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76. Zellulose als Isolierung

Der Markt

Der Weltmarkt für natürliche Dämmstoffe könnte 2015 die Milliarden-Dollar-Marke erreichen. Die Daten und Hochrechnungen einzelner Firmen, sowohl kleinerer als auch multinationaler Unternehmen, lassen darauf schließen, dass der Weltmarkt gegenwärtig bei 500-600 Millionen Dollar liegt. Da sich bereits Beispiel 37 (Isolierfarbe) auf den Dämmstoffmarkt bezieht, konzentrieren wir uns hier allein auf den Markt für natürliche Dämmstoffe. Die Nutzung erneuerbarer Quellen pflanzlichen oder tierischen Ursprungs wird immer beliebter, da zur Gewinnung, Produktion und Verarbeitung der gewünschten Inhaltsstoffe weniger Energie benötigt wird. Führend unter den Dämmprodukten ist ein sojabasierter Polyurethanschaum. Es wird erwartet, dass die etwa 7 Milliarden Pfund Polyol, der Grundstoff zur Produktion des in den OECD-Staaten verbrauchten Polyurethans, zunehmend aus natürlichen Polyolen (Natural Oil Polyols, NOPs) bestehen werden.

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BAYER Material Science (Deutschland) und BioBased Technologies, eine Startup-Firma aus Arkansas (USA), haben Technologien entwickelt, um den erneuerbaren Anteil an Inhaltsstoffen zu erhöhen. Dies ist dringend notwendig. Auch wenn das Produkt erklärtermaßen auf Sojabasis hergestellt wurde, kann es selten als „biologisch“ gelten, da es nicht den Mindestprozentsatz erreicht, der von der US-Landwirtschaftsbehörde gefordert wird. BAYER’s NOP enthält zwischen 40 und 70 Prozent erneuerbare Komponenten; das bedeutet, dass das Endprodukt nur noch zu 10-15 Prozent natürlichen Ursprungs ist und daher kaum als überwiegend biologisch gelten kann. Ein so geringer erneuerbarer Anteil bringt selbst auf dem Etikett wenig. Immerhin wurde errechnet, dass bei Ersetzung einer Tonne Erdöl oder mineralischer Substanzen durch biologische Inhaltsstoffe ganze 5,5 Tonnen Kohlendioxid entweder abgebaut werden oder verhindert wird, dass sie in die Atmosphäre gelangen. Dieser Umstand motivierte den deutschen Elektrogerätehersteller Liebherr dazu, Isolierschaum aus NOP einzusetzen. Hyundai und Kia statten ausgewählte Modelle inzwischen mit NOP-Polstern aus, ebenso Ford Motor die Sitze des Mustang. Hier zeigt sich ein Beispiel der Green Economy.

Die Innovation

Schaumstoffe aus erneuerbaren Ölen sind eine beliebte Lösung. Die herkömmlichen Einsatzfelder für Dämmstoffe wie Platten aus Stroh und Flachs, Wolle, Zellulose und Jute konkurrieren zunehmend mit Glasfaser und Steinwolle. Der seit längster Zeit genutzte Dämmstoff stammt von den Schafen, die bereits seit 8000 Jahren vom Menschen gehalten werden. Wolle wird seit Urzeiten als Dämmschutz für Körper und Heim genutzt. Mehrere Firmen für Dämmstoffe aus den USA und dem Vereinigten Königreich verzeichnen zweistellige Wachstumsraten und bieten gern gesehene Zusatzerträge für einen Sektor, der Schwierigkeiten hat, im Konkurrenzkampf mit synthetischen Ersatzstoffen zu bestehen. Gebäude auf Strohbasis erfreuen sich ebenfalls einer gestiegenen Nachfrage. Doch abgesehen von recycelten Zeitungen, deren Farbe nicht entfernt wird, können die meisten erneuerbaren Materialien kaum als nachhaltig bezeichnet werden, da ihre Nutzung als Rohstoff zur Isolierung mit anderen grundlegenden Verwertungsformen einschließlich der Nahrungsmittelproduktion im Wettstreit steht. Zwar ist die Minderung unserer Abhängigkeit von Erdöl ein lobenswertes Ziel, doch langfristig werden für mehr Nachhaltigkeit Innovationen benötigt, die sich auf Stoffe konzentrieren, die nicht im Wettbewerb gegeneinander stehen; es muss nach schnell verfügbaren Stoffströmen ohne Marktwert gesucht werden, für die demnach ein Mehrwert geschaffen werden muss. So entsteht eine ergänzende Wirtschaft mit Mehrwertketten, die tatsächlich Werte und Arbeitsplätze schaffen und nicht nur Produkte ersetzen.

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Reidar Berglund, ausgebildeter Bauingenieur mit Spezialisierung auf Wärme, Lüftung und Sanitär, begann seine Karriere als Berater für Energieeffizienz. Er entwickelte Systeme zur Energieeinsparung im Industrie- und Wohnsektor. Zunächst arbeitete er mit Sägemehl als Dämmstoff, ein herkömmliches, langlebiges Produkt. Dann untersuchte er Möglichkeiten zur Entwicklung eines rein natürlichen Dämmstoffs aus derselben Rohmasse, das ähnlich genial wie die zellulosebasierte Absorption in Windeln funktioniert. Er erfand eine hocheffiziente, vollständig recycelbare und natürliche Dämmung auf Grundlage der überbleibenden kurzen Fasern in Papiermühlen. Reidar brauchte zehn Jahre, um ein wettbewerbsfähiges Produkt zu schaffen, das die Fasern durch feine Verteilung winziger Zellulosefäden luftiger machte, kombiniert mit der Integration mikroskopischer Luftblasen in den Fasern selbst sowie den Zwischenräumen. Dann holte er alle notwendigen Lizenzen ein, auch zur Feuersicherheit. Reidar hatte sich nicht nur verpflichtet, ein wirksames Produkt zu entwickeln, sondern auch einen Produktionsprozess, für den keine Inputs von außen benötigt würden. Schließlich konnte Reidar die physikalischen Eigenschaften der Zellulose unter strengsten Umwelt- und Qualitätsauflagen ausnutzen. Nachdem er Produkt und Prozess fertiggestellt hatte, gründete er 1989 die Firma Termoträ und entwickelte sein eigenes Verkaufs- und Vertriebssystem in enger Zusammenarbeit mit einer begrenzten Zahl lokaler zertifizierter Installationsexperten.

Der erste Umsatz

Seine Investitionen in Forschung und Entwicklung konnte Reidar durch den Cashflow aus seiner Energieberatung und Ingenieurarbeit finanzieren. Er arbeitete eng mit Anders Nyquist zusammen, dem Pionier der Eco-Cycle-Architektur, der immer nach lokalen Lösungen aus vor Ort verfügbaren Materialien sucht. Termoträ wandte die bewährte Technologie im Nydala-Wohnkomplex in Umeå sowie der berühmten Laggarberg-Schule in Timrå an. Diese Gebäude bewiesen schon bald die Effizienz des Dämmstoffs in einer der qualitätsbewusstesten Regionen: Nordschweden, drei bis vier Stunden Bahnfahrt von Stockholm entfernt. Eine engmaschige Überwachung der Leistung des Materials in einem Wohnhaus ergab, dass durchweg 15 000 Kilowattstunden Energie eingespart werden können. Hinzu kommt, dass der Einbau keine Schaumsperren oder Plastikfolien erfordert, die somit eingespart werden können. Das in den eigenen vier Wänden entwickelte Produkt hat die Öffentlichkeit so beeindruckt, dass sogar der Königspalast in Stockholm inzwischen durch dieses lokale Naturprodukt gedämmt ist.

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Der Markt weitete sich aus, und inzwischen sind bereits 6500 Wohnhäuser durch diesen hochwirksamen Stoff gedämmt, der ursprünglich verbrannt oder auf Deponien verbracht wurde und inzwischen in einem integrierten Produktions- und Vertriebssystem verarbeitet wird. Es ist ein wettbewerbsfähiges Produkt in Leistung und Preis, das aus einem Abfall entsteht, physikalisch umgewandelt wird, vollständig aufarbeit- und recycelbar ist und Arbeitsplätze sowie Sozialkapital schafft, und das in einem teuren Land, in dem billigere Alternativen aus Übersee importiert werden. Außerdem schimmelt es nicht, verbessert so die Raumluft und ist gesünder für die Bewohner. All dies steht im Einklang mit den Merkmalen der Blue Economy.

Die Chance

In der zunehmend eingesetzten Fertigbauweise kann der Zelluloseflaum von Termoträ auch in Bauteile eingespritzt werden und so den Zusammenbau effizienter gestalten. Ältere Häuser können schnell nachgerüstet werden, indem eine Isolierungsschicht an geeigneten Stellen in die Wände oder den Deckenzwischenraum eingesprüht wird. Hier kommt ein Staubsaugern ähnlicher Apparat mit einem 60 Meter langen Schlauch zum Einsatz, der praktisch jeden Teil des Hauses erreicht. Reidar und sein Team treiben keine Werbung und vertrauen lieber der Mundpropaganda.

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Die herausragenden Resultate führten zur Einführung der Technologie in Deutschland; das erste Projekt steht in Borkwalde bei Berlin, und schon bald gab es mehrere Initiativen in Norwegen. Jede Gemeinde in der Nähe einer Papiermühle könnte ein Produktions- und Vertriebsgeschäft nach Art des Durchbruchs von Reidar aufbauen. Seine Bereitschaft zum Wissenstransfer nach Bhutan und in andere faserreiche, aber dämmstoffarme Länder hat er bereits bezeugt. Es werden nur noch die Gründer benötigt, die diese Geschäftschance umsetzen.

Bilder: Stock.XCHNG
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36. Innovationen für Papier

Der Markt

Die Papierindustrie spielt eine herausragende Rolle in der Weltwirtschaft mit jährlichen Umsätzen von über 500 Milliarden US-Dollar und einer Produktion von über 300 Millionen Tonnen an Endprodukten. Die US-Industrie hat hiervon einen Anteil von einem Drittel, die europäischen Mitstreiter halten ein Fünftel. Die Industrie hängt ab von der Forstwirtschaft mit rotierender Ernte im Rhythmus von gerade einmal sieben Jahren über einen Zeitraum von hundert Jahren. Die Kapitalinvestitionen in neue Anlagen erreichen über eine Milliarde Dollar für Maschinen, die mit 100 km/h Papier ausspucken und bei einer jährlichen Kapazität von 500 000 Tonnen, die durch Kaskadenwirtschaft angetrieben wird. Die europäische Industrie hat 245 000 Direktbeschäftigte, weltweit sind es etwa eine Million.

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Beim Recycling liegt die europäische Industrie vorn. 42 Prozent allen neuen Papiers werden aus Altpapier hergestellt. Auch in den Vereinigten Staaten setzt sich der Trend fort mit inzwischen 119 Mühlen, die nur Altpapier verwenden. Es muss betont werden, dass die Menge Papier, die dem US-Markt zur Verfügung steht, von einem Spitzenwert von 105 Millionen Tonnen im Jahr 1999 auf 79 Millionen Tonnen ein Jahrzehnt später gesunken ist. Trotzdem sind nur 36 Prozent der bei der Herstellung beteiligten Fasern in den USA aus Altpapier. Andererseits werden in den USA 63,4 Prozent allen Papiers zum Verbrauch recycelt. Immer noch stellen Karton und Verpackungen 35 Prozent des gesamten Hausmülls. Glücklicherweise ist die Gesamtmenge des Papiers, das auf der Müllhalde landet, in den letzten 20 Jahren um 30 Prozent zurückgegangen.

Rohmaterialien (Zellstoff und Fasern) machen ein Drittel der bei der Papierherstellung anfallenden Kosten aus, während die Energiekosten bei etwas über 35 Prozent liegen. 90 Prozent allen Papiers wird aus Holz gewonnen. Indien bevorzugt insbesondere Bambus, der pro Hektar und Jahr bis zu viermal mehr Fasern gibt als schnell wachsender, genetisch modifizierte Kiefer oder Eukalyptus. Das Recyceln von einer Tonne Zeitungen spart eine Tonne neuer Bäume, während das Recyceln von hochwertigem Kopierpapier sogar zwei Tonnen Holz einspart. Recyclingpapier kann bis zu 70% Energie sparen. Da jedoch die Papierfabriken einen Großteil der von ihnen benötigten Energie aus der Verbrennung von Borken, Wurzeln und Lignin gewinnt, bedeutet ein steigender Anteil von Recycling eine Minderung des Einsatzes erneuerbarer Energien für die Fabriken, die durch andere Energieträger ersetzt werden müssen. Außerdem sind viele Recycling-Papierfabriken nah bei Städten, und dort sind die Energiekosten tendenziell höher.

Die Innovation

Die Zellstoff- und Papierindustrie sucht gezielt nach Wegen, weniger Chemikalien einzusetzen. Die dramatischen Umweltauswirkungen von Dioxin, einem Nebenprodukt, das nicht biologisch abgebaut werden kann und sich seit Jahrzehnten anhäuft, haben die Industrie gezwungen, alternative Bleichmöglichkeiten, hauptsächlich Wasserstoffperoxyd, zu suchen. Weiterhin soll der vor einem Jahrhundert erfundene Gebrauch von Glaubersalz, auch bekannt als Kraft-Aufschluss, der das Papier viel stärker macht, durch ein Enzymverfahren ersetzt werden. Dies wurde ursprünglich vom Nobelpreisträger Prof. Steven Chu, dem Energieminister in der Obama-Regierung, entdeckt. Das Verfahren ist inspiriert durch die Art, wie Termiten Holz mit ihren Mundwerkzeugen verarbeiten. Eine Gruppe malaysischer Forscher an der Universität von Sarawak hat entdeckt, wie eine Familie von Enzymen in Palmabfällen und Reisschalen hergestellt werden kann, die ohne Chemie Tinte aus recyceltem Papier entfernen kann.

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Prof. Dr. Janis Gravitis, ein Experte der Holzchemie mit langjähriger Erfahrung am Lettischen Institut für Holzchemieforschung in Riga untersuchte über Jahrzehnte die Fasern von Bäumen und anderen Pflanzen. Als Physikochemiker erforschte er das Verhalten von Holz unter Einwirkung von Druck und Temperatur. Er erkannte sofort, dass sich die Holzverarbeitungsindustrie nur auf Zellulose konzentrierte, die nur 20 Prozent des gesamten Weichholzes ausmacht. Der Rest, bestehend aus Lignin, Hemizellulose und Lipiden, wird normalerweise als chemischer Cocktail verbrannt. Er entwickelte ein Verarbeitungssystem, das ohne Chemikalien, allein durch Druck und Temperatur, die Aufspaltung von Holz in vier verschiedene Teile ermöglicht. Die Technik, die unter Experten als „Dampfexplosion“ bekannt wurde, ermöglicht die Gewinnung jeder einzelnen Komponente: reines Lignin als sauberer Treibstoff, Hemizellulose als Rohmaterial für essbaren Zucker, Lipide als Öl und Zellulose zur Papierherstellung.

Janis und sein Team haben dann ihre eigene Testanlage gebaut, um alle Bestandteile bei minimalem Energieeinsatz und einem Bruchteil des normalerweise benötigten Wassers herauszulösen. Die Resultate waren beachtenswert. Fasern für Papier stellen nur einen kleinen Teil der gesamten Biomasse dar. Verglichen mit Zuckerrohr und Bambus, die viel mehr Zellulose produzieren, liegt die langfristige Wettbewerbsfähigkeit von Holz zur Papierherstellung in der Schaffung mehrerer Erträge durch alle vorhandenen Ressourcen. Wenn alle vier Hauptbestandteile sowie ein geschlossener Wasserkreislauf genutzt werden, entsteht ein neues Geschäftsmodell. Dieses innovative Modell, das vor allem auf den Gesetzen der Physik basiert und Diversifikationsvorteile durch mehrere Cashflows anstrebt, setzt gleich drei der Charakeristika für die Blue Economy um.

Erster Umsatz

Lettische Wissenschaftler für Holzchemie hatten praktisch keinen Kontakt zur Außenwelt, bis der Kalte Krieg mit dem Mauerfall 1989 endete. Die königlich schwedische Akademie der Wissenschaften hält die lettische Forschungsgruppe für herausragend mit solider akademischer Basis und der Fähigkeit, auf diesem einzigartigen Gebiet der Holzchemie Neuerungen einzuführen. Gegen Ende des Kalten Krieges hatten Janis und sein Team bereits Techniken zur Holzverarbeitung entwickelt, durch die faserhaltige Biomasse für mehr Stärke und Haltbarkeit ohne Epoxide oder Phenol geformt werden konnte – Formaldehyd-Bindestoffe wie bei Hartfaserplatten oder Sperrholz. Das Team für Techniken der Extraktion von Furfural, einer Biochemikalie, die in der Herstellung synthetischer Polymere genutzt wird, behandelte die Überreste der Aufspaltung durch Dampfexplosion weiter. Durch diese Integration von Technologien kann Holz als Rohmaterial zu fast 100 Prozent genutzt werden.

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Die Chance

Wie bereits im Falle von Algen (Beispiel 21) verliert der Ansatz des „Kerngeschäfts“ und der „Kernkompetenz“ die Chancen zur Schaffung zusätzlicher Cashflows durch verfügbare Ressourcen aus dem Blick. So wie Algen Lebensmittel, Treibstoff und reine Chemikalien liefern, sollte Holz nicht allein zur Zellulosegewinnung dienen und die Überreste verbrannt werden. Die Erfahrung von Janis Gravitis und seinem Team, die ihre Forschungen fortsetzen, zeigt, dass ein Baum vielfältige Cashflows schaffen kann, vorausgesetzt, die Verarbeitungstechnologie stellt sich um vom chemischen „Verbrennen“ allen Materials, das nicht Zellulose ist, hin zu einer Trenntechnik, die die Gewinnung der einzelnen Bestandteile ermöglicht. Dies ist unter dem Namen der Bioraffinerie bekannt. In Zeiten, in denen wir dringend die Effizienz der Ressourcen steigern müssen, sollte die kommerzielle Extraktion von nur 40-50 Prozent sich entwickeln zur Schaffung von mindestens drei- bis viermal mehr Einnahmen und so Jobs geschaffen sowie der CO2-Fußabdruck der Industrie reduziert werden.

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Die Papier- und Zellstoffindustrie wird behaupten, dass sie die „Abfälle“ als Treibstoff benötigt. Wie Janis aufzeigt, ist hier der einzige saubere Treibstoff das Lignin, das in reiner Form nach Gewinnung durch Druck und Temperatur eigentlich zu wertvoll ist, um einfach nur verbrannt oder eben nicht verbrannt zu werden. Dies ist ein neues wettbewerbsfähiges Rahmenwerk, durch das neue Mitstreiter die Möglichkeit haben werden, in Märkte einzusteigen, die traditionell durch wenige Großfirmen beherrscht werden. Es ist Zeit, diesen Eindruck zu ändern.

Bilder: StockXCHNG

Stone Paper – The environmentally friendly paper of the future?

StonePaper – Das umweltfreundliche Papier der Zukunft?

Von Herstellern wird Steinpapier/StonePaper als besonders nachhaltig gepriesen. Doch würde man Papier dadurch ersetzen, würde die weltweite Plastikproduktion um bis zu zwei Dritteln erhöht!

Seit einigen Jahren vermarkten große Schreibwarenfirmen wie Oxford oder Moleskine die Idee, klassisches Papier durch sogenanntes Steinpapier zu ersetzen. Im Gegensatz zu gewöhnlichem Paper besteht Steinpapier nicht aus Holz, sondern aus pulverisiertem Kalkstein und Kunststoff. Die Firmen rücken bei der Vermarktung die Umweltfreundlichkeit und Ressourceneffizienz dieses neuen Produktes in den Vordergrund. Da weder Holz noch Wasser zur Herstellung benötigt werden, wird dieses „Papier der Zukunft“ als „super-ökologisch“ angepriesen.

Doch was steckt wirklich hinter Steinpapier? Da momentan ungefähr ein Fünftel aller gefällten Bäume zur Papierherstellung verwendet werden, könnte eine solche Innovation tatsächlich ein großes Potential zur Reduzierung der weltweiten Abholzung bergen.

Steinpapier besteht zu 60-80% aus Kalziumkarbonat, also pulverisiertem Kalkstein oder Marmor. Dieser Rohstoff wird schon seit langem in der Papierherstellung verwendet, zum Beispiel als Ummantelung von normalem Papier um es weißer und glatter zu machen. Kalziumkarbonat fällt als Nebenprodukt in Kalksteinbrüchen an und wird normalerweise als Abfallprodukt behandelt. Als Bindemittel wird Polyethylen-Harz verwendet; ein weitverbreiteter Kunststoff, der auch in Plastiktüten und Milchverpackungen zur Anwendung kommt.

Tatsächlich wird bei der Produktion von Steinpapier nur halb so viel Energie benötigt wie bei der Herstellung von gewöhnlichem Papier. Weiterhin werden weder Bleichmittel noch Säuren verwendet. Diese ökologischen Vorteile haben dem Produkt in den letzten Jahren einige Aufmerksamkeit beschert. Auch das Produkt an sich hat einige beachtliche Eigenschaften. So ist es reiß- und wasserfest, ohne dass ein Ölfilm aufgetragen werden muss wie bei herkömmlichem Papier.

Allerdings bringt Steinpapier auch einige Nachteile mit sich, die die Ökobilanz kritischer aussehen lassen, als sie auf den ersten Blick erscheint. So zersetzt sich der Steinbestandteil des Papiers nach 14 bis 18 Monaten wenn es konstant dem Sonnenlicht ausgesetzt ist. Übrig bleiben dann Plastikpartikel, die nicht in den Wiederverwertungskreislauf eingespeist werden und auch nicht kompostierbar sind. Das Recyclingpotential von Steinpapier ist im Allgemeinen ein umstrittenes Thema. Während die Produzenten reklamieren, dass Steinpapier in zahlreichen Bereichen, zum Beispiel im Bausektor, wiederverwertet werden kann, gibt es auch kritische Stimmen, die betonen, dass die Plastik- und Steinpartikel während des Recyclings ausgewaschen werden und ins Abwasser gelangen. Eine zusätzliche Plastikbelastung der Flüsse und Meere ist sicher das Letzte, was aus Umweltsicht wünschenswert wäre. Solange das Steinpapier nicht dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt wird, ist es überhaupt nicht zersetzbar.

Ein aufschlussreiches Gedankenspiel: weltweit wurden im Jahr 2011 etwa 403 Mio. Tonnen Papier produziert und verbraucht – Tendenz steigend. Würde man dieses Papier gänzlich durch Steinpapier ersetzen, und den günstigen Fall von 20% PE-Anteil annehmen, wären das 81 Mio. Tonnen Plastik – dabei werden bislang jährlich ’nur‘ 250 Mio. Tonnen Kunststoffe aus Erdöl hergestellt. Man müsste also weltweit zwischen einem und zwei Drittel mehr Plastik herstellen als bisher, um Papier durch Steinpapier zu ersetzen. Nehmen wir an, man würde versuchen, dieses PE durch Bioplastik auszutauschen. Dann müsste die heutige Bioplastikproduktion um einen Faktor 14 gesteigert werden – also um 1.400 Prozent! Bioplastik wird zu 80% auf Stärkebasis produziert – schaut man sich an, wie allein beim Stärkelieferanten Mais aufgrund der hohen Nachfrage für Biogasanlagen in vielen Teilen der Welt die Pachtpreise für Agrarflächen in die Höhe getrieben wurden, erscheint dies kein Effekt, der noch verstärkt werden sollte.

Im Endeffekt wird bei der Herstellung von Steinpapier anstatt einem nachwachsenden Rohstoff nicht-zersetzbares Plastik verwendet. Da dieses Produkt bisher nur wenig verbreitet ist, gibt es auch keine verlässlichen Angaben darüber, inwieweit es wiederverwertet wird – zumal der Aufbau geschlossener Recyclingketten für ein einziges Produkt nahezu unmöglich sein dürfte.

Aus Sicht der Blue Economy müssen Produkte kompromisslos nachhaltig sein und systemische Kollateralschäden (ob für Umwelt, Wirtschaft oder Menschen) so weit wie möglich ausschließen. Das heißt in diesem Fall, eine mögliche Belastung von Gewässern mit PE-Partikeln hinzunehmen ist schlicht nicht akzeptabel. Dass eine Entsorgung durch Verbrennung ohne größere Umweltbelastungen möglich ist, ist der Blue Economy nicht gut genug. ‚Blaue‘ Produkte haben schließlich eine lange Haltbarkeit und lassen sich am Ende ihrer Lebensdauer in anderer Form weiter verwerten – also wie in einem Ökosystem kaskadieren.

Blue Economy versucht, Wertschöpfungsketten zu schaffen, bei denen der Kuchen größer wird, also auch mehr Arbeitsplätze entstehen. Wenn die reguläre Papierproduktion durch Steinpapier ersetzt würde, werden lediglich Arbeitsplätze der einen Fabrik durch solche der anderen ersetzt. Angenommen nicht erdölbasiertes Plastik sondern Bioplastik ‚aus der Region‘ käme zum Einsatz, so würden die Stärkepflanzen unweigerlich in Konkurrenz zu der Produktion von Lebensmitteln treten – und das, obwohl die weltweit verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen ohnehin abnehmen.

Also was dann, wenn nicht Steinpapier – wo doch die Ökobilanz von holzbasiertem Papier auch nicht berauschend ist? Die aus Sicht der Blue Economy wünschenswerte Lösung wären echte Bioraffinerien, um biologische Abfallstoffe vollständig systemisch, nachhaltig, sozialverträglich und wirtschaftlich nutzen zu können. Doch trotz zahlreicher vielversprechender Ansätze ist eine industrielle Anwendung hier noch nicht erprobt. Solange Bioraffinerien noch im Pilotstatus ihre Prozesse verbessern, bleibt die Empfehlung, auf ungebleichtes Recyclingpapier zurückzugreifen.

Autoren: Markus Haastert, Anne-Kathrin Kuhlemann
© 2014 Blue Economy Solutions GmbH

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