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64. Wasser und Strom

Der Markt

Dem Magazin „Forbes“ zufolge haben die Umsätze in Produktion und Vertrieb von Trinkwasser inzwischen die Billionen-Dollar-Marke überschritten. Dies ist mehr als der Pharma-Sektor und beträgt 40 Prozent der Umsätze durch Ölfirmen. Durch Privatkapital werden bereits 5 Prozent der Wasserressourcen auf der Welt kontrolliert. Die größten drei kommen aus Frankreich (Véolia Environnement, Suez und Dégremont), gefolgt von der deutschen Gruppe RWE (Thames Water) und dem amerikanischen Konglomerat Bechtel (United Utilities). Véolia und Suez bedienen jeweils 200 Millionen Kunden in über 100 Ländern der Welt.

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Weltweit werden über 100 Milliarden Liter Trinkwasser abgefüllt und verkauft, davon 90 Prozent in nicht weiterverwertbaren Plastikbehältern. Coca Cola sagt voraus, dass das Wachstum von behandeltem Leitungswasser – das teurer gehandelt wird als Benzin – in einem Jahrzehnt seine Umsätze an Softdrinks übertreffen wird. Im Jahr 2009 stiegen die weltweiten Einzelverkäufe von abgefülltem Trinkwasser um 25 Prozent im Volumen und 27 Prozent im Wert an. Mindestens ein Viertel des abgefüllten Wassers ist Leitungswasser und meist ist das in teuren Plastikbehältern verpackte Wasser nicht sicherer als das aus dem Wasserhahn. In Russland entwickelte sich das Wasser-Geschäft aus dem Nichts zu einem Milliardengeschäft. Für das nächste Jahrzehnt erwarten die Russen ein Wachstum im zweistelligen Bereich, da der Konsum pro Kopf und Jahr nur bei 15 Litern liegt, gegenüber 40 Litern in Polen und 50 in der Tschechischen Republik. In Brasilien kostet eine Literflasche €0,50, in den Vereinigten Arabischen Emiraten €1,00 und in Französisch Polynesien €1,30.

Trotz der von den Vereinten Nationen verabschiedeten Millenniumsziele in der Entwicklung wird für 2050 erwartet, dass aufgrund der massiven Verstädterung 4 Milliarden Menschen ernsthaft an Wasserknappheit leiden werden. Momentan sind es 400 Millionen. Sogar in Europa gibt es 23 Millionen Bürger, die jedes Jahr mit Problemen in der Wasserversorgung zu kämpfen haben. Aus Mangel an sauberem Trinkwasser sterben pro Jahr 3,4 Millionen Menschen. Um diesen Trend umzukehren planen die Regierungen den Bau von Wasser-Pipelines ähnlich der Ölpipelines. Das wasserreiche Land Kanada zieht in Erwägung, von Manitoba bis Texas und British Columbia bis Kalifornien Leitungen zu legen, die bei Kosten von 20 Millionen Dollar pro Kilometer 5 Milliarden Kubikmeter Wasser pro Jahr durch jede Pipeline leiten. Diese Investments von 50 Milliarden Dollar wären immer noch billiger, als dieselbe Menge Wasser durch Entsalzung in Umkehrosmose zu gewinnen. Solche Mega-Projekte sind in technologischer oder finanzieller Hinsicht keine Herausforderung, sondern eher auf der Ebene politischer Entscheidungen, da möglicherweise Länder wie Kanada, Chile, Norwegen, die Türkei und die USA (Alaska) zur OPEC des Wassers werden.

Die Innovation

Die Nachfrage nach Wasser – der Grundbedingung für Leben – bietet Anreiz für große Ideen und strategische Entscheidungen. Wasserfirmen kaufen weite entlegene Landstriche und komplette Flusssysteme zur künftigen Entwicklung in Lateinamerika auf. Andere investieren in ein neues Geschäft mit Wassertankschiffen zur weltweiten Lieferung und sichern sich langfristige Verträge. Eine weitere Strategie der Wasser-Investments ist, Wasserrechte von Bauern für Zugänge zu Brunnen zu kaufen oder Verträge mit Städten und Gemeinden zur Wassergewinnung abzuschließen. General Electric hat sein weltweites Zentrum für Wasserforschung in Singapur aufgebaut, einem Stadtstaat, der ohne die Wasserver- und entsorgung von Malaysia nicht lange überleben könnte. GE setzt die Vorgaben für Energiekosten pro Kubikmeter Wasser auf 2,4 kWh durch Umkehrosmose. Um die oben genannten Megaprojekte im Wettbewerb zu überbieten, müssten die Energiekosten für Umkehrosmose unter eine kWh sinken. Ohne eine Kombination aus vielerlei Innovationen wie der Wirbeltechnologie (Beispiel 1) ist dies nicht zu erreichen. Doch alle in Betracht gezogenen Lösungen hängen stark von reichlich verfügbarer Energie ab, mit der es mit Sicherheit bald ein Ende hat. Leider sind große Anlagen zur Umkehrosmose nicht nur teuer: Pro jeweils zwei Liter produzierten Trinkwassers fällt ein Liter Lake an, ein salziger Schleim, der tote Räume im Meer schafft und daher als umweltschädlich gilt.

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Marc Parent hat als Techniker bei der Wartung von Klimaanlagen auf einer Hummerfarm auf den französischen Antillen gearbeitet. Die akute Knappheit an Trinkwasser und die unzuverlässigen Dienstleistungen der Regierung veranlassten ihn zu versuchen, Kondensationswasser aus den Klimaanlagen aufzufangen. Gleichzeitig musste er eine Lösung für die ständigen Stromausfälle finden. Seine Kenntnisse der Anwendung physikalischer Grundlagen mündeten in die Entwicklung einer Windturbine, die Strom produziert, um Luft einzusaugen, sie im Innern zu kühlen und Wasser zu kondensieren. Er dachte sich eine Anlage aus, die all dies einschließt. Er beschloss, in seine Heimat in den Französischen Alpen zurückzukehren und war überzeugt: Wenn die Anlage in der trockenen Höhenluft funktioniert, würde sie überall funktionieren. 2008 gründete er Eole Water (Frankreich), 2010 erhielt er Zuschüsse von der Gemeinde und bewies, dass er einen Kubikmeter Wasser pro Tag produzieren konnte. Seine nächste, 50 Meter hohe, Wassermühle wird imstande sein, pro Tag 5000 Liter Wasser aus der Luft zu ziehen. Marc erhielt zwei Patente und machte sich daran, sein neues Geschäft zu entwickeln.

Der erste Umsatz

Das erste Wassergewinnungssystem (Water Maker System, WMS), das gleichzeitig Wasser und Strom liefert, wurde 2011 an die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate verkauft. Der Wind produziert 30 kW und die Wasserkosten fallen erwartungsgemäß auf €0,05 pro Liter. Die Investitionskosten werden voraussichtlich in den ersten Jahren von €500 000 auf €300 000 fallen. Dieses System setzt höhere Eingangsinvestitionen für eine geringere tägliche Produktion an. Jedoch ist es unabhängig von externer Stromversorgung und der damit verbundenen Infrastruktur. Es ist vollständig autark. Das System WMS 1000 verursacht nur geringe Wartungskosten im Vergleich zu allen anderen Wassergewinnungsanlagen. Es stößt keine Treibhausgase aus und hat eine Betriebsdauer von 15 bis 30 Jahren. Die gesamte Anlage wird aus 100 Prozent recycelbaren Komponenten gebaut.

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Ein wichtiger Teil der Funktionalität ist, dass WMS ohne Regulierung mit der gewonnenen Energie arbeitet und so den Strom direkt zur Wassergewinnung und Einspeisung ins örtliche Netz bereitstellt. Als Innovator ging Marc Parent, inzwischen Mittvierziger, keine Risiken mit seinen Lieferern ein und suchte die besten verfügbaren Bauteile für seine Systeme aus, von Siemens für Elektrobauteile über Leroy Somer für Stromversorgungssysteme bis hin zu Arcelor Mittal für alle rostfreien Metallteile. Er wurde zum System-Integrierer und fügte die Teile zu einem funktionierenden Ganzen zusammen.

Die Chance

Eine Windturbine, die Wasser und Strom herstellt und für den Betrieb bei minimaler Wartung in entlegenen Gebieten entwickelt wird, setzt eine Serie von Entwicklungsmerkmalen wie selbstreinigende Systeme, Fernsteuerung und hohe Korrosionsfestigkeit in Küstengebieten voraus. Die gesamte Anlage mit Turm, Turbine, Wassergenerator und Stromversorgung passt in zwei 40-Fuß-Container und ist in wenigen Tagen vor Ort aufgebaut. Somit begrenzt sich das Marktpotenzial nicht auf Inseln und Wüsten, sondern kann auch schnell in Katastrophengebieten zum Einsatz kommen. Hauptvorteil ist nicht nur die Unabhängigkeit; ihre Vielseitigkeit schafft vielerlei Vorteile in der Befriedigung der Grundbedürfnisse mit lokal verfügbaren Ressourcen. Dies ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy.

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WMS ist nicht dafür vorgesehen, schnell zum Mainstream zu werden, doch es zeigt, dass eine Mischung aus Know-how und der Fähigkeit, mehrere Aspekte der Grundversorgung gleichzeitig zu berücksichtigen, ein wettbewerbsfähiger Geschäftsansatz ist. Dies ebnet den Weg für weitere Unternehmensgründer, die sich anschließen, entweder als Lizenznehmer zum Marketing und Produktion, oder zum Betrieb dieser WMS als individuellen Profitquellen, da die Kosten pro Liter Wasser weit unter den Verkaufspreisen für abgefülltes Wasser liegen. Somit kann schadstofffreies Wasser gewährleistet werden, dass mit Geschmack oder Mineralien versetzt und vor Ort gewinnbringend vertrieben werden kann. Dies ist ein wichtiger Punkt, da unser Leitungswasser zunehmend Reste von Medikamenten enthält, die nicht einmal durch Umkehrosmose vollständig entfernt werden können. Die Technologie, die Marc Parent entwickelt hat, wird Teil eines grundlegenden Portfolios sein, das die Spielregeln des Markts verändert.

Bilder: StockXCHNG

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62. Würmer

Der Markt

Chlor ist eins der am weitesten verbreiteten Elemente der Biosphäre und stellt etwa 2 Prozent der Masse des Meerwassers. Weltweit werden etwa 50 Millionen Tonnen produziert, die 2010 schätzungsweise 30 Milliarden Dollar an Umsätzen generierten. Etwa 2,5 Millionen Tonnen, mit einem Wert von knapp 1,5 Milliarden Dollar, werden zur Desinfektion von Wasser genutzt. Über 70 Prozent aller Kläranlagen in Nordamerika, Europa und Japan setzen Chlor in ihren Prozessen ein. Diese drei Märkte machen zwei Drittel des Chlorverbrauchs zur Wasserklärung auf der Welt aus. Sie sind jedoch reif und wachsen erwartungsgemäß nicht weiter. Auf dem Rest der Welt steigt der Chlorverbrauch um jährlich 9 Prozent an.

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Mit einem Investmentbudget von ca. 450 Milliarden US-Dollar hat sich die Weltbank zu einer zehnjährigen Trinkwasserkampagne verpflichtet, mit dem Ziel, mindestens die Hälfte der 1,1 Milliarden Weltbürger mit öffentlichem Trinkwasser zu versorgen, denen bisher keines zur Verfügung steht. China ist der größte Investor in Kläranlagen und tendiert zu großformatigen Anlagen. Indien hat einen anderen Weg gewählt und bevorzugt kleinformatige Klärwerke. Schätzungsweise 20 000 Firmen bieten auf diesem Sektor weltweit ihre Dienste an, und ihre Wachstumsperspektiven sind enorm. Nur 14 Prozent des Abwassers auf der Welt werden geklärt, in Südamerika und Afrika sind es lediglich 2 Prozent. Die Kosten für Chlorchemikalien belaufen sich durchschnittlich auf 100 US-Dollar pro Kubikmeter Trinkwasser. Siemens ist der größte Lieferant für Chlorgas- Desinfektionssysteme.

Die Innovation

Chlor ist das billigste Mittel im ersten Desinfektionsschritt, dass heutzutage auf dem Markt verfügbar ist. Es ist unbegrenzt haltbar und ständig verfügbar. Jedoch ist es auch giftig. Bei einer Konzentration von über 4 ppm werden die Lungen geschädigt, und auch wenn Transport und Anwendung streng reguliert sind, passieren Unfälle. Leider ist Chlor auch nicht wirksam gegen Giardia (ein Parasit, der Darminfekte verursacht) und Cryptosporidium (ein mikroskopisch kleiner Parasit, der Durchfall verursacht). Dies sind heutzutage die am weitesten verbreiteten Ursachen für durch Wasser übertragene Krankheiten in Nordamerika. Neuere Studien haben bewiesen, das Chlor zwei Nebenprodukte generiert (THM und HAA), die bekanntermaßen Krebs verursachen. Zwar werden Ozon- und Ultraviolettfilter zur Minderung des Gesundheitsrisikos ergänzend eingesetzt, doch diese sind erheblich teurer als Chlor und somit unerschwinglich für Millionen kleiner Kläranlagen, die in naher Zukunft gebaut werden müssen.

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Matías Sjögren Raab ist diplomierter Wirtschaftsingenieur der Katholischen Universität von Chile in Santiago und ergänzte seine wissenschaftliche Ausbildung um einen MBA an derselben Institution. Seine Nähe zu Projekten der Agrarindustrie brachten ihn in Kontakt mit Regenwürmern. So wie Tom Szaky durch dieses Tier für seine Firma TerraCycle inspiriert wurde (siehe Beispiel 52), bemerkte Matías, dass er vor einer Innovation stand, das ihm einen Ausweg aus der klassischen Kostenfalle der öffentlichen Anlagen brachte. Entsprechende Forschungen brachten ihn zu dem Schluss, dass ein Biofilter aus Regenwürmern ideal zur Entwicklung kleinformatiger Wasserkläranlagen wäre. So könnte er nicht nur ohne Chlor, Aktivkohle und Flockungsmittel auskommen, sondern auch noch zusätzliche Einnahmequellen schaffen. Dies ist eins der Kernprinzipien der Blue Economy.

Matías gründete daraufhin die Firma Biofiltro Ltda., einen chilenischen Lieferanten für Kläranlagen. Er testete belüftete Wasserklärsysteme auf Basis von Wurmfiltern, die das Wasser reinigen, ohne jeglichen Klärschlamm zu produzieren. Besser noch, der in traditionellen Anlagen anfallende Bioschlamm kann vor Ort weiterverarbeitet werden. Da die Herstellung von Biogas aus Klärschlamm nur in großem Maßstab marktfähig ist, positioniert sich der Biofilter auf Regenwurmbasis als ideale alternative für kleine Anlagen, die weltweit den größten Teil der Nachfrage stellen. Die Firma erhielt 2011 den Preis als grünes Start-Up-Unternehmen des Jahres, den die Fundación Chile zusammen mit UDD Ventures ausgelobt hatte, der Venture Capital-Tochter der privaten Universidad del Desarrollo.

Der erste Umsatz

Haupt-Wettbewerbsgegner des Biofilters ist Belebtschlamm – dieser stellt etwa 95 Prozent des Markts. Die ersten beiden Projekte in marktfähigem Maßstab bestätigten jedoch, dass die Investitionskosten um 30 Prozent niedriger liegen. Noch wichtiger ist, dass die Betriebskosten um 70 Prozent gesenkt werden können, da die Stromkosten um 66% niedriger ausfallen. Schließlich benötigt jeder Kubikmeter Polymere und Flockungsmittel, doch der Biofilter kommt ganz ohne diese Zusätze aus. Außerdem produziert jede herkömmliche Kläranlage 500 Gramm Klärschlamm pro Kubikmeter, doch in diesem System fällt nichts an. Das System spart Arbeitskräfte ein, indem es etwa 15 000 Regenwürmer pro Kubikmeter rund um die Uhr an 7 Tagen der Woche beschäftigt.

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Ein zusätzlicher Vorteil ist, dass jeder Kubikmeter geklärten Wassers 60 Gramm Humus generiert, ein Nebenprodukt, das sich hoher Nachfrage erfreut. In China wurden Regenwürmer medizinisch eingesetzt und mehrere Studien bestätigen ihre Wirksamkeit als Stärkung für das Immunsystem für Patienten, die sich einer Chemotherapie unterziehen mussten oder mit AIDS infiziert sind. Die Verbindung von Kostensenkung auf der einen Seite und Umsatzsteigerung auf der anderen setzt neue Spielregeln. All dies bedeutet für die simple Biofilter-Technologie ein starkes Marktpotenzial.

Der Chance

Der Markt für Kläranlagen im kleinen Maßstab wächst explosionsartig. Da immer mehr Trinkwasser benötigt wird, ist eine der offensichtlichen Hauptquellen hierfür das Abwasser. In Chile, einem Land, in dem 85% des städtischen Wassers bereits geklärt werden, beläuft sich der Markt für Klärsysteme immer noch auf 450 Millionen US-Dollar. Der Markt für die Klärung von Industrieabwasser überschreitet die 1,5 Milliarden und wird noch angetrieben durch neue Regulierungen für Weinkellereien und Lachsfabriken. Der Bergbausektor ist ein weiterer Kandidat für Kläranlagen mit Regenwurm-Biofiltern. Dank der Vielseitigkeit der Regenwürmer, die sich schnell an unterschiedliche Abfallströme und Giftigkeitsgrade anpassen, die jede Industrie mit sich bringt, kann die Performance der Anlage ohne Genmanipulation oder chemische Zusätze garantiert werden.

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Aristoteles nannte Regenwürmer einmal die Gedärme der Erde. Nun scheint es, dass diese Tiere, bei denen die meisten Menschen nicht einmal den Kopf vom Schwanz unterscheiden können, als Wasserquelle der Erde gelten können. Zwar ist diese Art von Anlage nicht für großformatige Klärwerke geeignet, da diese auf den Prinzipien der Massenproduktion beruhen, doch in kleinem Maßstab bietet sich hier eine ideale Chance für Unternehmensgründer. Matías expandiert bereits in ganz Lateinamerika und baut gerade eine erste Anlage in Indien – wir hoffen, dass noch viele weitere folgen.

Bilder: StockXCHNG

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43. Entchlorung

Der Markt

Der Weltmarkt für Chlor wird für 2010, basierend auf einer weltweiten Produktionskapazität von 80 Millionen Tonnen, auf 24 Milliarden US-Dollar geschätzt. Während die Vereinigten Staaten 1,3 Millionen Tonnen weniger produzierten und damit auf 13,8 Millionen Tonnen im genannten Jahr kamen, nahm die Produktion in Europa um 500 000 Tonnen zu und erreichte damit knapp über 9 Millionen Tonnen. Den größten Zuwachs verzeichnete China und erreichte mit 25 Millionen Tonnen einen Weltmarktanteil von fast einem Drittel. Während die globale Nachfrage zwischen 2011 und 2015 pro Jahr um 4,4 Prozent wachsen wird, können die Chinesen erwartungsgemäß ihre Kapazitäten für 2011 um 2 Millionen Tonnen steigern.

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Chlor wird produziert, indem Kochsalz unter Strom gesetzt wird. Da Chlor hochreaktiv in Wasser ist, wurde Quecksilber eingesetzt, um den Prozess zu neutralisieren. Die amerikanische Chlorindustrie verbraucht immer noch 79 Tonnen Quecksilber für knapp 14 Millionen Tonnen Chlor. Die europäische Industrie hat sich verpflichtet, bis 2020 kein Quecksilber mehr zu verwenden, verbraucht jedoch zurzeit immer noch 0,92 Gramm Quecksilber pro Tonne Chlor. Chlor wurde vor 200 Jahren in Schweden von Karl Scheele entdeckt. Die Statt Pittsburgh war vor genau einem Jahrhundert die erste, die Chlor ins öffentliche Trinkwasser einleitete, um Bakterien abzutöten. Dies führte zu einem dramatischen Anstieg der Nachfrage und einer merklichen Abnahme von Epidemien.

In Wasser gelöstes Chlor reagiert mit Eisen und Mangan und somit auch mit Bakterien, wodurch die Verbreitung von Krankheiten eingedämmt wird. Zystenbildende Protozoen (Cryptosporidium) können jedoch selbst bei hoher Konzentration nicht beseitigt werden. Das amerikanische Wisconsin State Hospital stellte fest, dass 80 Prozent des freien Restchlors durch Absorption über die Haut in den menschlichen Körper gelangen. Zwar war es jahrzehntelang wirkungsvoll in der öffentlichen Gesundheitsversorgung, doch es ruft auch Allergien hervor und wird in Verbindung mit Krebserkrankungen, Arteriosklerose und Anämie gebracht. Die Ansammlung über lange Zeiträume verursacht Schädigungen der Proteine, trockenes Haar und Ausschläge sowie eine hohe Zahl freier Radikale, die den Alterungsprozess beschleunigen.

Die Innovation

Seit die Environmental Protection Agency (EPA) in den Vereinigten Staaten den Gemeinden empfohlen hat, die Chloranteile im Trinkwasser zu verringern und zu begrenzen, wird auf breiter Ebene nach Alternativen gesucht. Jedoch ist der Einsatz durch Gesetze und Verordnungen vorgeschrieben. Die Gesundheitsbehörden zögern beim Ersatz von Chlor oder versuchen es mit chemischen Alternativen wie dem wirkungsvollen Triclosan (polychloriertes Phenoxyphenol), das langfristig jedoch noch weitere unbeabsichtigte Folgen hat. Der Vorteil des Chlors ist, dass seine schädlichen Eigenschaften weithin bekannt sind. Es bleibt die Möglichkeit, weiterhin Chlor ins Trinkwasser zu geben, es jedoch vor dem Endverbrauch wieder zu entfernen. Die Filtrierung durch Aktivkohle, Mineralien oder sogar Ionentauscher hat einem neuen Industriezweig mit Hunderten von Anbietern zum Aufschwung verholfen. Die Filter jedoch werden zu Abfall und enden auf Müllhalden, wo sie weiter die Umwelt verschmutzen und oft noch höheren Energieverbrauch verursachen als eingangs die Chlorherstellung.

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Hu Bor Yu, Liu Chen Panc und Liang Teh Ming, Forscher am Industrial Technology Research Institute (ITRI) in Taiwan, haben beobachtet, dass fließendes (chloriertes) Wasser kinetische Energie besitzt, die seine Kollegen erfolgreich zur Stromgewinnung nutzen konnten. Diese elektrische Energie, die beim Fluss durch das Rohr entsteht, steigert die laminare Strömung durch eine kleine geometrische Änderung: Das Rohr wird verengt. Die gewonnene Elektrizität wird an eine Anode geschlossen und der so geschaffene Elektrolyseur neutralisiert an Ort und Stelle das chemische Potenzial des restlichen Chlors. Dieser Prozess benötigt keine Energiezufuhr von außen, verbraucht keine Materialien, reagiert sofort im Fluss des Wassers, ist langlebig, billig zu installieren und wartungsfrei. Die Performance verbessert sich bei höherer Fließmenge und Wassertemperatur.

Die möglichen Anwendungen gehen über Chlor hinaus. Der selbe Prozess kann Perchlorsäure (HClO4), Natriumsulfit (NaSO3) und ähnliche gesundheitsschädigende Verunreinigungen im Wasser zersetzen. Hier entsteht ein neuer Ansatz zur Wasserreinigung, bei der traditionell Chemikalien und Filter den Markt dominiert haben. Dies bedeutet, das „etwas durch nichts ersetzt“ wird bzw. die Chemie (teilweise) durch Physik, zwei Kernprinzipien der Blue Economy.

Der erste Umsatz

Das Forschungsteam des ITRI hat schnell begriffen, dass diese Technologie breite Anwendung in Wohnhäusern finden kann, da die gesundheitsschädigenden Eigenschaften des (übermäßigen) Einsatzes von Chlor gut dokumentiert sind. Der Einbau von energieautarken Entchlorungsanlagen in Kombination mit Lichtern, die die Wassertemperatur durch Sensoren mit eigener Stromquelle anzeigen, bietet darüber hinaus eine Bündelung von Innovationen für mehr Sicherheit im eigenen Heim. Hinzu kommt, dass bei steigender Wassertemperatur die Effizienz der Entchlorung noch erhöht wird. Diese Geräte sind kostengünstig und benötigen keine zusätzliche Verkabelung, es entsteht eine Plattform für viele findige Unternehmer, die sich auf dem Markt etablieren wollen.

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Die Chance

Während der Hausgebrauch ein offensichtlicher Markteinstieg ist, kann die Anwendung noch mit vielen weiteren Innovationen kombiniert werden, z.B. mit der Wirbeltechnologie bei der Eisherstellung, bei der durch den Chloranteil mehr Energie benötigt wird, damit das Wasser erstarrt. So könnte ohne teure Apparaturen noch weitere Energie eingespart werden. Da die Energiegewinnung aus fließendem Wasser in Systemen mit hohem Volumen bereits bewiesen ist und der Fluss nur minimal abnimmt, wenn er zusätzlich 50 Watt Strom zum Betreiben lichtstarker LED-Strahler produziert, ist das System bereit für Anwendungen auf industrieller Ebene wie die Produktion von hochreinem Wasser für die Lebensmittel- und Getränkeindustrie, die derzeit von teuren Filtern abhängt, die monatlich oder sogar wöchentlich ersetzt werden müssen.

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Zwar ist es unmöglich zu übersehen, dass der Einsatz von Chlor allgemein vermieden werden sollte, doch wir sollten der Entwicklung zum Guten und Besseren hin nicht im Wege stehen. Da der Einsatz von Chlor im Trinkwasser meist reguliert ist, erlaubt uns die Möglichkeit der Entchlorung mit eigener Stromquelle eine Übergangslösung. Sie bringt auch Zeit für die Suche nach Ersatzstoffen und den Blick frei, das Stigma des Chlors zu überdenken, indem die Quelle für die Umweltverschmutzung energie- und materialeffizient beseitigt werden kann. Hier bietet sich eine Plattform für das Unternehmertum, die Arbeitsplätze schafft: eine der Prioritäten der Blue Economy.

Bilder: StockXCHNG

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39. Wasser aus der Luft

Der Markt

Der Weltmarkt für die Trinkwasserproduktion wurde 2007 auf 400 Milliarden US-Dollar geschätzt und steigt erwartungsgemäß bis auf 533 Milliarden Dollar im Jahr 2013. Weiterhin wird vorhergesagt, dass der Weltmarkt für ultraviolette Desinfektion und Ozonisierung von Trinkwasser im gleichen Zeitraum um 4,6 auf 10 Milliarden US-Dollar steigen wird. Jedoch beschränken sich die Kosten für die Gesellschaft nicht auf die Produktion und Aufbereitung von Trinkwasser; es wird auch die Infrastruktur für die Wassersammlung und –verteilung benötigt. In den Vereinigten Staaten sind 700 000 Meilen (1,12 Millionen km) Wasserleitungen verlegt, die vierfache Länge aller nationaler Highways. Die Kosten für Ausweitung und Verbesserungen werden auf 250 Milliarden für das nächste Jahrzehnt geschätzt. Die USA sind nicht allein; die chinesische Regierung hat ein Budget von 128 Milliarden Dollar für die Wasserverteilung angekündigt, vor allem für städtische Gebiete.

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Der weltweite Verbrauch von Trinkwasser ist im letzten Jahrhundert um ein Sechsfaches gestiegen. Die Wasserproduktion konnte mit dieser Entwicklung kaum mithalten, was zur beunruhigenden Statistik geführt hat, dass 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt keinen Zugang zu Trinkwasser haben und 2,4 Milliarden keine geeigneten sanitären Anlagen. Weiterhin ist die Wasserversorgung beeinträchtigt durch die Tatsache, dass Wasser und Boden zunehmend verschmutzt sind. Unsere Produktionssysteme, vor allem die der Landwirtschaft, verbrauchen große Mengen an Wasser. Für einen Hamburger sind 2400 Liter Wasser nötig (ein Kilo Rindfleisch benötigt 15 Kubikmeter Wasser), ein Paar Schuhe verbraucht 8000 Liter Wasser und ein T-Shirt aus Baumwolle „schluckt“ 4000 Liter Wasser.

Zwar sind 70 Prozent der Erde mit Wasser bedeckt, doch nur 2,5% hiervon sind Süßwasser, hauptsächlich allerdings in Gletschern und Polkappen. Eine der am wenigsten genutzten Ressourcen sind die 12 900 Kubikkilometer Wasser, die als Dampf in der Atmosphäre schweben. Ein Kubikkilometer Wolken kann bis zu 3000 Kubikmeter Wasser enthalten. Diese weit verbreitete Wasserquelle, die über 70 Prozent der Landmasse verfügbar ist, stellt eine der einzigartigen Möglichkeiten dar, mit dem rasant wachsenden Bedarf Schritt zu halten.

Die Innovation

Der Kreislauf von Verdunstung, Kondensation und Niederschlag ist als Wasserkreislauf bekannt. Dieses natürliche System ist hinreichend beschrieben und erforscht worden. Mehrere Erfinder haben sich darauf konzentriert, über die Kontrolle des Taupunktes Dampf einzufangen. Gegenwärtig nutzen Wasser-aus-Luft-Apparaturen Kühltechniken, um Dampf aus der Luft zu kondensieren. Dieses System funktioniert bei normalen Außentemperaturen zwischen 21 und 32 Grad und einer Luftfeuchtigkeit zwischen 40 und 100 Prozent. Die Technologie wurde von den Atmospheric Water Technologies (USA) für die Katgara-Gruppe in Indien lizenziert, die weltweit das erste System aufgebaut haben, das eine durchgängige Versorgung mit Trinkwasser für 350 Dorfbewohner in Jalimundi, einer kleinen Siedlung nahe Rajahmundry (im Osten von Godavari) sichert. Die größte Herausforderung liegt jedoch in den Energiekosten für die Kühlung. Die meisten Orte ohne Wasserversorgung haben auch keinen Strom, und der große Bedarf an Strom macht dieses System für die Speisung mit Solarenergie ungeeignet.

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Curt Hallberg, der Marinesoldat, der später Wasseringenieur wurde und die WATRECO in Malmö (Schweden) gegründet hat, erkannte zusammen mit seinen Kollegen, dass eine der Hauptanwendungen der Wirbeltechnologie (Siehe Beispiel 1) die Produktion sauberen Wassers ist. Während er bereits an Filtersystemen arbeitete, die Verunreinigungen aus dem Wasser lösen und anschließend durch eine Düse absaugen und sauberes Wasser liefern, war er sich schon bewusst, dass die Herausforderung nicht nur in der Reinigung, sondern vor allem in der Produktion von Wasser liegt. Wasser-aus-Luft-Systeme hängen von der Temperatursenkung als Mittel der Taupunktkontrolle ab. Er sah eine Möglichkeit, das andere physikalische Schlüsselprinzip zu nutzen: die Erhöhung des Drucks. Wenn Luft in ein Rohr eingesaugt wird und einen Wirbel bildet, steigt der Druck. Durch die Wirbelbewegung wird Wasser aus der Luft „gedrückt“. Um feuchte Luft in den Verwirbler einzusaugen, benötigt man nur einen Bruchteil der Energie, die die Kühlaggregate verbrauchen.

Erster Umsatz

Curt hat bereits erfolgreich bewiesen, dass er kraft der Wirbelbewegung Luft aus Wasser entfernen sowie Luft in Wasser bis hin zur kritischen Sättigung hineindrücken kann. Seine Erkenntnisse haben bereits eine Palette von einem Dutzend möglicher Anwendungen geschaffen, von denen drei bereits vermarktet werden. Dies sind Eisherstellung, Entzunderung und Verbesserung von Bewässerung. Nun nutzt er die selbe Logik, doch anstatt den Luftgehalt des Wassers zu ändern, ändert er den Wassergehalt der Luft. Im Großen und Ganzen werden die selben Prinzipien genutzt und anstatt Wasser mit hohem Energieaufwand zu gewinnen, benötigt er sehr wenig Energie für die Wasserproduktion. Es wird geschätzt, dass der Motor eines Staubsaugers ausreicht, die Wassergewinnungsanlage anzutreiben, und dieser mit einigen kleinen Solarzellen ausgestattet werden kann. Dies wäre bei Kühlungssystemen nicht möglich.

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Die Chance

Die Logik, die Curt angewendet hat, unterscheidet sich kaum von den bahnbrechenden Ideen, die James Dyson umgesetzt hat, als er die Leistung von Staubsaugern erhöht hat. Dyson erreichte eine um 45 Prozent verbesserte Saugkraft, indem er kleinere Wirbelkammern und Rohre mit kleinerem Durchmesser eingesetzt hat, die somit größere Zentrifugalkräfte entwickeln. Der Verteilventilator erhöht den Luftzug um ein 16-faches. Die Kombination bereits bestehender Technologien aus Schweden und dem Vereinigten Königreich bringen eine kostengünstige und dauerhafte Lösung für die Wasserproduktion aus der Luft hervor, und dies beim Einsatz eines Bruchteils der Energie, die für den Marktstandard nötig gewesen wäre.

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Diese Innovation könnte eine weit verteilte Wasserproduktion in ähnlicher Weise wie die dezentrale Energiegewinnung ermöglichen. Da zudem Wasserknappheit und eine unzureichende Stromversorgung fast immer gleichzeitig vorliegen, könnte die Lösung eines Problems zur Lösung des anderen führen: Lösungen, die aufeinander aufbauen und gebündelt werden können zu Innovationen, die lokal vorhandene Ressourcen nutzen. Luftfeuchtigkeit als Trinkwasserquelle wurde bisher als lokale Ressource nicht in Betracht gezogen. Daher kann diese Technologie als Beispiel für die Blue Economy gelten.

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