48. Hühnereier durch billiges Futter
Der Markt
Der Weltmarkt für Eier wurde für 2010 auf 80 Milliarden US-Dollar geschätzt, bei einer Produktion von annähernd 1,3 Billionen Eiern pro Jahr. Die weltweite Eierproduktion hat sich zwischen 1970 und 2005 verdreifacht: von 19,5 Millionen Tonnen bis auf fast 60 Millionen Tonnen. Asien liegt in der Produktion weit vorne: China, Indien und Japan kontrollieren über 50 Prozent des Marktes. Wenn in Indien so viele Eier wie in Mexiko verbraucht würden, wäre in den nächsten Jahrzehnten eine weitere Verdreifachung zu erwarten. Die 27 EU-Mitgliedsstaaten stellen nur 10 Prozent der Weltproduktion und werden in Zukunft stark durch Maßnahmen des Gesundheits- und Tierschutzes beeinflusst. Auf der Welt leben knapp 5 Milliarden Legehennen, davon 68 Prozent in Käfigen mit durchschnittlich acht Hühnern auf einer Fläche von ca. 60×60 cm. In den USA leben 95 Prozent aller Hühner in Käfigen.
Für 2015 schließt sich Kalifornien an die Schweiz und Schweden an, wo bereits seit Jahren die Käfighaltung verboten ist. Schon vor 7000 Jahren haben Menschen Hühner gehalten, und sie sind Teil der modernen Ernährung. Auflagen des Tierschutzes werden die Zukunft dieser Industrie bestimmen. Die EU legt fest, dass ab 2012 jeder Legehenne mindestens 750 Quadratzentimeter Raum zustehen. Dies macht grundsätzliche Umstellungen im Betriebskapital und eine Neudefinition der Standards für Rentabilität notwendig. Die weltweite Nachfrage nach Eiern schwankte in den letzten Jahren stark aufgrund der Vogelgrippe, Salmonelleninfektionen und Fällen von Dioxinverseuchung, die über die Medien starke Aufmerksamkeit erfuhren und so das Vertrauen der Verbraucher minderten.
Wie viele Eier verbraucht werden, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Pro Tag werden im Vereinigten Königreich 29 Millionen Eier konsumiert. Die Australier verschlingen 170 Eier pro Person und Jahr, in den USA sind es 246, in Indien wiederum nur 40. Den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch hat Mexiko mit durchschnittlich 355 Eiern pro Person. Die Industrie konzentriert sich zunehmend. In den Vereinigten Staaten gibt es 12 Firmen, die im Durchschnitt über 5 Millionen Legehennen besitzen. 172 Firmen kontrollieren 95 Prozent des Geschäfts. Die Preise auf dem Markt sind sehr unterschiedlich: Ein Dutzend Eier aus Käfighaltung kosteten 2010 in den USA durchschnittlich 87 US-Cent, während der Preis für Eier aus Freilandhaltung bis auf 2,62 Dollar und Bio-Eier sogar auf 4,06 Dollar hinaufschnellte. Zur Kostenkontrolle hat die thailändische Regierung ein Preissystem eingeführt, nach dem Eier nach Gewicht und nicht wie bisher pro Stück verkauft werden.
Die Innovation
In den Industrieländern berücksichtigt man vorrangig die Lebensbedingungen der Hühner durch diverse Innovationen im Bereich von selbstreinigenden Tränken, automatischer Futterzufuhr, Lichtsystemen und Abfallentsorgung. Da Futter den höchsten Kostenfaktor darstellt, vor allem die Zusätze zur Kontrolle des Gewichts, der Gesundheit und der Mauser (Federwechsel) und sogar der Färbung des Eidotters, wurde dem Bereich der Mischung von Sorghum, Soja und Mais viel Aufmerksamkeit geschenkt. Fast alles Futter stammt heutzutage von genetisch modifizierten Anbaupflanzen, auch in Europa, so dass sogar Eier mit Bio-Siegel und aus Freilandhaltung aus genetisch modifizierter Ernährung kommen. In einigen Ländern werden den Hühnern Futtermittel aus alten Legehennen vorgesetzt. In Europa ist dies zwar verboten, in anderen Regionen wird es aber leider praktiziert.
Angus MacIntosch, der als Investmentbanker bei Goldman Sachs Karriere gemacht hatte, übernahm die Leitung der Spier Estate in Stellenbosch, Südafrika, unter der Verpflichtung, die Anlage aus Weinberg, Hotel und Farm in einen sozial und umwelttechnisch nachhaltigen Betrieb umzuwandeln. In seiner Verpflichtung zu Qualität und Lieferung von Frischgemüse, Eiern und Geflügel an führende Chefköche am Westkap fiel Angus bald auf, dass zwar die Qualität seiner in Freilandhaltung produzierten Eier sehr beliebt war, doch der Anteil an „freiem“ Futter und Würmern nur 30% des Hühnerfutters betrug. Die restlichen 70 Prozent mussten teuer eingekauft werden. Zu seiner Bestürzung erfuhr er, dass seine zertifizierten Bio-Eier von Hühnern gelegt wurden, die genetisch veränderten Mais als Futter erhielten. Ihm blieb nur, entweder den Hühnerhof zu schließen oder Maßnahmen zur Kostensenkung durchzuführen, die mit Sicherheit die Qualität und die Bio-Zertifizierung beeinträchtigen würden.
Zwar ist sein Betrieb mit 21.600 Hühnern pro Jahr klein im internationalen Vergleich, aber doch wichtig für die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort. Mit 900 Schlachthühnern pro Woche konnte der erste Futterzusatz durch proteinreiche Maden (siehe Beispiel 2) gesichert werden, die im Schlachtabfall gezüchtet wurden. Inzwischen hat sich die führende industrielle Forschung zur Madenzucht in Südafrika angesiedelt. Maden bieten hochwertige Nährstoffe für Hühner und ermöglichen eine Kostensenkung in der Abfallentsorgung des Schlachthauses, während der Speichel der Maden als Wundheilmittel anerkannt ist. Zusätzlich bietet verbrauchtes Substrat aus der örtlichen Pilzzucht das volle Spektrum an essentiellen Aminosäuren. Dies ist ein guter Start. Dann nutzte er die Erfahrungen aus Lateinamerika, wo Hühner mit Bio-Bananen und Gras gefüttert wurden. So konnte die Farm eine weitere Quelle für Futtermittel durch Sammlung der weggeworfenen Bananen aus örtlichen Supermärkten erschließen. Diese reichhaltige Mischung wird ergänzt durch Fischmehl aus den unverkäuflichen Anteilen der Fänge der Fischer vor Ort. Obendrein erhalten die Hühner eine hochwertige Mischung aus Seetang, der an den Stränden angespült wird, das Futter durch gesunde Mikro-Nährstoffe anreichert und dabei noch das Eidotter dunkelgelb färbt, wodurch die Eier bei Verbrauchern höchst begehrt und schmackhaft sind.
Erster Umsatz
Die integrierte Landwirtschaft von Prof. George Chan zeigte, wie in einer kombinierten Schweine- und Fischzucht Nährstoffe weiterverwertet werden können. Die Hühner-Freilandhaltung setzt um, wie die Abhängigkeit von extern eingekauften Futtermitteln durch kluge Abfallverwertung ersetzt und so die Kosten für Futtermittel um 50 Prozent gesenkt werden können. So wird biologische Hühnerhaltung geschäftsfähig und integriert Aktivitäten in einem örtlichen Netzwerk von Betrieben.
Die Herstellung solcher Beziehungen mit so verschiedenen anderen Firmen wie Einzelhandel (Verwertung von Lebensmitteln mit abgelaufener Haltbarkeit), Sauberhaltung des Strands (Entfernung des Seetangs), Ressourceneffizienz im Fischfang, Verwertung der Aminosäuren aus Pilzsubstraten und Hygiene im Schlachthaus bilden eine Plattform für eine wettbewerbsfähige Hühnerfarm – „Bio“ und in Freilandhaltung. Dieses Versorgungsnetz ähnelt einem Ökosystem mit einer Vielfalt an Nutzen und Erträgen. Dies ist eine der Haupteigenschaften einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Blue Economy, die hochwertige Produkte zu einem niedrigeren Preis anbieten können.
Die Chance
Die Tierfutterindustrie ist eine wichtige Komponente des Versorgungskettenmanagements geworden. Abfallströme aus verschiedenen Industrien in Kombination mit einer großen Menge an Getreide und der Beimischung von Mikronährstoffen ergaben eine eigenständige Branche, die bald mehr verdiente als der Mehrwert aus der Produktionskette. Es scheint, dass die Lieferer von Fisch- und Hühnerfutter mehr verdienen, als die Fisch- und Hühnerzüchter selbst und fähig sind, Kostenschwankungen an die Kunden weiterzugeben.
Die Futtermittelindustrie ähnelt dem Werkzeugverkäufer zu Zeiten des Goldrauschs: Er ist der einzige, der zum Millionär wird. Die Chancen, die sich Angus boten, hochwertiges Futter lokal zu produzieren, ermöglichen uns, das Geschäftsmodell neu zu definieren, indem die Zahl der Eier pro Jahr nicht der einzige Maßstab sind, sondern ein kluges Futtermittel-Management – so durchdacht wie das Intelligente Stromnetz in einer Stadt – das mehr und hochwertigere Lebensmittel bei niedrigeren Kosten durch die Nutzung lokal vorhandener Ressourcen hervorbringt. Dies ist eine Plattform, auf die viele Unternehmer eine Zukunft aufbauen können.
Bilder: StockXCHNG