent im Jahr 2004 gestiegen und wächst weiter. Alle Bierbrauereien sind bemüht, in China Fuß zu fassen, wo InBev bereits 30 Betriebe in acht Provinzen besitzt.

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Die Globalisierung von Bier hat das lokale Handwerk von einst in ein Markengeschäft wie Seifen und Waschmittel umgewandelt, das stark von der Werbung beeinflusst wird. Diese Entwicklung wird durch die Werbeausgaben bestätigt. Procter & Gamble sowie Unilever setzen weltweit am stärksten auf Werbung. Diese Hygienemarken haben vor kurzem die Automobilindustrie vom ersten Platz vertrieben, doch die Brauereien Anheuser-Busch InBev und SABMiller folgen ihnen auf dem Fuße. Neben dem globalen Vertrieb der Top-Marken gibt es noch schätzungsweise 4000 Kleinbrauereien und Kneipen mit eigenem Braubetrieb, die in Nischenmärkten an den Marktanteilen und Gewinnen der Großkonzerne knabbern. Der Erfolg dieser Kleinbetriebe zeigt, dass sie ihr Handwerk beherrschen und bei guten Preisen eine hohe Qualität liefern.

In Belgien gibt es noch sieben Klosterbrauereien, die seit Jahrhunderten produzieren und deren bemerkenswerter Werbeerfolg sich auf die Fortführung der Tradition gründet. Trotz starker weltweiter Nachfrage und leicht verfügbarer Investitionsmittel werden diese Brauereien ihre Produktionsmenge nicht steigern, da ihre hervorstechende Qualität auf der traditionsreichen Kunst beruht. Mehrere handwerkliche Brauereien in Flandern (Nordbelgien) nutzen immer noch wild wachsende Bierhefe. Allein für die Brauereiregion Flandern wird geschätzt, dass dort über 3000 verschiedene Hefesorten für die Fermentation des Biers verfügbar sind.

Die Innovation

Die Globalisierung hat die Brauer gezwungen, sich durch Standardisierung hin zur Massenproduktion zu orientieren. Das hoch angesehene Deutschen Reinheitsgesetz schreibt für die traditionelle Brauerei vor, dass Bier allein aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser gebraut werden darf. Doch statt Gerste begannen die Brauer, Reis zu nutzen, weil er billiger war. Später beschlossen die Brauereimeister der großen Konzerne, unterstützt von hochtechnisierten Laboren, die Extraktion der Stärke an andere Betriebe abzugeben und Enzyme einzuführen, um die Stärkemodifikation und -stabilisierung zu beschleunigen. Ebenso sorgte eine veränderte Temperatur für eine kürzere Lagerzeit von einer statt mehreren Wochen oder sogar noch weniger. Dies führte zu massiven Einsparungen an Zeit und Raum und steigerte die Produktionsmenge auf ein Zehnfaches in den selben Anlagen. Die Reduktion von Zeit und Raum lässt wenig Raum für neue Chancen zur weiteren Kosteneinsparung. Vielleicht ist es nun Zeit, über neue Ertragsformen nachzudenken.

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Jim Lueders hat seinen Brauereimeistertitel an der Doemens-Brauereischule in München erlangt. Nach seinem Abschluss im Jahr 1990 hat er über 200 Brauereien und Produktionsanlagen in 15 Ländern inspiziert. Er glaubt, dass die Brauereiindustrie ein Handwerk ist, bei dem Qualität an höchster Stelle steht, und beherrscht jeden Schritt des Prozesses, um ein hervorragendes Bier herzustellen. Er wurde zum Experten bei der Ausarbeitung des Geschäftsplans, Dimensionierung der Anlagen, Auswahl und Installation der Geräte, Ausbildung neuer Arbeiter, Entscheidungen über die Produktmischung und die Feinjustierung des Betriebs. Immer wurde er zu Kosteneinsparungen gedrängt und ist so gut er konnte diesen Auflagen nachgekommen. Doch als er von einem Konzept erfuhr, wie aus den verfügbaren Ressourcen mehr Erträge für die Brauerei entstehen könnten, entwickelte sich ein neues Geschäftsmodell. Er lernte die Pionierarbeiten von Prof. George Chan in der Tunweni-Brauerei in Tsumeb (Namibia) von 1996 kennen, bei denen ein integriertes Anbaukonzept auf der Basis der fünf Königreiche der Natur in Zusammenarbeit mit der Ohlthaver- und List-Gruppe getestet wurde. Dann nahm er sich Zeit, ein neues Betriebsmodell zu entwickeln, das mehr Gewinne hervorbringt und so das Investitionsrisiko senkt.

Der erste Umsatz

Jim besitzt Erfahrung im Entwurf, Aufbau und Betrieb einer Kleinbrauerei mit nur 120 000 Dollar Kosten. Wenn diese mit einem Restaurant kombiniert wird, kann die Bündelung von Geschäftsaktivitäten den Lebensmittelverkauf um 25 Prozent steigern. Die Gewinnschwelle liegt zwischen 3000 und 6000 Fässern pro Jahr. Wenn das Bier direkt an den Verbraucher geliefert wird, liegt diese Schwelle sogar bei der Hälfte dieser Menge. Die höchsten Kosten entstehen bei der Abfüllung in Flaschen; hier liegen die Kosten für die Anlage bei mindestens 60 000 Dollar. Jim empfiehlt häufig kleine Pfandfässer aus Aluminium oder Glas, die der Kunde zum Wiederauffüllen zurückbringt. So können Investitionskosten eingespart und gleichzeitig die Kosten pro Maß für den Kunden gesenkt werden. Mit über 20 Projekten der traditionellen Art, die in den USA, Mexiko, Westindien und Japan umgesetzt wurden, und den hieraus gewonnenen Erfahrungen hat Jim in Stevensville, Montana (USA) Land erworben und gebrauchte Anlagen eingekauft, von einer hundert Jahre alten Holzscheune bis hin zu Kupferkesseln aus einem bankrott gegangenen Betrieb.

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Beginnend mit dem verbrauchten Trester fing er an, aus jedem seiner Abfallströme Nutzen zu ziehen. Der Trester ist reich an Ballaststoffen und Protein und stellt 92 Prozent des Trockengewichts der Braugerste; dies bedeutet, dass bisher nur acht Prozent in die Wertschöpfung eingegangen sind. Diese Überreste sind stärkefrei und werden zu einem Teil mit Brotteig vermischt, so wie es über Jahrhunderte in Deutschland üblich war. Der andere Teil dient als Substrat zur Pilzzucht. Nach der Pilzernte ist das verbrauchte Substrat mit Aminosäuren angereichert. So kann das ursprünglich minderwertige Viehfutter, das zur Selbstabholung kostenfrei an Bauern abgegeben wurde, nun als hochwertige Nahrung für Hühner und Schweine genutzt werden, die Jim ebenfalls zu züchten beabsichtigt. Der Schweinedung wird zusammen mit dem Abwasser aus der Reinigung der Fässer, Bottiche und Ställe in einen Biogas-Generator eingeleitet. Dort wiederum entsteht ein Schlamm zur Algenzucht in flachen Becken. Dieser Prozess trägt zum Wachstum von Benthos, Phyto- und Zooplankton bei – es entsteht ein ideales Fischfutter. In Brauereien werden normalerweise fünf Liter Wasser pro Liter Bier verbraucht; in diesem Wasser gedeihen Fische hervorragend. So bildet sich ein Prozess aus der Wiedernutzung von Baumaterial und Gerät für die Gebäude und Betriebseinheiten, innerhalb derer alles Material, das in die Anlagen eingebracht wird, zur Produktion von mehr Nahrung, Wasser, Energie und Arbeitsplätzen verwertet wird – ganz nach den Grundprinzipien der Blue Economy. Im Januar 2012 hat Jim seine erste Charge selbst gebrautes Bier auf den Markt gebracht. Nun, behauptet er, geht es erst richtig los.

Die Chance

Das Geschäft der Bierbrauerei nach den beschriebenen Prinzipien, wie sie von Jim umgesetzt werden, besitzt große Ähnlichkeit mit dem Projekt der Pilzzucht auf Kaffee aus einem früheren Geschäftsbeispiel (Siehe Beispiel 3). Jim hat den Vorteil, dass er imstande ist, die Anlagen komplett und betriebsbereit zu liefern, auf diese Weise die Investmentkosten sowie die Risiken zu senken und gleichzeitig die Gewinne zu verbessern. Dies ist vor allem sinnvoll in Regionen mit starkem Wachstum wie China und Afrika mit hoher Nachfrage nach Bier, doch auch Wasserknappheit und hohem Bedarf an Ernährungssicherung. Wenn Jims Programm zum Standard wird, kann das Brauereigewerbe die lokale wirtschaftliche Entwicklung beschleunigen. Das bhutanesische, alkoholfreie Pawo-Bier aus Buchweizen, das durch Unterstützung japanischer Investoren entwickelt wurde, zeigt zusätzlich, dass Bier nicht zwingend mit Alkohol in Verbindung stehen muss – so entstehen weitere Geschäftsfelder für Unternehmensgründer. Jim hat angeboten, diese Initiative zu unterstützen, damit sie den weltweit höchsten technischen Standards und geschmacklichen Ansprüchen gerecht wird.

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Trotz aller Innovation produziert die magische Bierbrauerei immer noch traditionelles oder alkoholfreies Bier, Brot und Pilze. Doch da der Ertrag an Pilzen leicht ein hohes Volumen durch die großen Mengen an Abfällen erreicht, kann noch vor Ort die Produktion veganer Würstchen integriert werden. Bier, Brot und Würstchen – das klingt doch schon nach einem echten bayerischen Fest, bei dem mit gesunden, leckeren Produkten Gewinne generiert und Arbeitsplätze geschaffen werden. Das dies möglich ist, erscheint vielen Nichteingeweihten wie Zauberei. Die Kraft der Unternehmer liegt darin, etwas Wirklichkeit werden zu lassen, was andere für unmöglich halten.

Bilder: Stock.XCHNG

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82 Essbare Wälder

Dieser Artikel stellt essbare Wälder vor, eine von 100 Innovationen im Rahmen von „The Blue Economy”. Dies ist Teil einer breit angelegten Bewegung für mehr Unternehmertum, Wettbewerb und Arbeitsplätze.

 

Der Markt

Der Bericht über den Kohlenstoffmarkt der Weltbank „World Bank’s State and Trends of the Carbon Market Report“ stellt für 2010 einen Wert von 142 Milliarden Dollar für Kohlenstoffrechte auf, das ist etwas weniger als die 144 Milliarden Dollar von 2009. Nur ein kleiner Bruchteil der Projekte zur Kohlenstoffbindung wird für Aufforstung, Wiederaufforstung oder nachhaltige Landwirtschaftsprojekte verwendet. Der BioCarbon Fund der Weltbank hat seit 2004 insgesamt 91,9 Milliarden Dollar in Aufforstungsinitiativen investiert, womit 8,6 Millionen Tonnen Kohlenstoffemissionen reduziert wurden, von Brachflächen, die wiederhergestellt werden sollen, bis hin zu neu angepflanzten Wäldern zur Treibstoff- und Brennholzproduktion. Da die Kohlenstoffrechnung erst aufgeht, wenn die Bäume gewachsen sind und tatsächlich CO2 binden, bedeutet dies Investitionen mit langem Vorlauf, die somit wenig beliebt sind.

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Wenig mehr als vier Milliarden Hektar der Welt bzw. 31% der gesamten Landfläche der Welt sind von Wäldern bedeckt. Nur ein Drittel hiervon sind Primärwälder, da seit 2000 eine Fläche von 40 Millionen Hektar zerstört wurde. Vor einem halben Jahrhundert war der Waldbestand noch doppelt so groß. Als einzige Region hat Asien einen Netto-Zugewinn von jährlich 2,2 Millionen Hektar im letzten Jahrzehnt zu verzeichnen, während in Südamerika und Afrika jährlich 4 beziehungsweise 3,4 Millionen Hektar verloren gingen. Somit betrug der Gesamtverlust von 2000 bis 2010 etwa 5,2 Millionen Hektar. Israel und Bhutan sind die einzigen Länder, die im neuen Jahrtausend mehr Bäume besitzen als zuvor. Bhutan schützt 60% seines gesamten Waldbestands durch eine neue Verfassungsgebung. Israel wiederum hat 240 Millionen Bäume gepflanzt, um 250 000 neue Siedler anzuwerben. Dies bedeutet, dass für jeden Siedler 1000 neue Bäume gepflanzt wurden.

Die Innovation

Das Problem bei Wiederaufforstungsprojekten liegt darin, dass diese nur ein Ziel verfolgen: Holz als Treib- oder Brennstoff und inzwischen auch zum CO2-Abbau. Der Fokus auf ein einziges Produkt treibt Firmen dazu, die Produktion kurzfristig voranzutreiben und verleitet sie dazu, dabei auf genetisch modifizierte Arten zurückzugreifen. Als Reaktion auf das wachsende Bewusstsein, dass Baumpflanzungen in Monokultur Land und Boden noch weiter schädigen, haben mehrere Organisationen Zertifikate für nachhaltige Forstwirtschaft entwickelt. Diese Zertifikate mindern zwar die aggressive Belastung der Areale, doch sie schaffen keinen Mehrwert wie z. B. Nahrung. Es scheint, heutzutage kann man entweder einen Wald haben und an den Bäumen verdienen (Holz) oder den Wald absägen, das Holz verkaufen und auf dem Land Ackerbau treiben. Gibt es keinen Ausweg aus der Zwickmühle?

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Javier Herrero ist auf der Baleareninsel Mallorca aufgewachsen und strebte immer danach, seine Leidenschaft für die Natur mit der Bildung zu verbinden. Er möchte, dass Kinder ihr angeborenes menschliches Potenzial im Kontakt mit der Umwelt entwickeln. So entwarf er ein Bildungssystem rund um Initiativen, die die Kinder selbst ins Leben rufen. Die Arbeiten von Fritjof Capra und das Konzept der „ökologischen Alphabetisierung“ inspirierten ihn. Er beschloss, an der Schaffung einer Pädagogik mitzuwirken, für die das beste Lernumfeld der Wald ist. Wälder jedoch sind immer ein Kostenfaktor und ein produktiver Wald, in dem sich Investitionen auszahlen, erfordert Pflege in einem zumindest teilweise urbanen Umfeld. Daher entschied er sich, die bestehenden Modelle von Gärten zu überdenken, die auf jährlichen Anpflanzungs- und Erntezyklen basieren, um einen ganzjährig essbaren Wald zu konzipieren, in dem man etwas über die Natur und den Nahrungsmittelanbau lernt und gleichzeitig am produktiven Prozess des Ökosystems teil hat. So überbrückt er den Gegensatz von Wald und Farm, um sicherzustellen, dass es nicht nur um die Ernte geht, sondern um die Verbesserung der Fähigkeit des Landes, sich selbst zu regenerieren, sowohl bezüglich der Nahrung als auch des Waldes.

Javier experimentierte 15 Jahre lang in verschiedenen Umgebungen und schloss, dass zu Hause, sogar auf dem Balkon oder auf einer innerstädtischen Brachfläche, ein Mini-Wald angepflanzt werden kann. Wenn es wirklich zu eng wird, sieht er nach althergebrachter Weise das Problem als Herausforderung und beginnt mit der vertikalen Anpflanzung. Dabei bedeckt er eine ganze Mauer und schafft so nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Schönheit. Javier erkannte, dass die Zeit eine große Rolle spielt. Die Anpflanzung eines essbaren Waldes erfordert Geduld. Allein die Vorbereitung kann ein Jahr dauern, manchmal auch zwei, da ein kleiner Wald zu Hause ganz anders funktioniert als die Entwicklung auf einem Landstück von zwei Hektar. Bis die erste Ernte eingebracht werden kann, vergehen leicht fünf Jahre. Nach 15 Jahren ist der Wald reif und kann, wenn er gut umsorgt wird, ständig Früchte und Nüsse liefern. Javier schuf einige Simulationen und schloss daraus, dass, wenn jede Familie und jede Schule der Welt einen essbaren Wald auf verfügbaren Flächen und Räumen anpflanzte, die CO2-Konzentration auf das Niveau vor der Industrialisierung gesenkt werden könnte. Javier glaubt sogar, dass dies die Menschheit vor dem permanenten Risiko der Hungersnöte bewahren und für alle genug Nahrung bieten könnte.

Der erste Umsatz

Javier bekam die Chance, seine Konzepte im Ökologiepark Urobia in der Stadt Orba zwischen Alicante und Valencia (Spanien) zu beweisen. Sorgfältig wählte er 700 Arten aus, von Früchten über Holz, medizinische und aromatische Pflanzen und Kräuter bis hin zu Büschen. Ein Regenwasserauffangsystem leitet 450 000 Liter Süßwasser pro Jahr in und rund um den frisch gepflanzten Wald und liefert mehr als ein handelsübliches Bewässerungssystem es jemals schaffen könnte. Einmal erbaut liefern die Leitungen reichlich Wasser durch Schwerkraft in einer Region, in der lange Sommer mit Hitzewellen und Regenarmut die Regel sind.

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Dank der reichlichen Verfügbarkeit von Wasser kamen Tiere und Vögel in die Region zurück. In Zusammenarbeit mit der Universität von Valencia legen Javier und sein Team inzwischen Quoten für die Erholung der Artenvielfalt fest. Während Javier die Bäume anpflanzte, schuf er ein System, in dem weitere Samen durch Vögel und Bienen dazukamen – ganz ohne Mehrkosten. Ein System, dass mehrerlei Erträge aus einem Wald gewinnt, als Lernmittel dient, aus Wasserknappheit Überfluss schafft, die Artenvielfalt regeneriert und dabei kostenfrei für immer funktionieren kann, ist ein wunderbares Beispiel für die Blue Economy.

Die Chance

In den letzten Jahrzehnten wurden Turnhallen für Schulen zum Standard. Das stundenlange Stillsitzen beeinträchtigte Körper und Geist der Kinder. Die Sporthalle wurde zum zentralen Bestandteil der Schulbauten. Nun ist es Zeit, einen zweiten unverzichtbaren Bestandteil in die Bildungsinfrastruktur aufzunehmen: Zugang zu einem essbaren Wald. Da Kinder entweder unterernährt sind und Hunger leiden, oder eben überernährt und fettleibig sind, müssen Eltern und Lehrer eine Lernplattform schaffen, durch die Kinder lernen, wie Früchte und Nüsse durch Licht und Wasser an den Bäumen wachsen. Im Wald gibt es mehrere Ebenen der Nahrungsmittelproduktion, vom Boden mit Wurzeln, Unterholz mit Pilzen und Beeren bis hin zu den Baumkronen, in denen die Früchte hängen. So können Kinder ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen.

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In einem Land wie Südafrika, in dem es doppelt so viele Kirchen wie Schulen gibt, sollten alle angeregt werden, sich zusammenzutun und sicherzustellen, dass die hohe Kunst der Nahrungsmittelproduktion nicht einigen wenigen Multinationalen und Agrarindustriellen vorbehalten ist, sondern alle Kinder überall ein Grundwissen zum Überleben erwerben können. Wie Javier bewiesen hat, kann mit Know-how und Geduld ein essbarer Wald geschaffen werden, der nach einer Wachstumszeit ständig Nahrung liefert. Sobald ein Stück Land, das vorher brach lag, zur Nahrungsmittelproduktion erschlossen werden kann, erhöht sich sein Wert. Aus diesem Grund sollten essbare Wälder nicht nur unverzichtbarer Bestandteil der Bildung sein, sondern eine Chance für alle, die sich hierfür neue Geschäftsmodelle ausdenken können.

Bilder: Stock.XCHNG

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57. Gesundheit

Der Markt

Der Weltmarkt für medizinische Geräte und Dienstleistungen in der Diagnostik wurde 2010 mit 286 Milliarden US-Dollar bewertet. Dieser weite Markt deckt sowohl Technik als auch Dienstleistungen einschließlich Labortests, Bildaufnahmen, Endoskopie und energiebasierte Therapien ab. Die Dienstleistungen der Diagnostik werden auf über 200 Milliarden Dollar geschätzt. Etwa 10 Prozent der Gesundheitsversorgung fallen auf Diagnostik. Der Markt zeichnet sich durch hohes Wachstum vor allem in Entwicklungsländern aus. Durch Ausbreitung einer großen Zahl von modernen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wächst beispielsweise der indische Markt zurzeit um 20 Prozent pro Jahr an. Auf diese Weise entsteht in Indien die Plattform, um zum globalen Zentrum für Geräte und Dienstleistungen auf diesem Sektor zu werden.

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Es wird erwartet, dass die Branche der klinischen Tests bis 2017 die 100-Milliarden-Dollar-Marke erreicht. Diese Tests schließen Blutzucker, Infektionskrankheiten, klinische Chemie, Messungen der Herztätigkeit, Gerinnungs-, Krebs- und Fruchtbarkeitstests ein. Bildaufnahmen bilden ein größeres Segment und neue technische Durchbrüche ermöglichen ein breites Spektrum von Screenings durch Scanner, Röntgenaufnahmen, Radiologie und Mammografie. Dieses Segment wächst von weltweit 22,4 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf schätzungsweise 56,3 Milliarden bis 2012. Die Point-of-Care-Diagnostik, die sich von klinischen Tests in externen Laboren unterscheidet, wächst jährlich um 10 Prozent; der Marktwert lag 2010 bei 13,7 Milliarden Dollar und wird bis 2016 auf 24,8 Milliarden steigen. Die USA sind hier weltweite Marktführer. Sogar in industrialisierten Ländern und aller Automatisierung zum Trotz wächst der Arbeitsmarkt auf diesem Sektor, in den USA wird ein Wachstum von 318 000 für 2006 auf 362 für 2016 erwartet.

The Innovation

In älter werdenden Bevölkerungen, die mehr Diagnostik benötigen, sind die Organe der Gesundheitsfürsorge bemüht, Kosten zu begrenzen. Gleichzeitig sucht die Industrie nach Innovationen, die schnellere und leichtere Analysen ermöglichen. Digitale Schnelltests werden nicht nur auf dem klinischen Sektor nachgefragt, sondern auch im Sport und in öffentlichen Behörden in Fällen, in denen der sofortige Nachweis von Substanzen zur Leistungssteigerung oder Stimuli des zentralen Nervensystems benötigt wird. Die Feinnadelbiopsie ist eine der seltenen Erfindungen, in der die Form eine zentrale Rolle spielt; nahezu alle Innovationen basieren auf komplexer Chemie. Zwar wird die Performance der Tests durch diese Chemikalien verbessert, doch die hier entstehenden Abfälle haben ihrerseits eine Industrie hervorgebracht: die Verbrennung von Klinik- und Laborabfällen.

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Dr. Thomas Rau hat sein Studium an der medizinischen Hochschule Bern (Schweiz) abgeschlossen und sich auf rheumatische Krankheiten spezialisiert. Zusätzlich zu seinem Abschluss, der auch in den USA anerkannt ist, lernte er Homöopathie und natürliche Therapien. Er kam zu dem Schluss, dass der Körper nur dann funktionieren kann, wenn der Patient zunächst sein Immunsystem stärkt, indem er die Belastungen durch bakterielle Infektionen und Schwermetalle reduziert. Überraschender Weise basiert die erste Diagnose auf einer dreidimensionalen Analyse des Mundes. Aus Amalgamfüllungen können sich Schwermetalle lösen und bei der Betrachtung von Wurzelkanalbehandlungen zeigen sich stark saure Bakterien in den tiefen Höhlungen des Kiefers. Dieser Test wird durch eine Dunkelfeldmikroskopie ergänzt, eine effektive Technik, durch die Kontraste in biologischen Proben wie Blut gesteigert werden können. Durch diese Technik wird die Probe beleuchtet, ohne dass das Licht in der Linse reflektiert wird. So entsteht ein dunkler Hintergrund, vor dem das Objekt hell erscheint. Hier wird Physik zur besseren Diagnose intelligent genutzt.

Diese Analyse bietet hochqualifizierten Medizinern eine Point-of-Care-Diagnostik, die die Zahnuntersuchungen mit der Aktivität der weißen Blutkörperchen, der Anzahl der roten Blutkörperchen, dem Auftreten von Bakterien und sogar halbverdauten Proteinen in Verbindung bringt. Die Stärke dieses Analysesystems, das Dr. Thomas Rau und seine Kollegen am Paracelsus-Klinik für Biologisch-integrative Medizin und Zahnheilkunde entwickelt haben, liegt in der Fähigkeit, ein ganzheitliches Bild des Patienten zu erlangen.

Der erste Umsatz

Seit 1992 leitet Dr. Thomas Rau die Verwaltung der Paracelsus-Klinik in Lustmühle nahe St. Gallen in der Schweiz. Sein Ansatz der ganzheitlichen Medizin setzt neue Standards, da er nicht nur einen detaillierten Einblick in den Zustand des Patienten erhält, sondern die Ursachen erkennt, die ihm ermöglichen, von der Behandlung der Symptome zur Lösung des Problems überzugehen und so den Patienten auf den Weg der Genesung zu bringen. Das Portfolio der Point-of-Care-Diagnostik, das er den Patienten erklärt und verständlich macht, wird später durch Labortests ergänzt und stärkt den Patienten. Er/sie kann nicht nur die ihm gestellte Herausforderung erkennen, sondern die Ursache und Symptomatik seines Leidens verstehen. Die Visualisierung von ausgedehnten Infektionen in Wurzelkanälen, die auf die Meridiane des Körpers übertragen werden, können Krämpfe im Rücken erklären, Säurebakterien im Blut lassen sich auf schlimme Wurzelkrankheiten zurückführen, wo sie sogar lokales Fieber von über 39°C verursachen können, das durch normale Fiebermessmethoden nicht registriert wird.

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Nach Sofortmaßnahmen zur Korrektur einschließlich kleineren Chirurgien zur Extraktion von wurzelbehandelten Zähnen und Amalgamfüllungen erhalten die Patienten Zugang zu einer Logik, die ihnen ermöglicht, sich gesund zu erhalten. Das Team der Paracelsus-Klinik schlägt Richtlinien für die Ernährung zur Änderung der Essgewohnheiten vor. Während viele Diäten nur einfach zur Gewichtsreduktion verschrieben werden, können diese Richtlinien auf den Patienten zugeschnitten werden, so dass er/sie selbst über die eigene Gesundheit bestimmen kann. Die Paracelsus-Klinik hat somit Beispielcharakter in der Welt der Gesundheitsfürsorge und ihr übergreifender systemischer Ansatz macht sie zum Maßstab für eine Gesundheitsfürsorge im Sinne der Blue Economy.

The Opportunity

Die Verfügbarkeit der Point-of-Care-Diagnostik hat das Leben von Diabetikern durch die Möglichkeit der Sofortkontrolle ihres Zustands grundlegend verändert. Der letzte Fortschritt dieses ganzheitlichen Ansatzes ist, dass von der Heilkunde zur Prävention übergegangen wird. Zwar dauert es Jahre, um so umfassende Kenntnisse und Erfahrung wie Dr. Thomas Rau zu sammeln, doch wir müssen auch erkennen, dass ein Großteil der Bevölkerung einfach nicht weiß, wie ihr Körper funktioniert. Die Point-of-Care-Diagnostik ermöglicht uns, unsere Gewohnheiten von der Ernährung bis zum Schlaf zu beobachten und auf pragmatische Weise zu verstehen, wie unsere Entscheidungen im Alltag unsere Lebensqualität wirklich beeinflussen.

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43. Entchlorung

Der Markt

Der Weltmarkt für Chlor wird für 2010, basierend auf einer weltweiten Produktionskapazität von 80 Millionen Tonnen, auf 24 Milliarden US-Dollar geschätzt. Während die Vereinigten Staaten 1,3 Millionen Tonnen weniger produzierten und damit auf 13,8 Millionen Tonnen im genannten Jahr kamen, nahm die Produktion in Europa um 500 000 Tonnen zu und erreichte damit knapp über 9 Millionen Tonnen. Den größten Zuwachs verzeichnete China und erreichte mit 25 Millionen Tonnen einen Weltmarktanteil von fast einem Drittel. Während die globale Nachfrage zwischen 2011 und 2015 pro Jahr um 4,4 Prozent wachsen wird, können die Chinesen erwartungsgemäß ihre Kapazitäten für 2011 um 2 Millionen Tonnen steigern.

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Chlor wird produziert, indem Kochsalz unter Strom gesetzt wird. Da Chlor hochreaktiv in Wasser ist, wurde Quecksilber eingesetzt, um den Prozess zu neutralisieren. Die amerikanische Chlorindustrie verbraucht immer noch 79 Tonnen Quecksilber für knapp 14 Millionen Tonnen Chlor. Die europäische Industrie hat sich verpflichtet, bis 2020 kein Quecksilber mehr zu verwenden, verbraucht jedoch zurzeit immer noch 0,92 Gramm Quecksilber pro Tonne Chlor. Chlor wurde vor 200 Jahren in Schweden von Karl Scheele entdeckt. Die Statt Pittsburgh war vor genau einem Jahrhundert die erste, die Chlor ins öffentliche Trinkwasser einleitete, um Bakterien abzutöten. Dies führte zu einem dramatischen Anstieg der Nachfrage und einer merklichen Abnahme von Epidemien.

In Wasser gelöstes Chlor reagiert mit Eisen und Mangan und somit auch mit Bakterien, wodurch die Verbreitung von Krankheiten eingedämmt wird. Zystenbildende Protozoen (Cryptosporidium) können jedoch selbst bei hoher Konzentration nicht beseitigt werden. Das amerikanische Wisconsin State Hospital stellte fest, dass 80 Prozent des freien Restchlors durch Absorption über die Haut in den menschlichen Körper gelangen. Zwar war es jahrzehntelang wirkungsvoll in der öffentlichen Gesundheitsversorgung, doch es ruft auch Allergien hervor und wird in Verbindung mit Krebserkrankungen, Arteriosklerose und Anämie gebracht. Die Ansammlung über lange Zeiträume verursacht Schädigungen der Proteine, trockenes Haar und Ausschläge sowie eine hohe Zahl freier Radikale, die den Alterungsprozess beschleunigen.

Die Innovation

Seit die Environmental Protection Agency (EPA) in den Vereinigten Staaten den Gemeinden empfohlen hat, die Chloranteile im Trinkwasser zu verringern und zu begrenzen, wird auf breiter Ebene nach Alternativen gesucht. Jedoch ist der Einsatz durch Gesetze und Verordnungen vorgeschrieben. Die Gesundheitsbehörden zögern beim Ersatz von Chlor oder versuchen es mit chemischen Alternativen wie dem wirkungsvollen Triclosan (polychloriertes Phenoxyphenol), das langfristig jedoch noch weitere unbeabsichtigte Folgen hat. Der Vorteil des Chlors ist, dass seine schädlichen Eigenschaften weithin bekannt sind. Es bleibt die Möglichkeit, weiterhin Chlor ins Trinkwasser zu geben, es jedoch vor dem Endverbrauch wieder zu entfernen. Die Filtrierung durch Aktivkohle, Mineralien oder sogar Ionentauscher hat einem neuen Industriezweig mit Hunderten von Anbietern zum Aufschwung verholfen. Die Filter jedoch werden zu Abfall und enden auf Müllhalden, wo sie weiter die Umwelt verschmutzen und oft noch höheren Energieverbrauch verursachen als eingangs die Chlorherstellung.

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Hu Bor Yu, Liu Chen Panc und Liang Teh Ming, Forscher am Industrial Technology Research Institute (ITRI) in Taiwan, haben beobachtet, dass fließendes (chloriertes) Wasser kinetische Energie besitzt, die seine Kollegen erfolgreich zur Stromgewinnung nutzen konnten. Diese elektrische Energie, die beim Fluss durch das Rohr entsteht, steigert die laminare Strömung durch eine kleine geometrische Änderung: Das Rohr wird verengt. Die gewonnene Elektrizität wird an eine Anode geschlossen und der so geschaffene Elektrolyseur neutralisiert an Ort und Stelle das chemische Potenzial des restlichen Chlors. Dieser Prozess benötigt keine Energiezufuhr von außen, verbraucht keine Materialien, reagiert sofort im Fluss des Wassers, ist langlebig, billig zu installieren und wartungsfrei. Die Performance verbessert sich bei höherer Fließmenge und Wassertemperatur.

Die möglichen Anwendungen gehen über Chlor hinaus. Der selbe Prozess kann Perchlorsäure (HClO4), Natriumsulfit (NaSO3) und ähnliche gesundheitsschädigende Verunreinigungen im Wasser zersetzen. Hier entsteht ein neuer Ansatz zur Wasserreinigung, bei der traditionell Chemikalien und Filter den Markt dominiert haben. Dies bedeutet, das „etwas durch nichts ersetzt“ wird bzw. die Chemie (teilweise) durch Physik, zwei Kernprinzipien der Blue Economy.

Der erste Umsatz

Das Forschungsteam des ITRI hat schnell begriffen, dass diese Technologie breite Anwendung in Wohnhäusern finden kann, da die gesundheitsschädigenden Eigenschaften des (übermäßigen) Einsatzes von Chlor gut dokumentiert sind. Der Einbau von energieautarken Entchlorungsanlagen in Kombination mit Lichtern, die die Wassertemperatur durch Sensoren mit eigener Stromquelle anzeigen, bietet darüber hinaus eine Bündelung von Innovationen für mehr Sicherheit im eigenen Heim. Hinzu kommt, dass bei steigender Wassertemperatur die Effizienz der Entchlorung noch erhöht wird. Diese Geräte sind kostengünstig und benötigen keine zusätzliche Verkabelung, es entsteht eine Plattform für viele findige Unternehmer, die sich auf dem Markt etablieren wollen.

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Die Chance

Während der Hausgebrauch ein offensichtlicher Markteinstieg ist, kann die Anwendung noch mit vielen weiteren Innovationen kombiniert werden, z.B. mit der Wirbeltechnologie bei der Eisherstellung, bei der durch den Chloranteil mehr Energie benötigt wird, damit das Wasser erstarrt. So könnte ohne teure Apparaturen noch weitere Energie eingespart werden. Da die Energiegewinnung aus fließendem Wasser in Systemen mit hohem Volumen bereits bewiesen ist und der Fluss nur minimal abnimmt, wenn er zusätzlich 50 Watt Strom zum Betreiben lichtstarker LED-Strahler produziert, ist das System bereit für Anwendungen auf industrieller Ebene wie die Produktion von hochreinem Wasser für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie, die derzeit von teuren Filtern abhängt, die monatlich oder sogar wöchentlich ersetzt werden müssen.

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Zwar ist es unmöglich zu übersehen, dass der Einsatz von Chlor allgemein vermieden werden sollte, doch wir sollten der Entwicklung zum Guten und Besseren hin nicht im Wege stehen. Da der Einsatz von Chlor im Trinkwasser meist reguliert ist, erlaubt uns die Möglichkeit der Entchlorung mit eigener Stromquelle eine Übergangslösung. Sie bringt auch Zeit für die Suche nach Ersatzstoffen und den Blick frei, das Stigma des Chlors zu überdenken, indem die Quelle für die Umweltverschmutzung energie- und materialeffizient beseitigt werden kann. Hier bietet sich eine Plattform für das Unternehmertum, die Arbeitsplätze schafft: eine der Prioritäten der Blue Economy.

Bilder: StockXCHNG

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38. Schmerzfreie Nadeln

Der Markt

Die Spritze mit Nadel ist das meistverkaufte medizinische Gerät auf der Welt. Etwa 12 Milliarden Stück werden jährlich verbraucht, was einem Marktwert von ungefähr 2,5 Milliarden US-Dollar entspricht. Schätzungsweise 70 Prozent aller Spritzen werden in der Gabe von Insulin verwendet. Daher ist zu erwarten, dass der Markt weiterhin stetig wächst, da die Zahl der Diabetespatienten erwartungsgemäß von 285 Millionen im Jahr 2010 auf 438 Millionen bis 2030 steigen wird. Die meisten Diabetiker leben in Indien (50,8 Millionen), gefolgt von China mit 43,2 Millionen. Zusätzlich zur dramatischen Verbreitung von Diabetes wird der Markt noch wachsen, da zur Vermeidung des Ansteckungsrisikos immer mehr Einwegspritzen verwendet werden. Gegenwärtig stellen die USA den größten Markt mit 6 Millionen Einheiten jährlich dar. Doch wenn erst alle chinesischen und indischen Patienten untersucht und behandelt werden, werden diese beiden Märkte allein schon 38 Milliarden Nadeln pro Jahr benötigen.

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Die Verbreitung von Einwegmaterial bei medizinischen Geräten bringt jedes Jahr schätzungsweise 3,2 Millionen Tonnen medizinische Abfälle. Zwar stellen hier die Spritzen und Nadeln die höchste Stückzahl, doch vielleicht noch das geringste Gewicht dar. Die gebrauchten Nadeln sind ein großes Gesundheitsrisiko und verursachen jährlich eine Million Verletzungen – mit steigender Tendenz. Dies führte zur Entwicklung von Sicherheitssystemen, bei denen die Nadeln nach Gebrauch eingezogen werden. Die Kosten für Einwegnadeln sind bis auf 10 Cent pro Einheit bei Standardnadeln oder 25 Cent für hochfeine Nadeln gefallen; die teuersten kosten gerade einmal 40 Cent. So konnten hohe Volumen und globale Standardisierung die Konzentration auf wenige führende Produzenten ermöglichen. Becton-Dickinson (USA), Terumo (Japan) und B. Braun Melsungen (Deutschland) sind die Marktführer mit einer Produktionskapazität von über 2 Milliarden Einheiten pro Jahr. Diese Firmen haben das Prinzip des Kerngeschäfts perfektioniert und das Versorgungskettenmanagement führt zu immer niedrigeren Preisen pro Einheit.

Die Innovation

Die Einführung von Sicherheitsspritzen war ein großer Durchbruch vor einem Jahrzehnt. Die höheren Kosten, die durch die Sicherung entstanden, wurden weltweit von den Versicherern aufgefangen. Die größte Herausforderung für den Ärzteberuf allgemein und die Hersteller von medizinischem Gerät im Besonderen ist jedoch das Phänomen, das unter dem Namen „Nadelphobie“ bekannt ist. Dieses Leiden betrifft über 10 Prozent der Weltbevölkerung. Die Angst vor der Nadel ist so groß, dass die Patienten den Arztbesuch vermeiden. Über den Daumen gerechnet sterben mehr Menschen daran, dass sie aufgrund ihrer Nadelphobie nicht zum Arzt gehen, als durch Nadelverletzungen. Eine der letzten Neuerungen zur Überwindung der Phobie ist die vibrierende Nadel, bei der durch feine Drehbewegungen oder die Zugabe von speziellen Überzügen über die Spitze der Schmerz reduziert wird.

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Masayuki Okano, Präsident der Okano Kogyo Corporation, eines kleinen metallverarbeitenden Betriebs in Japan, hat sich schon immer gefragt, warum eine Mücke ihren Saugstachel schmerzfrei durch unsere Haut bohrt und selbst beim Blutsaugen kaum einen Reiz verursacht. Er und seine Freunde bei der Terumo Corporation (Japan) fanden heraus, dass der Stachel nicht zylindrisch wie Nadeln sondern eher konisch geformt ist. Obwohl Wissenschaftler und Ingenieure zu bedenken gaben, dass die konische Form mit Sicherheit die Injektionszeit verlängern und außerdem die Effizienz der Produktion mindern würde, hat Okano-san ihnen bewiesen, dass beide Argumente falsch waren. Die Verjüngung der Injektionsnadel innen und außen zwingt die flüssige Medizin zu einer wirbelförmigen Bewegung und ermöglicht so eine ebenso schnelle Injektion wie jede andere Nadel. Außerdem verursacht diese Nadel zur Überraschung aller (aber nicht Okano-san) keine Schmerzen. Die Innovation basiert auf der Geometrie und ersetzt den Einsatz lokaler Betäubungsmittel, bevor die Nadel eingeführt wird. Der Ersatz von Chemie (oder Metallurgie im Fall von Überzügen) durch Physik ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy.

Mit einem Durchmesser von nur 0,2 mm ist diese Nadel die dünnste auf dem Markt. Ein Physikprofessor und Materialforscher behauptete, dass eine so dünne Metallschicht zusammen mit einer 20 Prozent kürzeren Spitze zur Herstellung der gewünschten konischen Form nie als Massenprodukt hergestellt werden könnte. Okano-san erfand jedoch einen neuen Produktionsansatz, bei dem das Blech vor dem Rollen winzige Prägungen erhält, so dass leicht eine Massenproduktion in Betrieb genommen werden kann. Daraufhin entwickelten die Ingenieure von Terumo Geräte für die Verjüngung, um den Herstellungsprozess zu perfektionieren und die Nadeln mit einem Preis von etwa 25 Cent pro Einheit auf den Markt zu bringen. Zwar kostet diese Spritze mehr als das gewöhnliche Injektionssystem für Insulin, doch die Schmerzvermeidung ist eine enorme Erleichterung für die Diabetespatienten und jeden, der sich regelmäßig (oder auch nur einmal) Injektionen unterziehen muss.

Erster Umsatz

Terumo ging 2005 in Betrieb und durchdrang schnell den Markt mit seiner Nanopass 33-Nadel. Die Firma setzte einen Meilenstein. Gegenwärtig ist Nanopass 33 wahrscheinlich das meistverkaufte Produkt (in Bezug auf die Stückzahl), das direkt durch die Geometrie in Anlehnung an die Natur inspiriert ist. Wer von uns sich noch fragt, wozu eine Mücke denn gut ist, muss zugeben, dass die Schmerzvermeidung, die Angstpatienten auf der ganzen Welt den Zugang zu präventiver Medizin ermöglicht, ein wunderbares Geschenk der Mücke ist. Und, wie Terumo bestätigen kann, ist dies auch gut für die Wirtschaft.

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Die Chance

Die Massenherstellung hat nicht nur weltweit Produkte standardisiert, sondern auch vereinfachte Herstellungsmethoden aufgezwungen. Da die Herstellung von Dingen in gerader Form mit 90-Grad-Winkeln angeblich billiger und schneller ist und damit höhere Stückzahlen bei höherer Geschwindigkeit ermöglicht, sind Produktionsingenieure selten begeistert von Innovationen, die den Winkel oder die Gerade hin zu komplexen Formen verändern. Der Wechsel von zylindrischen hin zu konischen Formen eröffnet eine völlig neue Welt mit riesigem Potential für Innovationen auf einer Vielzahl von Sektoren.

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Okano-san’s Durchbruch, der ihm den Beinamen „Zauberer“ brachte – läutet die Zeit der schnellen Entwicklung von Prototypen auf Grundlage der nichtlinearen Mathematik ein. Hier verbindet sich kreatives Design und Herstellung und fruchtet in vielen Möglichkeiten für Innovationen auf Grundlage der Geometrie, Mathematik und Physik. Terumo’s Erfolg bei der Schmerzvermeidung ist sicher die erste, aber nicht die letzte weitverbreitete Umsetzung dieser Art von Innovationen. Wenn dies mit diversen neuartigen Prozessen aus vorangegangenen Beispielen kombiniert wird, können wir uns leicht vorstellen, was das für eine Bedeutung für die Menschheit hat.

Bilder: StockXCHNG

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19. Trocken- und Trenntoiletten

Der Markt

Gegenwärtig wird der Weltmarkt für Sanitärprodukte auf Wasserbasis auf 124 Milliarden US-Dollar geschätzt. Während in letzter Zeit 1,6 Milliarden Menschen einen Wasseranschluss und WCs bekommen haben, bleiben heute noch 2,5 Milliarden ohne jeglichen Anschluss. Bedingt durch das Bevölkerungswachstum ist diese Zahl über die letzten drei Jahrzehnte konstant geblieben. Die Milleniumsziele der Vereinten Nationen schlagen vor, die Hilfeleistungen und Investitionen zu verdoppeln, um dagegen zu kämpfen, dass jeder Vierte in Entwicklungsländern überhaupt keine Sanitäreinrichtungen nutzt. In Südasien verrichten 65 Prozent der Bevölkerung ihre Geschäfte im Freien. In der Stadt Mumbai gibt es für 82 Bürger je eine Toilette. Es gibt also mehr Handys als Toiletten in Indien. Das Marktpotential für den „Toilettenbedarf“ wird, auf Basis bestehender Kosten und Geschäftsmodellen nach Zahl der nicht angeschlossenen Bevölkerung, auf 400 Milliarden Dollar geschätzt.

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Das erste sich per Strudel selbstreinigende WC-Becken wurde bereits 1907 patentiert, doch erst in den 1950er-Jahren wurde das heute geläufige Konzept des Wasserklosetts (WC) zum Standard. Als die wassergespülte Sanitäreinrichtung Mainstream war, wurde gleichzeitig die Nutzung des Trinkwassers zur Toilettenspülung zu einer der größten Wasserverschwendung dieses kostbaren Guts. Heutzutage werden 25 bis 40 Prozent des Haushaltstrinkwassers für etwas verwendet, das eigentlich gar kein trinkbares Wasser benötigt. Die Dimensionen dieses Konsums kann durch das Beispiel der 45 Millionen Wohnungstoiletten im Vereinigten Königreich verdeutlicht werden, wo schätzungsweise zwei Milliarden Liter Frischwasser täglich hinuntergespült werden. Während der Fußball-Weltmeisterschaft müssen die städtischen Wasserwerke Höchstleistungen vollbringen, um den Wasserfluss in den 15 Minuten der Halbzeitpausen sicherzustellen.

Hinzu kommt noch, dass jede erkrankte Person bis zu 10 Milliarden Viren pro Tag ausscheidet. Einmal im Wasser, entsteht ein akuter Bedarf an Chemikalien, um die Verbreitung der Krankheit zu vermeiden. Zwar töten die Chemikalien 99,99% aller Bakterien und Viren, doch etwa eine Million von ihnen überlebt und pflanzt sich weiter fort. Ein Keim genügt, um eine andere Person anzustecken. Die Knappheit an Wasser für den Haushalt ist die treibende Kraft hinter der Installation von weltweit 12500 Wasseraufbereitungsanlagen, die mit sehr hohem Energieaufwand Salzwasser in Trinkwasser umwandeln. Daher muss bei der Nutzung von wasserbasierten Sanitäranlagen und wachsendem Süßwasserbedarf grundsätzlich umgedacht werden. Hier besteht die Möglichkeit, Innovationen auf den Markt zu bringen.

Die Innovation

Die Neugestaltung von Sanitäranlagen hat wenige Spitzeningenieure motiviert. Toiletten sind bereits mehrfach neu entwickelt worden, ihre Preise sind mittlerweile bis auf 30 Dollar pro Stück gefallen – billiger als ein Mobiltelefon – und haben mitunter einen Verbrauch von nur 3 oder sogar 1,5 Litern pro Nutzung. Installationen für die Entsorgung von Exkrementen wie Faulgruben, Spül- oder Plumpsklos sind als verbesserte Sanitäreinrichtungen bekannt, doch wird das Problem nur verschoben, da weiterhin Trinkwasser zur Spülung benötigt wird.

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Als Dr. Mats Wolgast, Professor für Hygiene und gleichzeitig gelernter Arzt, durch Wasser verursachte Krankheiten untersuchte, bemerkte er den Widerspruch zwischen dem Wunsch nach einer „No toilet – No wife“-Kampagne, die Frauen in der Dritten Welt motivieren sollte, Werber abzulehnen, die kein Haus mit Badezimmer anbieten konnten, und dem kulturellen Anachronismus, Trinkwasser zum Spülen zu verwenden. Er untersuchte die Physiologie des menschlichen Körpers und entwickelte ein einfaches System, das Flüssigkeiten von Feststoffen trennt, ohne sie mit Wasser zu vermischen. Die Flüssigkeiten werden in einem separaten Urintank gesammelt, die Feststoffe fallen in einen Container, in dem sie trocknen.

Als Arzt konzentrierte er sich auf die Kontrolle von Bakterien und Viren und befürwortete weiterhin die Spülklosetts. Er entwickelte ein Trennsystem auf Grundlage des Aquatron-Strudels gleich unter dem Wasserklosett, das eine schnelle und vollständige Trennung von Feststoffen und Wasser sichert. Die Feststoffe trocknen in nur ein paar Stunden aus und stellen dann kein Gesundheitsrisiko mehr dar. Dr. Wolgast verfolgte seine ursprüngliche Idee einer Trockentoilette weiter und fügte einen schwarzen Schornstein in die Innenkammer ein, der nach den Gesetzen der Physik funktioniert. Der Schornstein erwärmt die Luft, die sich ausdehnt und aufsteigt und einen Unterdruck erzeugt, der Luft aus dem Raum in die Toilette hineinsaugt. Dieses simple und geniale System, das weder Ventilator noch Elektrizität benötigt, hat noch nie versagt: die Luft bleibt ohne künstliche Mittel frisch und sauber.

Erster Umsatz

So viele Designs für Toiletten es auch gibt, die ersten, die von der Innovation überzeugt werden müssen, sind die Architekten. Dr. Wolgast arbeitete eng mit Anders Nyquist zusammen, der dann wiederum seine Kunden überzeugen musste. Die ersten Anwender des neuen Systems war das Dorf Rumpan bei Sundsvall in Schweden, wo die Toiletten getestet wurden. Diese gemeinsame Arbeit brachte weitere Vereinfachungen in der Entwicklung. Nach mehreren Jahren schloss Anders, dass die Zeit reif für ein Großprojekt war. Die Laggarberg-Schule in Timrå nördlich von Sundsvall installierte das System 1995 in ihrem Gebäude.

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Die Feststoffe, die die 150 Schüler über ein Jahr produzierten, ergaben weniger als 300 Kilo Trockensubstanz und es gab nie eine Beschwerde über schlechte Gerüche. Noch wichtiger ist vielleicht, dass die festen Abfälle einen hochwertigen Kompost ergeben, der an die Bauern in der Umgebung verkauft wird und so einen (kleinen) Nebenverdienst schafft. Der Urin wird in einem unterirdischen Tank gesammelt. Er wird im Verhältnis 1:10 mit Wasser verdünnt und als Dünger auf dem nahegelegenen Golfplatz eingesetzt.

Die Chance

Mats Wolgast und seine Kollegen entschieden, dass das beste seiner Modelle auf den Markt gebracht werden sollte. Eine ganze Reihe Firmen haben die Rechte erworben, eine Vielzahl Architekten sind mittlerweile mit dem wasserunabhängigen System vertraut. Das kostengünstigste Modell hingegen wurde in eine „Open-Source-Toilette“ umgewandelt, d.h. jeder Interessierte kann die Zeichnungen gratis aus dem Internet herunterladen und selbst bauen. Anders Nyquist, der nicht nur Architekt, sondern auch ein guter Tischler ist, trug mit seinen Künsten zu einer einfachen Bauweise bei.

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Besonders in Lateinamerika, Afrika und Asien haben die Modelle Erfolg und es besteht großes Interesse seitens der Menschen, ihre eigenen Trocken- und Trenntoiletten zu bauen. So werden zwei der größten Herausforderungen für die Menschheit – Trinkwasser und Hygiene – zu einer Chance für lokale Unternehmer, ihre Ressourcen vor Ort und einfache Bauweise, während die Hygiene zu einem Bruchteil der Kosten von herkömmlichen Systemen gewährleistet wird. Dazu sind Innovationen da.

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10. Frische Luft frei Haus

Spart Energie, reduziert Kosten und fördert die Gesundheit

Der Markt

Der Weltmarkt für Klimaanlagen wird auf 62 Milliarden US-Dollar beziffert, dabei entfallen 39 von über 45 Millionen jährlich installierten Einheiten auf Wohngebäude. Die Temperaturkontrolle stellt den höchsten Posten im Gebäudemanagement dar und ist einer der Hauptfaktoren für den Klimawechsel. Das höchste Wachstum auf diesem Sektor kommt aus den Entwicklungsländern, allen voran China. Wärmeaustauschsysteme und Kondensatoren, die einen Teil der verbrauchten Energie wieder einfangen, werden auf 2,5 Milliarden Dollar geschätzt, weitere 2 Milliarden Dollar entfallen auf Luftfilter, die benötigt werden, um Staub, Pollen und Keime aus der Raumluft zu entfernen.

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Immobilienentwickler haben mehr und mehr in Gebäudeleittechnik investiert, ein computergesteuertes Kontrollsystem, das Licht, Wasser und Luftströme im Objekt misst. Der Anschaffungspreis für die Apparate zur Klimakontrolle für ein zehnstöckiges Gebäude erreicht leicht 3,5 bis 5 Millionen Dollar, während die laufenden Kosten bei bis zu 25 Prozent der jährlichen Betriebskosten liegen. In den Vereinigten Staaten entfallen 70 Prozent allen Energieverbrauchs auf Gebäude, was 38% der gesamten CO2-Emissionen entspricht.

Die EU-Kommission hat einen Bericht veröffentlicht, demzufolge ganze 90 Prozent aller bestehenden Gebäude unzweckmäßige Systeme für Heizung und Kühlung von Luft und Wasser aufweisen und daher generalüberholt werden müssten. Dies könnte zu einer Energieeinsparung von 30 Prozent für bestehende Objekte führen.

Die Innovation

Der kürzlich verstorbene schwedische Architekt Bengt Warne und sein Team erforschten bereits in den 1950er Jahren die natürlichen Mechanismen der Temperatur- und Luftfeuchtigkeitskontrolle in Termitennestern in Tansania und Simbabwe. In diesen Nestern werden die Gesetze der Physik genutzt, um Luftströme, Wärme und Feuchtigkeit ohne externe Energiezufuhr zu regulieren. Warne kam zu dem Ergebnis, dass diese Bauten es ermöglichen, im Untergrund Pilze zu züchten, dank einer akribischen Bauweise, die die Temperatur bei 27°C und die Luftfeuchtigkeit bei 61% hält. Genaue Beobachtungen ergaben, dass die Höhe der Hügel, die Länge und Weite der Luftkanäle sowie die Ausrichtung zur Sonne und Auswahl der Baumaterialien die Gebäudeluft beeinflussen.

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In der Weltgeschichte gibt es viele Beispiele für natürlich belüftete Gebäude, so das Krankenhaus, das in Las Gaviotas (Kolumbien) errichtet wurde, oder das Shosoin in der Tempelanlage Todai-ji in Nara (Japan). Beide bieten angenehme Raumluft in feuchtheißen Klimaten. Ein weiterer schwedischer Architekt, Anders Nyquist, hat ein Team angeregt, ein mathematisches Modell zu entwickeln, das auf den Erkenntnissen zu den Termitenhügeln aufbaute, aber den Bauplanern die Vorhersehbarkeit der Ergebnisse ermöglichte. Die Bautechnik setzte er bei der Errichtung der Laggerberg-Schule in Timrå bei Sundsvall um und zeigte, dass sich spürbare Vorteile über die Energieeinsparung hinaus nicht nur für feuchtheißes, sondern auch für trockenes und kaltes Klima ergaben.

Ohne zusätzliche Heiz- oder Kühlungskosten wird stündlich die Luft ausgetauscht, wobei zusätzlich Staubpartikel und Keime aus dem Gebäude geleitet werden und so die Gesundheit der sich drinnen aufhaltenden Personen profitiert. Daraufhin fügten Nyquist und sein Team das Spiel zwischen Schwarz und Weiß auf der Außenwand des Gebäudes hinzu, indem sie den Wechsel zwischen dunkel und hell des Zebrafells imitierten. Dies ist eine weitere einfache Umsetzung der Gesetze der Physik: heiße Luft dehnt sich und steigt auf, während kalte Luft dichter ist und absinkt. Der Ford-Händler in Umeå (Schweden) sowie die Bürogebäude von Daiwa House in Japan sind konkrete Beispiele für die Effizienz dieser Entwicklung.

Erster Umsatz

Während noch viele nach Energieeinsparungen suchen, indem sie die bestehenden Techniken effizienter nutzen, haben Nyquist und Warne Bauweisen entdeckt, die den gegenwärtigen energie- und kostenintensiven Marktstandard durch die Inkorporierung der Intelligenz von Ökosystemen ersetzen. Die Architekten nutzen die Gesetze der Physik ebenso wie Zebras und Termiten bei der Planung eines neuen Typs von Gebäuden.

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Die praktische Umsetzung ihrer Naturbeobachtungen schaffen vielfältige Vorteile, von Kosteneinsparungen bei Einkauf und Instandhaltung bis hin zur Verbesserung der Raumluft. Die Schulkinder erleben die einfache Anwendung der physikalischen Gesetze und gleichzeitig wird der CO2-Fußabdruck des Gebäudes beträchtlich kleiner. Die Gebäude sind gut isoliert und doch zirkuliert die Luft durch die Räume ohne Bedarf weiterer Heizung oder Kühlung.

Die Chance

Diese Innovation dürfte zwar nicht die Hersteller von Klimatechnik anregen, wohl aber ein interessantes neues Geschäftsmodell für Immobilienentwickler darstellen. Wenn es keine Klimatechnik im Gebäude gibt, benötigt man auch keine Luftkanäle in den Decken. Hierdurch könnten zwischen zwei Stockwerken etwa 40-50 cm Platz eingespart werden, d.h. Wo bisher fünf Stockwerke möglich waren, könnte bei gleicher Gebäude- und Raumhöhe jetzt ein weiteres Stockwerk gebaut werden. Das eingesparte Geld wird noch ergänzt durch höhere Einnahmen und ein geringeres Risiko. Im Normalfall liegt die Gewinnschwelle für ein zehnstöckiges Gebäude bei einem Verkauf von 55 Prozent der Räume, Büros oder Wohnungen. Bei der vorgestellten Konstruktion, die Kosten bei Bau und Instandhaltung einspart, liegt die Gewinnschwelle bereits bei 46 Prozent.

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Der Bau dieser energiesparenden Gebäude reduziert also das Anlagerisiko. Ein niedrigeres Risiko aufgrund einer niedrigeren Gewinnschwelle führt wiederum zu günstigerer Finanzierung, die wiederum das Risiko senkt. Das Eastgate Shopping Center in Harare (Simbabwe) ist ein überraschendes erstes Beispiel für eine solch innovative Umsetzung der Bauplanung. Wo Nichteingeweihte vor einer größeren Immobilieninvestition in einem Hochrisikoland wie Simbabwe zurückschrecken, hat dieses Projekt alle Erwartungen übertroffen. Dieser Büro- und Geschäftskomplex blickt auf eine wahre Erfolgsgeschichte zurück. Es ist das beliebteste Gebäude in Harare, vor allem, weil es die niedrigsten Betriebskosten aufweist und dabei das meiste Publikum anzieht. Wer hätte geglaubt, dass das ökologischste Büro- und Geschäftsgebäude mitten in Simbabwe steht?

Bilder: StockXCHNG
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